L 5 KR 170/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 39 KR 2226/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 170/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung, insbesondere darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, eine individuell gefertigte CAD/CAM-Kniegelenksprothese abzurechnen.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte D, geboren am 00.00.1948, nachfolgend als Versicherte bezeichnet, befand sich in der Zeit vom 27.09.2016 bis 07.10.2016 in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Klägerin. Dort erfolgte am 28.09.2016 die Implantation einer Totalendoprothese im linken Kniegelenk, die im CAD/CAM-Verfahren individuell – nach den körperlichen Gegebenheiten der Versicherten - gefertigt worden war („Sonderprothese“).

Unter Zugrundelegung der DRG I43B („Implantation oder Wechsel bestimmter Endoprothesen am Knie- oder am Ellenbogengelenk oder Prothesenwechsel am Schulter- oder am Sprunggelenk oder Entfernung bestimmter Endoprothesen am Kniegelenk, ohne äußerst schwere CC“) forderte die Klägerin von der Beklagten für die Behandlung der Versicherten mit Rechnung vom 28.10.2016 einen Betrag in Höhe von 10.432,06 Euro. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst vollständig, beauftragte aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Behandlungsfalls (Fragen: „Ist/sind die Prozeduren korrekt? Handelt es sich tatsächlich um eine Sonderprothese? Bestand die medizinische Notwendigkeit zur Implantation einer Sonderprothese? Bei der Schwere der Erkrankung und dem Alter der Patientin ist unseres Erachtens eine Sonderprothese medizinisch nicht nachvollziehbar).

Dr. K, MDK, kam im Gutachten vom 09.01.2017 zu dem Ergebnis, dass keine Indikation für die Verwendung einer patientenindividuell angefertigten Kniegelenksprothese anstelle einer Standardprothese bestanden habe. Daraufhin meldete die Beklagte bei der Klägerin einen Erstattungsanspruch in Höhe von 3.958,19 Euro an, denn es sei – so die Beklagte – richtigerweise die DRG I44C abzurechnen (Schreiben vom 19.01.2017). Nach fruchtlosem Verstreichen der Zahlungsfrist rechnete die Beklagte mit dem geltend gemachten Erstattungssanspruch am 23.02.2017 gegen eine unstreitige Vergütungsforderung der Klägerin aus einem anderen Behandlungsfall (R) auf.

Die Klägerin hat am 18.10.2017 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund auf Zahlung der nunmehr noch offenen Vergütungsforderung in Höhe von 3.958,19 Euro aus dem Behandlungsfall R erhoben.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass kein Erstattungsanspruch der Beklagten bestanden habe, da im Behandlungsfall der Versicherten die Implantation einer patientenindividuell angefertigten Prothese medizinisch indiziert gewesen sei. Ferner hat sie vorgetragen, dass ihr Zahlungsanspruch unabhängig von dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung aus § 137c Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) folge. Bei der Verwendung patientenindividuell angefertigter Prothesen handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die das Potential einer erfolgreichen Behandlungsalternative biete und daher unabhängig von der Wirtschaftlichkeit im Einzelfall von der Beklagten zu vergüten sei. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), zuletzt im Urteil vom 24.04.2018, Aktenzeichen B 1 KR 10/17 R, wonach auch im Anwendungsbereich des § 137c Abs. 3 SGB V das Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsgebot gelte, laufe insoweit dem Gesetzeszweck zuwider und sei abzulehnen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.958,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23.02.2017 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf das Gutachten des MDK. Es habe kein medizinischer Grund für die Verwendung einer Sonderprothese bestanden. Letzteres stelle einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot dar und begründe den Erstattungsanspruch gegen die Klägerin. Dabei werde die grundsätzliche Abrechenbarkeit von patientenindividuell angefertigten Prothesen nicht in Abrede gestellt, solange diese im Einzelfall wirtschaftlich seien. Genau dies sei aber im vorliegenden Behandlungsfall nicht gegeben gewesen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage des Dr. C, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Orthopädie und Rheumatologie, N-Krankenhaus, L. Dieser Sachverständige kam im Gutachten vom 18.06.2018 zu dem Ergebnis, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, warum unter Berücksichtigung der anatomischen Gegebenheiten bei der Versicherten anstelle einer Standardprothese eine patientenindividuell angefertigte Prothese habe verwendet werden müssen. Die Klägerin ist dem Gutachten mit dem Vortrag entgegengetreten, der Sachverständige verkenne die Vorteile einer patientenindividuellen Knieendoprothetik. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.10.2018 hat der Sachverständige Dr. C entgegnet, bei der Versicherten hätten keine spezifischen Besonderheiten des Kniegelenks vorgelegen, welche die Versorgung mit einer patientenspezifisch konfektionierten Kniegelenkstotalendoprothese medizinisch notwendig gemacht hätte. Es habe die Möglichkeit bestanden, sich für eine Standardversorgung mit einer vorkonfektionierten Prothese zu entscheiden.

