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Haftung bei Geburtsschäden – nicht mehr versicherbar?

von Franz Michael Petry

Die Haftpflichtversicherung von geburtshilflichen Abteilungen, Geburtshelfern und Hebammen ist heute bei vielen Versicherern kein erwünschtes Risiko. Nur etwa fünf Prozent der in Deutschland zugelassenen Haftpflichtversicherer sind überhaupt noch bereit, dieses Risiko im Rahmen der Betriebshaftpflichtversicherung von Krankenhäusern zu zeichnen. Ärzte und Hebammen erhalten Versicherungsschutz ganz überwiegend nur über Rahmenverträge ihrer Berufsverbände bei dennoch steigenden Versicherungsprämien.

Auswertungen unseres Datenpools aus mehr als 200 langjährig betreuten Krankenhäusern zeigen, dass entsprechend der allgemeinen Entwicklung in der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung auch in der Geburtshilfe die Schadenfrequenz in den 1990er Jahren deutlich angestiegenen ist. Die Gründe sind u. a. in einer patientenfreundlichen Rechtsprechung sowie in der massiven Ausweitung der Regresstätigkeiten der Sozialversicherungsträger zu sehen. Aber auch die Medizin selbst hat durch die enormen Fortschritte und, dadurch bedingt, die extreme Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten neue Risiken geschaffen, die zu neuen Anspruchsstellungen geführt haben.

Die gerade in der Geburtshilfe aufgrund ihrer Risikosituation entwickelten langjährigen Aktivitäten, über systematisches Risikomanagement die Risiken für Mutter und Kind trotz Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten zu reduzieren, haben dazu beigetragen, dass sich seit etwa Mitte 2000 eine Umkehr des Trends erkennen lässt. Klinisches Risikomanagement wirkt! Leider hat dies jedoch nicht zur Reduzierung oder zumindest zu einer Stabilisierung der Prämienforderungen geführt.

Bedauerlicherweise stellt sich die Entwicklung des Schadenaufwandes ganz anders dar. Nach Analysen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), aber auch nach unseren eigenen Langzeitanalysen steigen die Schadenaufwendungen für die Regulierung der Arzthaftungsschäden über alle Disziplinen jährlich um etwa fünf Prozent. Deutlich größer sind die Steigerungen noch in der Geburtshilfe. Woran liegt das?

Ursachenanalyse

Insbesondere die deutlich verbesserte Lebenserwartung selbst schwerstgeschädigter Menschen ist die bedeutsamste Ursache. Der erhebliche Fortschritt in der Medizin hat dazu geführt, dass die früher zu Recht erfolgte Annahme, dass Personen mit schweren Körperschäden eine deutlich verkürzte Lebenserwartung haben, sich heute nur noch in extremen Ausnahmefällen aufrechterhalten lässt. Generell haben auch schwer geschädigte Menschen heute eine gute Chance, ein „normales“ Lebensalter zu erreichen. Folge davon ist, dass etwaige regelmäßige Aufwendungen für Pflege, Erwerbsschaden etc. viele Jahrzehnte geleistet werden müssen und so den Gesamtschadenaufwand entsprechend erhöhen. Dies trifft die Geburtshilfe, aber tendenziell z. B. auch die Pädiatrie, naturgemäß besonders.

Verschärft wird diese Situation durch die überproportionale Steigerung der Pflegekosten, nicht zuletzt auch aufgrund der gestiegenen therapeutischen Möglichkeiten, gerade auch im Bereich der schwerstgeschädigten Personen. Der Aufwand für die Pflege hängt zum einen von der konkreten Pflegebedürftigkeit ab, andererseits von der Frage, ob die Pflege in einer stationären Einrichtung oder in häuslicher Umgebung stattfindet. Dabei ist die Spannbreite heute sehr groß. Monatlich ist mit einem persönlichen Pflegeaufwand zu rechnen, der etwa bei 5.000 Euro beginnt und in der Spitze durchaus 25.000 Euro betragen kann. Die größten Beträge sind derzeit bei einer 24-Stunden-Pflege in häuslicher Betreuung erforderlich.

Kalkulation von Erwerbsschäden

Durch die deutlich gestiegene Lebenserwartung sind ferner die früheren Kalkulationen zum Erwerbsschaden obsolet. Ging man früher davon aus, dass ein aufgrund eines Geburtsschadens körperlich und/oder geistig schwer geschädigtes Kind den Eintritt in das Erwerbsleben gar nicht erreichen wird, muss heute ein entsprechender Erwerbsschaden für ein komplettes Erwerbsleben einkalkuliert werden. Die Höhe des dafür anzusetzenden Aufwandes wird maßgeblich bestimmt durch die sozialen Verhältnisse der geschädigten Person. Da das Kind bei einem Geburtsschaden natürlich nie berufstätig war, wird die Höhe des monatlichen Erwerbsschadens geschätzt, in dem man die Einkommensverhältnisse der Eltern und gegebenenfalls vorhandener Geschwister betrachtet und davon ausgeht, dass das geschädigte Kind bei normalem Verlauf ohne das Schadenereignis ein ähnliches Einkommen erzielt hätte. Insofern sind monatliche Beträge zwischen etwa 1.000 Euro bis zu mehreren tausend Euro denkbar.

