Essen. Nach neun Monaten Sammelzeit nahm der OB am Dienstag 19.976 Unterschriften für das Klinikbegehren entgegen. Doch das ist erst die erste Hürde.

An der 20.000er-Marke fehlten ihnen nach eigener Zählung gerade mal mickrige 24 Unterschriften. Für die drei Sprecher des Klinik-Begehrens im Essener Norden dennoch kein Grund, an diesem Dienstagmorgen allzu missmutig dreinzuschauen: Taschen voller Listen mit 19.976 Unterstützern konnten sie Oberbürgermeister Thomas Kufen überreichten, die erste Hürde auf dem Weg zu einer städtischen Krankenhaus-GmbH, sie scheint genommen.

Und dies, obwohl sich die neun Monate dauernde Sammelaktion unter erschwerten Corona-Bedingungen nicht gerade als Selbstläufer erwies: „Das öffentliche Leben war ja lahmgelegt, und alle hatten sie mit ihrem eigenen Alltag in der Pandemie genug zu tun“, seufzt Jutta Markowski. Da könne man nicht noch selbstlosen Einsatz für die Sache erwarten.

„Jeder Zweite hat uns gefragt, ob er das nicht online erledigen kann“

Immerhin: Wo sie zwischen den Lockdowns auf die Straße gehen konnten, ob in Rüttenscheid oder Karnap, „da lief es wie geschnitten Brot“. Wenn auch analoge Unterschriften auf DIN A4-Formularen offenbar nicht das sind, was eine an digitale Medien gewöhnte Bürgerschaft für eine moderne Form der Beteiligung hält: „Jeder Zweite hat uns gefragt, ob er das nicht online erledigen kann“, sagt Hans Peter Leymann-Kurtz – und plädiert dafür, kommunale Verwaltung auch in dieser Hinsicht digitaler aufzustellen.

Klinikbegehren – das ist der Wortlaut

Wie so oft bei Bürgerbegehren mussten sich die Unterstützer durch eine komplizierte Formulierung kämpfen. Im Falle des Klinik-Begehrens geht sie so:

„Soll die Stadt Essen die ,Kommunale Kliniken Essen gGmbH’ gründen, und als deren Gesellschaftsgegenstand die Förderung der Gesundheitsversorgung in Essen, durch Erhalt, Reaktivierung sowie Neugründung von wohnortnahen Klinikstandortender Grund- und Regelversorgung festlegen?“

Hintergrund: Bei einem Bürgerbegehren (und dem späteren Bürgerentscheid) muss die Frage mit Ja oder Nein beantwortet werden können.

So mühselig der Kampagnen-Auftakt auch war, für den weiteren Verlauf zeigt sich die Initiative durchaus optimistisch, zumal man mit dem angepeilten Bürgerentscheid just am Tag der Landtagswahl, dem 15. Mai, eine Mobilisierung quasi Frei Haus erwartet. Doch auf dem Weg dorthin gibt es noch diverse Fallstricke.

In einer Woche soll die Prüfung der Unterschriften abgeschlossen sein

Eher gering ist das Risiko, zu wenig Unterschriften gesammelt zu haben. Laut Gemeindeordnung liegt die Hürde bei drei Prozent aller Wahlberechtigten für die letzte Kommunalwahl. Drei Prozent von 446.384 Essenerinnen und Essener, die im Herbst 2020 wählen durften, das macht ein Quorum von 13.392. Um hier zu scheitern, müsste jede dritte gesammelte Unterschrift des Klinik-Begehrens ungültig sein.

Damit rechnet niemand. Gewissheit besteht allerdings erst in ungefähr einer Woche, wie Guido Mackowiak vom Essener Wahlamt bestätigt. Rund 20 Mitarbeiter prüfen dort in dieser Zeit alle Unterschriften-Einträge darauf, ob jemand „eindeutig identifizierbar“ eingetragen ist und unterschrieben hat.

Rat, OB oder Bezirksregierung könnten das Vorhaben für unzulässig erklären

Voraussichtlich in seiner März-Sitzung muss der Stadtrat dann die Zulässigkeit des Klinik-Begehrens bestätigen. Hier wird es schon kniffliger, denn diese steht durchaus in Zweifel. Wegen möglicher finanzieller Belastungen durch eine Klinik-Gesellschaft hatte die Stadt im vergangenen Jahr sogar ein externes Gutachten in Auftrag gegeben und sich lange geweigert, eine Kostenschätzung vorzulegen.

An öffentlichen Mobilisierungsversuchen der Initiative gegen die Schließung zweier Kliniken mangelte es nicht. Doch neben Corona galt auch ein anderer Umstand als Problem: der Frust der Menschen vor allem im Norden, „dass sie das mit uns machen können“, erklärt Jutta Markowski.
An öffentlichen Mobilisierungsversuchen der Initiative gegen die Schließung zweier Kliniken mangelte es nicht. Doch neben Corona galt auch ein anderer Umstand als Problem: der Frust der Menschen vor allem im Norden, „dass sie das mit uns machen können“, erklärt Jutta Markowski. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Erst eine Niederlage vor dem Verwaltungsgericht konnte die Stadt umstimmen. Begründung der Richter damals: In einem so frühen Stadium müsse die Verwaltung über die Zulässigkeit nicht befinden, das sei später Sache des Rates. Der kann sich also weigern oder die Chose durchwinken, wobei auch der Oberbürgermeister oder am Ende sogar die Bezirksregierung in Düsseldorf Möglichkeiten hätte, das Verfahren zu torpedieren.

Abenteuerliche Idee: Umarmen, um dem Protest die Spitze zu nehmen

Unterstellt, der Stadt lässt das Bürgerbegehren zu, muss er im nächsten Schritt entscheiden, ob er dem Ansinnen beitritt oder nicht. In seinen kühnsten Träumen denkt mancher im Rathaus daran, der Initiative durch eine Umarmungstaktik den Spaß zu verderben: Schließlich braucht die Stadt auch für ihre geplante Stadtteil-Klinik auf dem Gelände des ehemaligen St. Vincenz-Krankenhauses in Stoppenberg eine Art Klinik-Gesellschaft. Dem Protest wäre damit die Spitze genommen, obwohl die Pläne dort eben nicht auf ein klassisches Krankenhaus der Grundversorgung hinauslaufen.

Als wahrscheinlicher gilt, dass der Rat – die Zulässigkeit vorausgesetzt – dem Begehren nicht beitritt und es damit zum Bürgerentscheid käme. Bei dem müsste die unter anderem von Arbeiterwohlfahrt, Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der SPD unterstützte Initiative erstens die Mehrheit und zweitens mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten für ihr Vorhaben gewinnen, also rund 44.700 Stimmen.

Scheitert die Zusammenlegung mit der Wahl an Vergabe-Fristen?

Keine leichte Sache. Angesichts der lange schleppenden Mobilisierung beim Begehren setzt man deshalb auf einen Bürgerentscheid am Tag der Landtagswahl, da wäre der Auftrieb garantiert. Doch Kenner der Materie bezweifeln bereits, dass sich dieser Termin erreichen lässt, weil womöglich Vergabe-Fristen für die fast 450.000 Abstimm-Benachrichtigungen nicht einzuhalten sind.

Die ganze Arbeit für die Katz, weil am Ende die Zeit nicht reicht – beim Gedanken daran wäre mancher reif für die Klinik.