Wolfsburg. Wolfsburgs Sozialdezernentin Monika Müller fordert ein Umdenken in der Debatte um Krankenhausfinanzierung und medizinische Versorgung.

Auf Jahre, in denen das Wolfsburger Klinikum schwarze Zahlen geschrieben hat, kann die Stadt nur wehmütig zurückblicken – auf weitere Sicht muss man nunmehr von einer Unterfinanzierung ausgehen. Wie das Klinikum „bezahlen“, ohne dass der jährliche Zuschussbedarf steigt und steigt, und gleichzeitig die medizinische Versorgung sichern – dies ist die Herausforderung vor der viele Kommunen stehen. Ist die Privatisierung die Lösung? Oder das Zusammengehen mit anderen Kliniken? Was kann die fachliche Schwerpunktbildung leisten? Und schließlich: Wie sollte die Klinik der Zukunft aussehen? Wolfsburgs Sozialdezernentin Monika Müller nimmt zu diesen und weiteren Fragen Stellung.

Monika Müller ist seit 2018 Dezernentin in Wolfsburg. (Archivfoto)
Monika Müller ist seit 2018 Dezernentin in Wolfsburg. (Archivfoto) © Regios24 | Helge Landmann

Wo steht das Wolfsburger Klinikum aktuell? Was sind die Probleme?

Unser städtisches Klinikum steht solide da. Aber natürlich haben wir die Coronakrise deutlich zu spüren bekommen und Finanzierung, Personal und coronabedingt zurückhaltende Patienten sind Themen, die wir aktiv angehen müssen. In Wolfsburg und Niedersachsen sieht es für Investitionen im Krankenhaus schwierig aus, weil das dafür eigentlich zuständige Land seit Jahren zu wenig Geld bereitstellt und damit landesweit ein Investitionsstau von mehr als 2,2 Milliarden Euro aufgelaufen ist. Es sind aber aktuell nur 150 Millionen Euro jährlich für alle etwa 170 Krankenhäuser im Topf. Für uns in Wolfsburg bedeutet das konkret, dass wir beispielsweise die vor wenigen Tagen eröffnete neue Kinderklinik maßgeblich selbst finanzieren mussten. Bei der Personalgewinnung setzen wir vor allem auf Ausbildung im eigenen Haus, werden aber trotzdem darüber nachdenken müssen, was wir tun können, um ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben und Menschen an uns zu binden.

Lesen Sie mehr aus der Serie „Krankenhäuser in der Krise“:

In der Pandemie schrecken viele Menschen vor einem eigentlich notwendigen Krankenhausaufenthalt zurück. Aus Angst vor Ansteckung und auch wegen der Besucherregelung ...

Das noch immer zurückhaltende Verhalten von Patienten können wir nur verändern, wenn wir ihnen Zeit lassen, wieder Vertrauen zu entwickeln. Dazu gehört auch, dass wir beispielsweise Zugangsbeschränkungen gut erklären und immer wieder nachsteuern. Ganz entscheidend wird für uns und alle anderen Krankenhäuser aber sein, wie Bund und Land sich das Gesundheitssystem der nächsten Jahre eigentlich vorstellen. Wo sollen Prioritäten gesetzt werden? Und überhaupt: Was wollen wir uns an medizinischer Versorgung leisten? Dies ist die Frage, die das Land und natürlich auch wir vor Ort beantworten müssen. Unsere Klinik braucht sich mit dem, was sie leistet jedenfalls nicht hinter anderen zu verstecken. Die Mitarbeiter leisten Großartiges, die medizinische Versorgung ist bei uns sehr gut.

Fallpauschale in der Diskussion

Die Fallpauschale, also die Vergütung nach Leistung und Diagnose, sorgt immer wieder für Diskussion. Gibt es irgendetwas, was aus Ihrer Sicht gerade mit Blick auf den Kostendruck, unter dem auch diese Klinik steht, für die Fallpauschale sprechen könnte?

