Hintergrund: Aktuelle Versorgungssituation in Deutschland

Der Diabetes mellitus ist in unserem Land eine Volkskrankheit mit enormer gesundheitspolitischer und ökonomischer Relevanz [51]. Waren im Jahr 2015 knapp 7 Mio. Menschen von einem Typ-2-Diabetes betroffen, geht man für das zu Ende gegangene Jahr 2021 von etwa 8,5 Mio. Fällen aus, für 2040 von etwa 11,5 Mio. Weitere 373.000 Menschen haben derzeit einen Diabetes mellitus Typ 1. Die Dunkelziffer wird auf weitere ca. 2 Mio. geschätzt, ist aber v. a. dank verbesserter Diagnosestellung rückläufig. Besonders betroffen sind die älteren Bevölkerungsgruppen mit einer Spitzenprävalenz von ca. 25 % im Alter um 80 Jahre [66].

Es besteht weiterhin ein deutlicher Bedarf nach qualifizierten stationären Behandlungsmöglichkeiten

Diese hohe, nicht zuletzt aufgrund der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung stetig steigende Zahl von Diabetespatienten wird ambulant vorwiegend von ca. 60.000 hausärztlichen Allgemeinmedizinern, Internisten sowie Diabetologen in ca. 1100 Diabetesschwerpunktpraxen betreut [51].

Trotz der starken Ambulantisierung der Diabetespatientenbetreuung in den letzten Jahren und der auch durch DMP (Disease-Management-Programme) gesicherten hohen Qualität der ambulanten Behandlungsangebote besteht weiterhin ein deutlicher Bedarf an qualifizierten stationären Behandlungsmöglichkeiten. Dieser resultiert jedoch nur zu einem kleinen Teil aus diabetologischen Notfällen, erschwerten Stoffwechseleinstellungen und schweren Diabeteskomplikationen wie dem diabetischen Fußsyndrom, sondern v. a. aus der großen Patientengruppe mit kardiovaskulären und renalen Folgeerkrankungen und schließlich aus jenen Patienten, bei denen der Diabetes mellitus eine klassische Nebendiagnose ohne direkte oder indirekte Kausalität mit der stationären Behandlungsdiagnose darstellt [51]. Nach einer sich auf DRG-Kodierungsdaten (DRG: „diagnosis related groups“) aller deutschen Krankenhauspatienten stützenden Studie wurden in den Jahren 2015–2017 jeweils 2,8 Mio. Diabetespatienten (etwas mehr als 17 % aller Krankenhausfälle im Alter ≥ 20 Jahre) mit einer anderen Hauptdiagnose stationär aufgenommen, z. B. wegen operativer Eingriffe in der Orthopädie, Urologie oder Chirurgie, aber auch in der Neurologie und Psychiatrie sowie in internistischen Fachabteilungen. Die höchsten Diabetesprävalenzen bestanden bei stationären Patienten in der 7.–9. Lebensdekade mit einer maximalen Prävalenz von 29,5 % bei Männern im Alter von 70–79 Jahren und von 26,8 % bei Frauen von 80–89 Jahren [2]. Da diese Daten auf der DRG-Kodierung beruhen, sind die realen Prävalenzen möglicherweise noch höher. Diese Annahme wird durch aktuelle Daten auf der Basis eines systematischen Aufnahmescreenings mit gezielter Befragung und HbA1c-Bestimmung (HbA1c: glykiertes Hämoglobin) in deutschen Krankenhäusern der universitären und Maximalversorgung gestützt, nach denen sogar etwa jeder vierte stationär aufgenommene Patient einen manifesten Diabetes mellitus hatte, ab einem Alter von 55 Jahren sogar nahezu jeder dritte. Bei einem signifikanten Anteil von Patienten (3,7–9,5 % aller Zugänge) war der Diabetes zuvor nicht bekannt und wurde erst durch das Screening befundet [34, 50]. Auf internistischen Stationen waren etwa 1/3 aller Patienten betroffen, in der Thorax- und kardiovaskulären Chirurgie und auf Intensiveinheiten sogar bis zu 40 % [34]. Im Vergleich zu der großen Zahl von Krankenhauspatienten mit der Nebendiagnose Diabetes mellitus machten die mehr als 200.000 Fälle pro Jahr, bei denen der Diabetes als Hauptdiagnose kodiert worden war, nur 1,21–1,26 % der Gesamtanzahl der stationären Behandlungen aus [2]. Dies liegt auch daran, dass im Falle konkurrierender Hauptdiagnosen der im Regelfall höhere Ressourcenverbrauch für die Diagnostik und Therapie kardiovaskulärer und renaler Erkrankungen diese und nicht den Diabetes mellitus als Hauptdiagnose qualifiziert. Die geringe, aber kontinuierliche Abnahme der Krankenhausfälle mit Diabetes mellitus in den letzten 2 Jahrzehnten spiegelt daher nur einen Teilaspekt der stationären Versorgung wider, und die stationären Leistungen für die Diagnostik und Therapie des Diabetes mellitus werden tendenziell unterbewertet. Daraus ergeben sich 2 wesentliche Konsequenzen: Einerseits lässt sich aus den GKV-Daten (GKV: gesetzliche Krankenversicherung) der außerstationäre Versorgungsbedarf für Patienten mit Diabetes mellitus – beispielsweise für die anschließende rehabilitative und ambulante Versorgung – nicht realistisch abschätzen. Andererseits resultiert für den stationären Bereich ein chronisch-schleichender Fehlanpassungsprozess („mismatch“): Die diabetologisch-stationäre Versorgung spielt sich überwiegend begleitend, sozusagen im Hintergrund, ab, während auch aus ökonomischen Gründen in den letzten Jahren viele Hauptabteilungen für Diabetologie bei gleichzeitiger Zunahme der stationären Behandlungskapazitäten in einigen anderen internistischen Schwerpunkten geschlossen wurden.