Schließlich wird diese Entwicklung noch durch die aktuelle Situation der Kapitalmärkte negativ beeinflusst. Wie aufgezeigt, müssen die Schäden eines Schadenjahres gerade bei Geburtsschäden über viele Jahrzehnte betreut und bedient werden. Diese Aufwendungen müssen kalkulatorisch aus den Prämieneinnahmen des Jahres gedeckt werden, in dem der Schaden entstanden ist. In den bisherigen Kalkulationen konnten die Zinseinnahmen der die Schadenrückstellungen bedeckenden Aktiva berücksichtigt werden. Diese Kalkulationen beruhten jedoch auf dem Zinsniveau der 1990er Jahre. Da heute das Zinsniveau deutlich niedriger liegt, führt dies zu einer weiteren Unterdeckung und zu Verlusten bei den Versicherern.

Großschäden

Gerade bei der Geburtshilfe, bei der im Falle eines Schadens die Gefahr lebenslanger Schadenfolgen besonders hoch ist, ist aus Sicht der Versicherer das Risiko von Verlusten besonders hoch, was zu permanenter Steigerung der Bedarfsprämie führt. Hinzu kommt, dass das Risiko derartiger Großschäden nur schwer versicherungsmathematisch zu kalkulieren ist. Denn nur ganz wenige Schadenfälle sind für das Gros des Schadenaufwandes verantwortlich.

Entsprechende Auswertungen unseres bereits erwähnten Datenpools zeigen, dass Schäden mit einem Aufwand größer eine Million Euro nur vier Prozent aller in der Geburtshilfe genannten Schäden ausmachen, aber für 79,3 Prozent des Schadenaufwandes verantwortlich sind.

Noch deutlicher wird der Einfluss der extremen Großschäden, wenn man nur die Schäden mit einem Aufwand größer vier Millionen Euro betrachtet. Diese stellen nur einen Anteil von 0,8 Prozent an allen gemeldeten Schäden dar, beanspruchen aber 32,7 Prozent des Schadenaufwandes.

Ein guter oder schlechter Schadenverlauf hängt somit ausschließlich davon ab, ob und in welcher Anzahl sich bei den von dem Versicherer gezeichneten Verträgen derartige extreme Großschäden realisieren oder nicht.

Fazit

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die aktuellen Geburtsschäden einen Schadenbedarf zwischen 3,2 Millionen Euro und 15 Millionen Euro erzeugen können. Nicht berücksichtigt sind dabei allerdings die über die Jahrzehnte der Regulierung zwangsläufig erfolgenden Kostensteigerungen. Nicht berücksichtigt ist auch die jetzt schon lange anhaltende Schwäche des Kapitalmarktes. Realisieren sich die Prognosen, dass wir noch viele Jahre mit dem aktuellen Zinsniveau werden leben müssen, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass zum einen dies weitere Prämiensteigerungen nach sich ziehen wird, zum anderen auch eine vereinbarte Versicherungssumme von 15 Millionen Euro im Extremfall nicht ausreichen könnte, um einen Geburtsschaden vollständig zu regulieren.

Dies zeigt aber auch, dass eine schlechte Schadenquote eines Krankenhauses oder einer geburtshilflichen Abteilung demnach nicht Ausdruck einer schlechten Qualität, sondern abhängig von den oben genannten individuellen Kriterien des Einzelfalls ist.

Auch wenn in der Geburtshilfe in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Maßnahmen des Risikomanagements eingeführt und umgesetzt wurden, bleibt für die Zukunft nur, diese Anstrengungen noch zu verstärken. Personalausstattung, Kommunikation der Teams, Training der Zusammenarbeit – um nur Beispiele zu nennen – müssen intensiviert werden. Das Ziel muss sein, mit einer weiteren Verringerung der Schadenfrequenz auch die Anzahl der extremen Großschäden zu reduzieren. Nur so kann es gelingen, dass die Haftung für Geburtsschäden für Krankenhäuser, Ärztinnen und Ärzte und Hebammen auch zukünftig langfristig zu vertretbaren Kosten versicherbar bleibt.

Franz-Michael Petry
Geschäftsführer
Ecclesia Versicherungsdienst GmbH
Ecclesiastr. 1–4, 32758 Detmold
michael.petry@ecclesia-gruppe.de