Neubau der Uniklinik Gießen

Der Konflikt um das Uniklinikum Gießen und Marburg eskaliert. Arbeitnehmervertreter befürchten konkret Outsourcing und Kündigungen. Das Land will das verhindern - doch steckt offenbar in einer Zwickmühle.

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Warnstreik am Uniklinikum Gießen-Marburg

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In der Krankenhausküche herrscht dicke Luft. Bis zu 30 Grad könnten es im Sommer hier werden, berichtet Franziska Bauer*, die als Hilfskraft in einer der Großküchen des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) arbeitet.

Das aufgeheizte Klima liegt allerdings nicht nur an den dampfenden Kesseln und Spülmaschinen, meint Bauer. Sondern auch an der angespannten Stimmung im Kollegium. "Wir sind hier ohnehin schon extrem unterbesetzt", sagt die Küchenhilfe. Es sei ein Knochenjob - stressig, und viel Geld gebe es dafür auch nicht. "Aber ich bin nun mal darauf angewiesen", sagt Bauer.

Doch jetzt komme noch etwas anders dazu: die Sorge. Könnten die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung bald sogar noch schlechter werden? Oder wird das UKGM-Küchenpersonal sogar irgendwann ganz outgesourct?

Monatelanger Konflikt

Viele Mitarbeitende an Hessens größter und einziger privatisierter Uniklinik fürchten derzeit, dass sich in Zukunft viel für sie ändern könnte. Besonders betroffen sind die sogenannten patientenfernen Arbeitsbereiche: etwa Reinigung, IT oder Buchhaltung.

Im Hintergrund steht die Übernahme des Krankenhaus-Besitzers Rhön AG durch den Konzern Asklepios. Damit verbunden sind komplizierte vertragliche Streitigkeiten, die seit Monaten zwischen dem Land Hessen und Rhön schwelen. Vorige Woche hat Rhön eine alte Vereinbarung gekündigt.

Konkret geht es um die Frage: Darf das UKGM in Zukunft betriebsbedingte Kündigungen aussprechen und Bereiche auslagern? Und: Wie viel Geld steuert das Land Hessen, das noch fünf Prozent Anteile hält, zur Uniklinik bei? Akut geht es um eine Vereinbarung von 2017, für die es seit der Kündigung vergangene Woche noch kein Nachfolgeabkommen gibt.

Asklepios eilt sein Ruf voraus

Der Gießener Betriebsratsvorsitzende Marcel Iwanyk nennt die Streitigkeiten ein alarmierendes Zeichen an die Belegschaft. "Wenn keine Anschlussvereinbarung gefunden wird, ist ab nächstem Jahr dann am UKGM das möglich, was an anderen Häusern durch die Übernahme durch Asklepios auch schon geschehen ist." Konkret befürchtet er Outsourcing und betriebsbedingte Kündigungen. Die Gewerkschaft Verdi hat deshalb für Donnerstag alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Streik aufgerufen.

Demonstranten mit Transparent gegen Asklepios.

Asklepios eilt sein Ruf voraus. Mit über 30.000 Betten ist der Konzern der zweitgrößten private Klinikbetreiber in Deutschland. Seit Jahren werfen Politiker und Arbeitnehmervertreter Asklepios vor, Kliniken aufzukaufen, um aus ihnen maximalen Profit herauszuholen - auf dem Rücken des Personals. Vor zwei Jahren hatten Angestellte aus hessischen Asklepios-Häusern dem hr von enormem Druck und schlechter Bezahlung berichtet.

Asklepios-Firmengründer und Alleingesellschafter Bernard große Broermann nennt die Firmenpolitik dagegen erfolgreiches "Turnaround-Management", wie der Milliardär 2018 gegenüber der FAZ in einem seltenen Interview erläuterte. Man übernehme defizitäre Krankenhäuser von öffentlichen Trägern, die Kliniken würden sich unter dem Dach von Asklepios dann besser entwickeln als zuvor.

Königstein im Taunus: 50 Unternehmen unter einer Adresse

Wie Asklepios dabei konkret vorgeht, zeigt ein Blick in öffentlich einsehbare Unternehmensregister: Neben der Firmenzentrale in Hamburg gehören zum Konzern eine milliardenschwere Holding und zahlreiche kleine Tochterfirmen, die bestimmte Dienstleistungsbereiche rund um den Gesundheitsbetrieb abdecken. So gibt es beispielsweise eigene Asklepios GmbHs für Verwaltung, Hauswirtschaft, Technik oder Catering.

