L 10 KR 907/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 2258/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 907/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 49/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 11.11.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 1.644,14 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Im Streit ist eine Forderung auf Rückerstattung einer geleisteten Krankenhausvergütung in Höhe von 1.644,14 EUR.

Der bei der Klägerin, einer gesetzlichen Krankenkasse, Versicherte N wurde im Zeitraum vom 18.02. – 20.06.2014 vollstationär im Krankenhaus G behandelt, dessen Trägerin die Krankenhaus G GmbH ist, die zur Holding der Beklagten gehört.

Am 08.11.2018 ist ein als Klage bezeichnetes, undatiertes Schriftstück bei dem Sozialgericht Duisburg (SG) eingereicht worden, mit dem die Klägerin eine Forderung in Höhe von 1.644,14 EUR gegen die Beklagte geltend gemacht hat. Dieses Schriftstück ist nicht auf dem von der Klägerin üblicherweise verwendeten Briefkopf gedruckt, enthält kein Aktenzeichen, keinen Namen oder Kürzel eines Bearbeiters und keine Unterschrift. Weiterhin sind in dem Schriftstück bestimmte Textpassagen grau hinterlegt, im Einzelnen: Die Angabe des Sozialgerichts sowie dessen Fax-Nummer, Name und Anschrift der Beklagten, Name und Geburtsdatum des Versicherten, die Dauer des stationären Aufenthaltes, die „Leistungserbringer-IK“, die „KV-Nr.“ sowie der Rückforderungsbetrag. In dem Schriftstück wird Bezug genommen auf „die übersandte Verwaltungsakte“ der Klägerin. Eine solche war dem Schriftstück jedoch nicht beigefügt.

Mit Schriftsatz vom 19.02.2019 und dem Zusatz „anbei befindet sich die Originalklage“ hat die Klägerin dasselbe Schriftstück wie am 08.11.2018 übersandt, diesmal jedoch auf ihrem Briefkopf und mit Stempel und Unterschrift versehen.

Unter dem 11.09.2019 haben sich die Prozessbevollmächtigten für die Klägerin bestellt und – auf eine entsprechende Rüge der Beklagten – eine Rubrumsberichtigung, hilfsweise eine Klageänderung beantragt. Klagegegner sollte nicht die Beklagte, sondern die Krankenhaus G GmbH (G GmbH) sein. Dies sei anhand der „Leistungserbringer IK“ eindeutig erkennbar. Hilfsweise sei eine Klageänderung sachdienlich und wirke im Falle eines Beteiligtenwechsels fristwahrend auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück.

Die Klage sei am 08.11.2018 formwirksam erhoben worden. Eine Unterschrift sei nach § 92 Abs 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht zwingend erforderlich. Aus einem fehlenden Briefkopf könne nicht auf einen fehlenden Willen zur Klageerhebung geschlossen werden. Ebenso sei unerheblich, dass die Klage nicht per Fax, sondern per Boten zu Gericht gelangt sei.

Die Beklagte hat in der Folge einer Berichtigung des Rubrums sowie einer Klageänderung durch Beteiligtenwechsel widersprochen.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2019 als unzulässig abgewiesen und ausgeführt, dass keine wirksame Klageerhebung vorgelegen habe. Das am 08.11.2018 eingegangene Schriftstück lasse keinen ausreichenden Willen erkennen, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu wollen, sondern stelle lediglich einen Entwurf dar. Unbeschadet dessen scheide auch eine Rubrumsberichtigung aus, da es sich um zwei verschiedene juristische Personen handle und keine Falschbezeichnung sondern ein Irrtum vorliege aus. Die nicht konsentierte Klageänderung komme mangels Sachdienlichkeit nicht in Betracht.

Gegen den ihr am 15.11.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 20.11.2019 Berufung eingelegt.

