Fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten

Vergütung einer stationären OP in Höhe ambulanter Vergütungssätze

Seit jeher stellt sich die Frage, ob Krankenhäuser bei einem stationär durchgeführten Eingriff (zumindest) einen Anspruch auf Zahlung in Höhe ambulanter Vergütungssätze haben. Dies wird im gerichtlichen Verfahren zumeist dann relevant, wenn ein Sachverständigengutachten eingeholt und hier die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung nicht bejaht wird.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschied kürzlich, dass Leistungserbringer einen Anspruch auf Vergütung in Höhe der Kosten haben können, die bei einer ambulanten Operation angefallen wären, sofern ein Anspruch auf Vergütung einer vollstationären Versorgung ausscheidet (vgl. LSG NRW, Urt. v. 19.04.2021 – L 10 KR 448/20). Gestützt hat es sich hierbei auf die bei Leistungserbringern eher ungute Gefühle hervorrufenden Grundsätze des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens. Danach ist bei der Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten der wirtschaftlichere Behandlungsweg zu vergüten (st. Rspr. des BSG, siehe zuletzt Urteil v. 27.10.2020 – B 1 KR 9/20 R).

Yannick Wendland

Yannick Wendland

Rechtsanwalt

Rechtsanwalt Wendland berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Der Entscheidung lag grob skizziert folgender Sachverhalt zugrunde:

Das beklagte Krankenhaus, das gemäß § 115b Abs. 2 SGB V zur Durchführung ambulanter Augenoperationen zugelassen war, führte eine Katarakt-OP stationär durch und rechnete den Eingriff entsprechend gegenüber der Krankenkasse ab. Im gerichtlichen Verfahren wurden zwei Sachverständige zur Notwendigkeit der stationären Durchführung des Eingriffs befragt. Beide befanden, der Eingriff hätte gleichermaßen ambulant erfolgen können. Das Krankenhaus reduzierte daraufhin die Forderung und verlangte (nur noch) die Bezahlung in Höhe einer ambulanten Vergütung, wozu es eine fiktive Abrechnung („Testrechnung“) vorlegte, ohne jedoch die stationäre Abrechnung zu stornieren.

Die klagende Krankenkasse lehnte die Begleichung der ambulanten Vergütung ab mit der Begründung, insoweit fehle es an einer gültigen Rechnung. Dem folgte das erstinstanzlich befasste Sozialgericht Duisburg und wies die Klage ab. Das LSG NRW hat diese Entscheidung aufgehoben und die Krankenkasse zur Zahlung der ambulanten Vergütung verurteilt. Insbesondere bedürfe es keiner förmlichen Rechnung über die ambulante Vergütung, da die Zahlungspflicht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes entstehe, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und i.S.v. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich sei.

Die Entscheidung des LSG NRW ist wegweisend und stellt, soweit ersichtlich, die erste höherinstanzliche Entscheidung seit der Entscheidung des 3. Senats des Bundessozialgerichts im Jahre 2008 (Urteil v. 18.09.2008 – B 3 KR 22/07 R) dar, in der den Leistungserbringern in einer solchen Konstellation ein Anspruch auf Zahlung in Höhe ambulanter Vergütungssätze zugesprochen wird. Kostenträger argumentieren gerne mit einer Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil v. 18.05.2006 – L 5 KR 182/05), in welcher die Möglichkeit einer fiktiven Alternativvergütung noch negiert wurde. Jene Entscheidung wurde durch die benannte Entscheidung des 3. Senats des Bundessozialgerichts allerdings mit guten Gründen aufgehoben.

Voraussetzung für die (fiktive) Abrechenbarkeit als ambulante Leistung ist zusammengefasst die Zulassung zur Durchführung der jeweiligen ambulanten Operation, die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit dieser Operation sowie die Einhaltung der personellen und sächlichen Mindeststandards. Ein vertraglicher Vergütungsanspruch für eine ambulant durchführbare Operationsleistung wird insbesondere nach Maßgabe der einschlägigen EBM-Gebührenlegende erwirkt, sobald deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach § 115b Abs. 2 S. 4 SGB V ist die Leistung unmittelbar seitens der Krankenkassen zu vergüten. Eine entsprechende fiktive Abrechnung kann auch im gerichtlichen Verfahren noch nachgereicht werden.

Festzuhalten bleibt nach alledem, dass sich nicht nur die Krankenkassen auf ein fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten berufen können. Die obige Sachverhaltskonstellation steht exemplarisch für unzählige Behandlungsstreitfälle und Gerichtsverfahren, in denen seitens der Krankenkasse bzw. des Medizinischen Dienstes eine primäre Fehlbelegung postuliert wurde.