Viele dieser Firmen haben ihren Sitz in Königstein (Hochtaunus), wo Broermann unter anderem auch zwei Fünf-Sterne-Hotels besitzt. Allein in Königstein sind fast 50 Unternehmen unter einer Adresse gemeldet.

Villa Rothschild

Wozu diese Firmenpolitik praktisch führen kann, zeigt sich beispielsweise an den aktuellen Stellenausschreibungen des Konzerns: Gesucht werden derzeit etwa Sterilisationsassistenten in Lich (Gießen), Cateringmitarbeiter in Schwalmstadt (Schwalm-Eder) und Medizintechniker in Bad Wildungen (Waldeck-Frankenberg). Alle sollen zwar in den örtlichen Klinken arbeiten, aber nicht direkt dort angestellt werden, sondern bei einer jeweiligen Tochterfirma.

"Outsourcing wäre für mich eine Katastrophe"

Für solche ausgelagerten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären UKGM-Betriebsräte wie Marcel Iwanyk dann gar nicht mehr zuständig. Iwanyk kritisiert an diesem System außerdem: "Die Mitarbeiter fliegen dadurch aus Tarifverträgen raus, und ihre Arbeitsbedingungen werden schlechter."

Auch Küchenhilfe Franziska Bauer sagt: "Wenn wir outgesourct werden, wäre das einfach eine Katastrophe für mich." Gäbe es dann zum Beispiel noch weniger Geld und Personal, würde sie sich schnellstmöglich nach einer anderen Arbeitsstelle umschauen.

Bei patientenfernen Leistungen kann man am besten sparen

Thomas Busse ist Professor für Gesundheitsökonomie und Pflegemanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er erklärt: "Was große Krankenhauskonzerne wie Asklepios machen, ist nicht verboten - und aus ihrer Sicht sogar ganz logisch." Während öffentliche Häuser Defizite über öffentliche Zuschüsse ausgleichen können, haben private das klare Ziel, Gewinn zu machen. "So wie jede Arztpraxis."

Während es für die Mindestmengen beim Pflegepersonal gesetzliche Vorgabe gebe, sei das bei patientenfernen Leistungen nicht der Fall. Dort könne ein Krankenhaus also am leichtesten sparen, erklärt Busse: "Die Klinik-Konzerne haben verstanden: Mit einer Kosten-Nutzen-Optimierung in diesen Bereichen kann man am meisten Rendite erzielen." Eine Wäscherei für mehrere Häuser sei beispielsweise kostengünstiger als eine Wäscherei für jedes einzelne Krankenhaus.

Outsourcing bringt Profit, aber auch Probleme

Auch Busse sieht dadurch jedoch mögliche negative Auswirkungen auf den Klinikalltag - nicht nur auf das Personal, sondern auch die hausinterne Abläufe, die verkompliziert würden. "Wenn zum Beispiel Sterilisationsarbeiten ausgelagert werden, aber das Personal nicht ordentlich arbeitet, dann fehlt im OP Material."

Thomas Busse, Professor für Gesundheitsmanagement in Frankfurt

Allerdings ist nach Erkenntnissen von Busse nicht belegbar, ob die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten in profitorientieren Krankenhäusern tatsächlich schlechter ist als in öffentlichen oder gemeinnützigen Häusern. Auch die schlichte Annahme, die öffentliche Hand könne alles richten, sei nicht korrekt, weil ihr häufig das Geld dafür fehle. "Auch das UKGM hatte schließlich schon vor der Privatisierung Probleme", sagt Busse.

"Das Land hat sich erpressbar gemacht"

Krankenhausprivatisierung ist aus Busses Sicht nicht grundsätzlich schlecht. Es gebe durchaus Beispiele, wo sie gut funktioniere. Das UKGM sei allerdings keines davon. "Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht laufen sollte", so der Gesundheitsökonom. Allein durch seine Größe, seinen Lehrauftrag und seine zwei Standorte sei das UKGM ein Sonderfall. "Es hätte nie privatisiert werden dürfen", findet Busse.

Besonders bitter: Eigentlich habe das Land 2006 dadurch Geld sparen wollen - nun müsse es weiter viele Euro zuschießen, weil es die Uniklinik wegen ihrer Bedeutung schließlich nicht einfach fallen lassen könne, was bei anderen Krankenhäusern vielleicht möglich wäre. "Das Land hat sich deshalb erpressbar gemacht", meint der Professor. Der neue Besitzer könne jetzt Forderungen stellen - und tue das offenbar auch.

*Name ist der Redaktion bekannt, wurde aber auf Wunsch geändert.

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