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Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam

Corona–Ausbruch im Potsdamer Bergmann-Klinikum - Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche eingestellt

- Erschienen am 13.08.2021

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das Ermittlungsverfahren gegen drei leitende Ärztinnen und Ärzte sowie die ehemalige Geschäftsführung wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruchsgeschehen im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann (KEvB) mangels Tatverdachts eingestellt.

Tragender Gesichtspunkt für die Einstellung hinsichtlich der Straftatbestände der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung ist, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Umgang der Beschuldigten mit der COVID-19-Ausbruch im Krankenhaus und dem Tod oder der Infektion von Patienten im KEvB nicht nachzuweisen ist. Auch eine Straftat nach dem Infektionsschutzgesetz liegt nicht vor.

Im Einzelnen:

Im Klinikum Ernst von Bergmann gGmbH, Potsdam (KEvB), kam es zwischen der erstmaligen Feststellung eines SARS-CoV-2-positiven Patienten am 08.03.2020 bis Anfang April 2020 zu einer Häufung von COVID-19-Erkrankungen, wobei 47 Personen an oder mit einer COVID-19-Erkrankung verstorben sind. Die Landeshauptstadt Potsdam leitete in der Folge gegen die inzwischen abberufenen Geschäftsführer der KEvB gGmbH sowie drei Chefärztinnen und Chefärzte Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz ein. Da zudem der Verdacht einer Straftat nach dem Infektionsschutzgesetz bestand, legte die Stadt Potsdam den gesetzlichen Vorschriften entsprechend die Akten der Staatsanwaltschaft Potsdam vor, die ein Ermittlungsverfahren einleitete. Soweit es die Infektion von Patienten und Mitarbeitern sowie den Tod von Patienten an bzw. mit COVID-19 betrifft, wurde hinsichtlich der Tatbestände der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung ermittelt, sowie darüber hinaus auch eine versuchte Körperverletzung in Betracht gezogen. Hinsichtlich einer möglichen Verbreitung des Krankheitserregers war zudem ein strafbarer Meldepflichtverstoß nach dem Infektionsschutzgesetz zu untersuchen.

 

Die Staatsanwaltschaft Potsdam durchsuchte aufgrund von Beschlüssen des Amtsgerichts Potsdam die Arbeitsplätze und Privaträume der Beschuldigten. Dabei wurden eine Vielzahl von Patientenakten, schriftliche und elektronische Dokumentationen wie Dienstanweisungen und Ablaufpläne sowie die Kommunikation der Beschuldigten untereinander sowie gegenüber den Mitarbeitern und Dritten sichergestellt und in den Folgemonaten durch eine Sonderermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes unter Leitung der Staatsanwaltschaft Potsdam gesichert, gesichtet und ausgewertet. Darüber hinaus wurden auch weitere Erkenntnisse etwa des Robert-Koch-Instituts und der unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung des Sars-CoV2-Ausbruchs am KEvB vom 21.12.2020 in die Sachverhaltsfeststellung und Bewertung einbezogen.

In tatsächlicher Hinsicht hat das Ermittlungsverfahren zwar verschiedene Anhaltspunkte für Organisations- oder Ausführungsfehler erbracht. Diese möglichen Versäumnisse begründen jedoch nicht zwingend in jedem Fall einen Sorgfaltspflichtverstoß, da die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der ersten Welle der COVID19-Pandemie im Frühjahr 2020 zu berücksichtigen waren. Insbesondere war zu diesem Zeitpunkt das Wissen über den Erreger und die Übertragbarkeit noch rudimentär ausgeprägt, so dass etwa die aerosolgebundene Übertragung gegenüber der Kontaktübertragung unterschätzt wurde. Auch bestanden nur in geringem Umfang Testmöglichkeiten zum sicheren Nachweis von Infektionen. Tests konnten aufgrund der geringen Kapazitäten nur zeitverzögert erfolgen. Im Übrigen war benötigtes Material, wie etwa FFP-Masken zeitweise kaum zu erlangen. Zudem bestand damals (ebenso wie heute noch) aufgrund der langen Inkubationsdauer in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen die Möglichkeit einer (bei Symptomfreiheit und negativem Testresultat) unerkannten Infektion von Patienten, Mitarbeitern und Dritten mit der Folge, dass bis zum Auftreten erster Symptome oder einem späteren Testnachweis eine unbemerkte Weiterverbreitung des Virus stattfinden konnte. Damit begründeten sich bereits nicht ausräumbare Zweifel an der Möglichkeit der sicheren Beherrschbarkeit des Ausbruchsgeschehens im KEvB mit den im Frühjahr 2020 vorhandenen Mitteln.

