L 11 KR 977/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 1779/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 977/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die bei der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT) mögliche gleichzeitige Bestrahlung verschiedener Körperregionen mit unterschiedlichen Strahlungsmengen ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung durch eine abgestufte Intensitätsverteilung ist nach den OPS-Versionen 2014 bis 2017 nur als eine Fraktion zu kodieren.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12.02.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 121.945,52 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung stationärer Krankenhausbehandlungen.

Die Klägerin ist Trägerin eines (Plan-)Krankenhauses nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort wurde vom 12.05.2014 bis 20.05.2014 der bei der Beklagten versicherte K(Versicherter) wegen der Diagnose bösartige Neubildung: Hauptbronchus (ICD10 C34.0) vollstationär behandelt. Es wurde ua eine Strahlentherapie durchgeführt, wobei mit der intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT) in jeweils einer Bestrahlungssitzung sowohl der Primärtumor als auch weiteres Gewebe mit unterschiedlichen Strahlendosen bestrahlt wurden, jedoch ohne Patientenumlagerung und Tischverschiebung. Hierfür stellte die Klägerin der Beklagten unter Zugrundelegung der Diagnosis-Related-Group (DRG) E08B („Strahlentherapie bei Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane, ohne operativen Eingriff oder Beatmung > 24 Stunden, mehr als ein Belegungstag, mehr als 9 Bestrahlung“) am 10.02.2015 insgesamt 11.867,05 € in Rechnung und kodierte dabei ua zweimal pro Sitzung/Tag der Strahlentherapie die OPS-Prozedur 8-522.90 („Hochvoltstrahlentherapie, Linearbeschleuniger, intensitätsmodulierte Radiotherapie, ohne bildgestützte Einstellung“). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig und veranlasste eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Der MDK gelangte in seinem Gutachten vom 10.06.2014 nach Prüfung der nach § 301 SGB V übermittelten Daten zu dem Ergebnis, dass die Indikation für die stationäre Krankenhausbehandlung bei begleitender Chemotherapie gegeben gewesen sei, und wies aber darauf hin, dass die Kodierung der Anzahl der Bestrahlungen pro Tag auffällig sei. Der MDK gelangte in einem Gutachten vom 05.11.2014 zu dem Ergebnis, die Klägerin habe zu Unrecht die OPS-Prozedur 8-522.90 jeweils zweimal täglich berücksichtigt; richtigerweise hätte sie die Prozedur nur einmal pro Tag kodieren dürfen. Jede Fraktion sei einzeln zu kodieren. Eine Fraktion umfasse alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens. Ein Zielvolumen sei das Körpervolumen, welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmen Dosiszeitmuster bestrahlt werden könne. Im vorliegenden Fall habe weder eine Patientenverlagerung noch eine Tischverschiebung stattgefunden. Die Nichtanerkennung der Prozeduren begründe die abzurechnende DRG E08C („Strahlentherapie bei Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane, ohne operativen Eingriff > 24 Stunden, mehr als ein Belegungstag, weniger als 10 Bestrahlungen“) und führe zu einem Entgelt iHv 4.828,57 €. Die Beklagte setzte die Klägerin über das Begutachtungsergebnis in Kenntnis und bat um Rechnungskorrektur (Schreiben vom 10.11.2014). Zu den Einwendungen der Klägerin schaltete die Beklagte den MDK erneut ein. Der MDK bestätigte in seinem Gutachten vom 25.08.2015 seine Ausführungen vom 05.11.2014. Während der Bestrahlungsbehandlung sei weder eine Tischverschiebung noch eine Patientenumlagerung erfolgt. Eine doppelte Kodierung sei taggleich nicht möglich. Die Beklagte rechnete sodann am 19.01.2015 gegen eine unstreitige Forderung iHv 7.111,68 € auf.