Die Klägerin hat dagegen vorgebracht, dem Gutachten mangele es an wissenschaftlicher Qualität. Zudem spielten möglicherweise individuelle Produktvorlieben des Sachverständigen eine Rolle. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 07.01.2019 hat der Sachverständige Dr. C den Vortrag der Klägerin zurückgewiesen. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass er auch selbst bei Vorliegen einer medizinischen Indikation mit den patientenindividuell angefertigten Implantaten der Firma S, wie sie von der Klägerin verwendet würden, arbeiten würde.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24.01.2020, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. C, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihr am 23.02.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.03.2020 Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht sie geltend: Die Versorgung mit patientenindividuell gefertigten Knieendoprothesen verfolge ein höheres Behandlungsziel. Sie führe zu einer geringeren Inzidenz von schmerzhaften postoperativen Bewegungseinschränkungen und zu einer rascheren Rekonvaleszenz. Jedenfalls könne sie sich hinsichtlich der streitigen Leistung auf § 137c Absatz 3 SGB V stützen. Hier gelte das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht. Das ergebe sich aus der Gesetzesbegründung. Das „Potential“ sei die einzige Einschränkung, die der Gesetzgeber formuliert habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.06.2022 ist für die Klägerin wie auch die Beklagte niemand erschienen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2020 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,                                  

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Krankenakten.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte die Streitsache auch in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden, denn diese sind in der Terminsmitteilung, die sie erhalten haben, ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von 3.958,19 Euro aus dem unter den Beteiligten unstreitigen Behandlungsfall R.

Der Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 28.03.2017 – B 1 KR 29/16 R Rdn. 9 m.w.N.).

Davon ausgehend war die Beklagte aus dem Behandlungsfall R einem Vergütungsanspruch der Klägerin ausgesetzt. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass diese Forderung in voller Höhe gerechtfertigt war. Eine weitere Prüfung erübrigt sich insoweit (vgl. BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 R Rdn. 9 m.w.N.).

Diese Forderung ist jedoch durch wirksame Aufrechnung i.H.v. 3.958,19 Euro aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Beklagten aus der Behandlung der Versicherten erloschen (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 389 BGB).

Eine Aufrechnung ist wirksam (vgl. dazu im Einzelnen etwa BSG, Urteil vom 30.07.2019 -B 1 KR 31/18 R Rdn. 11 ff.), wenn bei bestehender Aufrechnungslage (§ 387 BGB) die Aufrechnung erklärt wird (§ 388 BGB) und keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen.

Die Aufrechnung als empfangsbedürftige einseitige Willenserklärung erfolgt nach § 388 Satz 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Sie setzt voraus, dass sowohl die Hauptforderung (Passivforderung) als auch die Gegenforderung (Aktivforderung) hinreichend konkret bezeichnet werden. Die Erklärung braucht nicht ausdrücklich abgegeben zu werden, es genügt die klare Erkennbarkeit des Aufrechnungswillens, selbst wenn der wirkliche Wille nur unvollkommen oder andeutungsweise aus der Erklärung erkennbar wird. Dabei wird auf den für die Auslegung von Willenserklärungen (§ 133 BGB) maßgebenden objektiven Empfängerhorizont abgestellt (zum Ganzen BSG a.a.O. Rdn. 16 m.w.N.). Hier gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Beklagte klargemacht hat, dass sie mit ihrem (behaupteten) Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall der Versicherten (Gegenforderung) gegen die unstreitige Forderung der Klägerin aus dem Behandlungsfall R i.H.v. 3.958,19 Euro aufrechnen wollte.

Eine Aufrechnungslage ist gegeben, wenn die in Rede stehenden Forderungen gleichartige Leistungen betreffen und die Beteiligten jeweils Gläubiger bzw. Schuldner der Forderungen sind, wobei die Hauptforderung erfüllbar und die Gegenforderung sowohl fällig als auch durchsetzbar sein muss (vgl. § 387 BGB). Die beiden Forderungen sind gleichartig, weil sowohl der behauptete Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall der Versicherten wie auch der Vergütungsanspruch aus dem Behandlungsfall R jeweils auf Geldzahlung gerichtet ist.