Hinsichtlich der Tatbestände der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung war darüber hinaus aus forensisch-kriminalistischer Sicht der erforderliche Kausalitätsnachweis nicht zu erbringen. Der Nachweis, dass eine etwaige Pflichtverletzung im Einzelfall auch konkret für die Erkrankung und ggf. den Tod einer Person ursächlich war, war nicht zu führen. Dabei wurden aktuelle medizinische Erkenntnisse, vermittelt durch das Brandenburgische Landesinstitut für Rechtsmedizin sowie Krankenhaushygieniker und Virologen mehrerer deutscher Institute, berücksichtigt.

Hiernach war in der Frühphase der Pandemie die Erregerbestimmung des COVID-19-Virus nur relativ grob möglich und eine nähere Klassifizierung erfolgte mangels Kapazitäten und vorhandenen Wissens über das neue Virus ohnehin nicht standardmäßig. Als Folge ließ sich nicht sicher bestimmen, wie die Erregerverbreitung konkret erfolgte, beispielsweise ob bei zwei COVID-19-positiven Personen der Erreger von Person 1 zu Person 2, von Person 2 zu Person 1 oder von Dritten übertragen worden war. Damit ist der hinreichende Tatverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung nicht zu belegen.

In der Folge konzentrierten sich die Ermittlungen auf die Frage, ob die Beschuldigten möglicherweise unzureichende Schutzmaßnahmen bewusst und gewollt in Kauf nahmen, etwa aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Dies könnte den Tatbestand der versuchten Körperverletzung erfüllen. Allerdings bot die detaillierte Auswertung der zahlreichen Unterlagen und Kommunikationsprotokolle hierfür keine Anhaltspunkte. Vielmehr ließ sich erkennen, dass die Beschuldigten schon vor Ausbruch der COVID19-Pandemie im Zeitraum Februar 2020 alarmiert waren und erhebliche Anstrengungen unternahmen, um materielle, personelle und organisatorische Vorbereitungen hiergegen zu treffen.

Schließlich wurde im Ermittlungsverfahren noch untersucht, ob die Beschuldigten gegen Strafvorschriften des Infektionsschutzgesetzes durch eine nicht zeitgerechte Meldung des COVID-19- Ausbruchs im KEvB verstoßen haben. Nach § 74 Infektionsschutzgesetz macht sich ärztliches Personal strafbar, das den Verdacht einer nosokomialen (d.h. im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt erfolgten) Infektion nicht rechtzeitig und vollständig dem zuständigen Gesundheitsamt meldet und dadurch die Verbreitung der Infektion begünstigt. Im vorliegenden Fall bestanden zwar Zweifel an der Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit von Infektionsmeldungen des KEvB an das Gesundheitsamt der Stadt Potsdam. Jedoch ist hier ein Nachweis der Kausalität zwischen verspäteter Meldung und weiterer Erregerübertragung nicht zu führen.

Somit konnte hinsichtlich sämtlicher Beschuldigter nach Auswertung der umfangreichen Beweismittel der hinreichende Tatverdacht einer strafbaren Handlung im Zusammenhang mit dem COVID19-Ausbruchsgeschehen im KEvB im Frühjahr 2020 nicht nachgewiesen werden. Das Verfahren ist daher eingestellt worden.

Soweit die Möglichkeit verbleibt, dass etwaige verspätete oder unvollständige Meldungen von Infektionsfällen im Sinne von § 73 IfSG eine Ordnungswidrigkeit begründen könnten, wird das Verfahren an die Landeshauptstadt Potsdam als zuständige Bußgeldbehörde zurückgegeben.

 (Lehmann)
Leitender Oberstaatsanwalt