Die Klägerin führte zwischen 2014 und 2017 die folgenden 18 stationären Behandlungen bei Versicherten der Beklagten durch:

Versicherter

Behandlungszeitraum

Rechnungsdatum

Rechnungsbetrag in €

DRG lt. Klägerin

H

10.07. - 22.07.2014

06.08.2014

11.716,95

B15Z

M

13.04. - 17.04.2015

04.05.2015

7.067,22

D19Z

L

15.12. - 23.12.2015

04.01.2016

12.228,97

E08B

L

12.01. - 23.01.2016

04.02.2016

12.021,82

E08B

D

21.04. -  28.04.2016

06.06.2016

12.090,22

D19Z

D

20.05 -  27.05.2016

06.06.2016

12.090,22

D19Z

H1

02.05. - 09.05.2016

10.06.2016

12.090,22

D19Z

H1

30.05. - 05.06.2016

10.06.2016

10.402,69

D19Z

E

09.05.-  15.05.2016

10.06.2016

9.118,48

E08B

E

18.05.-  28.05.2016

10.06.2016

12.041,82

E08B

L1

18.05. - 26.05.2016

23.06.2016

11.390,04

R06Z

L1

30.05. - 02.06.2016

23.06.2016

4.988,39

R06Z

R

05.09 - 10.09.2016

18.10.2016

8.632,09

J17Z

T

12.10. -  21.10.2016

15.11.2016

9.057,48

G27B

G

21.11. -  29.11.2017

05.12.2016

12.260,97

D19Z

R1

05.12. -  15.12.2016

27.12.2016

12.260,97

D19Z

A

07.06. - 13.06.2017

24.07.2017

9.885,88

R07A

A

03.07. - 08.07.2017

24.07.2017

9.885,88

R07A

In jedem dieser Behandlungsfälle kodierte die Klägerin wiederholt die OPS-Prozedur 8-522.90 („Hochvoltstrahlentherapie, Linearbeschleuniger, intensitätsmodulierte Radiotherapie, ohne bildgestützte Einstellung“) für eine Bestrahlungssitzung mittels IMRT mehrmals täglich, ohne dass jeweils eine Patientenumlagerung oder eine Tischverschiebung stattfand. Die Beklagte beglich die jeweilige Rechnung jeweils zunächst vollständig, veranlasste dann aber eine Prüfung durch den MDK. Der MDK gelangte jeweils in seinen Gutachten zu dem Ergebnis, die Klägerin hätte die OPS-Prozedur 8-522.90 nur einmal pro Tag kodieren dürfen. Unter Berücksichtigung der gültigen OPS umfasse eine Fraktion alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens. Ein Zielvolumen sei das Körpervolumen, das ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnung erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden könne. Da weder eine Tischverschiebung noch eine Patientenumlagerung erfolgt sei, sei der maßgebliche Kode jeweils nur einmal pro Behandlungstag anzugeben. Die Tatsache, dass es sich um unterschiedliche Zeitmuster und Gesamtdosen handele, sei über den Kode intensitätsmodulierte Radiotherapie abgebildet.

Die Beklagte rechnete mit unstreitigen Forderungen der Klägerin wie folgt auf:

Versicherter

Rechnungsbetrag in €

MDK-Gutachten

DRG MDK

Aufrechnungsdatum

Aufrechnungsbetrag in €

H2

11.716,95

05.01.2015

30.11.2017

B16Z

19.01.2015

6.550,52

 

M

7.067,22

11.05.2015

20.11.2015

D20Z

09.03.2016

3636,88

 

L

12.228,97

25.02.2016

E08C

21.08.2017

7.542,27

 

L

12.041,82

07.04.2016

E08C

21.08.2017

7.391,70

 

D

12.090,22

18.08.2016

D20Z

21.08.2017

8.701,49

 

D

12.090,22

11.08.2016

D20Z

21.08.2017

8.701,49

H1

12.090,22

18.08.2016

D20Z

21.08.2017

8.701,49

 

H1

10.402,69

18.08.2016

D20Z

21.08.2017

6.993,21

 

E

9.118,48

18.08.2018

E08C

21.08.2017

4.432,41

 

E

12.041,82

18.08.2016

E08C

21.08.2017

7.391,70

 

L1

11.390,04

18.08.2016

R62A

21.08.2017

4.732,91

 

L1

4.988,39

18.08.2016

R07B

21.08.2017

418,09

 

R

8.632,09

24.11.2016

J18Z

21.08.2017

3.425,08

 

T

9.057,48

30.12.2016

G29Z

20.04.2017

5.614,64

 

G

12.260,97

13.01.2017

D20Z

24.04.2017

8.824,40

 