Nur noch 17 % der deutschen Krankenhäuser halten eine adäquate zertifizierte Diabetesexpertise vor

Nach einer gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (2020) wird nur noch in 17 % der 1914 deutschen Krankenhäuser eine adäquate zertifizierte Diabetesexpertise vorgehalten. Die Zahl der diabetologisch-endokrinologischen klinischen Lehrstühle an deutschen Universitäten hat sich in den letzten 3 Dekaden fast halbiert, sodass sich nur noch an 8 von 38 medizinischen Fakultäten ein klinischer Lehrstuhl für Diabetologie bzw. Endokrinologie mit Direktionsrecht findet [25]. Dass dies auch erhebliche Konsequenzen für die diabetologische Forschung und v. a. für den diabetologischen Kenntnisstand ärztlicher Universitätsabsolventen hat, liegt auf der Hand. Bedenkt man, dass einerseits ca. 20 % aller in deutschen allgemeinchirurgischen oder orthopädischen Fachabteilungen behandelten Menschen Diabetespatienten sind [34] und andererseits beispielsweise Patienten, die kolorektalen und bariatrischen Operationen unterzogen werden und eine postoperative Hyperglykämie aufweisen, ein signifikant erhöhtes Risiko für Reoperation und postoperativen Tod haben [36], erschließt sich die klinische Relevanz adäquater diabetologischer Fachkenntnisse bei ärztlichen Berufsanfänger*Innen sofort.

Komorbiditäten bei Diabetes mellitus

Menschen mit Diabetes haben abhängig v. a. von Erkrankungsdauer, Lebensalter, Geschlecht und sozialem Status im Vergleich zu Menschen ohne diese Stoffwechselerkrankung eine höhere Komorbidität und eine Exzessmortalität [11, 68]. Bei etwa 44–95 % der Diabetespatienten liegen eine oder mehrere zusätzliche chronische Erkrankungen vor [42, 56]. In einer deutschen Studie wurde zwischen 2005 und 2017 eine deutliche Zunahme der Diabetespatienten im Alter von über 65 Jahren beobachtet, bei denen mindestens 3 Komorbiditäten vorlagen [61].

