L 4 KR 4017/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 63/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4017/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Neukodierung einer Nebendiagnose erst im gerichtlichen Verfahren nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ohne Abänderung der strittigen DRG ist zulässig und stellt keine Änderung des Streitgegenstands dar. Für die Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung, das nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen bei Nachforderungen eines Krankenhauses heranzuziehen ist, ist in einem solchen Fall kein Raum.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens auch im Berufungsverfahren.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 16.941,84 € festgesetzt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von weiteren 16.941,84 € aufgrund einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Krankenhaus.

Der 2013 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte H (im Folgenden Versicherter) wurde nach einem vorzeitigen Blasensprung als frühgeborenes Zwillingskind mit einem Geburtsgewicht von 1.740 g geboren. Er befand sich ab dem Tag seiner Geburt bis zum 13. Mai 2013 in stationärer Behandlung der Klägerin. Er litt insbesondere unter einem die Beatmung erfordernden Atemnotsyndrom mit respiratorischer Insuffizienz, einer Hypotonie, einer Störung des Natrium-, Calzium- und Magnesiumhaushalts, einer Retinopathie, einer Trinkschwäche und einem offenem Foramen ovale am Herzen. U.a. wurde aufgrund eines Amnioninfektionssyndroms der Mutter in der ersten Lebenswoche eine antibiotische Kombinationstherapie verabreicht und aufgrund der Hypotonie eine Kreislaufunterstützung mit Katecholaminen durchgeführt.

Die Klägerin stellte der Beklagten unter dem 22. Mai 2013 für die Behandlung des Versicherten insgesamt 44.079,49 € in Rechnung. Dabei kodierte sie nach dem 2013 geltenden Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) als Hauptdiagnose P07.12 (Neugeborenes: Geburtsgewicht 1.500 bis unter 2.500 Gramm) und als Nebendiagnosen u.a. P00.2 (Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch infektiöse und parasitäre Krankheiten der Mutter) und P37.9 (angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet) und gelangte so zu der Fallpauschale (DRG = Diagnosis Related Group) P04A (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1.500 – 1.999 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, mit mehreren schweren Problemen oder mehrzeitigen komplexen OR-Prozeduren, mit Beatmung > 240 Stunden). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig und leitete nachfolgend eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein (Prüffrage: „Ist die DRG korrekt?“; „Nebendiagnosen plausibel?“). In ihrem Gutachten vom 11. Juli 2013 vertrat S die Auffassung, dass die Nebendiagnose P37.9 durch die Nebendiagnose P02.7 (Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch Chorioamnionitis) zu korrigieren sei. Es habe der Verdacht auf eine Amnioninfektion bestanden, weshalb eine antibiotische Therapie über sieben Tage hinweg erfolgt sei. Unter Zugrundelegung der insoweit geänderten Nebendiagnose gelangte S zu der DRG PO4C (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1.500 bis 1.999 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung > 95 Stunden, ohne mehrere schwere Probleme, ohne mehrzeitige komplexe OR-Prozeduren). Die Beklagte bat die Klägerin um die Übermittlung korrigierter Datensätze, wogegen die Klägerin mit Schreiben vom 28. August 2013 Widerspruch erhob. Die Beklagte zog erneut den MDK hinzu, wobei O unter dem 9. Juni 2016 ausführte, dass eine angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit bzw. eine Sepsis nicht nachvollzogen werden könne, sodass weder die Nebendiagnose P37.9 noch die im Vorgutachten herangezogene Nebendiagnose P02.7 zu kodieren sei. Hieraus resultiere weiterhin die DRG P04C. Der erneuten Bitte der Beklagten (Schreiben vom 13. Juni 2016), ihr innerhalb von vier Wochen korrigierte Datensätze zu übersenden, da der überzahlte Betrag andernfalls verrechnet werde, kam die Klägerin nicht nach, worauf die Beklagte den Differenzbetrag in Höhe von 16.941,84 € am 16. September 2016 mit Forderungen der Klägerin aus unstreitigen Behandlungsfällen aufrechnete.

Am 5. Januar 2017 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Ziel Klage, die Beklagte zur Zahlung von 16.941,84 € zuzüglich Zinsen zu verurteilen. Sie machte geltend, zutreffend die Nebendiagnose P37.9 kodiert zu haben. Der MDK habe unberücksichtigt gelassen, dass eine Verdachtsdiagnose auch dann zu kodieren sei, wenn sich am Ende des stationären Aufenthalts eine Krankheit weder bestätigt habe noch sicher habe ausgeschlossen werden können. Die Verdachtsdiagnose könne als Nebendiagnose kodiert werden, wenn eine entsprechende Behandlung, wie vorliegend eine Antibiose, erfolgt sei. Hierzu legte sie die Stellungnahme ihres L vom 24. Oktober 2016 vor.

Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf das Gutachten des O entgegen und machte geltend, bei dem Versicherten seien keinerlei Anzeichen für eine Infektion festgestellt worden. Lediglich bei der Mutter habe vorgeburtlich ein CRP-Anstieg vorgelegen. Der CRP-Wert beim Versicherten sei durchgängig negativ gewesen, weshalb die Vermutung einer Infektion nicht nachvollziehbar sei. Auch die sonstigen Erkrankungen und Symptome des Kindes hätten einen Infektionsverdacht nicht begründet.
 
Das SG holte das Gutachten nach Aktenlage des S1, Arzt für Gynäkologie, vom 7.Juli 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 22. Oktober 2018 ein, der ausführte, dass bei der schwangeren Patientin die Verdachtsdiagnose einer Chorioamnionitis bestanden habe, was nicht zweifelhaft sei. Diese sei durch Verabreichung eines Antibiotikums in effizienter Weise (an)behandelt worden. Zur dauerhaften Beseitigung einer Chorioamnionitis sei nachgeburtlich beim Versicherten eine Fortsetzung der Therapie erforderlich gewesen. Der fehlende Erregernachweis beim Versicherten belege nicht, dass die Verdachtsdiagnose einer Chorioamnionitis nicht zu stellen gewesen sei, zeige aber, dass die vorgeburtlich begonnene Verabreichung von Antibiotika zum Zeitpunkt der Geburt so effektiv gewesen sei, dass beim neugeborenen Kind weder ein Keimnachweis in den Blutkulturen und Abstrichen zu führen war noch positive Entzündungsparametern im Labor zu beobachten waren. Da eine angeborene infektiöse oder parasitäre Erkrankung beim frühgeborenen Kind weder durch Erregernachweis noch durch einen positiven Ausfall von Entzündungsparametern im Labor belegt worden sei, sei die Kodierung von P37.9 nicht gerechtfertigt. Zusätzlich sei jedoch die katecholaminpflichtige arterielle Hypotonie zu kodieren (P29.0: Herzinsuffizienz beim neugeborenen Kind), die im Hinblick auf Volumenersatz, Bilanzierung und Monitoring einen erheblichen therapeutischen Aufwand nach sich gezogen habe. Im Übrigen sei die Kodierung P00.2 unzutreffend und durch P00.8 (Schädigung des Fetus durch sonstige Umstände der Mutter, einschließlich Schädigung des Fetus oder Neugeborenen durch Infektionen des Genitaltrakts der Mutter und mütterliche Infektionen an sonstigen Lokalisationen) zu ersetzen. Aus der Kodierung dieser Nebendiagnosen resultiere gleichermaßen die DRG P04A.