R1

12.260,97

09.02.2017

D20Z

16.10.2017

9.682,24

 

A

9.885,88

31.08.2017

R07B

22.03.2018

6.046,81

A

9.885,88

08.09.2017

R07B

22.03.2018

6.046,81

Die Klägerin hat am 13.06.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und Zahlung iHv 121.945,52 € nebst Zinsen begehrt (S 13 KR 1938/18). Sie trägt vor, der Beklagten hätten keine Erstattungsforderungen zugestanden, mit denen sie habe aufrechnen können. Die Abrechnungen der Behandlungsfälle seien nicht zu beanstanden; insbesondere habe sie die OPS-Prozedur 8-522.90 mehrfach pro Tag kodieren dürfen, weil unterschiedliche Zielvolumina mit unterschiedlichen Dosiszeitmustern bestrahlt worden seien. Laut Hinweis im OPS 2015 zur Ziff 8-522 sei ein Zielvolumen durch zwei Voraussetzungen definiert, die kumulativ erfüllt sein müssten: zum einen die fehlende Patientenumlagerung oder Tischverschiebung, zum anderen die Bestrahlung mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster. Mittlerweile sei es technisch möglich, den menschlichen Körper gleichzeitig mit unterschiedlichen Dosen und Dosiszeitmustern zu bestrahlen, ohne den Patienten umzulagern oder eine Tischverschiebung vorzunehmen. Nach der Definition des OPS lägen bei einer solchen Bestrahlung mehrere Zielvolumina vor mit der Folge, dass die OPS-Prozedur 8-522.90 mehrfach kodiert werden dürfe. Dies habe das SG in rechtskräftigen Urteilen vom 31.08.2016 (S 3 KR 2428/15) und vom 04.12.2017 (S 5 KR 2109/17) entschieden. Bestätigt werde diese Auffassung durch die DIN 6814-8 und DIN 6827-1, die der Terminologie im Hinweis zu der OPS-Prozedur 8-52 zugrunde lägen, außerdem durch die Ausführungen der „international conunission on radiation units and measurement", niedergelegt im ICRU-Report 50 vom 01.09.1993.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin hat das mit Beschluss vom 16.08.2018 zum Ruhen gebrachte Klageverfahren am 20.05.2019 angerufen; das SG hat das Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 13 R 1779/19 fortgeführt. Die Beklagte hat sich auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 29.08.2019 (L 1 KR 176/18) sowie eine E-Mail des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation (DIMDI) vom 17.03.2017 gestützt.

