Neue Behandlungsmethoden und Qualitätsgebot im Krankenhaus

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Die Abrechnung neuer Behandlungsmethoden bleibt auch nach den Klarstellungen des Gesetzgebers in § 137c Abs. 3 SGB V sowie der jüngsten Entscheidung des BSG vom 25.03.2021 (- B 1 KR 25/20 R -) für die Krankenhäuser problematisch, wie eine neue Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.06.2021 (- L 26 KR 225/19 -) zeigt.

Streitgegenständlich war die Implantation eines bioresorbierbaren Stents im Jahr 2014. Das Gericht lehnte den Vergütungsanspruch des Krankenhauses ab, weil im Jahr 2014 noch nicht davon ausgegangen werden konnte, dass es sich bei der Implantation der Stents um eine dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entspreche.

Dabei geht das Gericht umfassend auf die Entwicklung der Rechtsprechung und Gesetzgebung des § 137c Abs. 3 SGB V ein und nimmt auch zutreffend an, dass Einführung des § 137c SGB V im Jahr 2000 davon ausgegangen werden konnte, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Rahmen stationärer Aufenthalte angewandt werden konnten, solange keine gegenteilige Entscheidung des früheren Ausschusses Krankenhaus bzw. nunmehr des GBA vorlag (sog. Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt). Auch das BSG ging davon aus, dass die Prüfung der Einhaltung des Qualitätsgebots von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht den Krankenkassen und Gerichten obliege. Diese Auffassung hat das BSG allerdings aufgegeben und betont, dass auch im stationären Bereich das allgemeine Qualitätsgebot aus § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V zu beachten sei. Eine Krankenhausbehandlung, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolge und deshalb für den Patienten Schadensersatzansprüche sowie für den Krankenhausarzt strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe, müsse nicht von den Krankenkassen bezahlt werden (BSG, Urteil vom 19.12.2017 –  B 1 KR 17/17 R –). An dieser Rechtsprechung hat das BSG auch nach der Ergänzung des § 137c Abs. 1 SGB V im Jahr 2012 um die Handlungsmöglichkeit einer Richtlinie zur Erprobung für den Fall, dass der Nutzen der Behandlungsmethode noch nicht hinreichend belegt ist, aber die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative biete, und Einführung der entsprechenden Regelung in § 137c SGB V festgehalten (BSG, Urteil vom 21.03.2013 –B 3 KR 2/12 R –; Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – und Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 17/17 R –). Nach dieser Rechtsprechung des BSG ist die Regelung des § 137c Abs. 1 SGB V als Verbotsvorbehalt ohne damit verbundene grundsätzliche Erlaubnis einzuordnen.

Daran hält auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg für die streitgegenständliche Behandlung aus dem Jahr 2014 fest und stellt fest, dass für den Zeitraum vor dem 23.07.2015 der Regelung in § 137c Abs. 3 SGB V keine Bedeutung zu kommen kann. Eine rückwirkende Einschränkung der eigenen gerichtlichen Prüfung der Einhaltung des Qualitätsgebots nur durch eine Regelung mit entsprechendem temporalem Charakter in Betracht. Eine solche läge nach Ansicht der Richter aber nicht vor. Ebenso wenig seien die Anforderungen des Qualitätsgebots rückwirkend geändert worden.

Daher meint das Gericht auch, dass ein Vergütungsanspruch für die streitgegenständliche Stentimplantation nur dann in Betracht käme, wenn die Behandlung dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V entspräche. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Dies entspricht im Regelfall der Anerkennung der Behandlung als allgemeine Standardmethode.

Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass selbst wenn auch für das Jahr 2014 bereits die Regelung des § 137c Abs. 3 SGB V gelten sollte, sich kein Vergütungsanspruch ergebe, weil für die Behandlung die Voraussetzungen der Entscheidung des BSG vom 25.03.2021 (– B 1 KR 25/20 R -) nicht erfüllt seien (Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung, keine Standardbehandlung verfügbar, Annahme eines Potentials nach den Anforderungen des GBA).

Die rechtlich verfehlte Entscheidung zeigt deutlich, dass die Anwendung neuer Behandlungsmethoden bei gesetzlich versicherten Patienten zulasten der Krankenkassen allenfalls in extrem seltenen Ausnahmefällen erfolgen kann, was eigentlich gerade nicht der Konzeption des Gesetzgebers seit Einführung des § 137c SGB V entspricht. Faktisch werden die vom Gesetzgeber eingeführten Regelungen zur Ermöglichung der Erprobung neuer Behandlungsmethoden unter stationären Bedingungen durch die Anforderungen der Rechtsprechung gegenstandslos. Dass die Rechtsprechung so konsequent den mehrfach bekundeten entgegengesetzten Willen des Gesetzgebers ignoriert ist erstaunlich und kann wohl durch eine umfassende Neuregelung des § 137c SGB V geändert werden.

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