Die Beteiligten sind wechselseitig Gläubigerin bzw. Schuldnerin dieser beiden Forderungen. Die Hauptforderung aus dem Behandlungsfall R war erfüllbar. Denn die Beklagte konnte und durfte im Zeitpunkt der Aufrechnung auf die von der Klägerin in Rechnung gestellten Beträge Zahlungen leisten.

Für das Bestehen einer Aufrechnungslage kommt es damit entscheidend darauf an, ob die Gegenforderung – also der behauptete Erstattungsanspruch der Beklagten aus der Behandlung der Versicherten – im Zeitpunkt der Aufrechnung fällig und durchsetzbar war.

Als Rechtsgrundlage hierfür kommt allein der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht, der voraussetzt, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat (BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 62/12 R Rdn. 9 m.w.N.; Urteil des erkennenden Senats vom 27.10.2016 – L 5 KR 132/16 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn die Klägerin gegenüber der Beklagten für die hier in Rede stehende stationäre Behandlung der Versicherten keinen Vergütungsanspruch in der geltend gemachten Höhe (10.432,06 Euro) hatte.

Die oben bereits näher dargelegten Voraussetzungen eines Vergütungsanspruches für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung waren insofern nicht erfüllt, als die Voraussetzungen für den Ansatz der OPS-Prozedur 5-822.91 Sonderprothese „CAD/CAM“ nicht erfüllt waren. Deshalb konnte die Klägerin nicht die DRG I43B abrechnen, sondern vielmehr (nur) die DRG I44C. Dies führt zu einem um 3.958,19 Euro geringeren Vergütungsanspruch der Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass nur die DRG I44C abrechenbar ist, wenn der OPS 5-822.91 nicht in Ansatz gebracht werden darf.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte nur dann Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Stellt sich die Entscheidung des Krankenhausarztes über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung auch aus seiner Sicht ex ante als medizinisch nicht vertretbar heraus, so besteht keine Zahlungspflicht der Krankenkassen (BSG, Urteile vom 16.06.2012, B 3 KR 14/11 R und vom 16.05.2013, B 3 KR 32/12 R, juris; vgl. auch Urteil vom 30.06.2009, B 1 KR 24/08 R juris).

Für Krankenhausbehandlungen gilt wie für jegliche Leistungen des SGB V i.S. die Vorgabe des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach stellen die Krankenkassen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Das in § 2 Abs. 1 SGB V als ein Grundprinzip des Leistungsrechts verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot wird in § 12 SGB V näher umschrieben. Die Leistungen müssen danach ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Die Trias von Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne bestimmt den Leistungsanspruch Versicherter wie auch spiegelbildlich dazu die Leistungsberechtigung der Leistungserbringer (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Leistung ist zweckmäßig, wenn sie auf eine objektive und hinreichend wirksame Behandlung einer Krankheit gerichtet ist. Sie ist ausreichend (notwendig), wenn gerade das im Einzelfall erbrachte Maß an Leistungen unvermeidlich ist, um die Krankheit zu heilen oder ihre Verschlimmerung zu verhindern. Die Leistung ist wirtschaftlich im engeren Sinne, wenn eine angemessene Relation zwischen dem Leistungsaufwand und dem Nutzen besteht. Damit ist keine ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse maßgebend (Ulmer in: Eichenhofer/von Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 3. Aufl. § 12 RdNr. 12 ff. m.w.N.). Letzteres wird u.a. an § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V deutlich, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben.

Das Gebot der Wirtschaftlichkeit erfasst auch die stationäre Krankenhausbehandlung und die dort erbrachten Behandlungsmaßnahmen, u.a. die ärztlichen Leistungen. § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V bestimmt dazu, dass die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen umfasst, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, und benennt u.a. die ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1). Die Maßgabe findet sich in den Vergütungsbestimmungen wieder. So bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG, dass Krankenhausleistungen insbesondere ärztliche Leistungen sind, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KHEntgG sind allgemeine Krankenhausleistungen die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Leistungen werden dem Krankenhausträger nur dann vergütet, wenn diese im Lichte des Wirtschaftlichkeitsgebotes notwendig waren und damit auch die dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Qualität erbracht wurde. Behandelt ein Krankenhaus einen Versicherten bei erforderlicher Krankenhausbehandlung in unwirtschaftlichem Umfang, hat es allenfalls Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten anfiele (Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 2 SGB V [Stand: 15.06.2020], Rn. 27 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 10. März 2015 – B 1 KR 3/15 R Rn. 27).