Das SG hat mit Urteil vom 12.02.2020 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 121.945,52 € zzgl Zinsen aus 7.111,68 € seit dem 19.01.2015, 6.550,22 € seit dem 20.02.2018, 3.636,88 € seit dem 09.03.2016, 7.542,27 € seit dem 21.08.2017, 7.391,70 € seit dem 21.08.2017, 8.701,49 € seit dem 21.08.2017, 8.701,49 € seit dem 21.08.2017, 8.701,49 € seit dem 21.08.2017, 6.993,21 € seit dem 21.08.2017, 4.432,41 € seit dem 21.08.2017, 7.391,70 € seit dem 21.08.2017, 4.732,91 € seit dem 21.08.2017, 418,09 € seit dem 21.08.2017, 3.425,08 € seit dem 21.08.2017, 5.614,64 € seit dem 20.04.2017, 8.824,40 € seit dem 24.04.2017, 9.682,24 € seit dem 16.10.2017, 6.046,81 € seit dem 22.03.2018, 6.046,81 € seit dem 22.03.2018 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen. Zu Unrecht habe die Beklagte in den oben dargestellten 19 Behandlungsfällen gegen unstreitige Hauptforderungen der Klägerin aufgerechnet. Der Beklagten hätten keine Erstattungsforderungen zugestanden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, die für die og Behandlungen der Versicherten zunächst gezahlte Vergütung teilweise zu erstatten. Die Klägerin habe zu Recht als durchgeführte Prozeduren ua mehrfach pro Tag eine Hochvoltstrahlentherapie mittels Linearbeschleuniger/ohne bildgestützte Einstellung (OPS 8-522.90) kodiert. Nach dem Hinweis im OPS 2015 zur Ziff 8-52 (Strahlentherapie) sei jede Fraktion einzeln zu kodieren. Eine Fraktion umfasse alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens. Ein Zielvolumen sei das Körpervolumen, welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden könne. Ob nur ein Zielvolumen vorliege oder ob es sich um mehrere Zielvolumina handle, bemesse sich nach zwei Kriterien, auf die es gleichermaßen ankomme: zum einen die Patientenumlagerung oder Tischverschiebung, zum anderen die Bestrahlung mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster. Entgegen der Auffassung der Beklagten lasse sich die gleichzeitige Bestrahlung mehrerer Körperregionen mit jeweils unterschiedlichen Dosen nicht als Bestrahlung mit einer festgelegten Dosis verstehen. Vielmehr spreche der Wortlaut des Hinweises klar dafür, dass bei einer solchen Vorgehensweise mehrere Zielvolumina und damit mehrere Fraktionen vorlägen, die einzeln kodiert werden könnten und müssten. Die Regelungen des OPS seien eng nach ihrem Wortlaut auszulegen; auf den tatsächlichen Aufwand im Einzelfall komme es für die Kodierung nicht an. Unstreitig habe bei den Versicherten eine Hochvoltstrahlentherapie mittels Linearbeschleuniger/ohne bildgestützte Einstellung stattgefunden. Dabei seien jeweils mehrere Körperregionen mit jeweils unterschiedlichen Dosen parallel bestrahlt worden. Jedes bestrahlte Zielvolumen sei daher einzeln zu kodieren gewesen und zwar trotz fehlender Patientenumlagerung oder Tischverschiebung. Entgegen der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29.08.2019, L 1 KR 176/18) sei aus dem OPS 8-52 herauszulesen, dass sich die Identität des Zielvolumens in dem Sinne nach der Dosis bestimme, dass bereits die gleichzeitige Verwendung von unterschiedlich hohen Strahlendosen für verschiedene Körperregionen zwingend zur Annahme mehrerer Fraktionen führe. Die normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen unterlägen zwar den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Sie seien wegen ihrer Funktion innerhalb des vorgegebenen Vergütungssystems allerding eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Sofern das LSG Berlin-Brandenburg seine Entscheidungsgründe entscheidend auf den medizinisch-technischen Fortschritt und den Behandlungsaufwand stütze, widerspreche dies der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Gegen das ihr am 26.02.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 20.03.2020 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Das SG habe zwar die zugrundeliegenden medizinischen Sachverhalte korrekt erfasst, sodann jedoch die falschen rechtlichen Wertungen daraus gezogen. Das SG komme fälschlicherweise zu dem Schluss, dass sich eine Fraktion durch das Zielvolumen bestimme und aus der Definition des Zielvolumens hervorgehe, dass es sich um ein einziges Zielvolumen handle, wenn „eine Körperregion mit einer Dosis bestrahlt wird, diese beiden Bedingungen also kumulativ vorliegen müssen“. Das SG setze den Begriff der Fraktion mit dem des Zielvolumens gleich und ersetze sodann das Zielvolumen oder Körpervolumens mit dem Wort „Region“. Weiterhin lasse das SG bei seiner Schlussfolgerung das Merkmal der Tischverschiebung bzw Umlagerung vollkommen außer Acht. Der OPS lege eindeutig fest, dass eine Fraktion auch mehrere (alle) Einstellungen und Bestrahlungsfelder (Regionen) innerhalb eines Zielvolumens erfasse. Der OPS 8-52 definiere in den Hinweisen, dass jede Fraktion einzeln zu kodieren sei und eine Fraktion alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens umfasse. Ein Zielvolumen sei das Körpervolumen, welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden könne. Demnach seien (nur) mehrere Fraktionen auch mehrfach zu kodieren und nicht mehrere Körperregionen. Maßgeblich für eine mehrfache Kodierung des OPS sei daher, ob es sich um mehrere Fraktionen handle. Eine Fraktion werde definiert als „alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens“. Das Zielvolumen wiederum definiere der OPS als ein „Körpervolumen“, welches ohne Umlagerung oder Verschiebungen und mit einer festgelegten Dosis bestrahlt werden müsse. Würden also mehrere Körpervolumina ohne Umlagerung oder Verschiebung mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt, dann sei es per Definition des OPS eine Fraktion und der OPS nur einmal zu kodieren. Um den OPS mehrfach aufgrund einer Sitzung kodieren zu können, werde nach dem Wortlaut eine Patientenumlagerung oder Tischverschiebung (zwingend) vorgeschrieben. Die Verwendung des Wortes „und“ im Wortlaut mache deutlich, dass nur bei einer entsprechenden Umlagerung/Verschiebung von einer weiteren Fraktion ausgegangen werden könne. Anderenfalls erfasse der OPS nach dem Wortlaut alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder innerhalb einer Sitzung. Es sei eine wesentliche Eigenschaft der IMRT, dass eine solche zweite Lagerung/Tischverschiebung eben nicht notwendig sei, sondern der Boost (= die Behandlung des zweiten Zielvolumens mit einem anderen Dosiszeitmuster) simultan erfolge. Medizinisch gesehen sei die Definition des Zielvolumens gemäß OPS 2012 möglicherweise nicht (mehr) sinnvoll. Die Abrechnungsvorgaben seien nach der ständigen Rechtsprechung des BSG jedoch streng nach dem Wortlaut anzuwenden und Wertungen und Auslegungen nicht zugänglich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12.02.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt sie vor, dass eine Fraktion immer alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für ein Zielvolumen umfasse. Würden folglich mehrere Zielvolumina mit unterschiedlichen Einstellungen bestrahlt, lägen mehrere Fraktionen vor und der OPS sei für jede Fraktion einzeln zu kodieren. Auch habe der OPS die Begriffsdefinitionen der DIN 6814-8 und DIN 6827-1 übernommen. DIN 6814-8 laute:

„Sollen in räumlich zusammenhängenden onkologischen Volumina unterschiedliche ENERGIE-DOSEN erreicht werden, so werden entsprechend unterschiedliche KLINISCHE Zielvolumina und entsprechende PLANUNGS-ZIELVOLUMINA festgelegt, z. B. für den Primärtumor und die regionalen Lymphknoten, oder für ein Teilvolumen innerhalb eines größeren Volumen."

DIN 6814-8 bestimme:

„Zusammenfassende Benennung für alle BESTRAHLUNGEN eines bestimmten PLANUNGS-ZIELVOLUMENS während einer BEHANDLUNGSSITZUNG, wobei der geplante FELDERZYKLUS abgeschlossen sein muss."

Anmerkung: „BESTRAHLUNGSSITZUNG" und „FRAKTION" sind gleichbedeutend, wenn in der BESTRAHLUNGSSITZUNG lediglich ein einziges KLINISCHES ZIELVOLUMEN bestrahlt wird."

Nicht nur der Wortlaut in den Hinweisen des OPS 8-52, sondern auch die DIN, auf denen die Hinweise im OPS fußten, zeigten, dass mehrere Fraktionen vorlägen, wenn unterschiedliche Zielvolumina gleichzeitig mit unterschiedlichen Dosiszeitmustern bestrahlt würden. Dies gelte auch dann, wenn keine Umlagerung erfolge, weil aufgrund technischer Gegebenheiten im Rahmen einer Bestrahlungssitzung mehrere Zielvolumina mit unterschiedlichen Dosiszeitmustern bestrahlt würden. Dabei sei zu beachten, dass die Bestrahlung für unterschiedliche Zielvolumina mit unterschiedlichen Dosis-Zeitmustern weit aufwendiger geplant werden müsse als die Bestrahlung nur eines Zielvolumens. Der Aufwand der Umlagerung oder Tischverschiebung sei im Vergleich zur Bestrahlungsplanung für unterschiedliche Zielvolumina geradezu verschwindend, weshalb auch das Argument des LSG Berlin-Brandenburg zum Aufwand in keinster Weise nachvollziehbar sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Patientenakten der Klägerin, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), ist zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an die Klägerin 121.945,52 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Klage der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. 

Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur Bundessozialgericht <BSG> 14.10.2014, B 1 KR 25/13; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch iHv 121.945,52 € nicht zu. Zwar hatte die Beklagte ursprünglich die gesamten von der Klägerin für die Behandlung der Versicherten geltend gemachten Rechnungsbeträge bezahlt, jedoch nachträglich die Vergütungsansprüche mit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen gegen die Beklagte verrechnet. Da die Beklagte sich ausschließlich jeweils im Wege der Primäraufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigt, stehen die Hauptforderungen selbst außer Streit (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, aaO; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2).