Komorbiditätsaspekte des Diabetes werden oft nicht ausreichend wahrgenommen und berücksichtigt

Piette u. Kerr schlugen 2006 eine Typisierung der Diabeteskomorbiditäten in Cluster mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die medizinische Betreuung vor [58]:

Klinisch dominante Komorbiditäten.

Sie stehen für den Patienten und seine Behandler derart im Vordergrund, dass der Diabetes komplett in den Hintergrund tritt. Das sind einerseits Endstadien beispielsweise einer malignen oder kardiovaskulären Erkrankung, bei denen die Sorge um mögliche Spätfolgen des Diabetes ihre Relevanz verliert, andererseits auch akute Erkrankungen, bei denen der Diabetes aufgrund der Dramatik der klinischen Situation zumindest temporär aus dem Fokus der Wahrnehmung gerät. Die damit verbundene Priorisierung seitens des Patienten und/oder der Behandler kann auf unterschiedliche Weise negative Konsequenzen haben.

Konkordante Komorbiditäten.

Sie sind mit dem Diabetes ätiopathogenetisch und therapeutisch verknüpft. Dazu gehören vordergründig die traditionellen mikro- (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie) und makrovaskulären (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Schlaganfall) Diabetesfolgekrankheiten [11, 61], aber auch andere (nichttraditionelle) ätiopathogenetisch assoziierte Komorbiditäten wie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) mit ihren Komplikationen bis hin zum hepatozellulären Karzinom (HCC: [85, 89]), die akute und chronische Pankreatitis [18, 57, 90], das duktale Adenokarzinom des Pankreas [12] und weitere Krebserkrankungen mit metabolischen Verknüpfungen zum Diabetes [69, 75]. Die Erkenntnisse zum (bidirektionalen) Zusammenhang dieser konkordanten Komorbiditäten mit dem Diabetes und den sich daraus ergebenden diagnostisch-therapeutischen Konsequenzen sind teilweise relativ neu und noch nicht flächendeckend von Ärzten aller Fachrichtungen realisiert.

Nichtkonkordante (d. h. ätiopathogenetisch nicht sicher verknüpfte) Komorbiditäten.

Bei Komorbiditäten wie Asthma bronchiale und COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung), Depression, anderen psychiatrischen Erkrankungen und Osteoarthritis/chronischem Rückenschmerzsyndrom [7, 87] bestehen keine klaren pathophysiologischen oder therapeutischen Zusammenhänge mit dem Diabetes.

Die Konsequenzen der unterschiedlichen Komorbiditätscluster auf die medizinische Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus – Priorisierung von Erkrankungen bezüglich der Ressourcen für ihre Diagnostik und Therapie oder auch Synergismen in der Behandlung – sind Gegenstand wissenschaftlicher Forschung [7]. Im Falle einer stationären Aufnahme wegen konkordanter (insbesondere traditioneller) Begleiterkrankungen ist davon auszugehen, dass der Diabetes mellitus als sog. Grunderkrankung im Regelfall anamnestisch erfragt, in seiner ätiopathogenetischen Relevanz wahrgenommen, im Betreuungsprozess berücksichtigt sowie im DRG-System adäquat kodiert werden wird. Umgekehrt darf es als selbstverständlich gelten, dass bei der Aufnahme von Patienten mit der Hauptdiagnose Diabetes mellitus in einer diabetologischen oder internistischen Fachabteilung die traditionellen konkordanten Komorbiditäten erfasst und berücksichtigt werden. Aber schon bei den nichttraditionell konkordanten Komorbiditäten bedarf es einer besonderen Aufmerksamkeit für die Nebendiagnose Diabetes mellitus bzw. umgekehrt, um die pathophysiologischen Zusammenhänge erfassen und daraus klinische Entscheidungen ableiten zu können. Erfolgt die stationäre Behandlung primär wegen einer nichtkonkordanten Erkrankung, ist das Risiko, v. a. auch bei akuten Einweisungen und operativen Indikationen, am höchsten, dass nicht gezielt nach einem Diabetes gefragt und gescreent wird und im gesamten stationären Management der Diabetes, dessen Therapie unter veränderten Bedingungen und die Auswirkungen der diabetischen Stoffwechsellage auf Behandlungsverlauf und -risiken nicht vorausschauend oder nicht ausreichend reflektiert werden. Spezialisten insbesondere aus nichtinternistischen Fachdisziplinen verfügen häufig nicht über eine ausreichende klinische Vigilanz für die Wahrnehmung der angesprochenen Komorbiditätsaspekte des Diabetes mellitus. Insofern bedarf es einer konsequent interdisziplinären und ganzheitlichen Ausrichtung des diagnostischen und konsiliarischen Handelns sowie auch der Fortbildungsaktivität klinisch tätiger Diabetologen.

