Krankenhäuser in Hessen an der Belastungsgrenze - „Erschöpfung nimmt täglich zu“
Pflegekräfte in Hessens Krankenhäusern arbeiten weiterhin am Limit. Die Gewerkschaft fordert jetzt Konsequenzen.
Frankfurt –Aus den Worten spricht Verzweiflung: „Die personelle Situation der Pflege auf den Intensivstationen C1 und B3 ist zunehmend unerträglich.“ Zu lesen ist der Satz in einem Brandbrief, unterzeichnet von rund 150 Kräften aus dem genannten Bereich der Frankfurter Uniklinik.
„Die Erschöpfung der Mitarbeitenden nimmt täglich zu“, heißt es in dem Schreiben, das der Frankfurter Rundschau zugespielt wurde. Folge des chronischen Personalmangels sei eine Unterversorgung der Patient:innen, die notwendigen Therapien könnten nur verzögert umgesetzt werden.
Hilferuf der Pflegekräfte an Uniklinik in Frankfurt ist kein Einzelfall in Hessens Krankenhäusern
Es ist ein Hilferuf – adressiert an die Verantwortlichen der Klinik, an Aufsichtsrat und die zuständige Ministerin. Verschickt im vergangenen Juni, zum Höhepunkt der Pandemie, sagt Pflegedirektorin Birgit Roelfsema. Sie sagt im Gespräch mit der FR: „Die Personalgrenze konnte in der Regel immer eingehalten werden, im Monatsdurchschnitt haben wir sie immer eingehalten.“ Der Brief habe dazu geführt, dass sie sich mit den Betroffenen zusammengesetzt hat. Im Ergebnis seien organisatorische Prozesse geändert worden. Verbesserungen, die kurzfristig umsetzbar waren. Im Gegensatz zu dem Wunsch nach höheren Löhnen.
Frankfurt ist kein Einzelfall. „Die Landesregierung beobachtet den allgemeinen Mangel an Pflegekräften im Gesundheitswesen mit großer Sorge, der auch an den Universitätskliniken in Gießen und Marburg nicht vorübergeht“, sagt Volker Schmidt, Sprecher der für die Unikliniken zuständigen hessischen Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne). Erst im März hätten Beschäftigte der privatisierten Uniklinik Gießen-Marburg der Ministerin einen offenen Brief übergeben. „Darin wurden gute und verlässliche Arbeitsbedingungen gefordert.“ Derzeit schlägt eine Kündigungswelle in Marburg Wellen.
Krankenhäuser in Hessen: Pflegekräfte seit Monaten an der Belastungsgrenze
Pflegekräfte werden aus ihren freien Tagen geholt, regelmäßige Pausenablöse ist nicht möglich. „Die Maskenzeit wird seit Monaten auf bis zu vier, fünf Stunden ausgereizt“, schreiben die Frankfurter Beschäftigten. Die Kolleg:innen seien seit Monaten am Rande ihrer Belastungsgrenze. „Viele klagen über Schlafstörungen oder verlassen weinend die Station – das ist kein akzeptabler Zustand.“
Personalmangel in der Pflege gibt es nicht erst seit der Corona-Pandemie. Doch diese hat die Situation noch verschärft. Die Hauptlast schulterten die deutschen Unikliniken, sagt Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor in Frankfurt. „25 Prozent der Schwerstkranken wurden dort behandelt.“ Und auch wenn im Moment die Infektionszahlen moderat sind, kann von Entspannung nicht die Rede sein.
Belastung der Pflegekräfte in Hessens Krankenhäusern: Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens spielt eine Rolle
Bis Ostern werde es wohl dauern, um die wegen Covid-19 verschobenen Eingriffe nachzuholen. Auch die anderen Krankenhäuser seien dabei, die Wartelisten abzuarbeiten. Das verknappe deren Kapazitäten. Gemeinsam mit der Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens schlage sich dies auf eine höhere Inanspruchnahme der zentralen Notaufnahmen der Uniklinik nieder oder die der kommunalen Häuser. Denn die stünden auch nicht ganz so stark unter ökonomischem Druck.
Der Zwang, mit Gesundheitsversorgung Geld verdienen zu müssen, trägt nach Ansicht von Hilke Sauthof-Schäfer von der Gewerkschaft Verdi die Hauptschuld an der hohen Belastung der Pflege. Die sei flächendeckend auf allen Intensivstationen ein Problem. „Die Krankenhäuser müssen ökonomisch wirtschaften“, sagt sie. Deshalb würden keine Betten reduziert, wenn das Personal nicht ausreicht. „Die Überlastung spitzt sich zu.“
Krankenhäuser in Hessen: Pflegekräfte durch Versorgung der Corona-Patient:innen besonders belastet
Die Versorgung schwer kranker Covid-19-Patient:innen sei ein körperlicher wie psychischer Kraftakt. „Die Mitarbeitenden brauchen dringend eine Entlastung.“ Für eine solche können – nach Auffassung der Gewerkschafterin – Personalmindeststandards sorgen. Damit ist gemeint: ein festes Verhältnis Patient:in zu Pflegekraft.
Pflegedirektorin Roelfsema wünscht sich, dass der Kampf gegen die Pandemie endlich als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird. 90 Prozent der Intensivpflichtigen auf der Corona-Station seien nicht geimpft. Auch das treibe die Belegschaft derzeit stark um. (Jutta Rippegather)