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Unruhe in den DRK-Kliniken Nordhessen: Mitarbeiter fürchten um Jobs und Zukunft des Krankenhauses

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Eingang der DRK-Kliniken Nordhessen im Kasseler Stadtteil Wehlheiden.
Schlechte Wetterlage: Die Stimmung in den DRK-Kliniken war schon mal besser. © Robin Lipke

In den DRK-Kliniken Nordhessen herrscht Unruhe. Es brodelt in Kassels ältestem Krankenhaus. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wir versuchen, die Hintergründe zu beleuchten.

Kassel - Es ist ein Hilferuf. Mitarbeiter der DRK-Kliniken Nordhessen haben sich per E-Mail an die HNA gewandt. Darin zeichnen sie ein düsteres Bild des traditionsreichen Krankenhauses im Stadtteil Wehlheiden. Demnach tobe ein „schlimmer Machtkampf“ zwischen Geschäftsführung, Verwaltungsrat, Betriebsrat und Schwesternschaft. Mitarbeiter fürchten um ihre Jobs und die Zukunft des Hauses.

Dass es in den DRK-Kliniken brodelt, bestätigt Martin Kowarsch, Vorsitzender des Betriebsrates. Er könne den Inhalt der E-Mail nachvollziehen, sagt er gegenüber der HNA. Die Stimmung sei nicht gut, „und das zieht sich quer durch die Belegschaft“. In dem Schreiben wird beispielsweise der Vorwurf erhoben, dass es zwischen den Geschäftsführern, Alexander Lottis und Claudia Nehrig, nur noch Streit gebe. Jeder versuche, den anderen loszuwerden, „keiner arbeitet mehr für unsere Zukunft“.

Lottis kam im Januar vergangenen Jahres als Sanierer in das Krankenhaus. Anfangs habe die Zusammenarbeit mit Nehrig gut funktioniert, sagt Kowarsch: „Mittlerweile sieht das nicht mehr so aus.“ Den Grund kenne er nicht.

Auf Anfrage beschreibt Lottis die Stimmung so: „Wir haben schwierige Zeiten hinter uns und sind mittendrin in einem noch nie da gewesenen Pandemiefall. Pflegekräfte sind erschöpft. Parallel dazu strukturieren wir unsere Klinik um. Das alles zehrt an den Nerven aller und kann zu Verunsicherungen führen.“ Die Frage, wie das Verhältnis zu Nehrig aussieht, wird nicht beantwortet.

Was die Sorgen der Mitarbeiter über die Zukunft betrifft, erklärt Lottis, dass die DRK-Kliniken fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung in Kassel seien – und das werde auch so bleiben: „Darin sind wir uns als Geschäftsführung mit dem Verwaltungsrat sowie der Schwesternschaft einig.“

Ein weiterer Konflikt geht aus einem Schriftwechsel zwischen Betriebsrat und Nehrig hervor, der der HNA vorliegt. In ihrer Rolle als Oberin der Schwesternschaft soll Nehrig gedroht haben, das Haus mitsamt des weiblichen Pflegepersonals zu verlassen. Kowarsch berichtet zudem von Plänen, wonach Nehrig und die Schwesternschaft eigene Anteile an den DRK-Kliniken an einen Investor überschreiben wollten.

Nehrig stellt in einem Schreiben dar, dass das „Schreiben des Betriebsrates keine Informationen, sondern falsche Behauptungen“ enthalte. Damit sollten Ängste und Verunsicherung geschürt werden.

So kam es zum Zerwürfnis in Kassels ältestem Krankenhaus

Was zuletzt aus den DRK-Kliniken nach außen dringt, böte durchaus Stoff für eine Telenovela. Doch mit seichter Unterhaltung hat die Stimmung in Kassels ältestem Krankenhaus nichts zu tun. Es geht um Arbeitsplätze und nicht zuletzt um den Ruf. Eine von Mitarbeitern verfasste und an die HNA verschickte E-Mail belegt, welche Aufregung in Wehlheiden aktuell herrscht. Angestellte sorgen sich um ihre Jobs und um die finanzielle Lage, sie sind geschockt „über das, was da in der Führung abgeht“. Die Rede ist von Machtkämpfen.

Wie angespannt die Lage ist, verdeutlicht diese Tatsache: Nach HNA-Fragen an alle Ebenen hat nun der Verwaltungsrat beschlossen, die Kommunikation zu übernehmen. Ohne Zustimmung des Aufsichtsgremiums mit Vorsitz von Joachim Jasper darf nichts mehr nach außen getragen werden. Und noch etwas ist im Zuge der Recherchen aufgefallen: Eine Vielzahl von Quellen möchte aus Angst vor unangenehmen Folgen anonym bleiben.

Wie lässt sich also die Unruhe in dem traditionsreichen Haus erklären?