Sie nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass bei der Auslegung des Schriftstücks vom 08.11.2018 die Umstände der Ende 2018 kurzfristig geplanten Einführung von modifizierten Verjährungs- und Ausschlussregeln durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz zu berücksichtigen seien. Die Klägerin sei Anfang November 2018 gezwungen gewesen, innerhalb von nur zwei Tagen (zwischen der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses und dem Inkrafttreten der gesetzlichen Ausschlussfrist) mehrere hundert Klagen auf Rückzahlung von geleisteten Krankenhausvergütungen rechtshängig zu machen, damit es nicht zu einer Verjährung der Erstattungsansprüche komme. Aus diesem Zeitdruck seien die unübliche Form der Klageschrift sowie die Falschbezeichnung der Beklagten erklärlich. Die Formvorgaben seien nicht zwingend und der Wille der Klägerin, gerichtlichen Rechtschutz in Anspruch nehmen zu wollen, sei unzweifelhaft erkennbar. Die farbig hinterlegten Stellen seien für den konkreten Behandlungsfall ausgefüllt worden. Auch sei unmissverständlich aus dem Schriftstück vom 08.11.2018 schon anhand der angegebenen IK-Nummer erkennbar, dass nicht die Beklagte, sondern die G GmbH verklagt werden sollte, so dass das Rubrum von Amts wegen zu ändern sei. Hilfsweise sei jedenfalls eine Klageänderung sachdienlich, da ein weiterer Prozess vermieden werde. Diese wirke – da bei einer Leistungsklage keine Klagefrist gelte – auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück.

Nach der ausdrücklichen Klarstellung in der mündlichen Verhandlung, dass sie zu keinem anderen Zeitpunkt als am 08.11.2018 Klage erheben wollte

beantragt die Klägerin,

das Rubrum von Amts wegen zu ändern und die Krankenhaus G GmbH, T-Straße 30, G, vertreten durch die Geschäftsführung als Beklagte zu führen,

hilfsweise die Klage im Wege der Klageänderung auf die Krankenhaus G GmbH, umzustellen

und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 11.11.2019 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.644,14 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtsfehlerfrei. Der beantragten Klageänderung sei bereits widersprochen worden. Diese könne auch nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurückwirken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2019 als unzulässig abgewiesen, da keine wirksame Klageerhebung vorliegt. Diesbezüglich wird zunächst nach § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach § 90 SGG ein zwingendes Schriftformerfordernis enthält. Danach ist eine Klage bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Nur eine den Vorgaben des § 90 SGG entsprechende Klage ist wirksam erhoben. § 92 SGG bestimmt insoweit (lediglich) konkretisierend, dass die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen muss, wobei zur Bezeichnung des Beklagten die Angabe der Behörde genügt. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

Der Inhalt dieses Schriftformerfordernisses ist für das Prozessrecht zu bestimmen. Schon aus der Zusammenschau der beiden Normen wird deutlich, dass das Schriftformerfordernis des § 90 SGG eine eigenhändige Unterschrift nicht umfassen kann. Demnach legt die Rechtsprechung das Schriftformerfordernis für das Prozessrecht im Hinblick auf dessen Zweck der Rechtssicherheit und die Wahrung der (materiellen) Rechte der Beteiligten dahingehend aus, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschluss des GmS-OGB vom 30.04.1979, GmS-OGB 1/78 – juris Rn 31 und Beschluss vom 05.04.2000, GmS-OGB 1/98 – juris Rn 10, BSG, Urteil vom 16.11.2000, B 13 RJ 3/99 R – juris Rn 16).

Die Urheberschaft und der Wille, ein Schriftstück mit dem Willen, gerichtlichen Rechtschutz in Anspruch zu nehmen, in Verkehr zu bringen, müssen bei fehlender Unterschrift auf andere Weise erkennbar sein (Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 21. Februar 2019, L 1 U 1530/17 –juris Rn 24, BeckOK/Jaritz, Stand 1.1.2021, SGG § 90 Rn 30). Es muss gewährleistet sein, dass nicht nur ein Entwurf, sondern eine gewollte Prozesserklärung vorliegt, ferner, dass die Erklärung von einer bestimmten Person herrührt und diese für den Inhalt die Verantwortung übernimmt (BSG, Urteil vom 16.11.2000, B 13 RJ 3/99 R – juris Rn 16, Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl, § 92 SGG (Stand: 13.08.2020), Rn 46 mwN). Dies ist durch Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu ermitteln.

