Unstrittige Aufgabe der stationären Notfallversorgung in Deutschland ist es, Patientinnen und Patienten in akuten medizinischen Notfallsituationen, die einer stationären Behandlung im Krankenhaus bedürfen, erstzuversorgen und ins Krankenhaus aufzunehmen.

Eine Anlaufstelle für alle Notfälle

Eine der größten Errungenschaften der letzten Jahre ist, dass es selbstverständlich geworden ist, dass eine medizinisch hochwertige Notfallversorgung in einem Krankenhaus interdisziplinär in einer zentralen Notaufnahme (ZNA) erfolgen sollte, also einer Anlaufstelle für alle Notfallpatientinnen und -patienten [1]. An vielen Standorten war es früher üblich, dass verschiedene Kliniken ihre eigenen Notaufnahmen hatten. Damals musste an der Pforte, vom zuführenden Rettungsdienst oder den fußläufigen Patientinnen und Patienten selbst entschieden werden, ob beispielsweise jemand mit einem unklaren Abdomen zunächst in der Notaufnahme der chirurgischen oder der internistischen Klinik behandelt werden sollte.

Die interdisziplinäre Behandlung in einer Notaufnahme ist medizinisch ein absoluter Fortschritt

Die gemeinsame interdisziplinäre Behandlung in einer Notaufnahme als neuer Goldstandard ist aus medizinischer Sicht ein absoluter Fortschritt, auch wenn sie noch nicht flächendeckend umgesetzt ist. Durch die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu einem gestuften System der Notfallversorgung in Krankenhäusern aus dem Jahr 2018 [2] findet jedoch auch dort ein Umdenken statt, wo bisher noch keine ZNA etabliert worden ist.

Inanspruchnahmeverhalten: quantitative und qualitative Aspekte

Vor allem in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre ist es in Deutschland zu einer deutlichen Zunahme der Inanspruchnahme von Notaufnahmen gekommen. Dies hat an vielen Stellen zu einer regelhaften Überlastung der räumlichen und personellen Kapazitäten von Notaufnahmen geführt [3]. Im Jahr 2018 hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ein Gutachten über die „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ vorgelegt, das einen umfassenden Reformbedarf festgestellt hat [4]. Kurz vor der ersten Welle der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Pandemie in Deutschland im Jahr 2020 wurde der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt, bei dem die drei Bereiche ambulant, stationär und Rettungsdienst zu einem System der integrierten Notfallversorgung weiterentwickelt werden sollten. Hier verfolgte Lösungsansätze waren ein gemeinsames Notfallleitsystem (GNL im Sinne einer Kooperation zwischen 112 und 116 117), integrierte Notfallzentren (INZ) unter der Leitung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) an den Krankenhausstandorten und die Anerkennung des Rettungsdiensts als Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung [5].

Die Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Notfallversorgung

Das Prinzip „ambulant vor stationär“ ist zu Recht Leitsatz der deutschen Sozialgesetzgebung. Ambulante Leistungen sollen grundsätzlich im vertragsärztlichen Bereich erbracht werden, stationäre Leistungen in den Krankenhäusern. Das Problem ist, dass Hilfesuchende nicht im Voraus wissen können, ob die Akut- und Notfallversorgung neuer und/oder als bedrohlich empfundener Änderungen des Gesundheitszustands schließlich zu einer stationären Aufnahme ins Krankenhaus führt (sogenannte stationäre Notfallversorgung) oder nicht (sogenannte ambulante Notfallversorgung; Abb. 1). Die aktuellen Ansätze zur Steuerung des Inanspruchnahmeverhaltens gehen davon aus, dass es möglich ist, durch ein strukturiertes Assessment der Behandlungsdringlichkeit den korrekten Versorgungsbereich zu ermitteln, sei es am Telefon, im vertragsärztlichen Sektor, am Empfang der Notaufnahme bzw. an einem gemeinsamen Tresen oder im Rettungsdienst. Obschon zahlreiche Bemühungen unternommen wurden, gibt es bisher kein evidenzbasiertes System für das deutsche Gesundheitswesen, das dies wissenschaftlich erwiesenermaßen sicher und zuverlässig leisten kann. Die haftungsrechtlichen Implikationen, wenn Ärztinnen und Ärzte in einer Notaufnahme oder an einem gemeinsamen Tresen dokumentierte Ad-hoc-Entscheidungen treffen sollen, die zu einer Weiterleitung von Hilfesuchenden an andere Orte führen, sind noch nicht geklärt.

