S 18 KR 134/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 134/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 158/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.
    
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines vollstationären Krankenhausaufenthaltes. 

Die Klägerin ist Trägerin der A. Kliniken in A-Stadt. 

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte C. (Patientin) befand sich in der Zeit vom 20.04.2017 bis zum 27.04.2017 sowie nach Wiederaufnahme vom 11. 5. 2017 bis zum 19.05.2018 in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie der Klägerin zur vollstationären Behandlung. 

Die Aufnahme am 20.4.2017 erfolgte aufgrund einer defekten perforierten phlegmonösen Sigmadivertikulitis nach CDD Stadium Typ IIA, angrenzend mit einer mitreagierenden Ovarialzyste. Die Patientin wurde zunächst konservativ behandelt. Die Klinik forderte ein rheumatologisches Konsil der Klinik für Innere Medizin der Klägerin zu der Fragestellung an, ob die immunsuppressive Therapie mit AZA/low dose Steroiden wegen Myositis pausiert werden könne. Nach Wiederaufnahme erfolgte am 12.05.2017 eine anteriore Rektosigmoid-Resektion. 

Die Klägerin führte beide Behandlungsfälle zusammen. Mit Rechnung vom 22.5.2017 bezifferte die Klägerin die Behandlungskosten in Höhe von 14.578,87 €. Die Abrechnung erfolgte unter Zugrundelegung der Diagnosis Related Group (DRG) G16B (Rektumsresktion). Die Fallpauschale basiert u.a. auf der Kodierung der Nebendiagnose D90 (Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen).

Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst in voller Höhe und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Überprüfung der Abrechnung. 

Mit Gutachten vom 9. 8. 2017 teilte der MDK der Beklagten mit, dass die Kodierung der Nebendiagnose D 90 (Immunkompromittierung nach Bestrahlung, Chemotherapie und sonstigen immunsuppressiven Maßnahmen) nicht sachgerecht sei. Ein Aufwand durch Telefonate und das Absetzen von Azathioprin sei nicht plausibel.

Am 15. 8. 2017 hat die Beklagte den allein streitgegenständlichen Differenzbetrag in Höhe von 4.531,37 € mit weiteren Forderungen der Klägerin verrechnet.
    
Die Klägerin hat am 27.3.2018 Klage erhoben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.531,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 15. 8. 2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wir auf die Gerichtsakte, die Patientenakte der Klägerin und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. 

Entscheidungsgründe

Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, denn bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse handelt es sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE 90, 1 ff.). Es ist demnach weder ein Vorverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist zu beachten.

Die Klage ist unbegründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch für die vollstationäre Behandlung der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Patientin C. in der Zeit vom 20.04.2017 bis zum 27.04.2017 nach der DRG G16B nicht zu.

Demzufolge hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch hinsichtlich des streitgegenständlichen, bereits von der Beklagten an die Klägerin gezahlten Teilbetrages der Rechnung der Klägerin vom 22.5.2017 in Höhe von 4.531,37 €, den sie mit weiteren Forderungen der Klägerin nach § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i. V. m. §§ 387 ff. BGB aufrechnen konnte (vgl. zur Aufrechnung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches BSG, Urteil vom 19.9.2013 – B 3 KR 30/12 R).

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V mit Verweis auf das Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), sowie der „Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V“ zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen (-verbänden). Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse gegenüber einem Krankenhaus entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistungen des Krankenhauses durch einen Versicherten der Krankenkasse, wenn die Versorgung in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. 

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus und die Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin war auch erforderlich.

