Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 16/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - MDK-Prüfverfahren - Unterlagenanforderung - materiell-rechtliche Ausschlussfrist

Verhandlungstermin 10.11.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

M. GmbH ./. Betriebskrankenkasse Mobil
Das klagende Krankenhaus behandelte einen Versicherten der beklagten KK vom 7. bis 8.12.2017 stationär. Dem Versicherten war durch die behandelnde Ärztin für Allgemeinmedizin Krankenhausbehandlung verordnet worden wegen "seit Monaten zunehmende Cephalgien, jetzt seit gestern Schwindel und Brechreiz". In der Anamnese des Krankenhauses wurde festgehalten, dass der Versicherte wegen seit längerer Zeit bestehender Cephalgien von der Hausärztin eingewiesen worden sei. Am Aufnahmetag habe er seine Hausärztin wegen stärkster Kopfschmerzen aufgesucht, er habe eine Infusion mit Novalgin und Vomex erhalten, daraufhin sei eine Besserung der Symptomatik eingetreten. Der Versicherte verließ das Krankenhaus nach Durchführung einer Kernspintomographie am 8.12.2017 gegen ärztlichen Rat. Das Krankenhaus stellte der KK für die Behandlung 1242,69 Euro in Rechnung. Die KK beglich die Rechnung und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz mit der Überprüfung der Notwendigkeit der stationären Behandlung. Dieser bat das Krankenhaus mit Prüfanzeige vom 27.12.2017 um Übersendung "sämtlicher prüfungsrelevanter Unterlagen, gemäß § 7 Abs. 2 Satz 4 der PrüfvV, mindestens jedoch um Übersendung der folgenden Unterlagen: Arztbrief(e), prüfrelevante Prozedurenunterlagen, Fieberkurve(n), Pflegedokumentation sowie Verlaufsdokumentation aller Berufsgruppen, Aufnahmedokumentation". Das Krankenhaus übersandte dem MDK Unterlagen, nicht jedoch die vertragsärztliche Krankenhauseinweisung. In seinem Gutachten verneinte der MDK die medizinische Notwendigkeit der Aufnahme des Versicherten zur stationären Behandlung. Die KK verrechnete daraufhin den gezahlten Rechnungsbetrag mit einer anderen Forderung der Klägerin.

Im Verfahren vor dem SG hat die KK unter Hinweis darauf, dass sie im Hinblick auf die materielle Ausschlussfrist keine weiteren als die bisher übersandten Unterlagen gegen sich gelten lassen werde, die komplette Krankenhausakte dem MDK zur Begutachtung vorgelegt. Dieser bejahte nunmehr aufgrund der in der Einweisung der Hausärztin zum Ausdruck kommenden Dynamik in den Beschwerden und dem sich daraus ergebenden Verdacht eines raumfordernden Prozesses die Notwendigkeit einer stationären Überwachung und raschen Diagnostik zum Ausschluss einer akut lebensbedrohlichen Situation für den Versicherten. Das SG hat die KK zur Zahlung von 1242,69 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die dagegen gerichtete Berufung der KK zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 7 Abs 2 der auf der Grundlage des § 17c Abs 2 KHG geschlossenen PrüfvV 2016 enthalte keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Hinzu komme, dass sich eine materiell-rechtliche Ausschlusswirkung jedenfalls nicht auf Unterlagen erstrecke, deren Übersendung der MDK nicht ausdrücklich verlangt habe. Dies sei hinsichtlich der Verordnung der Hausärztin der Fall gewesen. Bei deren Berücksichtigung stehe die Notwendigkeit der stationären Behandlung des Versicherten fest. Es könne offenbleiben, ob sich diese nicht auch schon aus den vom MDK angeforderten Unterlagen ergeben habe.

Die KK rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 39 Abs 1 Satz 3, § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V sowie § 17c Abs 2 KHG iVm § 7 Abs 2 Satz 4 bis 6 PrüfvV 2016.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Koblenz - S 1 KR 741/18, 31.10.2019
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 5 KR 239/19, 20.08.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/21.

Terminbericht

Die Revision der beklagten KK hatte im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg. Die hausärztliche Krankenhauseinweisung war wegen nicht fristgerechter Vorlage als Beweismittel präkludiert. Das LSG hätte ohne deren Berücksichtigung über den Vergütungsanspruch des Krankenhauses entscheiden müssen. Ebenso wie die entsprechenden Regelungen der PrüfvV 2014 enthält § 7 Abs 2 Satz 4 bis 9 PrüfvV 2016 eine materielle Präklusionsregelung. Nach § 7 Abs 2 Satz 3 bis 5 PrüfvV 2016 trifft das Krankenhaus darüber hinaus (insofern abweichend von der PrüfvV 2014) die Obliegenheit, die aus seiner Sicht zur Erfüllung des konkreten Prüfauftrags erforderlichen Unterlagen zu ergänzen. An diese Obliegenheit dürfen jedoch keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Mehr als eine kursorische Durchsicht der nicht angeforderten Behandlungsunterlagen daraufhin, ob diese für die Erfüllung des Prüfauftrags ersichtlich relevant sein können, kann vom Krankenhaus regelmäßig nicht erwartet werden. Der genaue Umfang der Mitwirkungsobliegenheit des Krankenhauses hängt auch vom Umfang und der Konkretisierung des jeweiligen Prüfauftrags ab. Bei einem umfassenden Prüfauftrag im Sinne einer sogenannten "Vollprüfung" ist für das Krankenhaus regelmäßig nur schwer abzuschätzen, welche Unterlagen prüfrelevant sein könnten. Es müsste dann zum Ausschluss einer Präklusion regelmäßig sämtliche Behandlungsunterlagen übersenden. Das widerspräche dem Ziel eines effizienten und schlanken Prüfverfahrens und würde die Verantwortung für die Festlegung des Prüfumfangs und der Prüftiefe vom MDK auf das Krankenhaus abwälzen. Bei Prüfaufträgen, die punktuell auf einzelne konkrete Fragestellungen beschränkt sind, kann vom Krankenhaus gegebenenfalls auch eine genauere Durchsicht der hierfür in Betracht kommenden Unterlagen verlangt werden.

Die Voraussetzungen der Präklusion lagen danach hier hinsichtlich der Krankenhauseinweisung der Hausärztin des Versicherten vor. Der Prüfauftrag des MDK war auf die Prüfung der Notwendigkeit der stationären Krankenhausaufnahme beschränkt. Die Relevanz der Krankenhauseinweisung für diesen Prüfauftrag war für das Krankenhaus auch bei kursorischer Durchsicht der Behandlungsunterlagen ohne weiteres erkennbar. Das LSG muss nunmehr feststellen, ob die Voraussetzungen des streitigen Vergütungsanspruchs ohne Berücksichtigung der präkludierten Krankenhauseinweisung nachweisbar sind.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/21.

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