Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 16/20 R

Krankenversicherung - Krankenhaus - Mindestmengenprognose - Kniegelenks-Totalendoprothese - Widerlegung

Verhandlungstermin 25.03.2021 13:00 Uhr

Terminvorschau

H. GmbH ./. AOK Nordost - Die Gesundheitskasse und andere
Die Beteiligten streiten über die Widerlegung einer Mindestmengenprognose.

Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses. In diesem wurden 2017 insgesamt 52 Patienten mit einer Kniegelenks-Totalendoprothese (Knie-TEP) versorgt. Im Juli 2019 übermittelte das Krankenhaus den beklagten Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen die Prognose zur Erreichung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) festgesetzten jährlichen Mindestmenge von 50 Knie-TEP für 2020. Sie gab an, im Jahr 2018 insgesamt 40 und im 2. Halbjahr 2018 und 1. Halbjahr 2019 insgesamt 43 Versorgungen mit Knie-TEP durchgeführt zu haben. Für das Jahr 2020 prognostizierte sie ua auf Grund personeller Veränderungen mehr als 50 Versorgungsfälle. Mit einem gemeinsamen Schreiben vom 20.8.2019, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, widerlegten die Beklagten diese Mindestmengenprognose. Aus dem Verlauf der Leistungszahlen seit 2017 werde deutlich, dass das Problem des sukzessiven Leistungsabfalles bereits über einen längeren Zeitraum bestehe und mit einem "erst zum 01.08.2019" erfolgten Chefarztwechsel nicht begründet werden könne. Zudem dürfe dieser Umstand nicht erneut zur Begründung der Prognose herangezogen werden. Soweit auf eine in der Zukunft liegende Kooperation mit einem nicht näher benannten Zuweiser abgestellt werde, seien keine weiteren Erläuterungen erfolgt, ob und in welcher Form diese Kooperation avisiert sei oder ob bereits vertragliche Bindungen bestünden.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Statthafte Klageart sei die gegen die Widerlegungsentscheidung gerichtete Anfechtungsklage. Diese sei zulässig aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Einer vorherigen Anhörung habe es nicht bedurft. Die Beklagten hätten die formell wirksame Prognose der Klägerin zu Recht wegen begründeter erheblicher Zweifel an deren Richtigkeit widerlegt. Die mitgeteilten Umstände trügen nicht den Schluss, die aus den Zahlen der letzten Halbjahre ableitbare Untererfüllung werde ausreichend kompensiert werden können. Erst nach Darlegung der Prognose eingetretene Umstände, wie die Erreichung der erforderlichen Mindestmenge im Jahr 2019, könnten nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Widerlegungsentscheidung angeführt werden. Diese sei allein an den der Prognose zugrunde gelegten Tatsachen zu orientieren. Ein zugunsten der Klägerin zu berücksichtigender Härtefall liege nicht vor.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 24 Abs 1 SGB X sowie § 136b Abs 4 Satz 3 und 6 SGB V iVm § 4 Abs 2 Satz 2 und 3 der Mindestmengenregelung des GBA.

Vorinstanz:
Sozialgericht Berlin - S 56 KR 2033/19, 05.03.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 14/21.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der Senat hat das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage. Die Widerlegung der Mindestmengenprognose erfolgt durch Verwaltungsakt. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen entscheiden verbindlich über den Bestand der Mindestmengenprognose des Krankenhausträgers für das Folgejahr. Ihnen ist durch § 136b Abs 4 Satz 6 SGB V eine hoheitliche Entscheidungskompetenz zugewiesen, die auch die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten umfasst. Die Prognose des Krankenhausträgers bewirkt kraft der gesetzlichen Anordnung in § 136b Abs 4 Satz 3 SGB V die Leistungsberechtigung gegenüber sämtlichen Krankenkassen. Diese Rechtsfolge wird durch die Widerlegungsentscheidung suspendiert. Mit Blick auf das verfassungsrechtliche Verbot einer unzulässigen Mischverwaltung aus Bund und Ländern ist § 136b Abs 4 Satz 6 SGB V dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen über die Widerlegung der Prognose des Krankenhausträgers in getrennten Verwaltungsakten entscheiden. Diese können aber formal in einem Bescheid zusammengefasst sein, wie dies vorliegend geschehen ist. Einer mit der Verpflichtungsklage durchsetzbaren positiven Entscheidung über die Leistungsberechtigung des Krankenhauses bedarf es nicht. Die angefochtene Widerlegungsentscheidung hat sich nicht durch Zeitablauf erledigt. Denn sie hat nach wie vor Auswirkungen auf die Frage, ob die Klägerin im Jahr 2020 berechtigt war, Knie-TEP-Operationen durchzuführen und zu Lasten der Krankenkassen abzurechnen. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig, weil die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung unterblieben ist und nicht wirksam nachgeholt wurde. Dem tatsächlichen Vorbringen des Krankenhausträgers kommt im Rahmen des Verfahrens zur Klärung der Leistungsberechtigung nach § 136b Abs 4 SGG eine erhebliche Bedeutung zu. Ein Vorverfahren, in dessen Rahmen das Vorbringen noch ergänzt werden könnte, findet nicht statt. Insofern verlangt es das Recht auf ein faires Verfahren in besonderer Weise, dass dem Krankenhausträger vor der Widerlegung seiner Prognose Gelegenheit gegeben wird, erkennbar unvollständige oder unplausible Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen. Die Beklagten hätten zumindest die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen müssen, der Klägerin - ggf unter Setzung einer kurzen Frist - eine Ergänzung des von ihnen für unvollständig gehaltenen Vorbringens zu ermöglichen. Dem sind sie nach den vom SG getroffenen Feststellungen zum Verfahrensablauf nicht nachgekommen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 14/21.

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