Nach diesen Grundsätzen fehlt es an einer schriftlichen Klageerhebung, denn das Schriftstück vom 08.11.2018 lässt die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen nicht hinreichend sicher erkennen, der Gesamteindruck des Schriftstücks ist der eines unautorisierten Entwurfs.

Insbesondere aufgrund der Formatierung, des fehlenden Briefkopfs, der fehlende Verwaltungsakte trotz Hinweises auf deren Anlage und jeglichen Fehlens der Benennung eines Verantwortlichen drängt sich dieser Eindruck auf. Das Schriftstück vermittelt den Eindruck, die Vorbereitung bzw der Entwurf einer Klageschrift zu sein, die zu einem späteren Zeitpunkt noch fertiggestellt werden sollte. Der Briefkopf ist zwar nicht Voraussetzung für die Feststellung der Urheberschaft, gibt aber ein starkes Indiz dafür. Die Unterschrift und der Stempel dienen regelmäßig insbesondere dazu, nach außen zu verdeutlichen, dass das jeweilige Schriftstück von der verantwortlichen Stelle freigegeben und willentlich in den Rechtsverkehr gelangt ist. Dies sicherzustellen dienen die bei einer Behörde oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie der Klägerin, bestehenden Zeichnungs- und Beglaubigungsbefugnisse, damit gesichert ist, dass ein Schriftstück nicht ohne Einhaltung der erforderlichen Form und ohne die entsprechende Legitimation des Bearbeiters in den Rechtsverkehr gelangt. Diese verdeutlicht, dass Stempel, Beglaubigungsvermerk bzw Unterschrift bei einer Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts eine höhere Bedeutung zukommt, als bei Privatpersonen (vgl GmS-OGB, Beschluss vom 30. April 1979, GmS-OGB 1/78 – juris Rn 33 – 36). Die Möglichkeit der Körperschaft des öffentlichen Rechts, bestimmte Personen mit Zeichnungs- oder Beglaubigungsrechten auszustatten, diesen deren Schutz. Wenn alle Hinweise auf den Verantwortlichen für ein Schriftstück fehlen, lässt sich bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts die Urheberschaft kaum zweifelsfrei feststellen und spricht vieles dafür, dass das Schriftstück nicht mit Wissen und Wollen der Körperschaft in den Rechtsverkehr gelangt ist.

Der objektiv bestehende Eindruck eines nicht autorisierten Entwurfs kann – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch im Hinblick auf die Umstände der Klageerhebung nicht erschüttert werden. Der Vortrag, dass die Klage angesichts der geplanten Verkürzung der Verjährung unter enormem Zeitdruck in einer rechtlich und politisch unsicheren Lage eingereicht worden sei, belegt Urheberschaft und Rechtsverkehrswillen aus objektiver Sicht nicht. Es wird angesichts der fehlenden Unterschrift, der fehlenden Benennung eines Verantwortlichen, des fehlenden Briefkopfs und der grau hinterlegten Felder vielmehr deutlich ersichtlich, dass das Schriftstück einen Entwurf darstellte, der gerade noch nicht durch die verantwortlichen Personen freigegeben worden war.

Am 08.11.2018 hat die Klägerin nicht wirksam Klage erhoben. Nach ihrer ausdrücklichen Klarstellung, dass nur an diesem Tag Klage erhoben werden sollte, kommt eine mögliche Auslegung späterer Schriftsätze als Klageerhebung zu einem anderen (späteren) Zeitpunkt, abgesehen davon, dass eine solche Auslegung ohnehin fernliegt, nicht in Betracht.

Mangels wirksamer Klageerhebung scheidet eine Rubrumsberichtigung wie auch eine (rückwirkende) Klageänderung aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Es besteht kein Anlass, die Revision nach § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1, 1. HS SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und Abs 3, 47 Abs 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

 

Rechtskraft
Aus
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