Die Klägerin sah sich durch das Gutachten des S1 darin bestätigt, zutreffend die DRG P04A abgerechnet zu haben. Zu den Einwendungen der Beklagten, die Hinzukodierung der Nebendiagnose P29.0 sei unzulässig (hierzu nachfolgend), vertrat sie die Auffassung, die Beklagte berufe sich insoweit zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur nachträglichen Rechnungskorrektur. Diese betreffe nur eine „echte Nachberechnung“, bei der sich nach einer Korrektur der Rechnung der Abrechnungsbetrag erhöhe. Mit ihrer Klage habe sie jedoch den ursprünglich geltend gemachten, von der Beklagten nicht vollständig bezahlten Betrag weiterverfolgt und damit den noch offenen Rechnungsbetrag der gerichtlichen Überprüfung unterworfen. Sie verwies auf die Urteile des BSG vom 23. Juni 2015 (B 1 KR 13/14 R – juris, Rn. 21) und 23. Mai 2017 (B 1 KR 27/16 R – juris, Rn. 14 f.), durch die höchstrichterlich geklärt sei, dass der „bloße“ Austausch der Nebendiagnose zulässig sei. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass eine Verwirkung vorliege. Nach diesem nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen anzuwendenden Rechtsinstitut dürften Krankenkassen davon ausgehen, dass eine einmal gestellte, nicht beanstandete Schlussrechnung von den Krankenhäusern nicht nachträglich korrigiert werde und Nachforderungen erhoben würden, die ihre Kalkulationsgrundlage beeinträchtigten. Vorliegend seien durch die Beklagte aber von Anfang an die Nebendiagnosen beanstandet und ein MDK-Prüfverfahren eingeleitet worden. Ein Vertrauenstatbestand der Beklagten habe daher gerade nicht vorgelegen.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Sachverständige habe die von ihr vertretene Ansicht bestätigt, wonach die Nebendiagnose P37.9 nicht zu kodieren sei, weshalb der Behandlungsfall in die Abrechnung des DRG P04C münde. Die Ausführungen des S1 zur Kodierung der Nebendiagnose P29.0 hätten für den vorliegenden Streitfall keine Relevanz, da deren nachträgliche Hinzukodierung unzulässig sei. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG zur nachträglichen Rechnungskorrektur verbiete sich eine Nachkodierung weiterer Nebendiagnosen aufgrund des Ergebnisses des eingeholten Sachverständigengutachtens. Jedenfalls sei aber das Recht der Klägerin auf eine Rechnungskorrektur im Sinne einer nachträglichen Hinzukodierung der Nebendiagnose P37.9 verwirkt. Erteile ein Krankenhaus einer Krankenkasse vorbehaltlos eine plausible Schlussrechnung für die Behandlung eines Versicherten sei eine Forderung weiterer Vergütung nach Ablauf des folgenden vollen Kalenderjahres regelmäßig verwirkt (Hinweis auf BSG, Urteil vom 19. April 2016 – B 1 KR 33/15 R –). Im Hinblick auf die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme müsse sich die Krankenkasse nach Ablauf des auf den Aufenthalt folgenden Kalenderjahres darauf verlassen können, dass der medizinische Sachverhalt, auf dem eine Abrechnung beruhe, klar sei und keine neuen medizinischen Aspekte eingebracht und dementsprechend hinzukodiert würden. Ein Sachverhalt, wie er der Entscheidung des BSG vom 23. Mai 2015 (a.a.O.) zugrunde gelegen habe, liege hier nicht vor. Danach sei zwar der Austausch der Diagnose P00.2 durch die Diagnose P00.8 zulässig, da eine unzutreffende durch eine zutreffende Kodierung ersetzt worden sei, bei der Kodierung der Herzinsuffizienz habe es sich jedoch nicht um einen Austausch einer unzutreffenden durch eine zutreffende Diagnose gehandelt, sondern um einen neu hinzutretenden Sachverhalt. Es gehe vorliegend um die Frage, ob eine mit der streitigen Kodierung medizinisch gerade nicht im direkten Zusammenhang stehende weitere Diagnose im laufenden Gerichtsverfahren hinzukodiert werden dürfe.

Mit Urteil vom 7. Oktober 2020 verurteilte das SG die Beklagte, der Klägerin 16.941,84 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17. September 2016 zu zahlen. Die Klägerin habe Anspruch auf Vergütung der Behandlung des Versicherten nach der DRG P04A, mithin in Höhe von 44.079,49 €, und nicht lediglich nach der DRG P04C, sodass sie den mit der Klage geltend gemachten Differenzbetrag beanspruchen könne. Zwar sei nach dem Gutachten des S1 die Nebendiagnose P37.9 nicht zu kodieren, was zwischen den Beteiligten auch nicht mehr im Streit stehe, jedoch lägen die Voraussetzungen für die Kodierung der Nebendiagnose P29.0 vor, wodurch ebenfalls die Fallpauschale P04A abrechenbar sei. Die nachträgliche Kodierung dieser Nebendiagnose sei unter Berücksichtigung der Ausführungen des BSG im Urteil vom 23. Juni 2015 (a.a.O.) nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. In diesem Sinne hätten dem MDK zur Beurteilung sämtliche, hinsichtlich des Behandlungsablaufs relevante Unterlagen vorgelegen. Der der Nebendiagnose zugrundeliegende Sachverhalt sei – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht deshalb neu gewesen, weil die Beteiligten zunächst lediglich über die Frage der Kodierung der Nebendiagnose P37.9 gestritten hätten und die Nebendiagnose P29.0 erst durch den gerichtlichen Sachverständigen festgestellt worden sei. Der Sachverhalt sei unverändert, lediglich die richtige Kodierung sei durch den Sachverständigen anders beurteilt worden, als ursprünglich von der Klägerin und dem MDK. Auch der MDK hätte anhand der ihm vorliegenden Patientenunterlagen grundsätzlich feststellen können, dass die arterielle Hypertonie zu kodieren sei. Die nachträgliche Kodierung verstoße auch nicht gegen Treu und Glaube im Sinne einer Verwirkung. Ein Vertrauenstatbestand habe vorliegend nicht entstehen können, da die Beteiligten von Beginn an über die Richtigkeit der Schlussrechnung gestritten hätten. Die Änderung einer Nebendiagnose, die zur gleichen Fallpauschale führe, wie sie ursprünglich geltend gemacht worden sei, könne auch die Kalkulationsgrundlage der Beklagten nicht beeinträchtigen.

