Der Zürcher Stadtrat habe beim Triemli-Abschreiber ungesetzlich gehandelt, sagt der Regierungsrat – er kassiert die Rechnung 2019

Der Zürcher Stadtrat wollte seine Fehlinvestition beim Triemli-Spital mit einem Finanzkniff korrigieren. Doch es fehlt die gesetzliche Grundlage. Nun verweigert der Regierungsrat die Genehmigung der Rechnung 2019.

Michael von Ledebur
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Optisch schön, aber teuer: Das neue Bettenhaus des Spitals Triemli riss ein grosses Loch in die Finanzen der Stadt.

Optisch schön, aber teuer: Das neue Bettenhaus des Spitals Triemli riss ein grosses Loch in die Finanzen der Stadt.

Goran Basic / NZZ

Wenn sich eine Regierung dazu veranlasst sieht, der Bevölkerung zu versichern, es sei alles in Ordnung, lässt dies aufhorchen. «Die Stadt Zürich bleibt finanziell voll handlungsfähig», lässt sich der Stadtzürcher Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne) in einer Mitteilung vom Freitagvormittag zitieren. Darin teilt der Stadtrat den Stadtbewohnern mit, dass der Regierungsrat die Genehmigung seiner Rechnung 2019 verweigert hat. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Kanton nicht akzeptiert, wie die Stadt Zürich ihre Finanzen in diesem Jahr geregelt hat. Das hat Seltenheitswert.

Der Grund für die regierungsrätliche Ablehnung ist die Art und Weise, wie die Stadt das viel zu teure Bettenhaus beim Triemli-Spital in den Büchern abgelegt hat. Nicht die Baukosten sind beim Bettenhaus das Problem – da gelang bei der Erstellung 2016 eine Punktlandung –, sondern dass die Einnahmen aus dem Betrieb die Kosten bei weitem nicht decken. 290 Millionen Franken Baukosten müssen über 33 Jahre abgeschrieben werden. Das belastete die Rechnung jährlich mit 16,8 Millionen Franken.

Beim Aufräumen gestört

Die Schieflage der Stadtspitäler hatte 2018 dazu geführt, dass Claudia Nielsen (sp.) als Gesundheitsvorsteherin zurücktrat. Ihr Nachfolger Andreas Hauri (glp.) trat mit der Mission an, aufzuräumen, gerade beim Bettenhaus. Der Plan: Statt der jährlichen, hohen Abschreibung sollte es eine einmalige, noch höhere Wertberichtigung des Bettenhauses in den Büchern geben, nach dem Motto: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Unglaubliche 176 Millionen Franken soll das Bettenhaus weniger wert sein – rückwirkend auf 2019. Der Wert wird von 346 Millionen Franken auf rund 170 Millionen Franken verringert. Einmalig weisen die Stadtspitäler in der Rechnung 2019 eine tiefrote Zahl aus. Fortan allerdings müssen sie jährlich deutlich weniger abschreiben als bis anhin, nämlich 7,6 Millionen Franken weniger als bisher; dies bei jährlichen Abschreibungen von zirka 30 Millionen Franken (ohne Wertberichtigung) . Die finanzielle Lage der mittlerweile fusionierten Stadtspitäler Triemli und Waid hellte sich mit einem Schlag auf. Diesen Plan setzten Stadt- und Gemeinderat letzten Sommer um.

Nur: Für dieses Vorgehen gibt es laut der Einschätzung des Regierungsrates keine gesetzliche Grundlage. Deshalb weist er die Rechnung 2019 zurück an den Absender, den Zürcher Stadt- und Gemeinderat. Diese müssen die Rechnung überarbeiten und den Abschreiber rückgängig machen. Andreas Hauri sagt: «Wenn es dabei bleibt, werden wir den Businessplan der Stadtspitäler mittelfristig aktualisieren. Unser Ziel muss eine schwarze Null sein.» Man habe grosse Fortschritte gemacht und beispielsweise die Fallkosten gesenkt – «aber natürlich wäre die Wertberichtigung für eine ausgeglichene Rechnung sehr wichtig gewesen».

Dass der Plan auf rechtlich wackeligen Füssen steht, war schon im vergangenen Sommer klar. Die Rechnungsprüfungskommission des Stadtzürcher Parlaments (RPK) hatte wegen der Rechtmässigkeit des Finanzkniffs beim kantonalen Gemeindeamt nachgefragt, das Gemeinden in der Rechtsauslegung des Gemeindegesetzes berät. Die Antwort war eindeutig: Der Stadtrat handle ohne Rechtsgrundlage. Davon liess sich dieser allerdings nicht beeindrucken und überzeugte auch den Gemeinderat, der die Rechnung genehmigte, gegen die Stimmen der Bürgerlichen. Die FDP reichte in der Folge eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Stadtrat ein. Die Behandlung dieser Beschwerde wurde mit der regierungsrätlichen Prüfung der Jahresrechnung zusammengenommen.