Gemessen daran war zwar die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten erforderlich, um eine Knieendoprothese zu implantieren (dazu bereits oben). Auch die medizinische Indikation für die endoprothetische Versorgung selbst ist nicht zweifelhaft. Auch die Beklagte geht hiervon aus. Die der Versicherten implantierte CAD/CAM- Individualprothese war zwar zweckmäßig, weil sie für die endoprothetische Versorgung des Kniegelenks geeignet war. Sie überschritt aber das in diesem Einzelfall angezeigte Maß an Leistungen und war somit nicht notwendig (ausreichend) i.S.d. §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V, sondern eine Überversorgung. Die Wahl der CAD/CAM-Prothese, d.h. einer solchen, die individuell (personalisiert) mit Hilfe von CAD/CAM hergestellt wird und gemäß der Kodierung zu einem höheren Aufwand und damit höheren Kosten führt als eine konfektionierte Prothese (i.S. der unter 5-822.0 – 5-822.8 OPS-Kode 2014 aufgeführten), war nicht wirtschaftlich. Ausreichend war vielmehr eine konfektionierte (Standard-)Prothese.

Der Entlassungsbericht vom 07.10.2016 begründet die Verwendung der CAD/CAM-Prothese wie folgt: „Aufgrund des hohen Anspruchs sowie des jungen Lebensalters und der damit verbundenen hohen Erwartung und den bekanntermaßen hohen Revisionsraten aktiver Patienten wird zum Erreichen einer physiologischeren Knie-Kinematik und/oder knochensparenden Implantation eine CAD/CAM-Prothese gewählt“.

Diese Begründung überzeugt nicht. Für einen nachvollziehbar hohen Bewegungsanspruch der zum Zeitpunkt der Operation 68-jährigen Patientin (Rentnerin) fehlen jegliche Anhaltspunkte. Weder aus den Unterlagen der Verwaltungsakte noch in der Dokumentation des stationären Aufenthalts oder im Vortrag der Klägerin gibt es dazu substantiierte Hinweise oder eine nähere Beschreibung eines spezifischen Bewegungsanspruchs (Sport, berufliche Anforderungen an die Kniebelastung, etc.).

Die CAD/CAM-Endoprothese war auch nicht aus anderen Gründen notwendig. Dies hat der gerichtliche Sachverständige Dr. C in seinem Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen überzeugend und nachvollziehbar dargelegt. Im Einzelnen ergibt sich eine solche Notwendigkeit auch nicht aus den anatomischen Gegebenheiten bei der Versicherten. Besondere anatomische Verhältnisse, die die individuell hergestellte Prothese erforderten, sind bei der Versicherten nicht vorhanden gewesen. Solche hat auch die Klägerin selbst nicht behauptet.

Anhand der Patientenakte und der klägerischen Ausführungen ist nicht nachweisbar, dass die Verwendung der CAD/DAM-Endoprothese in dem Behandlungsfall zu einer schnelleren Rehabilitation führte. Die Patientin befand sich 9 Tage in stationärer Behandlung, über den exakten Zeitablauf, den Rehabilitationsverlauf und die Ergebnisse der Rehabilitation existieren keine patientenindividuellen Erkenntnisse.

Auch eine in erheblichem Umfang knochensparende Implantation der CAD/CAM-Prothese ist jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht belegt.

Die Klägerin behauptet demgegenüber auch vielmehr, dass eine individuell im CAD/CAM-Verfahren gefertigte Prothese generell und allgemein den vorkonfektionierten und im gewissen Rahmen angepassten Prothesen überlegen sei („höheres Behandlungsziel“) und meint, dies - ohne Bezug zum konkreten Fall - aus der wissenschaftlichen Studienlage ableiten zu können. Folgte man dieser Ansicht, so bestünde für jeden Versicherten ein Anspruch auf eine individuell gefertigte Kniegelenksprothese. Die im OPS 5-822 zum Ausdruck kommende Differenzierung zwischen vorkonfektionierten und individuell angepassten Prothesen wäre obsolet. Es liegt auf der Hand, dass die Auffassung der Klägerin nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, denn dann müsste sich die breite Mehrheit der operativ tätigen Orthopäden und Chirurgen regelhaft für die individuell angepasste Prothese entscheiden – was ganz offensichtlich nicht der Fall ist.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich aus § 137c SGB V kein für sie günstigeres Ergebnis. Es ist schon zweifelhaft, ob die Implantation einer CAD/CAM-Prothese als Potentialleistung im Sinne dieser Vorschrift gewertet werden kann; die ausdrückliche Nennung in der OPS-Prozedur 5-822.9.1. spricht vielmehr dafür, von einer allgemein anerkannten Behandlungsmethode auszugehen. Jedenfalls aber gilt auch für Potentialleistungen im Sinne des § 137c SGB V, dass sie den allgemeinen Vorgaben der §§ 2, 12 SGB V zu entsprechen haben. § 137c Absatz 3 SGB V modifiziert ausschließlich die Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode („Potential“), verlangt aber schon nach dem Wortlaut, dass die Behandlungsmethode „medizinisch indiziert und notwendig ist“. Notwendig ist die Implantierung einer patienten-individuell gefertigten Prothese aber nicht gewesen, weil hier eine allgemein anerkannte Behandlungsmethode in Form der Standardprothese zur Verfügung stand.