Nein, nichts. Sie wurde 2004 bundesweit aus wirtschaftlichen Gründen eingeführt, und auch da lässt sich der Vorteil nicht in Gänze nachweisen. Es fehlt zum Beispiel an Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Und was aus meiner Sicht noch schlimmer ist: Medizinisch betrachtet ist das System nicht das Beste für die Patienten. Eine Pauschale kann niemals dem einzelnen Menschen wirklich gerecht werden. Zu frühe Entlassungen können der Fall sein, weil auch die Aufenthaltsdauer pauschaliert ist, wer also länger liegt, kostet die Krankenhäuser. Es wird pro Behandlungsfall eine Pauschale vergütet und nicht zeitraumbezogen. Ob sich das alles am Ende rechnet oder womöglich dann noch Nachbehandlungen erforderlich sind, das ist eben die Frage. Aufgrund dieses Systems kämpfen Krankenhäuser zunehmend mit Finanzierungsproblemen und weitere Schließungen vor allem kleinerer Krankenhäuser sind die Folge. Daher muss geklärt werden: Stellt man den Menschen oder die Wirtschaftlichkeit in den Mittelpunkt? Diese Frage muss sich jeder Entscheidungsträger beantworten.

Was im aktuellen Wahlkampf natürlich ein Thema ist. So wurde auch in dieser Region das Thema Vor- und Nachteil der Privatisierung auf den Tisch gebracht. Können Sie sich einen Vorteil vorstellen, den die Privatisierung der Wolfsburger Klinik mit sich bringen würde?

Nicht einen einzigen. Ich halte es auch für fragwürdig, dass Konzerne mit Krankenhäusern an die Börse gehen und Gewinne und Renditen im Mittelpunkt stehen. Gesundheit darf aus meiner Sicht nicht vorrangig marktwirtschaftlich betrachtet werden, denn zunächst ist der Schutz unserer Gesundheit ein Grundrecht, für das der Staat verantwortlich ist. Und vor dieser Verantwortung muss sich der Staat aber auch jeder Einzelne fragen: Was sind wir bereit, für unsere medizinische Versorgung auszugeben, was ist uns der Schutz unserer Gesundheit wert? Welche Antworten geben wir auf die sich verändernde Gesellschaft und die damit verbundenen Herausforderungen?

Lesen Sie auch:

Was heißt das genau?

Zum einen ist es unsere demografische Entwicklung. Wir werden immer mehr ältere Menschen haben, die gesundheitliche Versorgung brauchen. Und jetzt ist schon erkennbar, dass der Bereich der psychischen Erkrankungen eine noch größere Rolle spielen wird. Aus meiner Sicht müssen wir auch in Wolfsburg darauf hinarbeiten, dass am Klinikum eine psychiatrische Versorgung angesiedelt wird. Und es wird darum gehen, den Menschen viel mehr als bisher Hilfe an die Hand zu geben, damit sie sich die Frage beantworten können: Was kann ich selbst tun, um gesund zu bleiben?

So könnte das Klinikum Wolfsburg im Jahr 2040 aussehen

Da sind wir schon mitten in einer Vision für diese Klinik. Wie müsste aus Ihrer Sicht das Wolfsburger Krankenhaus im Jahr 2040 aussehen?

Das smarte Krankenhaus ist in Wolfsburg natürlich ein Stichwort: Digitalisierung und Individualisierung gehören da gleichermaßen dazu. Patientenzimmer könnten digital so optimiert werden, dass die Patienten für Notfälle überwacht werden. Patientenakten müssten digital und schnell verfügbar sein. Auch der Operationsroboter gehört dazu, aber: Das Ganze muss immer noch von Menschen gesteuert und gemanagt werden! Die soziale Komponente darf niemals vergessen werden und muss aus meiner Sicht auch ausgebaut werden, um Medizin menschennah umzusetzen. Es muss ein Zusammenfügen von technischen Möglichkeiten und menschlicher Kompetenz sein. Außerdem muss der Patient viel mehr als bisher als Ganzes betrachtet werden. Seine Biografie muss berücksichtigt werden.

Eine freundliche Atmosphäre in der Klinik unterstützt die Heilung, sagt Monika Müller. Das Foto zeigt „Herrn Liebling“, Leipziger Klinikclown. (Symbolfoto)
Eine freundliche Atmosphäre in der Klinik unterstützt die Heilung, sagt Monika Müller. Das Foto zeigt „Herrn Liebling“, Leipziger Klinikclown. (Symbolfoto) © dpa | Hendrik Schmidt

Also ganz banal ausgedrückt: Es geht um mehr als OP, Medikament und Verband.

