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Pflegekräfte in Hamburg: "Eine Vollzeitstelle hält man nicht mehr aus"


Pflegekräfte schlagen Alarm
"Eine Vollzeitstelle hält man nicht mehr aus"


Aktualisiert am 31.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Eine Pflegerin im Krankenhaus (Symbolbild): Die Pflegekräfte der Hamburger Kliniken sind am Limit – oder schon weit darüber hinaus.Vergrößern des Bildes
Eine Pflegerin im Krankenhaus (Symbolbild): Die Pflegekräfte der Hamburger Kliniken sind am Limit – oder schon weit darüber hinaus. (Quelle: Sebastian Widmann)

Deutschlandweit klagen Pflegekräfte über Überstunden, schlechte Bezahlung und mangelnde Wertschätzung. Auch in Hamburg soll die Situation dramatisch sein – ein Klinikchef spricht von einer regelrechten "Flucht aus den Pflegeberufen".

Die Pflegekräfte der Hamburger Krankenhäuser sind am Limit – oder schon weit darüber hinaus. Seit Jahren spricht man in Deutschland vom Pflegenotstand, zu Beginn der Corona-Krise applaudierte man auf Balkonen für die Krankenhausmitarbeiter, doch direkt geholfen hat das nicht.

Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), warnte in der vergangenen Woche: "Wir erleben in Deutschland geradezu eine Flucht aus den Pflegeberufen. Das ist ein Alarmzeichen."

So sieht es auch Daniel Gravanis. Er arbeitet als Intensivpflegekraft im UKE. Seine Arbeitszeit hat der Hamburger mittlerweile auf 25 Prozent reduziert, im zweiten Semester studiert er Jura. Er sagt: "Eigentlich wollte ich ein pflegenahes Studium beginnen, aber unter diesen Arbeitsbedingungen ergibt das keinen Sinn."

Menschenwürdige Pflege nicht realisierbar

Die schlechte Personalbesetzung auf den Stationen führe dazu, dass er die Dinge, die er in einem solchem Studium lernen würde, nicht umsetzen könne. Ein Versorgungsschlüssel von 1:2 (ein Pfleger kümmert sich um zwei Schwerstkranke) werde gefordert, "faktisch ist ein Schlüssel von 1:3 und in Ausnahmefällen auch 1:4 die Realität".

Eine menschenwürdige Pflege sei so nicht realisierbar. Bedürfnisse der Patienten, wie zum Beispiel Durst oder ein Toilettengang, müssten warten, bis der Pfleger Zeit hat. In der Folge liege dann ein Patient schon mal in seinen Exkrementen. "Zu Beginn der Pandemie wurden die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich stärker thematisiert, doch leider ist das Thema in den Hintergrund geraten", bedauert er.

Dabei steigt die Lebenserwartung in Deutschland immer weiter und damit auch die Bedeutung der Pflege. Denn je mehr ältere Leute es gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Menschen irgendwann pflegebedürftig werden. Laut Prognose des Statistischen Bundesamts werden das bis 2060 deutschlandweit 4,58 Millionen Menschen sein. Aktuell sind es mehr als vier Millionen (Stand: 2019).

Die Bundesregierung will nun mit einem Gesetz 20.000 neue Stellen im Pflegebereich schaffen, zu einer Erleichterung für die Pflegekräfte in Hamburg hat das bislang nicht geführt. Damit neue Kräfte einsteigen wollen, müssen sich auch die Arbeitsbedingungen grundlegend ändern.

"Eine Vollzeitstelle hält man nicht mehr aus"

Auch ein Pfleger, der in Hamburg im Bereich der Intensivmedizin arbeitet, äußert sich. Er möchte anonym bleiben. "Wir erleben momentan eine Katastrophe, so etwas habe ich in den 20 Jahren, seitdem ich in der Pflege arbeite, noch nicht erlebt", schildert er. Die meisten Kollegen würden nur noch in Teilzeit arbeiten. "Eine Vollzeitstelle hält man nicht mehr aus", sagt er.

"Wir erleben auf den Intensivstationen grenzwertige Situationen und sind dabei immer gehetzt, wir haben keine Zeit und das ständig", so der Pfleger. "Ich laufe von einem Feuer zum anderen. Wenn es so weiter geht, ist in einem Jahr die Hälfte der Intensivpfleger weg", beschreibt er seinen persönlichen Eindruck. "Wir machen keine Pflege, wir machen Akkordarbeit."

"Pflegende haben moralischen Stress"

Etwa 20 Prozent der Pflegekräfte könnten aus der Pflege aussteigen. Und zwar nicht nur, weil sie erschöpft sind, sondern eben vor allem, weil sie die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit als unbefriedigend erleben.

Das geht aus Studien von Uta Gaidys hervor. Sie ist Professorin, Mitglied des Wissenschaftsrates der Bundesregierung und der Länder sowie Studiengangsbeauftragte des Masters "Pflege" an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg).

"Die Betroffenen haben moralischen Stress", so Gaidys. "Die Pflegenden möchten ihren Patienten ein Mindestmaß an Zeit widmen können und erleben das im Alltag als nicht realisierbar", erklärt sie.

Viele hätten die anderthalb Jahre seit Beginn der Pandemie ertragen. Aufgrund der Bedingungen, die in der Pflege vorherrschten, erleben die Betroffenen, dass sie ihren Beruf nicht zufriedenstellend ausüben könnten. "Wenn es jetzt keine Änderung gibt, dann haben wir ein Problem", sagt sie.

Krankenhäuser chronisch unterbesetzt

Carsten Hermes, Pflegewissenschaftler, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege und Sektionssprecher der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), sieht ebenfalls Probleme: "Nach meinem Eindruck sind die Kollegen und Kolleginnen einfach müde."

Die vergangenen vier Jahre hat er an der Hamburger HAW studiert, er kennt die Häuser und Kollegen der Hansestadt. Schon vor der Corona-Krise sei die Arbeitsbelastung hoch gewesen. "Inzwischen sind die Arbeitsbedingungen oft gravierend schlechter geworden", betont er.

Häuser mit schwerstkranken Patienten seien chronisch unterbesetzt. Der psychische Druck auf die Pfleger sei enorm. "Es wird oft als nicht selbstverständlich angesehen, dass arbeitsfreie Zeit auch wirklich eigene, freie Zeit – die man zum Erholen braucht – ist", schildert Hermes weiter. Wie selbstverständlich werde erwartet, dass man immer bereit sei, im Notfall für andere einzuspringen.

"Wo ist der Lauterbach der Pflegekräfte?"

Hermes kritisiert zudem die mangelnde Präsenz von Pflegefachkräften in den entsprechenden Gremien. "Professor Kluge und einige wenige andere Ärzte suchen den Schulterschluss mit uns, doch das sind leider Einzelfälle", so Hermes weiter.

"Wo ist der Lauterbach der Pflegekräfte?", fragt er provozierend. Man werde schlicht nicht gehört. "Man sieht Pflege selten als eigenständige Profession, da spielen auch standesrechtliche Bedenken eine Rolle", sagt er weiter.

Und er wird noch deutlicher: "Wer heute einen Krankenhausaufenthalt erlebt, wird nicht so gut pflegerisch versorgt, wie es möglich wäre. Der Personalmangel hat gravierende Folgen", so Hermes.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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