Klinische Relevanz der Nebendiagnose Diabetes mellitus

Morbidität, Mortalität, stationäre Verweildauer und Rehospitalisierung

Die bereits erwähnte, auf DRG-Codes basierende deutschlandweite Analyse aller stationären Behandlungsfälle mit der Haut- oder Nebendiagnose Diabetes mellitus [2] macht in Übereinstimmung zu internationalen Daten deutlich, dass die Prävalenz des Diabetes 2015 unter den Krankenhauspatienten (18,28 %) im Vergleich zu der für das gleiche Jahr vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) veröffentlichten Diabetesprävalenz in der gesamten Bevölkerung (9,8 %) annähernd doppelt so hoch war. Dies bedeutet, dass die oft multimorbiden Patienten mit Diabetes mellitus einen erheblich höheren stationären Versorgungsbedarf aufweisen als nicht an dieser Stoffwechselerkrankung leidende Menschen. Ab einem Alter von 40 Jahren waren bei den hospitalisierten Diabetespatienten kardiovaskuläre Erkrankungen deutlich häufiger vertreten als bei Krankenhauspatienten ohne Diabetes mellitus, ab einem Alter von 50 Jahren auch Erkrankungen des respiratorischen und des urogenitalen Systems.

Menschen mit Diabetes haben einen erhöhten stationären Versorgungsbedarf mit längerer Verweildauer

Darüber hinaus waren stationäre Verweildauer (insbesondere im Alter zwischen 40 und 69 Jahren und bei Typ-1-Diabetes-Patienten) und Letalität der Menschen mit Diabetes signifikant höher als jener ohne diese Stoffwechselerkrankung. Bei Patienten in der 8. Lebensdekade war die Letalitätsdifferenz besonders hoch (2017: 3,7 % vs. 2,8 %; [2]). Auch aus einem süddeutschen Universitätskrankenhaus wurden eine überdurchschnittliche stationäre Verweildauer von Diabetespatienten (+1,47 Tage im Vergleich zur mittleren Verweildauer für die jeweilige DRG-Kategorie) sowie ein relatives Risiko von 1,5 für die Entwicklung von Komplikationen berichtet [34]. In einer aktuellen Literaturübersicht wurde eine erhöhte 30-Tage-Wiederaufnahmerate bei Diabetespatienten beschrieben [60]. Nach Daten aus dem „National Diabetes Inpatient Audit“ benötigten 2017 in England 1,3 % aller Krankenhauspatienten mit Diabetes eine i.v. Hypoglykämiebehandlung, 3,6 % der Typ-1-Diabetes-Patienten erlitten eine diabetische Ketoazidose, 0,2 % der Menschen mit Typ-2-Diabetes einen hyperosmolar-hyperglykämischen Notfall und ca. 1 % der Diabetespatienten ein diabetisches Fußsyndrom. Medikationsfehler wurden in 31,1 % der Fälle und Insulinanordnungsfehler bei 40,4 % aller Typ-1-Diabetes-Patienten registriert [8]. Vergleichbare Untersuchungen aus Deutschland sind nicht verfügbar.