Die jeweils für eine Aufrechnung erforderliche Gegenforderung der Beklagten, mit der sie gegen die Hauptforderung der Klägerin wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des jeweiligen Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufrechnen kann (zur Aufrechnung analog § 387 BGB BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, aaO), liegt vor. Der Beklagten steht als Grundlage für ihre Gegenforderungen ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch iHv insgesamt 121.945,52 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R; BSG 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R), denn die ursprünglichen Zahlungen der Beklagten erfolgten insoweit ohne Rechtsgrund. Weitere Vergütungsansprüche der Klägerin iHv insgesamt 121.945,52 € gegen die Beklagte für die stationären Behandlungen der oben genannten Versicherten bestanden nicht.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG sowie § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für die Jahre 2014 bis 2017 (Fallpauschalenvereinbarungen 2014 bis 2017 - FPV-). Soweit die vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen in den Jahren 2014 bis 2017 unterschiedlich gefasst waren, führt dies für die hier zu beurteilende Rechtsfrage nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R). Bei der Klägerin handelt es sich um ein Krankenhaus, das in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen ist (§ 108 Nr 2 SGB V); die medizinische Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlungen der Versicherten in den streitigen Behandlungsfällen war gegeben und wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.

In seiner Höhe wird der Vergütungsanspruch durch Normsetzungsverträge konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelation sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in der Fallpauschalenvereinbarung auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KHEntgG.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG = Diagnosis Related Groups) geordnet. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (dazu und zum Folgenden BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, jeweils unter Hinweis auf BSGE 109, 236 ff). Nach § 1 Abs 6 Satz 1 FPV sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalles in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind.

Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind, zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum, oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom (damaligen) Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI; seit 26.05.2020: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung sowie die Klassifikationen des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (hier in den Versionen 2014 bis 2017). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R).

Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft (dazu und zum Folgenden: BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R). Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes und damit „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, dies mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13 R und B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3; BSG 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R).

In den hier gegenständlichen Behandlungsfällen ist zwischen den Beteiligten allein streitig, ob die Klägerin zu Recht mehrfach anlässlich einer Bestrahlungssitzung am Tag den OPS 8-522.90 kodiert hat oder ob sie lediglich berechtigt war, diese Prozedur jeweils nur einmal zu berechnen. Der Senat ist der Überzeugung, dass die Klägerin in den streitigen Behandlungsfällen pro Tag lediglich eine Fraktion mittels Linearbeschleuniger, intensitätsmodulierte Radiotherapie, ohne bildgestützte Einstellung iSd OPS 8-522.90 durchgeführt hat, indem sie in einer Bestrahlungssitzung sowohl den Primärtumor als auch weiteres Gewebe mittels IMRT mit unterschiedlichen Strahlendosen bestrahlt hat. 

Unter der Überschrift „Strahlentherapie, nuklearmedizinische Therapie und Chemotherapie“ wird in den OPS 2014 bis 2017 unter Ziff 8-52 einleitend auf Folgendes hingewiesen:

„Die Strahlentherapie beinhaltet die regelmäßige Dokumentation mit geeigneten Systemen (Film, Portal-Imaging-System)

Jede Fraktion ist einzeln zu kodieren. Eine Fraktion umfasst alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens. Ein Zielvolumen ist das Körpervolumen, welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden kann

Die Bestrahlungssimulation (8-528 ff.) und die Bestrahlungsplanung (8-529 ff.) sind gesondert zu kodieren“

Der OPS 8-522.9 lautet wie folgt:

„8-522 Hochvoltstrahlentherapie

8-522.9 Linearbeschleuniger, intensitätsmodulierte Radiotherapie

8-522.90 Ohne bildgestützte Einstellung

8-522.91 Mit bildgestützter Einstellung

Inkl.: Einstellung des Isozentrums unter Kontrolle des Zielvolumens durch CT/MRT/Cone-beam-CT oder Ultraschallverfahren (Online-IGRT)“