Gegen das ihr am 8. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Dezember 2020 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und geltend gemacht, der Vergütungsanspruch, der sich als Folge der Nachkodierung der Nebendiagnose P 29.0 ergebe, sei verwirkt. Die Verwirkung sei unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 19. November 2019 (B 1 KR 10/19 R) auch nicht ausgeschlossen, da kein „offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf zugunsten des Krankenhauses“ vorgelegen habe. Soweit das SG ausgeführt habe, dass ein die Verwirkung begründender Vertrauenstatbestand schon deshalb nicht habe entstehen können, weil die Beteiligten von Anfang an über die Richtigkeit der Schlussrechnung gestritten hätten, treffe dies nicht zu, da gerade nicht die gesamte Abrechnung im Streit gestanden habe, sondern ausschließlich die Frage, ob beim Versicherten eine angeborene Infektion vorgelegen habe. Zu Unrecht habe das SG die Entscheidung des BSG vom 23. Juni 2015 (a.a.O.) herangezogen. Denn diesem habe ein Sachverhalt zugrunde gelegen, der mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. Vorliegend sei keine unzutreffende gegen eine zutreffende Kodierung ausgetauscht worden. Die hinzu kodierte Herzinsuffizienz ersetze nicht die unstreitig zu streichende Neugeboreneninfektion, sondern betreffe einen von der eigentlich streitigen Kodierung völlig losgelösten anderen medizinischen Sachverhalt. Streitgegenstand sei ausschließlich die Nebendiagnose P37.9 gewesen. Im Grunde seien bereits die Beweisfragen des SG falsch gestellt gewesen, da nur die unter Beweisfrage 2 gestellten Aspekte streitig gewesen seien. Anders als in dem vom BSG am 23. Juni 2015 (a.a.O.) entschiedenen Verfahren habe sie über den streitigen medizinischen Sachverhalt hinaus nicht mehr damit rechnen müssen, dass Jahre später noch andere entgeltrelevante Diagnosen hinzukodiert würden. Wäre eine Nachkodierung außerhalb des Streitgegenstandes noch während des laufenden Verfahrens zulässig, führte dies zu einer Aushöhlung der Rechtsprechung des BSG zur Zulässigkeit einer Nachkodierung bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Haushaltsjahres. Die Rechnung der Klägerin sei ohne die Diagnose P29.0 nicht unplausibel gewesen; auch habe sie keinen Vorbehalt späterer Nachforderungen erklärt. Auch der MDK habe im Rahmen seines Prüfauftrags nicht erkennen müssen, dass möglicherweise eine weitere Nebendiagnose zu kodieren gewesen sei. Die korrigierende Nachforderung sei schließlich auch nicht mehr zeitnah erfolgt, weshalb hilfsweise darauf hingewiesen werde, dass der Zinsanspruch frühestens ab dem 28. August 2017 (Zustellung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens) bestehen könne. Die Klage sei jedenfalls im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nicht begründet gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. Oktober 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. Oktober 2020 in Bezug auf den Zinsanspruch insofern abzuändern, als dass Zinsen ab dem 28. August 2017 zu zahlen sind,
hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

                        die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Das BSG habe in seinen Entscheidungen vom 23. Juni 2015 (a.a.O.) und 23. Mai 2017 (a.a.O.) Nachberechnungen im gerichtlichen Verfahren, wie sie hier erfolgt seien, ohne weiteres für zulässig erachtet. Der Verweis der Beklagten auf das Urteil des BSG vom 19. November 2019 (a.a.O.) gehe im Übrigen ins Leere, da diese Entscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des SG und des Senats sowie die Patientenakte des Versicherten und die Verwaltungsakte der Beklagten.



Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der maßgebliche Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 € überschritten ist. Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer weiteren Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten in Höhe von 16.941,84 €.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Verpflichtung der Beklagten der Klägerin für die Krankenhausbehandlung des Versicherten vom 3. April bis 13. Mai 2013 eine Restvergütung in Höhe von 16.941,84 € zzgl. Zinsen hieraus ab dem 17. September 2016, dem Folgetag der Aufrechnung, zu zahlen.


3. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von (weiteren) 16.941,84 € zzgl. Zinsen aufgrund der stationären Behandlung des Versicherten vom 3. April bis zum 13. Mai 2013. Die Beklagte rechnete in dieser Höhe zu Unrecht gegen andere (unstreitige) Forderungen der Klägerin auf.

a) Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klageart gewählt; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 – B 1 KR 19/19 R – juris, Rn. 8 m.w.N.). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, Urteil vom 13. November 2013 – B 3 KR 33/12 R – juris, Rn. 9). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert. Dies gilt auch für den geltend gemachten Zinsanspruch. Insofern reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz aus (vgl. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 253 Rn. 132 m.w.N.).

b) Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung des Versicherten in Höhe von (weiteren) 16.941,84 € zu. Zwar hatte die Beklagte ursprünglich den gesamten von der Klägerin (zunächst) geltend gemachten Betrag in Höhe von 44.079,49
gezahlt, jedoch nachträglich den Vergütungsanspruch mit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen gegen die Beklagte aufgerechnet.