Operative Eingriffe

Für Menschen mit operativen Eingriffen sind die Daten über den Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und erhöhten HbA1c-Werten (≥ 6,5 %) bei nicht vorbekanntem Diabetes mellitus und perioperativer Hyperglykämie sowie postoperativen Komplikationen und Krankenhausverweildauer relativ heterogen. Prospektive Studien und metaanalytische Daten zeigten mit großer Übereinstimmung, dass in der allgemeinen und Abdominalchirurgie einschließlich der kolorektalen und bariatrischen Chirurgie Diabetes mellitus ein Risikofaktor für vermehrte chirurgische Komplikationen (insbesondere Anastomoseninsuffizienzen und Wundinfektionen) ist [16, 46, 67]. In einer aktuellen großen Studie erwies sich Diabetes als ein unabhängiger Prädiktor für Komplikationen nach orthopädischen Eingriffen [76], während in früheren Untersuchungen kein signifikanter Unterschied im Auftreten von postoperativen Gelenkinfektionen, Revisionen oder Beinvenenthrombosen bei Patienten mit erhöhtem HbA1c-Wert festgestellt worden war. Auch nach kardiovaskulären Eingriffen haben Diabetespatienten ein erhöhtes Komplikations- und Letalitätsrisiko, insbesondere bei schlechter präoperativer Stoffwechseleinstellung [1, 22, 35]. Eine besonders durch postoperative Komplikationen gefährdete Gruppe sind Patienten, bei denen ein Diabetes bisher nicht vorbekannt war, bei stationärer Aufnahme aber ein erhöhter HbA1c-Wert festgestellt wurde. Das Risiko in diesen Fällen ist höher als bei Patienten mit vorbekanntem Diabetes mellitus [24, 29].

Hyperglykämien gehen mit einer erhöhten postoperativen Morbidität und Mortalität einher

Spontane oder medikamentös induzierte perioperative Hyperglykämien erhöhen bei Patienten sowohl mit als auch ohne vorbekannten Diabetes mellitus die postoperative Morbidität und Mortalität, die aber durch eine Insulintherapie weitgehend normalisiert werden kann [23, 70]. Kürzlich wurde an einer sehr großen Kohorte gezeigt, dass eine präoperative Hyperglykämie bei Patienten mit nichtkardialer Chirurgie die Häufigkeit von durch Troponinmessung dokumentierten postoperativen Myokardischämien und die 30-Tages-Mortalität erhöht [55]. Auch für internistische Krankenhauspatienten, beispielsweise mit ambulant erworbener Pneumonie [48] oder mit COVID-19 („coronavirus disease 2019“; [26, 63]), wurde ein negativer prognostischer Einfluss von Hyperglykämie berichtet. Eher langfristig ist der multifaktorielle Effekt der Transplantation solider Organe auf das Risiko der Entwicklung eines Diabetes mellitus (Tab. 1, [6, 27, 30, 37]).

Tab. 1 Organtransplantationen und Risiko der Entwicklung eines Diabetes mellitus

Stresshyperglykämie

Intensiv diskutiert wird der Stellenwert der sog. Stresshyperglykämie bei kritisch kranken, insbesondere intensivmedizinisch betreuten Patienten, die ein sehr häufiges Phänomen darstellt und auf transienten inflammatorischen, endokrinen und metabolischen Reaktionen auf akute Erkrankungen beruht. Zahlreiche Studien ergaben einen starken Zusammenhang zwischen Stresshyperglykämie und schlechtem klinischem Outcome einschließlich Mortalität, Morbidität (insbesondere infektiösen Komplikationen) und Aufenthaltsdauer mit deutlich stärkerer Ausprägung für Patienten ohne zuvor dokumentierten als für solche mit vorbekanntem Diabetes. Dies gilt beispielsweise für Menschen mit akutem Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Sepsis [5, 53, 73]. Der prognostische Zusammenhang mit der Glykämie folgt in den meisten Studien einer U‑ oder V‑förmigen Kurve, d. h. milde Stresshyperglykämien sind offenbar Ausdruck einer sinnvollen, überlebenssichernden adaptiven Regulation, während schwere hyperglykämische Stoffwechselentgleisungen, starke Blutzuckerschwankungen (glykämische Variabilität > 20 %), (auch milde) Hypoglykämien sowie eine große Differenz zwischen dem aus dem HbA1c errechneten mittleren Blutzuckerwert vor der Aufnahme auf die Intensiveinheit und dem mittleren Blutzuckerwert während der Intensivbetreuung (glykämische Lücke) zuverlässige negative Prognosemarker sind. Offenbar ist eine Stresshyperglykämie insbesondere für Patienten ohne Konditionierung auf ein moderates Hyperglykämieniveau schädlich [33, 40, 53, 73].

