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Sibylle Berg

Pflegesektor nach Corona Alles wird nicht gut

Sibylle Berg
Eine Kolumne von Sibylle Berg
In der Pandemie hat sich gezeigt, woran es in der Gesundheitsbranche mangelt: Personal, gute Bezahlung, Wertschätzung. Gebracht hat diese Erkenntnis wenig.
Blick in die Zukunft (Symbolbild): Keine Besserung für ArbeitnehmerInnen und NichtkapitalistInnen

Blick in die Zukunft (Symbolbild): Keine Besserung für ArbeitnehmerInnen und NichtkapitalistInnen

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Alice Adler / Getty Images/fStop

Was ein schönes Klimawandelwetterchen da draußen. Aber jetzt mal nicht sorglos werden. Wir müssen uns sorgen und ängstigen. Denn ohne Angst könnte man sich fragen, warum man eigentlich immer Angst hat, da doch klar ist, wie alles ausgeht. Egal.

Seien Sie gewarnt und begegnen Sie Naturkatastrophen, Inflation, Wassermangel und Krankheit mit Eigenverantwortung. Sprich: alles deine Schuld, lieber Mensch. Etwas mehr Eigenverantwortung könnte man auch beim Gesundheits- und Pflegepersonal vorausgesetzt haben. Augen auf bei der Berufswahl. Warum haben Sie nicht geerbt? Wir haben gelobt, vielleicht hat auch eine Gesundheitswesen-Mitarbeitende den Deutschen Verdienstorden bekommen? Nein, nicht? Ja nun.

Aber sicher haben alle Regierenden Europas aus der Pandemie gelernt. Die Privatisierungen von Krankenhaus und Pflege rückgängig gemacht , weil wir gelernt haben, dass Rendite immer nur eines will: mehr Rendite. Nein, nicht? Okay, vermutlich wurden aber Berufe im Gesundheitswesen durch massive Gehaltsaufstockungen aufgewertet, Krankenhäuser in infrastrukturarmen Gegenden wieder in Betrieb genommen. Oder muss gespart werden?  

Nun, am besten man überlässt die ganze Geschichte den Märkten, die bekanntermaßen alles regeln und sich immer um das Wohl der Arbeitenden kümmern .

Gerade haben Mitarbeitende des Gesundheitswesens eine Petition lanciert. Unter Notruf NRW  haben sie ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen beschrieben. O-Ton: »Wir stellen seit Jahren fest, dass wir mit viel zu wenig Personal immer kränkere PatientInnen in immer komplexer werdenden Versorgungssituationen betreuen müssen. Durch dieses Ungleichgewicht sehen wir uns im Berufsalltag immer mehr PatientInnengefährdenden Situationen gegenüber. Das können wir mit unserem Berufsethos nicht länger vereinbaren.«

Zusammen mit Ver.di werden Kliniken in verschiedenen Städten bestreikt , nach über zwei Jahren Pandemie und Dauerstress ein beschämender Fakt. Leider stehen auch nach Verhandlungen keine dramatischen Verbesserungen an. Denn wenn man eines sicher behaupten kann: Nichts verbessert sich für ArbeitnehmerInnen und Nichtkapitalisten momentan.

KeineR fragt sich, wie ernst man eigentlich Regierungen nehmen kann, die mit vollem Bewusstsein die Älteren, Kranken, die Notleidenden, die Opfer einer Seuche, die Opfer der Umwelt und die des Stresses mit einer angeblichen Eigenverantwortung verhöhnen. Personalnotstand, aber Hurra zur Aufstockung der Militärausgaben – das fällt mir unzusammenhängend ein. Hurra zur Rettung von Banken und der Sanierung der Automobilbranche.

JedeR Regierungsverantwortliche, der heute gegen eine sehr starke Aufwertung der Pflege und des Gesundheitswesens votiert, liegt sehr vermutlich irgendwann in einem Krankenhaus, in einem Altenheim, in einem Hospiz oder Rehazentrum, weil er, seiner schlampigen Eigenverantwortung geschuldet, Hilfe benötigt.

Er oder sie wird sich nach der Entlassung eventuell mit einem Blumenstrauß bedanken oder mit einer Schachtel Pralinen. Zurück in der Politik wird er oder sie sich freuen, dass so viele verantwortliche BürgerInnen unbezahlt in der Care-Arbeit tätig sind. Geflohenen helfend, Menschen aus dem Meer ziehend, Suppe ausschenkend, Konzerte für Krankenhaus und Pflege-Mitarbeitende  gebend, Tafeln betreibend. Kurz: dass so viele die Kollateralschäden zu mildern versuchen, die ein ungerechtes, altmodisches ökonomisches System eben so anrichtet.