Abb. 1
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Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Notfallversorgung. Ein Notfall gilt als ambulant, wenn die Patientin bzw. der Patient nach der Versorgung nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden muss. Dies ist jedoch zum Zeitpunkt der ersten Präsentation des Notfalls bisher nicht sicher vorhersagbar, weder aufgrund eines Assessments noch aufgrund eines Beschwerdebilds

Eine Betrachtungsweise, die patientenzentriert ist, geht besser von Beschwerdebildern aus und legt fest, wo diese abgeklärt werden sollen. So ist es etwa sinnvoll, akuten Thoraxschmerz, akute Dyspnoe, akute Vigilanzminderung, ein akutes Abdomen oder eine Intoxikation mit den Mitteln eines Krankenhauses abzuklären, da hier beispielsweise Labor, Bildgebung, Monitoring und eine interdisziplinäre Behandlung verfügbar sind, auch wenn die Akutbehandlung nicht zwangsläufig in einer stationären Aufnahme ins Krankenhaus resultiert.

Bereits heute führt eine Einweisung ins Krankenhaus nicht zwingend zu einer stationären Aufnahme

Bereits heute kann es bei Einweisungen ins Krankenhaus sehr wohl sein, dass die Fälle nicht zu einer stationären Aufnahme führen. So erfordert etwa eine Notfalleinweisung „Ausschluss tiefe Beinvenenthrombose“ eine Laborbestimmung und/oder Kompressionsvenensonographie, aber nicht per se eine stationäre Aufnahme. Die Einweisung „unklare Leberwerterhöhung“ soll sicher zu einer dringlichen Abklärung beispielsweise an einem Leberzentrum führen, bedarf aber keinesfalls automatisch einer stationären Behandlung. Bei „Übelkeit und Erbrechen“ ist gegebenenfalls die intravenöse Gabe von Medikamenten und Flüssigkeit notwendig, manchmal auch Laborwertbestimmungen und Bildgebung. Aber nach wenigen Stunden kann schon feststehen, dass die weitere Behandlung ambulant erfolgen wird. Für Einweisungen mit „Fieber“, „Schwindel“ usw. ließen sich analoge Verläufe aufzeigen. Für die Möglichkeit, (vor-)stationär abrechnen zu können, sind oftmals unter dem Anspruch der Qualitätssicherung Dokumentationserfordernisse geschaffen worden, die sich nicht immer erfüllen lassen, sodass viele dieser intensiv abgeklärten Notfallbehandlungen letztlich nur mit der Ambulanzpauschale vergütet werden können. Eine Entlastung von bürokratischen Erfordernissen, bei denen es um Selbstverständlichkeiten geht, ist notwendig. Es ist klar, dass ein akutes Koronarsyndrom unverzüglich leitliniengerecht abzuklären ist, die Dokumentation eines putativen Behandlungsplans für eine stationäre Aufnahme ist jedoch zeitraubende Bürokratie in einer Notaufnahme.

Es ist aktuell nicht absehbar, dass der vertragsärztliche Bereich in der Lage wäre, den Grundsatz „ambulant vor stationär“ durch von ihm verantwortetes und durchgeführtes Assessment auch 24 h täglich und 7 Tage pro Woche zu gewährleisten. Dass die ambulante Notfallversorgung zu besonders ungünstigen Zeiten (beispielsweise nach Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden) dann weiterhin zu hohen Vorhaltekosten von den Krankenhäusern übernommen wird, wäre nicht nur ungerecht, sondern würde auch zu praktischen Problemen führen. Auch Kliniken haben zunehmend Probleme, hierfür ausreichend Personal zur Verfügung zu haben. Angestellte Ärztinnen und Ärzte verdienen mehr, wenn sie in einer KV-Praxis angestellt sind als bei einer Anstellung in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Wenn ambulante und minderschwere Fälle flächendeckend nicht mehr in Notaufnahmen behandelt werden könnten, müsste nicht nur die Finanzierung der Vorhaltekosten neu überdacht werden, es hätte de facto auch Auswirkungen darauf, dass im Krankenhaus angestellte Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Weiterbildung noch weniger Erfahrungen mit ambulanter Versorgung machen.