Konservative Therapien

Für Patienten nichtoperativer Fächer sind bei der Nebendiagnose Diabetes die Auswirkungen medikamentöser Therapien, aber auch metabolische Effekte akuter und chronischer Erkrankungen zu berücksichtigen (Tab. 2). Bestimmte Tumortherapien gehen mit einem erhöhten Risiko für Hyperglykämie und Diabetes mellitus einher, wobei sich Schwere und zeitliche Latenz zwischen Therapiebeginn und Hyperglykämie zwischen den relevanten Substanzgruppen erheblich unterscheiden. Aufgrund ihres zunehmenden Einsatzes in der modernen onkologischen Therapie verdienen insbesondere Immuncheckpointinhibitoren Aufmerksamkeit. Wenngleich selten (0,2–4,9 %), manifestiert sich der autoimmun vermittelte Diabetes hier mit sehr variabler Latenz oft hochakut und in 78 % der Fälle mit einer Ketoazidose [31, 83]. Besondere Risikofaktoren für Hyperglykämien sind auch eine Glukokortikoidbehandlung [41, 77] sowie enterale und parenterale Ernährung [17, 39, 52, 71].

Tab. 2 Risiko von Ernährungs- und medikamentösen Therapien für die Entwicklung von Hyperglykämie bzw. Diabetes mellitus

Metabolische Effekte akuter und chronischer Krankheiten

Abhängig von Ätiologie, Schweregrad und Bestehen von Nekrosen entwickeln 23 % aller Patienten mit akuter Pankreatitis einen Diabetes, davon fast 2/3 mit Insulinabhängigkeit [19, 57, 59, 90]. Bei chronischer Pankreatitis beträgt die Diabetesprävalenz nach 5 Jahren 33 %, bei ca. der Hälfte der Patienten mit Insulinabhängigkeit [15, 18, 57]. Umgekehrt prädisponiert das Vorbestehen eines Diabetes mellitus für die Entwicklung einer akuten Pankreatitis und einen schweren Verlauf [49, 54]. Die Assoziation von neu manifestiertem Diabetes mellitus und Pankreaskarzinom [4, 12, 62] könnte im Kontext anderer Risikomarker Bedeutung für die Durchführung von Screeninguntersuchungen auf Pankreaskarzinom erlangen [65, 81]. Diabetes prädisponiert zudem auch für einige andere maligne Erkrankungen, und Hyperglykämie scheint die Effektivität der Chemotherapie und die Prognose negativ zu beeinflussen [3, 31, 69, 75].

Patienten mit Krebs und Diabetes profitieren prognostisch von einer Metformintherapie

Aus den genannten Assoziationen ergeben sich teilweise auch praktische Konsequenzen für die spezifische Therapie der Nebendiagnose Diabetes mellitus. Beispielsweise spricht kumulierte Evidenz entgegen einem vielfach praktizierten Vorgehen sehr stark dafür, dass Patienten mit Krebserkrankungen und Diabetes mellitus prognostisch von einer Therapie mit Metformin profitieren [3, 79, 84]. Dies gilt unabhängig vom Behandlungskonzept auch für das Pankreaskarzinom [62, 72, 88, 91]. Auch bei Menschen mit einem pankreopriven Diabetes mellitus wird Metformin als Basis der antidiabetischen Therapie empfohlen [57].