aa) Der mit der erhobenen Leistungsklage verfolgte Vergütungsanspruch der Klägerin aus anderweitigen Krankenhausbehandlungen anderer Versicherter der Beklagten ist unstreitig. Darauf, welchen Vergütungsanspruch die Klägerin auf Grund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht, kommt es nicht an (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. November 2013 – B 3 KR 33/12 R – juris, Rn. 10), sodass insoweit keine nähere Prüfung durch den Senat erforderlich ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 26/18 R – juris, Rn. 11 m.w.N.; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2019 – B 1 KR 19/19 R – juris, Rn. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 27. November 2014 – B 3 KR 12/13 R – juris, Rn. 12).

bb) Der anderweitige Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung erklärte (
vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 8/20 R – juris, Rn. 8; Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 2/19 R – juris, Rn. 9; Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 26/14 R –, juris, Rn. 33 m.w.N.). Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB).

Zwar hat die Beklagte eine Aufrechnung unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts erklärt. Die Aufrechnungserklärung muss nicht ausdrücklich abgegeben werden, aber zumindest den Aufrechnungswillen sowie sowohl die Haupt- als auch die Gegenforderung zumindest im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) hinreichend konkret bezeichnen. Dabei ist auf den für die Auslegung von Willenserklärungen maßgebenden objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Für den Fall nicht eindeutiger Erklärungen des Aufrechnenden schafft die Verweisung des § 396 Abs. 1 Satz 2 BGB auf § 366 BGB eine Erleichterung, die die Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung sichert (BSG, Urteil vom 20. Januar 2021 – B 1 KR 31/20 R – juris, Rn. 40 m.w.N.; Urteil vom 30. Juli 2019 – B 1 KR 31/18 R – juris, Rn. 16 m.w.N.). Die Beklagte machte nach diesen Grundsätzen ihren Aufrechnungswillen hinreichend deutlich. Sie forderte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juni 2016 auf, innerhalb von vier Wochen eine korrigierte Rechnung vorzulegen und verrechnete entsprechend ihrer Ankündigung am 16. September 2016 den ermittelten Differenzbetrag von 16.941,84 € mit Forderungen aus anderen Behandlungsfällen. Auch die Klägerin ging von einer Aufrechnung aus.


Der Beklagten steht jedoch als Grundlage für ihre Gegenforderung kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 16.941,84 € zu (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten: BSG, Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 15/19 R – juris, Rn. 10; Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 24/13 R – juris, Rn. 10), denn die ursprüngliche Zahlung der Beklagten erfolgte insoweit nicht ohne Rechtsgrund. Die Klägerin hatte einen weitergehenden Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die in Rede stehende Behandlung des Versicherten.

(1) Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 9 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG (jeweils i.d.F. des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes vom 17. März 2009, BGBl. I, S. 534) i.V.m. der Anlage 1 Teil a der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2013 (Fallpauschalenvereinbarung 2013 [FPV 2013]) i.V.m. § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; i.d.F. durch das Krankenhausfinanzierungsreformgesetz, a.a.O.) i.V.m. dem Krankenhausbehandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Land Baden-Württemberg, festgesetzt durch die Entscheidung der Landesschiedsstelle vom 21. September 2005, gültig ab 1. Januar 2006.

Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung eines gesetzlich Krankenversicherten und damit korrespondierend die Zahlungspflicht einer Krankenkasse entsteht ‑ unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 22/18 R – juris, Rn. 11; Urteil vom 17. Dezember 2019 - B 1 KR 19/19 R - juris, Rn. 10; Urteile vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 8 und – B 1 KR 26/13 R – juris, Rn. 8). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

(2) Die Grundvoraussetzungen
des Vergütungsanspruches liegen vor. Die Beklagte ist – wie sie auch nicht bestreitet – verpflichtet, die stationäre Krankenhausbehandlung ihres Versicherten in der Klinik der Klägerin im Zeitraum vom 3. April bis 13. Mai 2013 zu vergüten. Bei dem Versicherten lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung vor. In dem genannten Zeitraum war der Versicherte krankenhausbehandlungsbedürftig. Auch dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht in Streit.

(3) Vorliegend hat die Klägerin für die Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 3. April bis 13. Mai 2013 zu Recht die DRG P04A in Ansatz gebracht, weshalb sie Anspruch auf Zahlung von weiteren 16.941,84 € hat.

(a) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen (DRG) nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung haben nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragspartner (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 KHG - Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge zu vereinbaren. Die Grundlage dieser Regelungen des KHEntgG findet sich in § 17b KHG, auf den § 9 KHEntgG auch mehrfach Bezug nimmt. Nach § 17b Abs. 1 Satz 1 KHG ist für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem einzuführen. Dieses hat nach § 17b Abs. 1 Satz 2 KHG Komplexitäten und Komorbitäten abzubilden; sein Differenzierungsgrad soll praktikabel sein. Mit den Entgelten nach Satz 1 werden nach § 17b Abs. 1 Satz 3 KHG die allgemeinen vollstationären und teilstationären Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet.

Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalls zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die Diagnose nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten – dem ICD-10 – in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI; jetzt Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen deutschen Fassung verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung („Kodierung“) haben die Vertragspartner auf Bundesebene „Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren“ (Deutsche Kodierrichtlinien – DKR –) beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als „Groupierung“ bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem ICD-10 eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 16/19 R – juris, Rn. 16; Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 12). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 12 m.w.N.).

Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen (z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 13/20 R – juris, Rn. 11; Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 22/19 R – juris, Rn. 14; Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 35/18 R – juris, Rn. 13; Urteil vom 9. April 2019 – B 1 KR 27/18 R – juris, Rn. 14; Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 13 m.w.N.). Auch die Entstehungsgeschichte hat außer Betracht zu bleiben (BSG, Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 22/19 R – juris, Rn. 17). Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 13 m.w.N.; Urteil des Senats vom 24. April 2020 – L 4 KR 3159/18 – juris, Rn. 36).

(b) Vorliegend ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass im Behandlungsfall des Versicherten als Hauptdiagnose P07.12 zu kodieren ist. Im Hinblick auf die Ausführungen des S1 im Gutachten vom 7. Juli 2017, wonach beim Versicherten zum Zeitpunkt seiner Geburt mangels Erregernachweis und positivem Ausfall von Entzündungsparametern im Labor keine infektiöse oder parasitäre Erkrankung vorlag, ist zwischen den Beteiligten gleichermaßen unstreitig, dass die von der Klägerin zunächst in Ansatz gebrachte Nebendiagnose P37.9 nicht zu kodieren ist und im Übrigen die Kodierung P00.2 durch die Kodierung P00.8 zu ersetzen ist. Im Berufungsverfahren steht vor dem Hintergrund der ergänzenden Ausführungen des S1 vom 22. Oktober 2018 im Übrigen auch nicht mehr im Streit, dass beim Versicherten eine Herzinsuffizienz vorlag, die es dem Grunde nach rechtfertigt, die weitere Nebendiagnose P29.0 zu kodieren. Zwischen den Beteiligten ist schließlich auch unstreitig, dass die Kodierung der Nebendiagnose P29.0 zu der DRG P04A führt, wie dies gleichermaßen auch bei Kodierung der – allerdings unzutreffenden – Nebendiagnose P37.9 der Fall war.

Vor diesem Hintergrund steht zwischen den Beteiligten nur noch im Streit, ob der Klägerin für die Behandlung des Versicherten ein Vergütungsanspruch entsprechend der Fallpauschale P04A in Höhe des mit Rechnung vom 22. Mai 2013 geltend gemachten Betrages von 44.079,49 € zusteht oder lediglich – wie die Beklagte meint – nach der niedriger bewerteten Fallpauschale P04C, weil für die Ermittlung des Vergütungsanspruchs der Klägerin als Nebendiagnose weder P37.9 noch P 29.0 kodiert werden dürfe.

Vorliegend fiel die DRG P04A an, da neben der Hauptdiagnose P07.12 u.a. die Nebendiagnose P29.0 kodiert werden konnte. Dem Vergütungsanspruch der Klägerin aus der DRG PO4A steht nicht entgegen, dass sie zunächst – wenn auch zu Unrecht – die Nebendiagnose P37.9 kodierte, denn für die Behandlung des Versicherten ist aufgrund der erbrachten Leistungen auch die Nebendiagnose P29.0, die ebenfalls zur DRG PO4A führt, kodierfähig. Die Klägerin ist nicht gehindert, im laufenden Rechtsstreit die unzutreffende Kodierung durch die zutreffende Kodierung auszutauschen. Hiervon ist das SG gestützt auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 23. Juni 2015, a.a.O., juris, Rn. 21 und 23. Mai 2017, a.a.O., Rn. 15) zu Recht ausgegangen.

Danach verpflichten die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen diese in partnerschaftlicher Weise zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Sie arbeiten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammen. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen ist von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten. Streitet ein Krankenhaus über die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Vergütung und legt es hierbei den vollständigen Behandlungsablauf offen, kann es nicht gehindert sein, im Laufe des Rechtsstreits zur Begründung seiner Forderung eine nach dem tatsächlichen Ablauf unzutreffende Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung auszutauschen, soweit nicht gesetzeskonformes Vertragsrecht entgegensteht (BSG, Urteil vom 23. Juni 2015, a.a.O., juris, Rn. 21; Urteil vom 19. November 2019, a.a.O., juris. Rn. 22). Dieser Auffassung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2021 – L 1 KR 195/18 – juris, Rn. 30).