Der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin in den streitigen Behandlungsfällen für die simultane Bestrahlung mittels IMRT je Sitzung ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung nach Vornahme aller Einstellungen unter Berücksichtigung zweckmäßiger Feldanordnungen den OPS 8-522.90 nur einmal pro Tag abrechnen durfte (ebenso im Ergebnis auch LSG Berlin-Brandenburg 28.05.2021, L 9 KR 334/19; LSG Berlin-Brandenburg 29.08.2019, L 1 KR 176/18). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Ausgangspunkt ist für den Senat ist der OPS 8-522.9, der ausdrücklich und ohne Einschränkung die intensitätsmodulierte Radiotherapie einschließt. Der OPS 8-522.9 nimmt mithin die IMRT als Bestandteil der modernen Strahlentherapie auf, die nach Planung und Einstellung gerade die simultane Bestrahlung unterschiedlicher Körperregionen in unterschiedlichen Dosen mittels nur einer Strahlenquelle ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung ermöglicht. Mit der IMRT lassen sich im Unterschied zur konventionellen Strahlentherapie (mit einer homogenen Dosis im Bestrahlungsfeld) verschiedene Bestrahlungsfelder in einem Bestrahlungsvorgang mit unterschiedlichen Dosen bestrahlen (zB Dosisreduzierung bei Risikostrukturen, Dosiserhöhung im Zielvolumen). Dazu wird der Therapiestrahl in viele, oft mehr als hundert kleine Einzelfelder unterteilt, in denen die einzustrahlende Dosis festgelegt werden kann (abgestufte Intensitätsverteilung). Eine vergütungsrechtliche Aufspaltung dieses - alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines unter Berücksichtigung zweckmäßiger Feldanordnungen und ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung erfassten Zielvolumens - umfassenden Geschehens folgt nicht aus den einleitenden Hinweisen des OPS. Hinweissatz 2 sieht eine Mehrfachkodierung ausdrücklich vor. Er bestimmt, dass jede Fraktion zwingend einzeln zu kodieren ist. Wenn mehrere Fraktionen iS der Anwendungshinweise vorliegen, muss jede einzeln in Ansatz gebracht werden und kommt der Kode in entsprechender Anzahl zur Anwendung. Diese Abrechnungsbestimmung knüpft an den Begriff der Fraktion an, der die Unterteilung der Gesamtstrahlendosis bei der Strahlentherapie in mehrere, in festgelegten Abständen applizierte Teildosen (meistens je Tag) mit dem Ziel der verbesserten Toleranz des Normalgewebes umschreibt (vgl Pschyrembel, Stand 04/2020, Fraktionierung; Greten/Rinninger/Grete, Innere Medizin, 13. Auflage 2010, S 958). Die Verwendung dieses Begriffes spricht dagegen, den zeitgleichen und simultanen Bestrahlungsvorgang bei der IMRT in Fraktionen zu unterteilen, obwohl zwischen der simultanen Bestrahlung verschiedener Körperregionen gerade kein zeitlicher Abstand besteht und dieser Vorgang keine Zäsur durch neue Einstellungen, Patientenumlagerung, Tischverschiebung etc bedingt. Dies spricht dafür, dass für die Annahme mehrerer Faktionen ein simultaner und einheitlicher Bestrahlungsvorgang nicht genügt, sondern zwischen einzelnen Fraktionen eine Zeitspanne liegen muss. Auch der Hinweissatz 3, wonach eine Fraktion alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines Zielvolumens umfasst, bringt durch die Bezugnahme auf „alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder“ zum Ausdruck, dass eine Fraktion die Bestrahlung mehrerer Bestrahlungsfelder umfassen und ein Zielvolumen aus mehreren Bestrahlungsfeldern bestehen kann. Aus den Hinweissätzen 2 und 3 ergibt sich, dass weder die Aufteilung einzelner erforderlicher (technischer) Regulierungen bzw Einstellungen am Strahlengerät noch eine Unterteilung in mehrere Bestrahlungsfelder die Unterteilung in mehrere Fraktionen zur Folge hat. Schließlich folgt aus dem Hinweissatz 4 im hiesigen Kontext keine Ausspaltung des einheitlichen Bestrahlungsvorgangs bei der hier streitigen IMRT. Danach ist ein Zielvolumen das Körpervolumen, welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden kann. Mit der Bezugnahme auf eine festgelegte Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster ist im vorliegenden Zusammenhang nicht die Einzeldosis eines Bestrahlungsfeldes gemeint, sondern die Gesamtdosis des einheitlichen und simultanen Bestrahlungsvorgangs mittels IMRT (vgl auch Golder, MedSach 2013, 16/19: „Es wird nicht verlangt, dass die Dosis im Zielvolumen einheitlich ist.“). Dafür spricht, dass bei der IMRT das Bestrahlungsfeld in viele, oft mehr als hundert kleine Einzelfelder unterteilt wird und diese Einzelfelder in einem Bestrahlungsvorgang mit unterschiedlichen Dosen, mithin intensitätsmoduliert, bestrahlt werden. Würde die Bestrahlung jedes dieser Einzelfelder mit einer unterschiedlichen Strahlendosis als jeweils eine Fraktion interpretiert, wäre eine Unterteilung in zwei Fraktionen je Bestrahlungsvorgang - wie von der Klägerin vorgenommen - nicht erklärlich.