Es ist ja nichts Neues, dass die psychische Gesundheit, das Wohlfühlen, die Akzeptanz durch das Umfeld, die persönliche Ansprache und eine freundliche Umgebung eine riesige Rolle bei der Genesung spielen. Das alles muss zusammengebracht werden – gemeinsam und getragen von der Mitarbeiterschaft. Visionen sind nur dann realisierbar, wenn diejenigen beteiligt und eingebunden werden, die betroffen sind. Das bedeutet, vor allem die Mitarbeitenden, aber auch die Patienten müssen ihr Krankenhaus mitgestalten können. Dazu gehören nicht nur Ideen, sondern auch Kritik. Nur dann ist Entwicklung möglich.

Das hört sich sehr nach einer „kostspieligen“ Vision an. Anders als bei anderen Zukunftsvorschlägen für Kliniken spielt ja hier doch das medizinische Betreuungspersonal weiterhin eine große Rolle.

Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn man schon die Kostendebatte in den Vordergrund stellt, sich die Prävention und eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten langfristig auszahlt. Gerade die aktuellen Folgen der Pandemie auch im psychischen Bereich werden noch ein großer Kostenfaktor sein. Ein Gesundheitscampus mit fachübergreifenden Angeboten von der psychosozialen Betreuung, über Kurzzeitpflege bis hin zu Ernährungs- und Bewegungsangeboten – das ist meine Vision fürs Krankenhaus.

Dafür braucht es natürlich den politischen Willen.

Das stimmt. Aber vielleicht können wir hier in Wolfsburg da einmal mehr gedanklicher und visionärer Vorreiter werden.

Wenn wir die Vision vom Krankenhaus 2040 entwickeln, dann müsste so ein Campus doch eigentlich auch nachhaltig und ökologisch vertretbar, im Idealfall so gebaut werden, dass sich der Campus energetisch selbst versorgen kann. Sozial- und Baudezernat müssten da vielleicht noch viel enger als bisher zusammen arbeiten. Ist das vorstellbar?

Natürlich muss unser Anspruch sein, auch in der Klinik klimaneutral zu werden, bei der Stromversorgung, aber natürlich auch beim Materialverbrauch, beim Essensangebot oder bei den Fahrzeugen. Auch beim Bau. Angefangen bei den Baustoffen bis hin zu einer späteren ressourcenschonenden Nutzung.

Schwerpunktbildung und Kooperation bei Krankenhäusern

Noch einmal zur aktuellen Lage der Kliniken. Was können aus Ihrer Sicht Schwerpunktbildung und Kooperationen von Kliniken bringen?

Kleinere Kliniken, also unter einer Kapazität von 100 Betten – und das sind landesweit gut ein Drittel aller Kliniken – sind da sicherlich noch am meisten gefordert, jedenfalls wenn man sie unter wirtschaftlichen Aspekten sieht. Der Umbau zu Gesundheitszentren mit Fachärzten und Bewegungsangeboten könnte da ein Weg sein.

Und welchen Weg könnte man in Wolfsburg einschlagen?

Für uns – wir haben etwa 550 Betten – kommen sicherlich Schwerpunktbildung und Kooperationen mit anderen Kliniken in Betracht. Mit den kommunalen Partnern in Braunschweig und Wolfenbüttel haben wir dazu auf meine Initiative hin bereits vor zwei Jahren eine Vereinbarung abgeschlossen, weil deutlich wird, dass wir voneinander profitieren können, wenn wir es wirklich wollen und zulassen. Daran werden wir sicher in den nächsten Jahren noch intensiver zusammen arbeiten. Es macht ja keinen Sinn, dass jede Klinik im Detail jede Versorgung macht.

Und sich als Klinik auf einen Schwerpunkt hin profilieren, sich spezialisieren?

Spezialisierung ist einer der Wege in die Zukunft. Und eben das fachübergreifende Arbeiten auf einem Gesundheitscampus. Bislang werden Krankenhaus und Gesundheit leider noch allzu oft vorrangig unter Kostengesichtspunkten diskutiert und andere Fragen werden dadurch überlagert. Das reicht aber nicht aus. Den Menschen in die Lage versetzen, resilient, widerstandsfähig zu werden, Gesundheit als wichtigen Lebensbereich eigenverantwortlich wahrzunehmen und sich gut informiert fühlen – das sind Ziele, die sicherlich noch viel mehr als bisher verfolgt werden können und müssen. Dabei kann das Klinikum eine wichtige Rolle einnehmen.