War Geburtshilfe-Aus in Dillenburg längst besiegelt?

Mit Transparenten und solchen Luftballons haben Hebammen und Krankenschwestern vorm Kreistag für den Erhalt der Geburtsstation in der Dillenburger Klinik demonstriert.  Foto: Jörgen Linker
© Jörgen Linker

Die Kündigung einer Belegärztin gilt bislang als Hauptgrund für die geplante Schließung der Klinik-Station. Doch laut der Medizinerin kam erst das Aus, dann ihre Kündigung.

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DILLENBURG/HAIGER/WETZLAR. Die Geburtsstation in der Dillenburger Klinik soll zum Jahresende geschlossen werden, weil eine Belegarztstelle nicht besetzt werden kann, eine Medizinerin habe zum Jahresende gekündigt - das ist die Version, die Landrat und Klinik-Aufsichtsratschef Wolfgang Schuster (SPD) bislang aufgetischt hat. Doch die Ärztin versichert gegenüber mittelhessen.de, sie habe erst gekündigt, nachdem die Klinik das Aus bereits beschlossen habe. Ihre Kündigung könne also nicht als Grund für eine Schließung der Geburtshilfe herhalten.

Die kreiseigene Klinik in Dillenburg hat keine eigene Geburtsstation, es ist vielmehr eine Belegarztstation. Das heißt: Drei freiberufliche Gynäkologen (aus Dillenburg, Haiger und Herborn) betreiben sie in der Klinik. Darüber hinaus arbeiten dort Beleg-Hebammen und Krankenschwestern. Im vergangenen Jahr wurden dort rund 500 Babys geboren.

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Landrat Schuster - zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Lahn-Dill-Kliniken mit ihren drei Standorten in Wetzlar, Dillenburg und Braunfels, hatte die Schließung der Geburtsstation vor allem mit der Kündigung der Ärztin sowie mit dem Alter der beiden anderen Belegärzte und der somit fehlenden Perspektive begründet, sie seien 63 beziehungsweise 70 Jahre alt. Die Klinik habe die Stelle im Ärzteblatt ausgeschrieben, sei aber nicht fündig geworden. Im Kreistag am Montag sagte Schuster: "Ich kann mir keine Frauenärzte backen."

"Ich möchte mich ungern als Verantwortliche für die Entscheidung der Lahn-Dill-Kliniken darstellen lassen."

Constance Scholl, Belegärztin

Constance Scholl, Gynäkologin mit eigener Praxis in Haiger, ist die Belegärztin, die gekündigt hat. Sie erklärt schriftlich: "Ich möchte richtigstellen, dass der Entschluss zur Schließung des Kreißsaals völlig unabhängig von meiner Kündigung gefällt wurde und die Kündigung nur die Reaktion auf die anstehende Schließung meinerseits war." Sie möchte sich "ungern als Verantwortliche für die Entscheidung der Lahn Dill Kliniken darstellen lassen".

Sie berichtet die Chronologie: Ende Mai seien alle drei Belegärzte zu einem Gespräch mit der Klinik-Geschäftsführung nach Wetzlar gebeten worden. Dr. Assem Hossein, Belegarzt aus Dillenburg, bestätigt dies und sagt, es sei um das Qualitätsmanagement der Geburtshilfe gegangen, konkret um die Einhaltung der Hilfsfristen, also um die Frage, ob die Belegärzte bei Notfällen innerhalb von zehn Minuten im Dillenburger Krankenhaus sein können.

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Frauenärztin Scholl: "Uns wurde mitgeteilt, dass der Versicherer die juristischen und strukturellen Voraussetzungen der Belegabteilung prüfe. Daraufhin wurde klar, dass die geforderten Maßnahmen in einer Belegabteilung mit drei Ärzten in Zukunft nicht mehr umsetzbar sind. Als Konsequenz ergab sich die Schließung des Kreißsaals."

