Noch im Sommer hatte der Landkreis Verden, wie in den vergangenen Jahren auch, der Aller-Weser-Klinik (AWK) mit ihren Standorten Verden und Achim einen Zuschuss von sechs Millionen Euro zur Haushalts- und Liquiditätssicherung bewilligt. Doch das hat nicht ausgereicht. Wie der Fachdienst Finanzen jetzt in einer Mitteilungsvorlage erklärt, hat der Landkreis der Klinik bereits im Dezember weitere 1,5 Millionen Euro per Eilentscheidung zur Verfügung gestellt. Die Finanzspritze sollte "die Zahlungsfähigkeit über den Jahreswechsel hinaus" sichern, wie es vonseiten des Landkreises heißt. Einen entsprechenden Antrag auf Zuschuss hatte AWK-Geschäftsführerin Marianne Baehr am 8. Dezember gestellt.
Ursache der klammen Haushaltslage sei, so der Landkreis, dass die Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen für die Jahre 2020 und 2021 noch nicht abgeschlossen seien. "Zahlreiche Gespräche und Verhandlungstermine verliefen in diesem Jahr ohne Erfolg. Aufgrund der fehlenden Budgetabschlüsse kann die Aller-Weser-Klinik die erbrachten Leistungen lediglich auf der Basis der Budgetverhandlungen 2019 abrechnen." Weiterhin könne die Aller-Weser-Klinik seit 2020 keine individuellen Pflegepersonalkosten geltend machen, obwohl sie die gesetzlichen Vorschriften zur Pflegepersonaluntergrenze zwingend einhalten müsse. Dadurch sei bislang ein Liquiditätsdefizit von etwa fünf Millionen Euro entstanden.
Belastung fürs Budget
„Wir müssen jedes Jahr mit den Krankenkassen ein Budget verhandeln, aber seit 2020 klappt das nicht mehr", beschreibt Marianne Baehr den Hauptgrund für die klamme Finanzlage. Die AWK steht mit diesem Problem nicht alleine da. Aktuell hätten zwei Drittel der niedersächsischen Kliniken kein abgeschlossenes Budget für 2020, für 2021 sind es laut Baehr sogar 83 Prozent. Grundsätzlich werden die Krankenhausleistungen über sogenannte Fallpauschalen abgerechnet. Das bedeutet, es gibt für bestimmte Leistungen einen festen Satz, beispielsweise für die Behandlung eines Herzinfarkts. "Diese Fallpauschalen hat der Gesetzgeber bestimmt, indem die Daten von vielen sogenannten Kalkulationskrankenhäusern ausgewertet wurden. Daraus wurde ein Durchschnittswert gebildet, wie viel die Leistungen kosten. Wenn ein Patient mehr Behandlung benötigt als die Fallpauschale hergibt, bleiben wir auf den Kosten sitzen", erklärt die Geschäftsführerin das Prinzip.
AWK-Geschäftsführerin Marianne Baehr (rechts) und Verwaltungsdirektor Florian Podlech hoffen auf baldige Einigung mit den Krankenkassen.
Das eigentliche Problem sei aber erst dadurch entstanden, dass der Gesetzgeber die Pflegekosten 2020 aus den Fallpauschalen ausgegliedert hat. "Hintergrund war der Wunsch, dass die Pflegekosten vollständig refinanziert werden sollten", sagt Baehr. Die durchaus gut gemeinte Änderung hatte allerdings die Folge, dass die Kliniken, also auch die AWK, seither mit den Krankenkassen über die Pflegekosten streiten. "Die Pflegekosten wurden zwar neu bewertet, und die Kassen sollen das auch bezahlen, aber das Problem ist, dass niemand festgelegt hat, was alles zur Pflege gehört und was nicht." Eine offene Frage sei etwa, wie Pflege-Hilfskräfte ins Budget einfließen sollen, deren Stundenlohn höher liegt als der von Festangestellten. "Die Krankenkassen erkennen das nur bedingt an und schieben es vor sich her", kritisiert Baehr.
"Finanzielle Katastrophe"
Das Ergebnis sei eine "finanzielle Katastrophe", da der vorgeschriebene Personalschlüssel vorgehalten werden müsse, ohne das bezahlt zu bekommen. "Die Krankenkassen haben bisher für 2020 einen Abschlag für die Pflege gezahlt, der aber die tatsächlichen Kosten nicht deckt", betont Marianne Baehr. Nach ihren Angaben hat die AWK für 2020 zehn Millionen Euro erhalten, aber 13,5 Millionen Euro ausgegeben und diese Summe auch von den Krankenkassen gefordert. Die Kassen wiederum hätten 2,3 Millionen Euro angeboten. "Das würde für 2020 immer noch ein Minus von 1,2 Millionen Euro bedeuten", rechnet sie vor. Immerhin sei sie nach "langen und mühsamen Verhandlungen" mit den Kassen mittlerweile optimistisch, in absehbarer Zeit zu einer Einigung zu kommen.
Anders sieht die Lage für 2021 aus, denn für das vergangene Jahr haben die Verhandlungen nicht mal begonnen. "Aktuell fehlen uns fünf bis sechs Millionen Euro an Barmitteln, weil wir eben das Geld von den Krankenkassen noch nicht haben", beschreibt Marianne Baehr das Dilemma. Sie hofft, dass eine Einigung für 2020 die Basis legt, um für die Folgejahre zu schnellen Verhandlungen und einer zügigen Einigung zu kommen. Für 2022 sei jedenfalls noch keine Prognose möglich, wie sich die finanzielle Situation der AWK entwickeln könnte.
Zeitnah überwiesen
Der Landkreis hat die beantragten 1,5 Millionen Euro bereits im Dezember zeitnah überwiesen. Die Auszahlung sei "sachlich und zeitlich unabweisbar", heißt es in der Mitteilungsvorlage des Landkreises. Daher sei die Auszahlung zulässig, obwohl sie im Kreishaushalt 2021 nicht vorgesehen sei. Auch die dritte Bedingung, dass die Summe im Haushalt gedeckt ist, wird nach Angaben der Kämmerei erfüllt. Denn der Kreishaushalt 2021 umfasst im Ergebnishaushalt ein Gesamtvolumen der Aufwendungen von knapp 302 Millionen Euro und weist einen Jahresüberschuss von etwa 5,9 Millionen Euro aus. Ein überplanmäßiger Bedarf von 1,5 Millionen Euro erfordere daher keine neue Gesamtschau auf den Haushalt 2021 und somit keinen Nachtragshaushalt. Die Deckung sei im Zuge des Haushalts 2021 und darüber hinaus auch aus den Liquiditätsbeständen des Landkreises Verden aus Vorjahren uneingeschränkt gewährleistet.
Zwar obliegt es dem Kreistag, einer solchen außerplanmäßigen Zuwendung zuzustimmen. Da die nächste Sitzung des Gremiums aber erst am 11. Februar stattfindet, und der Kreisausschuss am 7. Februar tagt, sah sich Landrat Peter Bohlmann wegen der prekären finanziellen Lage der Klinik genötigt, das Geld per Eilentscheidung auf den Weg zu bringen.