Vorgaben aus dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz zur neuen Ersteinschätzung – Verknüpfung der Evaluation der Behandlungsdringlichkeit innerhalb einer Notaufnahme mit der Zuständigkeit eines Versorgungssektors

Ersteinschätzung hat die Aufgabe herauszufinden, wie lange ein Notfall wahrscheinlich auf den ersten Arztkontakt warten kann, ohne dass dies für die Patientinnen und Patienten nachteilig wäre oder ihnen ein schwerer Schaden entsteht. Hierfür gibt es verschiedene anamnese- und/oder vitalparameterbasierte Systeme, die evidenzbasiert sind. Die häufigsten verwendeten sind die Manchester-Triage und Emergency-Severity-Index(ESI)-adaptierte Systeme [6]. Dabei ist es unerheblich, ob die Ersteinschätzung von einer Ärztin/einem Arzt oder einer erfahrenen Pflegekraft durchgeführt wird [7]. Diese etablierten Verfahren sind nicht geeignet, die sektorale Zuständigkeit zu evaluieren.

Im Juli 2021 wurde durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) in § 120 Abs. 3b Sozialgesetzbuch (SGB) V der Arbeitsauftrag an den G‑BA verankert, bis zum 20.07.2022 Vorgaben zur Durchführung einer qualifizierten und standardisierten Ersteinschätzung des medizinischen Versorgungsbedarfs von Hilfesuchenden, die sich zur Behandlung eines Notfalls in einer Notaufnahme vorstellen, zu erstellen. Nach Prüffrist durch das Bundesministerium für Gesundheit sollte am 30.09.2022 die Veröffentlichung erfolgen und das Regelwerk in Kraft treten. Mittlerweile hat das BMG bekanntgegeben, dass die Frist für den G‑BA um ein Jahr verlängert werden soll. Dies soll – bezeichnenderweise – durch das Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)-Finanzstabilisierunggesetz gesetzlich geregelt werden. Die Vergütung ambulanter Leistungen zur Behandlung von Notfällen im Krankenhaus setzt ab dem Inkrafttreten des Beschlusses (und einer eventuellen Übergangsphase) sehr wahrscheinlich voraus, dass bei der Durchführung der Ersteinschätzung ein sofortiger Behandlungsbedarf festgestellt wurde. Es ist davon auszugehen, dass der G‑BA schließlich festlegen könnte, dass dies nur bei einem Triagelevel von 1 oder 2 gegeben ist oder wenn ein weiteres Assessment durchgeführt wurde, beispielsweise die „Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland“ (SmED), die auf einem in der Schweiz etablierten System beruht (Abb. 2).

Abb. 2
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Überlegungen zur Vorhersage der sektoralen Zuständigkeit. Der G‑BA hat den gesetzlichen Auftrag erhalten zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen Notaufnahmen von Krankenhäusern zukünftig noch ambulante Leistungen erbringen dürfen. Es ist anzunehmen, dass hierfür ein weiteres Assessment zusätzlich zur Ersteinschätzung durchzuführen sein wird. Kurz vor Fristablauf Mitte Juli 2022 war bekannt geworden, dass das BMG die Frist für den G‑BA für ein Jahr verlängern möchte. Anfang August 2022 wurde bekannt, dass diese Fristverlängerung gesetzlich durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz umgesetzt werden soll. BMG Bundesministerum für Gesundheit, G‑BA Gemeinsamer Bundesausschuss, GKV Gesetzliche Krankenversicherung, ESI Emergency Severity Index, MTS Manchester-Triage-System, SmED Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland

Als besonders kritisch ist anzusehen, dass bei Patientinnen und Patienten, gemäß deren Ersteinschätzung es nicht sofort notwendig ist, dass eine Ärztin oder ein Arzt sich um sie kümmert (Triagelevel 3–5), direkt ein weiteres Assessment erfolgen soll, das Ressourcen erfordert. Dabei ist der Sinn der Ersteinschätzung ja gerade festzustellen, dass die derart ersteingeschätzten Patientinnen und Patienten nicht sofort weitere Ressourcen binden sollen. Gerade in Notaufnahmen von Universitätskliniken und Maximalversorgern ist nicht sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass alle Patientinnen und Patienten, deren Triagelevel 3–5 ist, nicht sinnvollerweise vom Krankenhauspersonal versorgt werden sollten, da sie komplexe, im Krankenhaus bekannte Vorerkrankungen haben oder im Klinikum vorbehandelt sind. Das betrifft etwa Patientinnen und Patienten nach Stammzell- und Organtransplantation, solche mit Kunstherzen, jüngst durchgeführten Operationen und anderen Behandlungen. Die neu geplante Regelung, die die Ersteinschätzung verkompliziert und deutlich aufwendiger macht, weckt den Verdacht, dass es Krankenhäusern lediglich erschwert werden soll, die Behandlung von Patientinnen und Patienten abzurechnen, die sehr wohl mit den Mitteln einer Notaufnahme versorgt werden müssen. Dies würde die systematische Unterfinanzierung von Vorhaltekosten in Notaufnahmen weiter verstärken.

Aus medizinischer Sicht wäre es zu befürworten, dass sich die Zuständigkeit einer Notaufnahme aus dem Beschwerdebild, also einer patientenzentrierten Sichtweise, ergibt. Es wäre sinnvoll, zwischen zwei Kategorien von Patientinnen und Patienten zu unterscheiden:

  • Das Beschwerdebild muss in einer Notaufnahme mit den Mitteln des Krankenhauses akut abgeklärt werden. Ob im Anschluss an die akute Abklärung tatsächlich eine stationäre Aufnahme erfolgt, ist hierbei unerheblich. Der Dokumentationsaufwand muss realistisch erfüllbar, also niedrig sein.

  • Es ist von vornherein klar, dass eine stationäre Aufnahme erfolgen muss, etwa bei Kreislaufstillstand, septischem Schock oder Bluterbrechen.

Qualifikationsanforderungen: Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“

Der 121. Deutsche Ärztetag hat am 11.05.2019 einstimmig die Novelle der Muster-Weiterbildungsordnung (MWBO) beschlossen, die die Einführung der neuen Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ vorsieht. Diese wurde sukzessiv von den Landesärztekammern umgesetzt. Die Zusatzweiterbildung umfasst in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die Akut- und Initialtherapie sowie die Indikation und Koordination der weiterführenden fachspezifischen Behandlung in interdisziplinärer Zusammenarbeit.

Den Fachgebieten darf nicht die Kompetenz für akute Krankheitsbilder abgesprochen werden

Bei gutachterlichen Streitfragen vor Gericht wird weiterhin regelhaft geprüft, ob eine Behandlung auf Facharztniveau erfolgt ist. Es ist noch völlig unklar, wie die Rechtsprechung in haftungsrechtlichen Fragen zukünftig damit umgehen wird, wenn Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ Patientinnen und Patienten behandeln, die eigentlich von Ärztinnen und Ärzten mit einer anderen Fachgebietszugehörigkeit behandelt werden müssten, beispielsweise wenn eine Fachärztin für Innere Medizin mit der Zusatzweiterbildung einen Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma behandelt oder eine Notfallgeburt betreut oder wenn ein Facharzt für Anästhesiologie mit der Zusatzweiterbildung eine Patientin mit Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom abschließend behandelt.

