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Prüfgegenstand gemäß PrüfvV

SG Münster, Urteil vom 30.07.2021 - S 6 KR 2091/19

Sachverhalt:

Die beklagte Krankenkasse glich zunächst die Rechnung über den streitigen Fall aus dem Jahr 2017 aus, beauftragte in der Folgezeit jedoch den MDK mit einer Abrechnungsprüfung gemäß der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV). In der Prüfanzeige wurde als Prüfgegenstand „Kodierung" und als Fragestellungen der Krankenkasse „Ist die DRG korrekt? Ist die Hauptdiagnose korrekt?" mitgeteilt. Die zu prüfende Hauptdiagnose wurde näher spezifiziert (A46; Erysipel [Wundrose]). Der MDK bat „um Übersendung sämtlicher Behandlungsunterlagen, die geeignet sind, die Fragestellung der Krankenkasse bezogen auf den Prüfgegenstand vollumfänglich zu beantworten bzw. die zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt werden". Der MDK bemängelte in seinem Gutachten neben der Hauptdiagnose auch die Kodierung des OPS 8-836.0s [(Perkutan-)transluminale Gefäßintervention: Angioplastie (Ballon): Arterien Oberschenkel]. Die Prozedur sei durch die übersandten Unterlagen nicht belegt. Eine Erweiterung des Prüfgegenstands wurde dem Krankenhaus nicht angezeigt. Das Krankenhaus änderte die Hauptdiagnose, jedoch in eine andere als die vom MDK vertretene. Bei Kodierung des OPS 8-836.0s hatte der Streit über die Hauptdiagnose keine Erlösrelevanz. Die Krankenkasse rechnete ihren vermeintlichen, bei der Streichung des OPS 8-836.0s resultierenden Rückerstattungsanspruch mit einem anderen Vergütungsanspruch des Krankenhauses auf. Der OPS 8-836.0s wurde durch den Interventionsbericht unstreitig belegt.

Entscheidung:

Das Gericht gab der Klage des Krankenhauses statt. Die Aufrechnung sei ins Leere gegangen, da der Krankenkasse kein Rückzahlungsanspruch zustand. Der OPS 8-836.0s sei unstreitig anhand der Interventions- und Entlassungsberichte belegt, die auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden dürfen. Eine Präklusion gemäß § 7 Abs. 2 PrüfvV greife nicht, da das Prüfverfahren bezogen auf die Prozedur 8-836.0s nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden sei. Gemäß § 6 Abs. 3 S. 4 PrüfvV i.V.m. § 4 S. 1 PrüfvV sei dem Krankenhaus der sich aus den Auffälligkeiten ergebende Prüfgegenstand „so konkret wie möglich" mitzuteilen. Hierbei handele es sich um eine Pflicht, nicht bloß um eine Obliegenheit. Der Prüfgegenstand sei auf die konkret bezeichnete Hauptdiagnose konkretisiert worden. Die Prozedur 8.836.0s sei hingegen nicht in der Prüfanzeige erwähnt worden. Aus dem objektiven Empfängerhorizont sei die Prüfanzeige daher so zu verstehen gewesen, dass nur die Hauptdiagnose überprüft werden sollte. Werde die Fragestellung „Ist die DRG korrekt?" in der Prüfanzeige der Vorgabe in § 4 Satz 2 PrüfvV folgend auf die Frage "Ist die Hauptdiagnose korrekt?" konkretisiert, ist nicht ersichtlich, dass auch andere Diagnosen und Prozeduren (sämtlich) geprüft werden sollen. Darüber hinaus habe der MDK auch nur pauschal Unterlagen angefordert, ohne Unterlagen konkret zu benennen, so dass der Interventionsbericht auch schon deshalb verwertbar gewesen sei.

Anmerkung:

Das SG Münster wendet in dieser Entscheidung konsequent die Vorgaben der PrüfvV an. Gemäß § 4 Satz 2 PrüfvV ist der Prüfgegenstand dem Krankenhaus so konkret wie möglich mitzuteilen. Hierbei handelt es sich entgegen der Auffassung der Krankenkasse nicht bloß um eine Obliegenheit, sondern um eine Pflicht. Wird der Prüfgegenstand entsprechend dieser Verpflichtung gegenüber dem Krankenhaus konkretisiert, ist eine Erweiterung des Prüfungsgegenstands möglich, aber nur, wenn dies dem Krankenhaus auch angezeigt wird (§ 6 Abs. 3 PrüfvV). Dies erfolgte nicht, so dass die Prüfung des OPS 8-836.0s nicht zulässiger Gegenstand des Prüfverfahrens war. Zu Recht widersprach das SG Münster der Auffassung der Krankenkasse, dass die auf die Fragestellung "Ist die Hauptdiagnose korrekt?" konkretisierte Frage „Ist die DRG korrekt?" ohne konkrete Benennung nicht jeden sonstigen Aspekt der Kodierung umfasst. Eine solche Auslegung widerspräche nicht nur einem effizienten, konsensorientierten und in konstruktiver Zusammenarbeit durchzuführenden Verfahren (§ 1 PrüfvV), sondern auch rechtsstaatlichen Grundsätzen. Unabhängig davon ging das SG Münster zu Recht davon aus, dass der MDK dem Krankenhaus gegenüber die zu übersendenden Unterlagen nicht konkret benannt hatte (BSG, Urteile vom 18.05.2021 - B 1 KR 24/20 R und B 1 KR 32/20 R; LSG NRW, Urteil vom 14.11.2019 - L 16 KR 929/16). Die Präklusionswirkung des § 7 Abs. 2 Satz 2- 4 PrüfvV wurde daher nicht ausgelöst. Der nicht dem MDK übersandte Interventionsbericht konnte daher im gerichtlichen Verfahren verwertbar werden. Dies auch deshalb weil der OPS 8-836.0s nicht zum Prüfungsgegenstand gemacht wurde.

sg ms 210730 s 6 kr 2091 19 4 prufvv konkresitierung prufgeg (PDF, 968.71 KB)