Die entscheidende Frage ist, ob ein solcher einmaliger Abschreiber zulässig ist oder nicht. Die Stadt ist bei der Bewertung von Liegenschaften ans Gemeindegesetz gebunden. Der entscheidende Passus lautet, dass Gemeinden zwar durchaus Liegenschaften neu bewerten dürfen und sollen, wenn eine Wertminderung vorliegt. Damit ist beispielsweise der Fall gemeint, dass ein Gebäude beschädigt wurde oder dass es wegen raumplanerischer Entscheide nicht mehr gleich genutzt werden kann wie zuvor. Beim Bettenhaus liegt der Fall anders: Die Rendite ist stark tiefer als einst angenommen, weil sich die politischen Vorgaben seit der Planung in den nuller Jahren verändert haben.

Der Stadtrat argumentierte, man sei verpflichtet, den wahren Wert einer Liegenschaft abzubilden. Und das Gemeindegesetz lasse Spielraum. Gemäss dieser Argumentation muss eine Liegenschaft nicht zerstört oder unbenutzbar sein, damit man ihren Wert anpassen kann – sondern man kann auch veränderte Rahmenbedingungen als Grund anführen.

Klar weniger rentabel

Der Stadtrat hat den Wert der Liegenschaft deshalb neu berechnen lassen und sich der sogenannten Discounted-Cashflow-Methode bedient, einer Methode, die im Immobiliengeschäft angewandt wird, wenn sich Käufer und Verkäufer auf einen angemessenen Verkaufspreis einigen sollen. Man berechnet die Einkünfte, die die Liegenschaft in den nächsten Jahren abwerfen wird – naheliegend sind die Mieteinkünfte –, und zieht daraus einen Rückschluss auf den Wert und somit den Verkaufspreis.

Im Falle des Triemli-Bettenhauses resultierte aus dem Verfahren, dass die Liegenschaft weniger wert ist, weil sich die Rentabilität gegenüber der einstigen Annahme verschlechtert hat.

Unbestritten ist, dass sich die wirtschaftlichen Grundlagen der Spitäler stark verändert haben: Wurden den Spitälern früher aus der Staatskasse die Defizite gedeckt und die Investitionen bezahlt, müssen sie ihre Kosten seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung 2012 selbst aus der Fallpauschale decken. Und der Wandel von stationären zu ambulanten Behandlungen hat dazu geführt, dass der Bedarf an Spitalbetten gesunken ist. Die Erwartung, dass im Bettenhaus ertragbringende Privatpatienten logieren würden, erfüllte sich nicht.

Zwar wird das Bettenhaus heute gut genutzt, unter anderem für Abteilungen, die in erster Linie auf ambulante Behandlungen setzen wie die Augenklinik, die Pneumologie oder die Kinderklinik. Aber die Einnahmen daraus sind verhältnismässig tief.

Die Liegenschaft ist nicht unbenutzbar – das ist entscheidend

Doch dies tut aus Sicht des Kantons nichts zur Sache. Denn weder hat sich an der Liegenschaft etwas verändert, noch wurde die Nutzung eingeschränkt, wie es das Gesetz als Voraussetzung für eine solche Abschreibung verlangt.

Der Stadtrat allerdings hält sein Vorgehen nach wie vor für gesetzeskonform. Er behält sich vor, den Entscheid des Regierungsrates vor das Verwaltungsgericht zu ziehen. Diese Haltung kommt bei der städtischen FDP, die sich in ihrer Aufsichtsbeschwerde bestätigt sieht, schlecht an. Der Präsident Severin Pflüger sagt: «Es würde bei uns auf absolutes Unverständnis stossen, wenn der Stadtrat den regierungsrätlichen Entscheid weiterzöge.»

Gesundheitsvorsteher Hauri sagt, man werde die Situation sachlich analysieren und auch das Gespräch mit dem Kanton suchen, bevor man über einen Weiterzug entscheide. Justizdirektorin Jacqueline Fehr (sp.) sieht allerdings im Gesetz keinen Spielraum für Kompromisse. «Der Gemeindeautonomie sind in dieser Frage enge Grenzen gesetzt. Daran muss sich auch die Stadt Zürich halten.» Es gebe keine Alternative zur linearen Abschreibung. Fehr weist darauf hin, dass ein jüngeres Urteil des Verwaltungsgerichts ebenfalls in diesem Sinne ausgefallen sei.

Immerhin eine gute Nachricht konnte der Stadtrat am Freitag aus Sicht der Stadtspitäler verkünden: Das Hickhack wird ohne Einfluss auf die Spitalliste bleiben. Häuser auf der Spitalliste erhalten einen Leistungsauftrag des Kantons, der Verbleib auf der Liste ist für sie überlebenswichtig, auf das Jahr 2023 hin wird sie neu festgelegt.

Der Kanton bewertet die Spitäler nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Eigentlich würde der vorderhand weiterhin hohe Abschreibungsbedarf durch das Bettenhaus die Zahlen der Stadtspitäler belasten. Aber der Regierungsrat sagt, er werde im Bewerbungsverfahren nicht auf die Jahresrechnung, sondern auf betriebliche Daten und Kalkulationen schauen. Darin spielt das Bettenhaus keine Rolle.

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