Im Umkehrschluss darf den Fachgebieten aber nicht die Kompetenz für akute Krankheitsbilder abgesprochen werden. Dies wäre der Fall, wenn beispielsweise eine Fachärztin oder ein Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie zukünftig nur noch Patientinnen und Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom behandeln dürfte (bzw. die Behandlung abrechnen dürfte), wenn sie oder er auch über die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ verfügt. Der G‑BA hat das Vorhandensein der Zusatzweiterbildung bei der ärztlichen Leitung von Notaufnahmen zur Voraussetzung dafür gemacht, dass die Krankenhäuser am gestuften System der Notfallversorgung teilnehmen dürfen. Es ist anzunehmen, dass die Qualifikationsanforderungen zukünftig auch für Personen steigen werden, die tatsächlich die Patientinnen und Patienten versorgen. Hierbei ist sinnvoll, dass Patientinnen und Patienten von Personen versorgt werden, die entweder Facharztstandard für das Fachgebiet haben oder hilfsweise die Zusatzweiterbildung nachweisen können.

Im ambulanten Sektor erfolgt die Versorgung regelhaft fachgebietsübergreifend, und im Rettungsdienst ist der Facharztstandard keine Voraussetzung, die Zusatzweiterbildung „Notfallmedizin“ hingegen schon (Tab. 1). In Deutschland gibt es im Vergleich zum angelsächsischen Raum viele notarztbesetzte Rettungsmittel, sodass viele Patientinnen und Patienten präklinisch bereits ärztlich vorbereitet und stabilisiert werden (Strategie des „stay and play“ vs. „scoop and run“). Solche Notfälle sollten nach instrumenteller und medikamentöser Erstversorgung dann in einer Notaufnahme schnellstmöglich fachgebietsspezifisch auf Facharztniveau weiterversorgt werden. Bei Nichtverfügbarkeit der Fachrichtungen ist das Vorhandensein der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ sicher sinnvoll.

Tab. 1 Bisherige (Mindest‑)Qualifikationsanforderungen für Personal in der Notfallversorgung

Der Rettungsdienst sollte auch befähigt werden, Patientinnen und Patienten strukturiert und evidenzbasiert so ersteinzuschätzen, dass – gegebenenfalls mit telemedizinischer Unterstützung – entschieden werden kann, ob eine haus- oder fachärztliche Weiterbehandlung am nächsten Werktag bzw. die Direktanfahrt einer KV-Praxis möglich ist (bei wenig dringlichem Beschwerdebild) oder die Notaufnahme eines Krankenhauses angefahren werden muss (regionale Projekte mit Modellcharakter gibt es bereits, beispielsweise in Göttingen und Hessen). Notwendig wäre jedenfalls, ein vernünftiges, aufeinander abgestimmtes Konzept über Qualifikationsanforderungen für alle Sektoren und Bereiche der Notfallversorgung zu erstellen.

Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der Prozesse

Für die präklinische Allokation von Notfällen in die Versorgungsstrukturen der Krankenhäuser ist es sehr wichtig, dass der Rettungsdienst über die notwendigen Informationen zur aktuellen Auslastung nicht nur der Notaufnahmen, sondern auch nachgeschalteter Kapazitäten verfügt, etwa in Bezug auf Herzkatheter, Intensivstationen, Computertomographie, Kreißsaal sowie Behandlungs- und Überwachungsplätze. Es existiert kein bundeseinheitliches System hierfür. Dies führt bei Versorgung über die Grenzen der Bundesländer hinaus oft zu deutlichen Problemen. Abgestimmte Lösungen sind notwendig. Kapazitäten von Arztpraxen mit abzubilden, ist sinnvoll, zumal wenn auch der Rettungsdienst ersteingeschätzte Patientinnen und Patienten direkt in eine KV-Praxis bringen darf oder wenn aus Notaufnahmen unverzüglich an Niedergelassene verwiesen werden soll.

