Das Recht auf Datenschutz wird in Deutschland großgeschrieben. Mindestens genauso wichtig wäre ein Recht auf Datennutzung – und zwar eine sichere Nutzung von Gesundheitsdaten für bessere Versorgung. So ist das deutsche Gesundheitssystem während dieser Pandemie oft im völligen Blindflug unterwegs. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern hat die deutsche Politik vielfach keine Datengrundlage, mit deren Hilfe sie gezieltere Maßnahmen ergreifen könnte.

Zeitnah erhobene und vollständige Daten zur Steuerung der Versorgung sowie für die Forschung liegen nicht vor. Hier sind wir größtenteils Trittbrettfahrer bei anderen Ländern wie Finnland, Großbritannien oder Israel. Die Folge: Wir wissen nicht genau, wie viele Menschen infiziert oder geimpft sind. Wir wissen nicht, wo Ansteckungen stattgefunden haben. Wir wissen nicht, wie lange Impfstoffe Risikopatienten schützen oder welche Patienten mit welchen Verläufen auf unseren Intensivstationen behandelt werden.

Gerade in der Omikron-Welle ist das Thema Datenerhebung und Digitalisierung zentral. Zum Beispiel um die nun immer wichtiger werdende Hospitalisierungsrate auch wirklich zeitnah zu erfassen. Die jüngste Stellungnahme des Corona-Expertenrats der Bundesregierung ist hier unmissverständlich. Das Gremium fordert eine umfassende "Auswertung und Veröffentlichung von anonymisierten Gesundheitsdaten in Echtzeit".

In Diskussionen hört man oft den Satz: "Gesundheitsdaten sind ein besonders sensibles Gut." Er wird gerne angeführt, um durch immer filigranere Datenschutzbestimmungen die Sammlung und Auswertung von Gesundheitsdaten möglichst einzuschränken. Dabei wird vor allem an die Stigmatisierung von Erkrankten oder an Erpressungsversuche gegenüber Krankenhäusern gedacht.

Was sich hingegen nur wenige klarmachen: Gesundheitsdaten sind auch ein besonders sensibles Gut im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit. Wenn Gesundheitsdaten nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zum Wohle der Patientinnen und Patienten genutzt werden können, dann ist dies aus medizinischer wie ethischer Sicht höchst problematisch.

Nicht verfügbare Gesundheitsdaten bedeuten ein Risiko für jeden Einzelnen, unter Umständen ein lebensbedrohliches: beispielsweise wenn ein Arzt im Notfall gar keine Kenntnis davon haben kann, dass jemand eine Penicillin-Allergie hat. Doch auch die "normale" Versorgung bleibt unter ihren Möglichkeiten, wenn sie Daten nicht optimal nutzen darf: So beruht die Krebstherapie heute zunehmend auf der molekular-genetischen Entschlüsselung des Tumors. Um die im Einzelfall beste Therapie zu finden, sind große standardisierte Datenmengen nötig, die KI-gestützt ausgewertet werden.

Es gilt, Datennutzung von Datenmissbrauch klar zu unterscheiden, sonst verbaut Deutschland sich nicht nur ein effektives Pandemiemanagement, sondern langfristig auch ein leistungsfähiges Gesundheitssystem "auf der Höhe der Zeit".

Gesellschaft und Politik in Deutschland müssen umdenken und die Perspektive wechseln: von Datenschutz als bloßem Abwehrrecht gegen Missbrauch hin zu einem Anspruch auf Datennutzung für bessere Forschung und Versorgung. Der Sachverständigenrat Gesundheit fordert deshalb ein Bürgerrecht auf eine am Patientenwohl orientierte Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten. Darin müssen unter anderem die Rahmenbedingungen für eine vollständige elektronische Patientenakte geregelt werden, die bestmögliche Absicherung von Gesundheitsdaten durch IT-Technik und strengere Sanktionen bei Datenmissbrauch. Zudem sollten die Datenschutzbehörden zu Ombudsstellen weiterentwickelt werden, an die sich alle Bürger wenden können.

Immerhin gibt es Hoffnung: Im aktuellen Koalitionsvertrag ist ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz vorgesehen. Und andere EU-Mitgliedstaaten zeigen längst, dass es anders geht. Dort nämlich nutzen die nationalen Gesetzgeber die Möglichkeiten der Datenschutzgrundverordnung tatsächlich dazu, die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger durch verantwortliche Datennutzung besser zu schützen.