Weiterhin ist zu beachten, dass bei der IMRT nach den vorgenommenen Einstellungen am Bestrahlungsgerät und zu Beginn des einheitlichen und simultanen Bestrahlungsvorgangs die Dosismengen feststehen, die zur intensitätsmodulierten Bestrahlung des vorab definierten Bestrahlungsfeldes (einschließlich der unterteilten Einzelfelder) eingesetzt werden sollen. Eine weitere Dosis iSd Hinweissatzes 4 liegt im vorliegenden Kontext dann nicht bereits vor, wenn von Anfang an festgelegt war, dass unterschiedliche Körperregionen in unterschiedlich hohen Intensitäten bestrahlt werden, sondern wenn nach Durchführung eines ersten Bestrahlungsvorgangs die Dosis oder das Dosiszeitmuster wieder geändert werden. Unter diesen Umständen kommt die vergütungsrechtliche Aufspaltung des einheitlichen und simultanen Bestrahlungsvorgangs mittels IMRT in mehrere Fraktionen nicht in Betracht. Hätte eine solche vergütungsrechtliche Aufspaltung dieses alle Einstellungen und Bestrahlungsfelder für die Bestrahlung eines unter Berücksichtigung zweckmäßiger Feldanordnungen erfassten Zielvolumens umfassenden Geschehens erfolgen sollen, wäre eine genaue Beschreibung des den Vergütungsvorgang auslösenden Geschehens in dem OPS 8-522.9 erforderlich gewesen. Eine solche liegt nicht vor, sodass nach der vorgenommenen Auslegung der Vergütungsbestimmung die streitigen Strahlentherapien mittels IMRT nur jeweils einmal je Bestrahlungssitzung abgerechnet werden konnten.

Hinzu kommt folgende systematische Erwägung: Für den Fall, dass an einem Tag mehrere Bestrahlungsvorgänge (Bestrahlungssitzungen) zeitlich nacheinander erfolgen und deshalb grundsätzlich die Annahme mehrerer Fraktionen in Betracht kommt, hat die Formulierung „welches ohne Patientenumlagerung oder Tischverschiebung über zweckmäßige Feldanordnungen erfasst und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden kann“ eine die Abrechenbarkeit einschränkende Funktion. Selbst bei mehreren an einem Tag nacheinander erfolgenden Bestrahlungen liegt eine weitere abrechenbare Fraktion nur vor, wenn zwischen den Bestrahlungsvorgängen entweder eine Patientenumlagerung/Tischverschiebung oder eine Dosisänderung vorgenommen wurde. War dies nicht der Fall, kann auch in diesem Fall nur eine Fraktion abgerechnet werden. Das von der Klägerin für zutreffend erachtete Verständnis des OPS-Kode hätte jedoch zur Folge, dass die Formulierung „und mit einer festgelegten Dosis nach einem bestimmten Dosiszeitmuster bestrahlt werden kann“ nicht zu einer Einschränkung der Abrechenbarkeit von Fraktionen führt, sondern im Gegenteil zu (mindestens) einer Verdoppelung der Fraktionen bei jedem Bestrahlungsvorgang bzw jeder Bestrahlungssitzung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 HS. 1 SGG iVm § 63, § 52 Abs 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.

Rechtskraft
Aus
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