Diverse Handlungsfelder

Weiterer Handlungsbedarf besteht beispielsweise darin, die Versorgungmöglichkeiten für geriatrische oder demente Patientinnen und Patienten außerhalb von Notaufnahmestrukturen der Krankenhäuser, beispielsweise in den Pflegeheimen, auch bei kurzfristig aufgetretenen oder verstärkten Beschwerden zu verbessern sowie flächendeckend Katastrophenschutzmaßnahmen inklusive der Versorgung eines Massenanfalls von Verletzten zu gewährleisten. Die Durchsetzung des Prinzips der Trennung von Notfall- und Elektivversorgung in einem Krankenhaus ist sehr wichtig, damit das Personal der Notaufnahme sich jederzeit gut um die dringlich zu behandelnden Patientinnen und Patienten kümmern kann. Kurzstationäre Bereiche können sinnvoll sein, sind aber noch nicht überall vorhanden. Gewalt gegenüber dem Personal in Notaufnahmen erfordert immer mehr präventive und schützende Maßnahmen. Inflationäre Anforderungen bezüglich des Dokumentationsaufwands, etwa hinsichtlich bestehender Pflegegrade im Rahmen der Notfallversorgung, gilt es zu vermeiden.

Auf diesen Gebieten muss nicht zwingend der Gesetzgeber aktiv werden, die Organisationsverantwortung liegt auch beim G‑BA, den Kostenträgern, Krankenhausbetreibern und den Ministerien bzw. Behörden der Bundesländer in Bezug auf die Einhaltung bestehender Regeln.

Ausblick

Aus medizinischer Sicht ist der Wesenskern der INZ der gemeinsame Tresen, an dem rein medizinisch motivierte Allokationsentscheidungen getroffen werden. Ob das INZ de facto eine Organisationseinheit ist oder durch Verträge zwischen KV und Krankenhaus virtuell zusammengehört, ist hierfür unerheblich. Der gemeinsame Tresen sollte unbedingt auch gemeinsam verantwortet bleiben. Die Verknüpfung der Forderung „ambulant vor stationär“ mit der Forderung, dass der ambulante und stationäre Sektor bei der Notfallversorgung noch enger zusammenarbeiten, kann nicht dazu führen, dass die INZ die Notaufnahmen komplett beinhalten und diese dann von den KVen geleitet werden. Denn die stationäre Aufnahme von Patientinnen und Patienten in das Krankenhaus gehört untrennbar zur stationären Versorgung. Es bleibt weiterhin nicht realistisch, dass die KVen flächendeckend tatsächlich 24 h täglich und 7 Tage pro Woche alle INZ mit eigenem Personal ausstatten.

Die Entscheidung über die richtige Versorgungseinheit sollte nicht erst am Notfalltresen fallen

Neben langfristigen Maßnahmen, die die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken, ist es sicher zielführend, der Vorstellung in einer Notaufnahme eine Entscheidungsinstanz vorzuschalten, um für die Patientinnen und Patienten mit ihren Beschwerde- oder Verletzungsbildern die für sie bestmögliche medizinische Versorgung auszuwählen. Die bestehenden Modelle der Notfallversorgung überlassen den Patientinnen und Patienten die Entscheidung über die geeignete Versorgungseinheit für ihr Beschwerdebild. Dabei sorgen die Patientinnen und Patienten für eine Überbeanspruchung von Rettungsmitteln und auch regelmäßig für Overcrowding-Situationen in den Notaufnahmen, weil eben bei wenig dringlichen Beschwerdebildern nicht die Hausärztin oder der Hausarzt oder die Notfallpraxis, sondern das Krankenhaus als primärer Behandler ausgewählt wird. Um dies zu verhindern, sollte die Entscheidung über die richtige Versorgungseinheit nicht erst am Notfalltresen der Notaufnahme oder des INZ getroffen werden, sondern muss bereits erfolgen, bevor sich die Patientinnen und Patienten auf den Weg zur Notfallbehandlung machen.

Nur gemeinsam und miteinander kann es gelingen, die Qualität der Versorgung hochzuhalten

