Stationäre COVID-19-Patientinnen und -patienten oft mangelernährt
DGEM plädiert für Screening und frühzeitige Aufbautherapie

Berlin, März 2021 – Einer der bekanntesten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist starkes Übergewicht. Aber auch unter- oder mangelernährte Menschen sind von Infektionserkrankungen oft besonders stark betroffen. Werden sie krank, fehlt es häufig an körpereigenen Reserven. Welchen Einfluss der Ernährungszustand von COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf den Krankheitsverlauf hat und wie häufig Mangelernährung in dieser Patientengruppe überhaupt vorkommt, ist bislang noch weitgehend unbekannt. Französische Forschende legen nun Daten aus der ersten Welle der Pandemie vor, die zeigen, dass ein hoher Anteil der stationär versorgten COVID-19-Patienten Anzeichen für eine Mangelernährung aufweist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) nimmt die Analyse zum Anlass, einmal mehr auf die Notwendigkeit eines Ernährungsscreenings und -managements bei stationär behandelten Patienten hinzuweisen.

Der Begriff der Mangelernährung wird in Laien- und Fachkreisen sehr unterschiedlich verwendet, auch unter Fachleuten gab es lange keine international verbindlichen Kriterien dafür. Erst vor rund zwei Jahren wurde ein weltweit gültiger Kriterienkatalog zusammengestellt. Dieser bildet die krankheitsbezogene Mangelernährung ebenso ab wie den Nährstoff- oder Energiemangel, der durch Hunger oder Fehlernährung entsteht. „Demnach bedeutet Mangelernährung nicht immer, dass die Betroffenen zu wenig Nahrung aufnehmen“, erläutert Professor Dr. oec. troph. Dr. med. Anja Bosy-Westphal, Leiterin der Abteilung Humanernährung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Präsidentin der DGEM. Auch krankheitsbedingte Störungen der Verdauung, Resorption und Verwertung von Nährstoffen, oder ein erhöhter Energiebedarf können zu einer unzureichenden Versorgung führen. Entsprechend könnten sowohl untergewichtige als auch normal- oder sogar übergewichtige Patienten mangelernährt sein. „Ein niedriger Body-Mass-Index ist somit nur eines der möglichen Kriterien – auch ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust oder eine geringe Muskelmasse können Anzeichen für eine Mangelernährung sein“, so Bosy-Westphal.

Nach den Kriterien des Katalogs stuften die französischen Medizinerinnen und Mediziner 42,1 Prozent der auf einer Normalstation aufgenommenen COVID-19-Patienten als mangelernährt ein – 18,4 Prozent sogar als gravierend. Von denjenigen Patienten, die zuvor auf der Intensivstation gepflegt worden waren, waren sogar zwei Drittel mangelernährt. Ob der schlechte Ernährungszustand der Patienten von der COVID-19-Erkrankung herrührte oder bereits zuvor bestanden hatte, konnte im Rahmen der Studie nicht unterschieden werden. „Es ist jedoch anzunehmen, dass er durch die Krankheit zumindest verstärkt wurde“, sagt Professor Dr. med. Matthias Pirlich, 2. Vizepräsident der DGEM. Denn COVID-19 bringe viele Symptome mit sich, die das Essen erschweren – wie etwa Geruchs- und Geschmacksverlust, starke Abgeschlagenheit und Übelkeit. Gleichzeitig sei der Energie- und Nährstoffverlust aufgrund von Durchfällen und hohem Fieber groß. Die ausgeprägte Entzündungsreaktion führe zu einem Abbau der Muskulatur.

Auch wenn die Bedeutung der beobachteten Mangelzustände für den weiteren Krankheitsverlauf noch unklar ist, werten die Expertinnen und Experten der DGEM den hohen Anteil mangelernährter COVID-19-Patienten als deutliches Alarmsignal. Denn aus Studien zu zahlreichen anderen Erkrankungen ist bekannt, dass ein guter Ernährungszustand einen wertvollen Beitrag zur Gesundung leisten kann. Die Fachgesellschaft hält es daher für dringend geboten, COVID-19-Patienten bereits bei der Aufnahme in die Klinik auf ihren Ernährungszustand hin zu untersuchen und sie bei Bedarf während des stationären Aufenthaltes ernährungsmedizinisch zu betreuen.

Quellen:
Bedock D et al. Prevalence and severity of malnutrition in hospitalized COVID-19 patients. Clin Nutr ESPEN 2020. doi: 10.1016/j.clnesp.2020.09.018

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