Streitig ist allein die Höhe des Vergütungsanspruches. Die Höhe des Vergütungsanspruchs ergibt sich gemäß § 17b Abs. 1 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) i. V. m. §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntGG) aus einem diagnosebezogenen, pauschalierendem (DRG-)Vergütungssystem, das der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherungen gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft vereinbart hat.  Das Vergütungssystem besteht aus einer Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mit Fallpauschalenkatalog (G-DRG). Der Fallpauschalenkatalog soll das vollständige Krankheits- und Leistungsspektrum der deutschen Krankenhäuser abbilden. Er basiert im Wesentlichen auf der Klassifikation der Diagnosen und Prozeduren. Zunächst werden die Diagnosen nach der Internationalen Klassifikation für Krankheiten (ICD-10), in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebenen Deutschen Fassung (ICD-10-GM), und die medizinischen Prozeduren nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) kodiert. Aus den ermittelten Diagnose- sowie Operationen- und Prozedurenkodes wird mithilfe eines zertifizierten Software-Programms unter Einbeziehung von weiteren fallbezogenen Variablen (Alter des Patienten, Verweildauer, usw.) eine DRG-Fallpauschale sowie die dafür zu zahlende Vergütung ermittelt. Diesem als „Groupierung“ bezeichneten Prozess der Fallgruppenzuordnung und Entgeltermittlung liegt ein festgelegter, von den Beteiligten nicht zu beeinflussender Algorithmus zugrunde (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 15/07R). 
Zur Einführung, Weiterentwicklung und Pflege des neuen Vergütungssystems haben die Selbstverwaltungspartner das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) gegründet. Zur Durchführung der Kodierung haben die Vertragsparteien „Deutsche Kodierrichtlinien“ (DKR) vereinbart, die jährlich aktualisiert werden. 
Das Vergütungssystem, das für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn es allgemein streng nach seinem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind die Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Die – nach Auffassung eines Beteiligten – bloße Unter-, Über-, oder Nichtbewertung eines Leistungsbestandteils einer Krankenhausbehandlung als solche rechtfertigt daher kein Abweichen von einer strengen Wortlaut- und ergänzenden systematischen Auslegung. Da das DRG-basierte Vergütungssystem gemäß § 17b Abs.2 KHG als jährlich weiter zu entwickelndes und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen. (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R). Das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) und das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) haben hierzu entsprechende Vorschlagsverfahren vorgesehen.

Auf den streitgegenständlichen Fall finden die für das Jahr 2017 maßgeblichen Normverträge und Regelwerke Anwendung.

Vorliegend steht nicht die Fehlerfreiheit der Groupierung, d.h. die rechnerische Ermittlung der DRG–Fallpauschale sowie des daraus errechneten Entgeltes, sondern die Richtigkeit der vorangegangenen Kodierung einer Nebendiagnose in Streit.

Nach den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR D003i) ist die Nebendiagnose definiert als eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt. Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist.
-    therapeutische Maßnahmen
-    diagnostische Maßnahmen
-    erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand

Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen ausgerichtet ist, können alle betroffenen Diagnosen kodiert werden.

Streitig ist die Kodierung der Nebendiagnose D90 (Immunkompromittierung nach Bestrrahlung, Chemotherapie und sonstigen Immunsuppressiven Maßnahmen). Unstreitig war die Patientin bei der vollstationären Aufnahme immunkomprimiert. Fraglich war, ob das Medikament Azathioprin wegen der bevorstehenden Operation abgesetzt werden konnte.

Die Durchführung eines fachübergreifenden Konsils, hier die Befragung der Ärzte der Klinik für Innere Medizin IV für Rheumatologie, klinische Immunologie und Nephrologie hat in dem streitgegenständlichen Fall das Patientenmanagement nicht i. S. der obigen Definition beeinflusst. Bei der gebotenen Wortlautauslegung der DKR D003i ist der Konsiliararzt weder diagnostisch noch therapeutisch tätig geworden. Ausweislich des in der Patientenakte befindlichen Berichts der Inneren Klinik IV vom 25.01.2018 waren die Diagnose sowie die Medikation bekannt. Die Patientin war seit 1/2017 Patientin in der Klinik. Demzufolge konnte die Therapieempfehlung zur Absetzung von AZA ohne weiteren diagnostischen Aufwand gegeben werden. Allein die Absetzung des Medikaments begründet keinen besonderen Aufwand. 
Folgerichtig wird der ICD Kode D90 im Entlassungsbericht der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie der Klägerin vom 26.04.2017 auch nicht als Nebendiagnose aufgeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Rechtskraft
Aus
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