Die Erstattungsforderung ist im Augenblick der Überzahlung, d.h. noch im Jahre 2016, entstanden (dazu BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R Rdnr. 44 m.w.N.) und war damit im Zeitpunkt der Aufrechnung auch fällig. Denn mangels Sonderregelung - § 15 Abs. 1 Satz 1 des Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V findet auf Erstattungsforderungen keine Anwendung – trat Fälligkeit nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. § 271 Abs. 1 BGB) mit dem Entstehen des Anspruchs ein.

Gegen die Durchsetzbarkeit der Erstattungsforderungen bestehen keine Bedenken. Einreden hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

Aufrechnungsverbote greifen nicht ein. Weder §§ 8 ff. PrüfVV 2015 noch § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V stehen der Wirksamkeit der Aufrechnung entgegen.

Die Regelungen der PrüfVV 2015 finden auf den vorliegenden Fall Anwendung. Denn die Vereinbarung ist zum 01.09.2014 in Kraft getreten (vgl. § 12 Satz 1 PrüfVV 2015) und gilt für die Überprüfung bei Patienten, die, wie hier die Versicherte, ab dem 01.01.2015 in ein Krankenhaus aufgenommen worden sind (§ 12 Satz 2 PrüfVV 2015). Sie ist auch in sachlicher Hinsicht anwendbar, da eine Auffälligkeitsprüfung durchgeführt wurde, die – anders als eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung eines Krankenhauses – der Anwendung der PrüfVV 2015 unterliegt (vgl. BSG Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 18/16 R). In § 2 Abs. 1 PrüfVV 2015 ist insoweit bestimmt, dass diese Vereinbarung für die gutachtlichen Stellungnahmen nach § 275 Abs. 1c SGB V zur Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V gilt. Die an den MDK gerichteten Fragen betrafen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V), so dass es um eine Auffälligkeitsprüfung und nicht um eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit ging. Eine die Wirtschaftlichkeit betreffende Auffälligkeitsprüfung liegt immer dann vor, wenn Ziel der Prüfung die Feststellung ist, dass eine stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit überhaupt nicht oder nicht in dem Umfang der tatsächlich erfolgten Versorgung vorgelegen hat (BSG, Urteil vom 10.11.2021, B 1 KR 43/20 R mit weiteren Nachweisen). Betrifft die Prüfung die Frage, ob die mit Zusatzentgelten abgerechneten Leistungen medizinisch erforderlich waren und dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprachen, handelt es sich um eine Auffälligkeitsprüfung (BSG aaO). Nichts anderes gilt für die hier zu entscheidende Frage, ob die mit dem OPS-Code abgerechnete Leistung erforderlich war.

Die näheren Vorgaben, die § 9 PrüfVV 2015 für Aufrechnungen macht, sind eingehalten. Denn zum einen liegt zwischen der Behandlung und der Aufrechnung ein Zeitraum von deutlich weniger als neun Monaten (vgl. § 9 Satz 1 i.V.m. § 8 Satz 3 PrüfVV 2015). Zum anderen hat die Beklagte die Hauptforderung (also die Forderung aus dem unstreitigen Behandlungsfall R), gegen die sie mit ihrem Erstattungsanspruch aufgerechnet hat, im Sinne von  § 9 Satz 2 PrüfVV 2015 hinreichend konkret benannt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.07.2019 – B 1 KR 31/18 R, juris). 

Damit steht auch § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V einer Aufrechnung nicht entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob § 9 PrüfVV 2015 ein sich aus § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V ergebendes Aufrechnungsverbot als Spezialregelung verdrängt (so Urteil des erkennenden Senats vom 26.04.2018 – L 5 KR 593/17 Rdn. 28) oder ob ein solches Aufrechnungsverbot im Bereich von § 9 PrüfVV nicht nur nachrangig, sondern sogar nichtig ist (so BSG Urteil vom 30.07.2019, a.a.O., Rdn. 25 bis 27).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.

 

Rechtskraft
Aus
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