PresseDKOU
Pressemitteilung zum DKOU 2021

Nachhaltigkeit von Krankenhäusern bald weiteres Entscheidungskriterium für Patienten

Pressekonferenz DKOU Prof. Dr. Wirtz
© Intercongress

Professor Dr. Dieter C. Wirtz, Kongresspräsident des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin, schaut mit Sorge auf die steigende Umweltbelastung durch Krankenhäuser: „Krankenhäuser produzieren einen Mülltsunami. Die Müllproduktion an deutschen Krankenhäusern ist ökologisch nicht vertretbar.“ Dabei sieht der Experte als Ursache eine Überregulierung und mahnt zudem zum Umdenken beim Energieverbrauch an, um das Emissionsaufkommen im Gesundheitssektor zu senken. Wirtz erkennt in dieser Problematik eine Chance für Krankenhäuser und Umwelt: „Nachhaltigkeit wird für Patienten ein Entscheidungskriterium bei der Krankenhauswahl.“

Auf den Gesundheitssektor entfallen weltweit 4,5 Prozent des gesamten Emissionsaufkommens. Dies entspricht dem globalen Kohlendioxidausstoß des Luft- und Schifffahrtsverkehrs zusammen. In Deutschland liegt dieser Wert bei etwa fünf Prozent. Der Kohlendioxidausstoß zusammen mit dem gestiegenen Müllaufkommen, das vor allem im OP durch komplexes Equipment, Sterilisationsprozeduren und hohe Hygieneanforderungen entsteht, alarmieren Wirtz. Er fordert die Politik auf, die gesetzlichen Regularien, wie Implantate und Instrumente anzuwenden sind, den ökologischen Herausforderungen umgehend anzupassen. Grundsätzlich erwartet der Chefarzt ein Umdenken im Gesundheitswesen: „Krankenhäuser müssen sich zur Energie- und Abfallminimierung mehr in Richtung Ressourcenreduktion, Wiederverwendung und mehr Recycling orientieren. Auch die Politik ist hier gefragt: Überregulierte Vorschriften müssen abgeschafft werden.“ Neben dem Handeln der Politik sieht er auch eine weitere Motivation, schnell und effektiv die ökologische Bilanz eines Krankenhauses zu verbessern: als Krankenhaus die Nachhaltigkeit als Marketing- und Standortvorteil zu verstehen.

Mülltsunami an deutschen Krankenhäusern
Professor Wirtz betrachtet mit Sorge die Zunahme des Mülls an deutschen Krankenhäusern und ist sich sicher: „Weniger Verpackung bedeutet nicht weniger Patientensicherheit.“ Als ursächliches Problem macht Wirtz mehrere Komponenten für die Müllsteigerung aus und nennt Beispiele: Dokumentationsvorgaben, die eine separate Lognummer für jedes Implantat vorsehen und somit individuelle, zusätzliche Verpackungen beanspruchen; Hygienebestimmungen, die Mehrfachverpackungen pro Produkt erfordern; Einmalinstrumente, die keine Wiederverwendung ermöglichen. Nachverfolgungspflichten haben Sinn, erklärt Wirtz, bei Produkten wie Implantaten, die im Körper bleiben, aber sind seiner Ansicht nach überflüssig bei Verbrauchsmaterialien, die anschließend entsorgt werden, aber zu weiteren zusätzlichen Verpackungen führen.

Wegwerfinstrumente, die problemlos wieder aufbereitet werden könnten, aber gesetzlich angeordnet vernichtet gehören, ärgern Wirtz: „Wenn Sie zum Zahnarzt gehen, wirft er den Bohrer auch nicht nach jedem Patienten in den Sondermüll“, macht aber deutlich: „Selbstverständlich brauchen wir einen hohen Hygienestandard. Aber warum muss eine Schraube viermal eingepackt sein und nicht nur zweimal mit gleicher Sterilqualität.“ Der Kongresspräsident rechnet vor: „Eine einzige Operation kann mehr Müll verursachen als eine vierköpfige Familie in einer Woche. Bei einer aufwändigen orthopädischen Operation fallen bis zu 100 Kilogramm Müll an!“

1.000 Liter Wasser pro Tag pro Patient sind zu viel – und es gibt Lösungen
Der Wasserverbrauch im Krankenhaus beträgt bis zu 1.000 Liter pro Tag pro Patient oder Patientin. Wirtz schlägt vor, dass Krankenhäuser beispielsweise statt auf Wasserhähne mit Ellenbogenmechanismus auf sensorgesteuerte Lösungen setzen, die pro Patient und Tag Wasser in der Größenordnung einer Wasserkiste einsparen könnten. Wirtz sieht auch beim Einkauf Potenzial, wenn Krankenhäuser Instrumente bevorzugen, die nachhaltigen Produktionsgrundsätzen unterliegen. Die Wiederverwendbarkeit sieht er in diesem Zusammenhang positiv, wenn dies möglich ist. Auch bei chirurgischen Abdeckmaterialien ist auf deren Entsorgungsfähigkeit zu achten.

Ökologisch gesehen ist das Gesundheitswesen paradox
„Ökologisch gesehen ist das Gesundheitswesen paradox. Wir helfen im Krankenhaus Menschen, tragen aber auch zur Gesundheitsschädigung durch Umweltverschmutzung bei“, sagt der Kongresspräsident und richtet seinen Blick vor allem auf die CO2-Emissionen. Krankenhäuser stoßen innerhalb des Gesundheitswesens mit 24 Prozent die zweitmeisten Treibhausgase aus, nur die Herstellung der Medikamente liegt mit 25 Prozent davor. Wirtz erläutert weiter, dass etwa 25 Prozent der Energiekosten im Krankenhaus für Operationen anfallen und folgert: „Wenn wir in Deutschland die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir auch in den Krankenhäusern umweltbewusster handeln. Prozesse müssen nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus ökologischen Gründen optimiert werden. Gerade das Überdenken und Neustrukturieren alt gewohnter Abläufe werden dazu beitragen, die ökologische Bilanz im Krankenhaus zu verbessern.“

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein bringen Vorteile
Wirtz wünscht sich, dass Krankenhäuser den Nachhaltigkeitsgedanken nicht nur verantwortungsvoll im Leitbild tragen, sondern als reale Chance sehen, denn er denkt: „Die Menschen legen beim Kauf von Produkten oder Dienstleistungen Wert auf Nachhaltigkeit. Deshalb wird Nachhaltigkeit für Patientinnen und Patienten sehr bald ein Entscheidungskriterium bei der Wahl des Krankenhauses sein.“ Er sieht einen weiteren Vorteil: die Mitarbeiter gewinnen. Junge Menschen, bemerkt Wirtz, legen stärkeren Wert auf die ökologische Positionierung eines Unternehmens oder Arbeitgebers: „Die Nachhaltigkeit eines Krankenhauses interessiert zunehmend auch potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie ist ein Standortvorteil für Krankenhäuser.“


Prof. Dr. Dieter C. Wirtz ist einer der drei Kongresspräsidenten des DKOU 2021 und seit 2020 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). Seit 2006 ist er als Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Bonn und seit 2008 als Geschäftsführender Direktor am Chirurgischen Zentrum der Universität Bonn tätig.

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