In jenem Verfahren hatte das klagende Krankenhaus die DRG G64A berechnet und dabei u.a. als Nebendiagnose N18.82 (chronische Niereninsuffizienz, Stadium II) kodiert, was die beklagte Krankenkasse für unzutreffend erachtete. Das BSG hatte den Rechtsstreit mangels hinreichender Feststellungen an die Vorinstanz zurückverwiesen und angesichts des Umstandes, dass auch die Kodierung der Nebendiagnose N17.9 (akutes Nierenversagen, nicht näher bezeichnet) in Betracht kam, deutlich gemacht, dass das Krankenhaus nicht nach Treu und Glauben gehindert wäre, bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen für die Vergütung die Nebendiagnose N17.9, die ebenfalls zur DRG G64A führen würde, zugrunde zu legen.

Soweit die Beklagte geltend macht, der dem Urteil des BSG vom 23. Juni 2015 (a.a.O.) zugrunde liegende Sachverhalt sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Zwar ist zutreffend, dass in jenem Verfahren ausgehend von der behandelten Nierensymptomatik lediglich die zutreffende Kodierung hinsichtlich des Organs Niere in Rede stand, während im vorliegenden Verfahren mit der Nebendiagnose P29.0 (Herzinsuffizienz) einerseits und der Nebendiagnose P37.9 (Infektion) andererseits unterschiedliche medizinische Sachverhalte betroffen sind. Dem Senat erschließt sich jedoch nicht, weshalb vor diesem Hintergrund der Austausch einer unzutreffenden Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung nicht möglich sein sollte. Anknüpfungspunkte für eine Einschränkung, wie sie von der Beklagten für zutreffend erachtet wird, finden sich in den genannten Entscheidungen des BSG nicht. Das BSG hielt es bei vollständiger Offenlegung des Behandlungsverlaufs nicht nur in ganz speziellen Fallkonstellationen für zulässig, dass das Krankenhaus eine unzutreffende Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung austauscht, sondern „im Laufe eines Rechtsstreits zur Begründung seiner Forderung“, d.h. unter den genannten Voraussetzungen ohne weitere Einschränkung.

Nicht von Bedeutung ist im Übrigen, ob die zutreffende Kodierung zuvor bereits im Streit stand, aus welchen Gründen dies ggf. nicht der Fall war und welche Umstände dazu führten, sie in das Verfahren einzubeziehen. Daher ist auch ohne rechtliche Relevanz, ob das Krankenhaus im Laufe des Verfahrens nach nochmaliger Überprüfung des Behandlungsfalls nachträglich auf die „neue“ Nebendiagnose aufmerksam wird, oder ob diese – wie im vorliegenden Verfahren – durch ein Sachverständigengutachten zutage tritt. Dem Grundsatz von Treu und Glauben steht nicht entgegen, einen von Anfang an in unveränderter Höhe geltend gemachten Vergütungsanspruch im Laufe des Verfahrens mit einer anderen Nebendiagnose zu begründen und dieser nunmehr Abrechnungsrelevanz beizumessen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt darin auch keine Änderung des Streitgegenstandes. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Zahlung einer Restvergütung für die Behandlung des Versicherten vom 3. April bis 13. Mai 2013 in Höhe von 16.941,84 €. Eine Änderung des Streitgegenstandes im Sinne einer Klageänderung liegt gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht vor, wenn ohne Änderung des Klagegrundes die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden. Dies ist vorliegend der Fall. Der Sache nach begründete die Klägerin den geltend gemachten Vergütungsanspruch aus der Fallpauschale P04A nachträglich u.a. mit der Nebendiagnose P29.0 anstelle der ursprünglichen Nebendiagnose P37.9.