Hier könnte beispielsweise das dänische Notfallversorgungsmodell zumindest als Leitlinie für eine ähnliche Struktur auch in Deutschland heranzogen werden (Abb. 3). In Dänemark wählt die Patientin oder der Patient je nach Selbsteinschätzung des Beschwerdebilds zwischen einem telefonischen Kontakt mit der Hausärztin oder dem Hausarzt, dem hausärztlichen Out-of-hours-Notdienst oder der Rettungsleitstelle. Von dort wird sie oder er von medizinischem Fachpersonal beraten oder erhält direkt in der für sie bzw. ihn richtigen Versorgungseinheit einen Termin für eine Notfallkonsultation. Dieses Modell setzt voraus, dass insbesondere die Anlaufstelle Hausärztin/Hausarzt für die Patientin oder den Patienten zuverlässig erreichbar ist und bei entsprechender medizinischer Notwendigkeit kurzfristig konsultiert werden kann. Der Rettungsdienst als Transportmittel wird für ausgewählte Notfallsituationen bereitgehalten und nicht von den Patientinnen und Patienten ausgewählt, sondern von medizinischem Fachpersonal disponiert [8]. Eine derartige Vorsortierung der medizinischen Notfälle führt zur Entlastung der Rettungsdienste und der Notaufnahmen.

Abb. 3
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Schema zur Notfallversorgung in Dänemark. Unnötige Selbstvorstellungen in Notaufnahmen von Krankenhäusern werden vermieden, weil ambulante Strukturen vorgeschaltet sind, die 24 h täglich und 7 Tage pro Woche effektiv Notfälle abschließend versorgen können. KTW Krankentransportwagen, OOH „out of hours“, RTW Rettungswagen

Eine Kombination verschiedener Maßnahmen ist am vielversprechendsten, beispielsweise eine telemedizinische Unterstützung im Rettungsdienst mit Übertragung von Allokationsverantwortung sowie der Möglichkeit abschließender Behandlungen, eine Verknüpfung der Leitstellen von 112 und 116 117, präferierte Pfade (ein Begriff aus der Welt der „choice architecture“) für die Terminvergabe im ambulanten Sektor, KV-Praxen als erste Anlaufstellen etc. Die Autonomie von Krankenhäusern, ihre Notaufnahmen selbst zu organisieren, sollte nicht verletzt werden.

Für eine gute Zusammenarbeit ist wichtig, dass offen und lösungsorientiert auch über die Dinge gesprochen wird, die grundsätzlich nicht gut geregelt oder im Einzelfall nicht gut gelaufen sind. Bisher gibt es keine systematischen qualitätssichernden Maßnahmen für die Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und stationären Sektor sowie dem Rettungsdienst. Unter Beteiligung der aufsichtführenden Behörden sollten beispielsweise ein Meldesystem für kritische Ereignisse („critical incident reporting system“ [CIRS]) und quartalsweise Qualitätszirkel etabliert werden. Es sollten unbedingt diejenigen einbezogen werden, die auch tatsächlich an der Versorgung beteiligt sind. Dies gilt für viele Berufsgruppen. Denn nur gemeinsam und miteinander kann es gelingen, die Qualität der Versorgung hochzuhalten und die Belastung der Leistungserbringenden zu reduzieren.

Fazit für die Praxis

  • Notfallversorgung ist eine zentrale Aufgabe des Gesundheitswesens.

  • Eine interdisziplinäre zentrale Notaufnahme ist der Klinikstandard.

  • Es muss anerkannt werden, dass es Patientinnen und Patienten gibt, deren Beschwerdebilder mit den Mitteln des Krankenhauses abgeklärt werden müssen, obwohl ihre stationäre Aufnahme nicht von vornherein feststeht.

  • Notwendig ist ein vernünftiges Konzept über Qualifikationsanforderungen für alle Bereiche der Notfallversorgung.

  • Mittel- bis langfristig ist ein Kulturwandel wünschenswert, der zu einem verantwortungsvolleren Inanspruchnahmeverhalten in Bezug auf Notfallstrukturen führt. Erstrebenswert sind unter anderem „präferierte Pfade“ für eine ambulante Versorgung. Zudem gilt es, die Gesundheitskompetenz bereits im Kindesalter bzw. in der Schule zu stärken.

  • Es sollte eine evidenzbasierte Entscheidungsinstanz vorgeschaltet werden, die sicher Allokationsentscheidungen nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ treffen kann.

  • Es sollten qualitätssichernde Maßnahmen etabliert werden, inklusive eines „critical incident reporting system“ (CIRS), das die Zusammenarbeit der Sektoren betrifft.