Ein Hackerangriff trifft Roms Gesundheitswesen – war die Impfkampagne das Ziel?

In Rom ist die Spitzenmedizin Italiens konzentriert. Nach einem Angriff mit Ransomware sind alle Termine bei Spezialärzten von den Bildschirmen verschwunden. Die hitzige Debatte über die Corona-Politik wird damit noch befeuert.

Andres Wysling, Rom
Drucken
Nicola Zingaretti, der Präsident der Region Latium, erklärte am Montagnachmittag vor den Medien, dass man nichts über den Ursprung des Hackerangriffs wisse.

Nicola Zingaretti, der Präsident der Region Latium, erklärte am Montagnachmittag vor den Medien, dass man nichts über den Ursprung des Hackerangriffs wisse.

Cecilia Fabiano / AP

Unbekannte Hacker haben die Informatiksysteme der Regionalverwaltung von Rom und Latium lahmgelegt. Der Schaden wurde am Sonntag zuerst im Covid-19-Impfsystem bemerkt, weil auch am Sonntag geimpft wird. Zuerst wurde darum über eine Aktion von Impfgegnern spekuliert. Am Montag stellte sich dann heraus, dass in den Büros der Regionalverwaltung die Informatik durch Ransomware grossflächig ausgefallen war. Der Angriff sei von Deutschland aus erfolgt, wurde kolportiert, die Hacker verlangten ein hohes Lösegeld in Bitcoin, damit sie die von ihnen eingeschleusten Schadprogramme wieder ausschalteten.

Jedoch erklärte Nicola Zingaretti, der Präsident der Region Latium, am Montagnachmittag vor den Medien, man wisse nichts über den Ursprung des Hackerangriffs. Eine Lösegeldforderung liege nicht vor, seine Behörde führe keinerlei Verhandlungen mit Hackern. Er sprach von einem «terrorähnlichen Akt» und warnte vor Spekulationen aufgrund von unsicheren Quellen im Behördenapparat. Für die Ermittlungen zuständig ist die Post-Polizei, ihr obliegt die Überwachung der elektronischen Übermittlung. Von dieser Stelle gab es keine näheren Informationen.

«Grösster Hackerangriff überhaupt» in Italien

Es sei der grösste Hackerangriff überhaupt auf eine öffentliche Behörde in Italien, hiess es offiziell. Beeinträchtigt wurde zunächst die Covid-19-Impfkampagne in der Hauptstadtregion mit 6 Millionen Einwohnern. Die Aufgebote zum Impfen werden übers Mobiltelefon verschickt, derzeit können keine neuen Termine gebucht werden.

Doch die Regionalbehörden geben die Parole aus: «Die Impfkampagne geht weiter.» Am Sonntag seien, ungeachtet des Hackerangriffs, 50 000 Impfdosen verabreicht worden. In den kommenden zwei Wochen hätten 500 000 Personen ihre Impftermine, diese gälten weiterhin. Der Hackerangriff führt dazu, dass frisch Geimpfte ihre Impfausweise mit einigen Stunden Verspätung erhalten. In Rom und Umgebung haben bereits 70 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten.

Eine ernsthafte Schwierigkeit entsteht laut den Regionalbehörden dadurch, dass das Reservationssystem der Spitäler ausgefallen ist. In der Hauptstadt ist die Spitzenmedizin des Landes konzentriert, Termine für Konsultationen und Operationen bei Spezialisten sind jetzt infrage gestellt. Befürchtet wurde zudem, dass die Hacker Zugriff auf persönliche Daten der sechs Millionen Einwohner der Hauptstadtregion erhielten, und damit auch auf diejenigen von führenden Politikern und Geschäftsleuten. Nach offizieller Darstellung wurden aber keinerlei medizinische Daten verletzt oder gestohlen. Auch die Daten der Finanzverwaltung seien unbeschädigt.

Impfgegner und Impfskeptiker demonstrieren

Der Vorfall bringt noch mehr Aufregung in die ohnehin erhitzte Debatte um die Pandemie, die Impfkampagne und weitere Schutzmassnahmen. In den letzten Wochen versammelten sich Impfgegner oder -skeptiker in mehreren Städten zu Kundgebungen gegen das Impfen und den «Green Pass». Die Versammlungen waren nicht besonders gross, aber laut. Sie gingen fast überall friedlich vonstatten. Die grösste fand in Mailand statt, mit 10 000 Teilnehmern laut Medienberichten. An den Mikrofonen wurde ein Desinformationsbrei von Antiwissenschaft und Verschwörungstheorien verkündet, als Feinde müssen wahlweise die Pharmakonzerne, «verseuchte» Immigranten, die Regierung in Rom oder alle zusammen herhalten.

Es sind aber nicht nur «No Vax»- und «No Mask»-Fanatiker, die protestieren. Eine wichtige Rolle spielten an den Kundgebungen Wirte und Taxifahrer, Kleingewerbler also, die von den lang dauernden Schliessungsmassnahmen besonders hart getroffen wurden. Wirte wehren sich dagegen, dass nur noch ins Restaurant dürfen soll, wer ein Impfzertifikat vorweisen kann. Sie fürchten um ihre Umsätze, das lässt sich rational nachvollziehen.

Ein wichtiger Ruf an den Kundgebungen war: «Libertà, libertà!» Der «Green Pass» gefährde die Freiheit, faktisch werde ein Impfzwang geschaffen, wenn man sich ohne Impfausweis nur noch stark eingeschränkt in der Öffentlichkeit bewegen könne. «Es können alle tun, was sie wollen, aber in meinen Körper lasse ich diese Impfung nicht hinein», so etwa geht die Argumentation. Neben solchen libertären Stimmen riefen an den Kundgebungen ausgerechnet auch faschistische Gruppen nach «Freiheit».

Geringere Impfbereitschaft in der Unterschicht

Laut einer Umfrage der Zeitung «Corriere della Sera» wollen sich 10 Prozent der Italiener keinesfalls impfen lassen, weitere 7 Prozent zögern mit der Impfung. Die meisten Impfgegner und -skeptiker sind unter 50 Jahre alt, viele sind Kleingewerbler oder Arbeitslose, sie wählen Rechtsparteien oder die Populisten der Cinque Stelle. In der Mittelschicht liegt die Impfbereitschaft bei 83 Prozent, in der Unterschicht wollen sich dagegen nur 65 Prozent impfen lassen oder sind bereits geimpft. Der Unterschied wird mit dem Mediengebrauch erklärt: Leute mit geringer Kaufkraft bezögen ihre Informationen vorwiegend aus sozialen Netzwerken und hätten ein verzerrtes Bild der Diskussion.

Die öffentliche Diskussion zum Thema Impfen ist manchmal ärgerlich, insgesamt aber für die Demokratie nützlich, in Italien wie anderswo. Verhandelt wird die Abgrenzung zwischen staatlicher Anordnung und individueller Selbstverantwortung. Es wird deutlich, dass rationale Argumente und rationales Handeln sich nicht automatisch durchsetzen, sondern dass schlecht oder falsch informierte Bürger überzeugt werden müssen. Wenn das gelingt, ist eine hohe Durchimpfungsrate der Bevölkerung zu erreichen, auch ohne Impfzwang und neue Sperrmassnahmen.

Mehr von Andres Wysling (awy)

Weitere Themen