1. Die wirtschaftliche Lage

Auf dem Papier sehen die Finanzen nicht so schlecht aus. Der Verkauf der Koch-Klinik an die Nassauische Heimstätte hat den DRK-Kliniken nach HNA-Informationen 3,5 Millionen Euro eingebracht. Zudem profitiert das Haus von den Pauschalen für freigehaltene Corona-Betten. Angesichts der Pandemie „sind wir zufrieden“, sagt Geschäftsführer Alexander Lottis.

Aber: Derzeit sind nur sechs von zehn Betten in den DRK-Kliniken belegt, wie die HNA erfahren hat. Um rentabel zu sein, muss die Auslastung bei mindestens 75 Prozent liegen, eher höher. Und das führt zu Punkt zwei:

2. Der Exodus

Lottis begründet die sinkenden Belegungszahlen mit Corona. Doch es gibt einen weiteren Aspekt. Mehrere Kasseler Hausärzte bestätigen, dass sie ihre Patienten seit vergangenem Jahr seltener an das Krankenhaus überweisen. Ein Grund sei der Weggang namhafter Mediziner. Zu den neuen Ärzten fehle das Vertrauen, was extrem wichtig sei, sagt Dr. Uwe Popert vom Vorstand des Hausärzteverbandes Kassel.

Jasper, der Verwaltungsratsvorsitzende, erklärt, dass acht Chefarztstellen neu besetzt und dass seit November mehr als 40 Pflegekräfte eingestellt wurden: „Diese Veränderungen machen in einer Anfangsphase Unruhe.“ Ehemalige Führungskräfte erklären den Exodus von Personal mit der schlechter gewordenen Stimmung. Im vergangenen Jahr sei der Umgangston im Haus wesentlich rauer geworden, teilen sie auf HNA-Anfrage mit.

3. Der Eklat

Apropos Lottis: Vermittelt wurde der gelernte Banker von der Unternehmensberatung Andree Consult. Lottis erhielt einen Zweijahresvertrag, er soll sanieren und dann gehen. Im Herbst 2020 hatte Edgar Paul andere Pläne. Paul war damals Vorsitzender des Verwaltungsrates – im Zuge der Steuer-Affäre als Bürgermeister von Nieste ist er inzwischen von seinem Posten in den DRK-Kliniken zurückgetreten. Wie die HNA erfuhr, kamen Paul und Lottis prima miteinander aus. Paul wollte Lottis aus dem Sanierungsvertrag herausholen und ihn für fünf Jahre als ordentlichen Geschäftsführer installieren, angeblich für 300 000 Euro im Jahr.

Zu der Summe macht Paul auf Anfrage keine Angabe. Er widerspricht aber, was die Vertragslaufzeit betrifft. Lottis sollte nach der Sanierungszeit bleiben, ja, allerdings für drei Jahre: „Das sollte ein Signal sein für die Belegschaft, dass wir den Weg mit diesem Geschäftsführer weitergehen“, erklärt Paul. Pauls Alleingang sorgte aber für einen Eklat.

Nachfolger Jasper teilt mit, dass er sich nicht zu ehemaligen Mitgliedern des Verwaltungsrates äußern werde.

Damals jedenfalls stellte sich die DRK-Schwesternschaft als zweiter Träger der Kliniken (siehe unten) gegen Pauls Pläne. Dieser Konflikt habe das Fass zum Überlaufen gebracht, wird aus DRK-Kreisen berichtet. Vor allem das Verhältnis zwischen Geschäftsführerin Claudia Nehrig und Lottis habe gelitten. In der E-Mail der Mitarbeiter heißt es, dass es nur noch Streit zwischen ihnen gebe.

Nehrig, die auch Oberin der Schwesternschaft ist, will sich nicht äußern. Die Firma Andree Consult verweist auf Vertraulichkeit. Und Jasper spricht davon, dass die beiden Geschäftsführer unterschiedliche Standpunkte und Herangehensweisen hätten. Dies stehe einer konstruktiven Zusammenarbeit grundsätzlich jedoch nicht im Weg.

4. Die Zukunft

Damit wieder Ruhe einkehrt, müssten die Gerüchte aus der Welt geschafft werden, sagt Jasper. Bleibt noch Claudia Nehrig. Es gibt Vorwürfe, sowohl in der E-Mail der Mitarbeiter als auch in einem Schreiben des Betriebsrates, dass die Oberin mitsamt der Schwesternschaft das Haus verlassen wolle. Er kenne Nehrig seit vielen Jahren, sagt Jasper: „Sie ist der Schwesternschaft ebenso verbunden wie diesem Haus.“

Was den Machtkampf zwischen Verwaltungsrat, Betriebsrat, Schwesternschaft und Geschäftsführung betrifft, da spricht Jasper von Neuausrichtung und Veränderungen, die für die Beschäftigten Unsicherheit bedeuten können. „Dass dabei innerhalb der verschiedenen Gruppierungen der Klinik über Tempo und Ausrichtung diskutiert wird, ist normal.“

In all der Unruhe gibt es für jene, die sich Sorgen machen, auch eine gute Botschaft. Die Verantwortlichen versichern, dass die DRK-Kliniken zukunftsfähig gemacht werden sollen. (Robin Lipke)

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