Dokumentationsmängel können sich bekanntlich prozessual nachteilig auswirken. Was gilt jedoch, wenn die Frist zur Aufbewahrung von Behandlungsunterlagen bereits überschritten ist?

Ein Kläger machte Schadensersatz nach einer Zirkumzision geltend, die bei ihm als 5-Jährigem 2003 erfolgt war. Schon die Diagnose Phimose sei falsch, der Eingriff nicht indiziert gewesen. Vielmehr hätte eine Salbentherapie erfolgen müssen. Auch die Aufklärung wurde gerügt. Infolge all dessen habe er heute Beschwerden und Erektionsstörungen. Es bestehe ein verstümmelter Zustand, eine Anpassungsstörung erfordere psychotherapeutische Behandlung.

So sah das Gericht den Fall

Nach Klageabweisung in erster Instanz wies das OLG Düsseldorf die Berufung zurück (Urt. v. 1.7.2021, Az. 8 U 165/20). Soweit sich der Sachverhalt noch rekonstruieren ließ, waren keine Versäumnisse festzustellen. Unstreitig war eine Phimose diagnostiziert und als "typisch hochgradig" notiert worden, die nach Anhörung des Oberarztes für ihn bedeutete, dass die Vorhaut entweder so eng war, dass sie sich gar nicht zurückschieben ließ oder ein Einschnürring unter der Eichel entstand. Auch wenn dies nicht detaillierter dokumentiert war, konnte der Kläger so das Vorliegen einer noch physiologischen Phimose nicht beweisen.

2003 war der Eingriff unter diesen Umständen nicht fehlerhaft. Der Gutachter hatte dargelegt, dass die Indikation hierfür bis heute recht unscharf sei und sich im Vergleich seit 2003 viel verändert habe. Aktuell sei eher eine zunehmende Verbreitung eines konservativen Therapieansatzes (lokale Steroide) zu bemerken. Das sei aber 2003 nicht schon im gleichen Maße diskutiert worden. Eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie existiere erst seit 2005 und in einem Standardwerk zur Kinderurologie 2003 war noch eine absolute OP-Indikation auch bei klinisch eindeutiger Phimose beschrieben. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie seien für Urologen nur bedingt relevant gewesen, im Übrigen boten auch diese Interpretationsspielraum. Einwände gegen diese Angaben, auch teils auf Privatgutachten gestützt, rechtfertigten höchstens die Annahme, dass zur Zeit der Behandlung noch kein (einheitlicher) Standard existierte. Dies galt auch für die Frage, ob präoperativ erst noch eine konservative Therapie hätte erfolgen müssen oder ob diese prinzipiell oder nach Abwägung von den Erfolgschancen verzichtbar gewesen sei.

Zumindest, dass eine solche Therapie auf jeden Fall eine echte Alternative im Sinne der Rechtsprechung schon 2003 gewesen wäre, also eine ebenso gleichwertige, übliche und eindeutige Therapie, ließ sich nicht sagen - zumal nach seinerzeitigem Schrifttum konservativ die Rezidivrate beachtlich war. Die Evidenz dieses anderen Behandlungsansatzes habe sich auch erst später verdichtet, da Metaanalysen dazu erst 2011 publiziert wurden. Auch die Aufklärung war damit nicht zu beanstanden.

Was bedeutet das Urteil für den klinischen Alltag?

Der Fall zeigt, wie sich auch fachärztliche Standards im Laufe der Jahre verändern können, was deshalb aber gerade zu beachten ist. Zudem spiegelt die Dokumentation natürlich den für eine Prüfung relevanten Sachverhalt, sodass dokumentierte Maßnahmen und Befunde als durchgeführt respektive erhoben sowie eventuell vorwerfbar nicht (genauer) dokumentierte als unterlassen gelten können. Dabei ist aber zu beachten, dass Art, Inhalt und Umfang der Dokumentation sich nach ihrem Zweck richten, der primär nun mal allein therapeutischen und nicht forensischen Interessen dient.

Andererseits kann der Relevanz des Fehlens, der Unzulänglichkeit oder der Unvollständigkeit einer Dokumentation auch schon entgegenstehen, dass sie gar nicht mehr aufzubewahren war. Denn muss ein Arzt Unterlagen nicht länger zivil- oder berufsrechtlich aufbewahren, was von Ausnahmen abgesehen (z. B., wenn mit späterer Inanspruchnahme bereits absehbar zu rechnen ist) grundsätzlich nicht länger als zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung der Fall ist, darf ihm wegen Vernichtung, Verlust oder Unvollständigkeit der Unterlagen nach diesem Zeitpunkt kein Nachteil mehr entstehen (OLG Hamm, Urt. v. 9.5.2017, Az. 26 U 91/16).