Zusammenfassung
Die Ergebnisse der auf der Makro- und auf der Meso-Ebene des Gesundheitssystems gefällten Entscheidungen ragen mitunter weit in die Bereiche der stationären Krankenversorgung hinein. Sie reiben sich dort mit den Bedürfnissen der Patienten und prägen die Bedingungen ärztlichen Handelns. Es ist nicht ausgeschlossen, dass angesichts des zunehmenden finanziellen Drucks die Bestandssicherungsinteressen des Krankenhauses die patientenbezogenen Entscheidungen der Ärzte zum Nachteil der Patienten und der Krankenhausmitarbeiter beeinflussen.
Die Verantwortlichen in den Krankenhäusern müssen sich deshalb fragen, wie sie mit diesem Druck angemessen umgehen wollen. Ein organisationsethischer Ansatz, der die auf der Meso-Ebene fraglos vorhandenen Handlungsspielräume nutzt, wird als Instrument zur Lösung des skizzierten Problems vorgestellt. Es wird gezeigt, wie mittels der Gestaltung der Teilfunktionen des Krankenhaus-Leitungssystems und deren Ausführung, beispielhaft anhand der Teilfunktionen Planung und Kontrolle, das Krankenhaus-Management dabei unterstützt wird, die für das Krankenhaus festgesetzten Werte umzusetzen und den Handlungsspielraum des Arztes nachhaltig so zu arrangieren, dass dieser den Bedarf an medizinischen Leistungen – trotz der erwähnten Einflüsse – ethisch und rechtlich vertretbar und betriebswirtschaftlich sinnvoll decken kann. Es gilt, eine Organisation zu entwickeln, die ihrer – institutionell begriffenen – Verantwortung gegenüber den Patienten (und Mitarbeitern) nachkommen kann, für die nicht nur die Arzt-Patienten-Beziehung, sondern auch die Krankenhaus-Patienten-Beziehung eine auf gegenseitigem Vertrauen gegründete Sorgebeziehung ist.
Der vorliegende Text bezieht sich unter anderem auf Beiträge in Ethik in der Medizin, Band 33, Heft 2. Wie die dort beschriebenen organisationsethischen Ansätze im Krankenhaus-Alltag umgesetzt werden können, wird anhand eines Beispiels gezeigt.
Abstract
Definition of the problem
The results of decisions made at the macro and meso levels of the healthcare system sometimes extend far into the areas of inpatient care. There, they may conflict with the needs of patients and influence the conditions of medical action.
Arguments
It is possible that, in view of increasing financial pressure, the hospital’s interests in maintaining the status quo may influence patient-related decisions to the detriment of patients and hospital staff.
Conclusions
Hospital managers must therefore ask themselves how they intend to appropriately deal with this situation. An organizational ethic approach, which makes use of the unquestionably available scope for action at the meso level, is presented as a tool for solving this problem. It is shown how by designing the subfunctions of the hospital management system and their implementation, e.g., by means of the subfunctions planning and control, hospital management is supported in implementing the values set for the hospital and in implementing the doctor’s freedom to sustainably maneuver in such a way that the physician’s can meet the demand for medical services—despite the above-mentioned influences—in an ethically and legally justifiable manner that is also economically reasonable. It is important to develop an organization that can fulfill its institutional responsibility towards patients (and staff), for which not only the physician–patient relationship but also the hospital–patient relationship is a relationship of care based on mutual trust.
The present text refers, among other things, to contributions in Ethik in der Medizin, Volume 33, Issue 2. How the organizational ethical approaches described there can be implemented in hospital daily life is shown based on an example.
Notes
In dem vorliegenden Beitrag wird die Zusammenarbeit zwischen ausschließlich Ärzten und Mitarbeitern der Controlling-Abteilung in den Blick genommen; deren Erörterung wurde angeregt durch Befunde, die als Ergebnisse diverser Interviews mit Ärzten erhoben worden sind. Es muss freilich angenommen werden, dass es die beobachteten Zusammenarbeits-Defizite auch in Bezug auf Pflegefachkräfte und Vertreter anderer Berufsgruppen gibt. Aus Platzgründen kann dieser Aspekt vorliegend nicht berücksichtigt werden.
Krabbe und Thole verweisen darauf, dass im Jahr 2018 nahezu 11.500 Hüftgelenk- und Kniegelenkersatz-Operationen durchgeführt wurden, ohne dass dafür eine medizinische Notwendigkeit bestand.
Die Unternehmensgruppe Johnson & Johnson befragt im Abstand von zwei Jahren die etwa 120.000 Mitarbeiter, um unter anderem herauszufinden, ob sich die Einstellungen und Haltungen der Mitarbeiter zu dem Leitbild des Unternehmens (Credo genannt) möglicherweise geändert haben und wie gut diese die in dem Credo festgehaltenen Verantwortlichkeiten wahrnehmen und ob sie die notwendige personelle und strukturelle Unterstützung als Voraussetzung für die Wahrnehmung der Verantwortung erhalten (Naegler 2011, S. 239 f.).
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Danksagung
Ich danke den Gutachtern für ihre weiterführende Kritik.
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Interessenkonflikt
H. Naegler gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Ethische Standards
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Die in dem erwähnten Projekt durchgeführten Befragungen von Ärzten und Geschäftsführer deutscher Krankenhäuser wurden im Einklang mit nationalem Recht durchgeführt. Das Einverständnis der Interview-Teilnehmer wurde eingeholt.
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Naegler, H. Die Rolle des Controllings im Rahmen einer Organisationsethik des Krankenhauses. Ethik Med 34, 549–571 (2022). https://doi.org/10.1007/s00481-022-00707-9
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