Soweit die Beklagte vorträgt, die von der Klägerin geltend gemachte Forderung sei verwirkt, weil sie nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Haushaltsjahres geltend gemacht worden sei, trifft dies ersichtlich nicht zu. Denn den Teil der Vergütung, den die Klägerin mit ihrer Klage geltend macht, machte sie bereits mit Rechnung vom 22. Mai 2013 geltend und dieser Teil wurde von der Beklagten zunächst auch vergütet. Mit ihren Ausführungen nimmt die Beklagte ersichtlich Bezug auf die Rechtsprechung des BSG zur Nachforderung einer Vergütung durch das Krankenhaus bei der Behandlung eines Versicherten. So bezieht sie sich auf das Urteil des BSG vom 19. April 2016 (a.a.O.), dem ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem die Krankenhausträgerin im Anschluss an ihre Schlussrechnung vom 26. Oktober 2009 nach Korrektur des Rechnungsbetrages mit Schreiben vom 29. Dezember 2009 einen weiteren Betrag forderte. Eine entsprechende Fallkonstellation lag auch dem Urteil des BSG vom 23. Mai 2007 (a.a.O.) zugrunde, auf das sich die Beklagte im Klageverfahren bezog. Auch in diesem Verfahren berechnete die Krankenhausträgerin die Behandlungskosten der Krankenkasse zunächst mit einer Schlussrechnung und forderte nachfolgend während des Klageverfahrens mit einer korrigierten Schlussrechnung über den bisherigen Betrag hinaus eine weitergehende Vergütung. Eine solche Nachforderung, d.h. die Geltendmachung einer zusätzlichen Forderung nach Abrechnung des Behandlungsfalls, ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Klägerin machte einzig mit ihrer Schlussrechnung vom 22. Mai 2013 die sich aus der DRG P04A ergebende Vergütung geltend. Weitere Vergütungsansprüche erhob sie in Bezug auf den Behandlungsfall des Versicherten vom 3. April bis 13. Mai 2013 nachfolgend nicht. Auch mit der am 5. Januar 2017 erhobenen Klage machte sie aus dieser Behandlung keine weitergehenden Vergütungsansprüche geltend. Sie machte insbesondere auch keine (weitere) Vergütung wegen einer „Nachkodierung“ geltend. Gegenstand der Klage ist ausschließlich der Differenzbetrag zwischen dem der Beklagten unter dem 22. Mai 2013 in Rechnung gestellten, sich aus der DRG P04A ergebenden Betrag und dem aus der DRG P04C resultierenden, von der Beklagten für zutreffend erachteten Betrag, mit welchem die Beklagten am 16. September 2016 mit Forderungen der Klägerin aus unstreitigen Behandlungsfällen aufrechnete. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für die Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung, das nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen bei Nachforderungen eines Krankenhauses heranzuziehen ist, vorliegend daher kein Raum.

Im Übrigen hat die Beklagte das Überprüfungsverfahren bezüglich der korrekten Abrechnung der DRG einschließlich der Plausibilität der Nebendiagnosen selbst eingeleitet und eine Übersendung der Unterlagen an den MDK zur Prüfung veranlasst. Ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten darauf, dass die Klägerin nach Abschluss der MDK-Ermittlungen oder ggf. auch erst nach dem Ergebnis eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gemäß § 103 SGG die Kodierung von Nebendiagnosen - ohne Veränderung der abgerechneten DRG - abändert, konnte sich nicht bilden, nachdem die Beklagte die Kodierung von Nebendiagnosen selbst als unzutreffend angegriffen hatte (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2021 – L 1 KR 195/18 – juris, Rn. 31 f.).

Soweit sich die Beklagte im Berufungsverfahren auf das Urteil des BSG vom 19. November 2019 (a.a.O.) bezieht, war auch Gegenstand dieses Verfahrens eine Nachberechnung in dem oben dargelegten Sinn. So berechnete die Krankenhausträgerin die Behandlungskosten des dortigen Versicherten zunächst mit Schlussrechnung vom 11. Mai 2009 und erteilte dann eine neue Schlussrechnung unter dem 13. November 2013, mit der sie u.a. unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Zusatzentgeltes eine weitergehende Vergütung forderte. Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Ausführungen des BSG, die Ausstellung einer Schlussrechnung mit ins Auge springendem Korrekturbedarf hindere den Eintritt der Verwirkung, darauf hinwies, dass ein solcher Fall hier nicht vorliege, wies die Klägerin zutreffend darauf hin, dass der herangezogene Gesichtspunkt ins Leere geht. Denn ein Fall der Nachberechnung der Vergütung liegt hier nicht vor.

(4) Der Zinsanspruch der Klägerin resultiert aus § 19 Abs. 3 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V über die „Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung“. Danach hat die Krankenkasse die Rechnung innerhalb von 30 Tagen nach Übermittlung des Rechnungssatzes zu bezahlen. Bei Überschreiten des Zahlungsziels kann das Krankenhaus ab dem Fälligkeitstag Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 Abs. 1 BGB berechnen, ohne dass es einer Mahnung bedarf. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Rechnung der Klägerin vom 22. Mai 2013 zunächst in vollem Umfang bezahlt. Verzugszinsen fallen daher erst ab dem Folgetag der Verrechnung am 16. September 2016 und damit ab dem 17. September 2016 an. Für den Beginn der Verzinsung ist die Kenntnis der Klägerin von dem Sachverständigengutachten des S1 unerheblich. Der zulässige Austausch der Kodierung tangiert die Fälligkeit der Restvergütung nicht. Auch der Hilfsantrag der Beklagten hat daher keinen Erfolg.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

6. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war der Verzinsungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da es sich insofern um eine Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG handelt.

Rechtskraft
Aus
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