Hintergrund: 2017 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss - ein Selbstverwaltungsgremium von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen - bundesweit 1000 der 2000 Geburtsstationen einen Qualitätscheck unterzogen. Die Geburtshilfe der Dillenburger Klinik erhielt damals ein "unzureichend". Grund: Bei einer von 539 Geburten hatte es ein Problem gegeben, ein Belegarzt hatte unbedingt versucht, ein Kind auf natürliche Weise zur Welt zu bringen, länger als 20 Minuten bis zu einem Kaiserschnitt gewartet. Laut der Mutter war das Kind tot geboren worden und habe wiederbelebt werden müssen. Der Belegarzt war kurz nach dem Vorfall nicht mehr für die Klinik tätig.

Vorgezogenes Ende der Geburtsstation?

Die Klinik-Geschäftsführung habe diesen Fall angesprochen, berichtet Constance Scholl. Auch Landrat Schuster hatte diesen Fall beziehungsweise die Probleme mit der Hilfsfrist als weiteres Schließungs-Argument gegenüber dem Kreistag angeführt, es gehe dabei um Haftungsfragen. Schusters Hauptargument war jedoch die Kündigung der Ärztin sowie das Alter der weiteren Belegärzte.

Dazu Scholl: "Die Altersstruktur ist seit Langem hinlänglich bekannt und die Diskussion um die Schließung wurde aus meiner Sicht ein Jahr vorgezogen." Zumal einer der Belegärzte gar nicht aufhören will und der andere voraussichtlich erst 2024.

Mit den Äußerungen der Medizinerin konfrontiert, verweist Landrat Schuster auf die Klinik-Geschäftsführung. Die hatte das Aus vor drei Wochen per Pressemitteilung so erklärt: "Der Kreißsaal der Dill-Kliniken in Dillenburg kann voraussichtlich nur bis zum 31. Dezember 2022 weiterbetrieben werden." Man habe aufgrund der Altersstruktur unter den Belegärzten frühzeitig die Nachfolge regeln wollen. "Leider ist es uns trotz größter Anstrengungen nicht gelungen, die ausgeschriebene Belegarztstelle zu besetzen", so Geschäftsführer Tobias Gottschalk. Für den Betrieb des Kreißsaals in den Dill-Kliniken würden mindestens drei Belegärzte benötigt. Dies könne zukünftig nicht sichergestellt werden. Wirtschaftliche Gründe gebe es für die Schließung nicht, hatte die Klinik gegenüber mittelhessen.de versichert.

"Unerhörtes Benehmen": Gynäkologe fordert Stellungnahme des Landrats

Dr. Assem Hossein ist Gynäkologe mit Praxis in Dillenburg und ebenfalls Belegarzt in der Geburtsstation der Dillenburger Klinik. Er ist aufgebracht, schimpft: "Ich bin richtig sauer auf Landrat Schuster." Dr. Hossein ist 69 Jahre alt (nicht 70). Ihn hätten inzwischen Patientinnen wegen Schusters Aussage angerufen und gefragt, ob er auch seine Praxis schließen wolle. Er denke gar nicht ans Aufhören, sagt der Arzt.

Die Äußerung des Landrats sei "unseriös", "ein unerhörtes Benehmen" und für ihn "geschäftsschädigend". "Ich fühle mich noch richtig gesund, und ich werde arbeiten, bis ich 90 bin, wenn ich kann." Er fordert nun eine Stellungnahme des Landrats.

Inzwischen hat der Klinik-Aufsichtsrat - so auch nachdrücklich vom Kreistag gefordert - die Klinik-Geschäftsführung beauftragt, Optionen für den Erhalt der Geburtsstation in Dillenburg zu prüfen. In Betracht kommen bislang: die Gründung einer eigenen Station mit eigenen Ärzten (laut Landrat braucht es dafür einen Chefarzt, einen Oberarzt sowie sechs bis sieben Assistenzärzte) sowie Gespräche mit dem hessischen Sozialministerium.