Bei chronischen Lebererkrankungen besteht ebenfalls eine bidirektionale, prognostisch negative Assoziation mit dem Diabetes. Nicht nur die NAFLD, sondern auch chronische Hepatitis, Hämochromatose und Leberzirrhose gehen mit einer hohen Inzidenz des Diabetes mellitus einher. Darüber hinaus fördern Diabetes und Hyperglykämie die Progression chronischer Lebererkrankungen zur Zirrhose und erhöhen das Risiko für Komplikationen und insbesondere das HCC [21, 64, 74, 89]. Umgekehrt haben Patienten mit NAFLD – korrelierend mit dem Schweregrad der Fibrose – ein mehr als 2fach erhöhtes Risiko der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes [45]. Neue Befunde zum positiven Einfluss einer guten glykämischen Kontrolle und insbesondere der Therapie mit Metformin, GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1: „glucagon-like peptide 1“) und SGLT-2-Hemmern (SGLT-2: „sodium glucose linked transporter 2“) auf den Verlauf chronischer Lebererkrankungen und das HCC-Risiko haben in der klinischen Praxis noch nicht ausreichend Resonanz gefunden (Tab. 3, [13, 14, 32, 43, 44]). Klinische Bedeutung kommt auch der Tatsache zu, dass bei Leberzirrhose die gemessenen HbA1c-Spiegel in der Tendenz falsch-niedrig sind und andere mit chronischen Lebererkrankungen, ihren Komplikationen und ihrer Behandlung assoziierte Faktoren die Verlässlichkeit des Screenings und Monitorings von Patienten mit Diabetes und Lebererkrankungen durch HbA1c-Messung erheblich einschränken.

Tab. 3 Risiko der Entwicklung von Hyperglykämie bzw. Diabetes mellitus bei Pankreas- und Lebererkrankungen

Die (prä-)terminale Niereninsuffizienz führt zu einem erhöhten Hyper-, aber auch Hypoglykämierisiko. Einerseits geht Urämie mit einer ausgeprägten Insulinresistenz einher, andererseits nimmt ab einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) < 15–20 ml/min die renale Clearance von endogenem und exogen zugeführtem Insulin deutlich ab. Während intermittierende Hämodialyse starke Schwankungen der Insulinclearance verursacht, kommt es bei Peritonealdialyse zu einer ausgeprägten peritonealen Glukoseabsorption. Sowohl Hyperglykämie als auch starke Blutzuckerspiegelschwankungen verschlechtern die ohnehin schlechte Prognose dieser Patienten. Die Insulindosen müssen an den Dialysetagen modifiziert werden [9]. Im Kontext akuter Erkrankungen sind die potenziellen Nebenwirkungen der antidiabetischen Medikation zu berücksichtigen, insbesondere das Risiko von schweren Laktatazidosen unter Metformin und von Ketoazidosen unter SGLT-2-Inhibitoren. Zu schweren und prolongierten Hypoglykämien kann es unter verschiedenen oralen Antidiabetika (insbesondere Sulfonylharnstoffen) oder Insulin bei gleichzeitig unmöglicher Nahrungsaufnahme und/oder sich verschlechternder Nierenfunktion, bei Intoxikationen (Alkohol, Antidiabetika) und bei schweren Lebererkrankungen kommen [9].

Fazit für die Praxis

  • Jeder 6. Krankenhauspatient in Deutschland hat einen Diabetes mellitus (DM) als Nebendiagnose – mit erhöhtem stationärem Behandlungsrisiko.

  • Bei stetig rückläufiger Zahl stationärer Fälle mit der Hauptdiagnose DM entwickelt sich die stationäre Diabetologie zunehmend zu einem interdisziplinären Querschnittsfach mit hoher medizinischer und gesundheitsökonomischer Relevanz.

  • Die hohe Prävalenz des DM auch in nichtinternistischen Krankenhausabteilungen stellt Ärzte aller Fachrichtungen vor die Notwendigkeit zur Aneignung diabetologischer Basiskenntnisse. Dafür müssen bereits im Medizinstudium ausreichende Grundlagen geschaffen werden.

  • Wahrnehmung und Verständnis der oft bidirektionalen pathophysiologischen und therapeutischen Zusammenhänge zwischen Behandlungsdiagnosen und der Nebendiagnose DM sind für Therapieerfolge und Risikominimierung entscheidend.

  • Die konsiliarische und Fortbildungsaktivität klinisch tätiger Diabetologen muss konsequent interdisziplinär und ganzheitlich ausgerichtet werden.