Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 35/20 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - maschinelle Beatmung - Spontanatmungsstunden

Verhandlungstermin 10.03.2022 12:30 Uhr

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R. gGmbH ./. AOK Baden-Württemberg
Das klagende Krankenhaus behandelte einen bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten vollstationär vom 19.1. bis 1.2.2011 wegen eines generalisierten epileptischen Anfalls mit Verdacht auf Aspirationspneumonie und Tachypnoe. In der Zeit vom 27.1. bis 1.2. wurde er bei klinischem Bild einer Sepsis mit Tachypnoe und peripherem Kreislaufversagen intensivmedizinisch versorgt und zur Stabilisierung der Atmungs- und Kreislaufsituation über das Maskensystem Evita 4 intermittierend nicht invasiv beatmet (NIV-Beatmung). Das Maskensystem unterstützte die Atmung des Versicherten kalendertäglich jeweils mehr als sechs Stunden. Die reine Beatmungszeit betrug 77 Stunden. In den Spontanatmungsphasen kam Sauerstoffinsufflation zum Einsatz. Das Krankenhaus berechnete DRG A13G (Beatmung > 95 und < 250 Stunden ohne komplexe oder bestimmte OR-Prozedur, ohne intensivmedizin. Komplexbehandlung > 552 Punkte, ohne kompliz. Konstellation, Alter > 15 J., oder verstorben oder verlegt < 9 Tage, ohne kompl. Diagnose, ohne kompl. Prozedur) und erhielt hierfür 10 685,48 Euro. Die KK forderte später vergeblich 6174,49 Euro auf der Grundlage mehrerer Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zurück. Abzurechnen sei die geringer vergütete DRG B76C (Anfälle, mehr als ein Belegungstag, ohne komplexe Diagnostik u. Therapie, mit schw. CC, Alter < 3 J. od. mit komplexer Diagnose od. m. äußerst schw. CC, Alter > 15 J. od. ohne äußerst schw. od.oder schw. CC, mit EEG, mit kompl. Diagnose). Die KK kürzte in dieser Höhe unstreitige Rechnungsbeträge für die Vergütung der Behandlung anderer Versicherter. Das SG hat die KK - ua nach Einholung eines anästhesiologischen Gutachtens - verurteilt, dem Krankenhaus 6174,49 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Mit dem ersten Berufungsurteil vom 15.11.2016 hat das LSG die Berufung der KK zurückgewiesen. Der erkennende Senat hat dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen: Die für die Kodierung von Spontanatmungsstunden als Beatmungsstunden erforderliche Entwöhnung setze eine vorherige Gewöhnung des Patienten an die maschinelle Beatmung und den Einsatz einer Methode der Entwöhnung voraus. Hierzu habe das LSG noch weitere Feststellungen zu treffen.

Das LSG hat im wiedereröffneten Berufungsverfahren nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. B. und Vorlage weiterer Gutachten durch die Beteiligten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage des Krankenhauses abgewiesen. Es hat sich hierbei darauf gestützt, dass weder die Voraussetzungen für eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung nach den Kriterien der BSG-Rechtsprechung erfüllt seien, noch in den Krankenunterlagen eine Methode der Entwöhnung dokumentiert sei.

Das Krankenhaus rügt mit seiner Revision sinngemäß die Verletzung von § 62 SGG, § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 17b KHG, § 1 Abs 1, § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 9 Abs 1 Nr 1 und 3 KHEntgG und die Regelungen der DKR zur Berechnung der Beatmungsdauer sowie ausdrücklich die Verletzung von § 103 SGG: Das LSG habe den Begriff der Entwöhnung im Sinne der DKR unzutreffend und abweichend von der Rechtsprechung des erkennenden Senats angewandt.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Ulm - S 13 KR 3667/13, 06.08.2015
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 KR 717/18 ZVW, 23.07.2019

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Terminbericht

Der Senat hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Das LSG muss noch feststellen, ob eine Gewöhnung eingetreten ist und eine Methode der Entwöhnung angewandt wurde. Eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung setzt nach der Senatsrechtsprechung “die erhebliche Einschränkung oder den Verlust der Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können“ voraus. Hierfür genügt weder, dass die Beatmung als solche medizinisch notwendig ist, noch sind weitere Voraussetzungen zu erfüllen, etwa eine Adaption des Patienten an den Respirator oder eine beatmungsbedingte Schwächung der Atemmuskulatur. Zu der Feststellung, dass keine Methode der Entwöhnung angewandt wurde, genügt nicht, dass eine solche nicht dokumentiert ist. Es ist vielmehr zunächst von der Dokumentation auszugehen und diese tatrichterlich zu bewerten, ggf unter Heranziehung sachverständiger Hilfe oder Rückgriff auf bereits vorliegende Sachverständigengutachten. Bei Zweifeln muss das Tatsachengericht den Sachverhalt ergänzend aufklären, etwa durch Vernehmung der behandelnden Ärzte oder der behandelten Versicherten. Lässt sich nach Ausschöpfen der gebotenen Aufklärung nicht feststellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der abgerechneten Fallpauschale erfüllt gewesen sind, trägt das Krankenhaus die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen.

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