Verwischtes Bild eines Rettungswagens mit Blaulicht auf dem Weg zum Einsatz.
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Ein Rettungswagen mit Blaulicht auf dem Weg zum Einsatz: Zwei Nürnberger Notfallsanitäter klagen über massive Probleme im System.

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Sanitäter klagen: Unqualifiziertes Personal, schlechte Stimmung

Die ambulante Notfallversorgung in Deutschland ist stark belastet. Vor allem der Personalmangel ist das Problem, sagen Beschäftigte im Gesundheitswesen. Zwei Notfallsanitäter aus Nürnberg klagen: Manche der Probleme sind auch hausgemacht.

Verantwortliche im Gesundheitswesen im Großraum Nürnberg schlugen vor wenigen Tagen Alarm: Die Notfallversorgung sei derzeit am Limit, hieß es auf einer Pressekonferenz mit Krankenhausmedizinern und dem Leiter der Integrierten Leitstelle Nürnberg. Ein Hauptgrund dafür sei, dass es immer weniger qualifiziertes Personal gebe. Aus Sicht zweier Mitarbeiter des Rettungsdienstes stimmt das aber nur zum Teil. Einige Probleme seien hausgemacht, berichten sie im Gespräch mit BR24.

  • Zum Artikel: Am Limit: Die Notfallversorgung im Raum Nürnberg

Disponenten verlassen sich auf vorgegebene Fragen

Die beiden Notfallsanitäter, die anonym bleiben wollen, klagen vor allem über zu wenig Sach- und Fachkenntnis in der Integrierten Leitstelle (ILS) in Nürnberg, die für drei Städte und drei Landkreise zuständig ist. Viele der Disponenten, vor allem diejenigen, die von der Feuerwehr kommen, hätten keine ausreichenden medizinischen Kenntnisse. Diese seien aber nötig, um den Menschen, die die Notfallnummer 112 wählen, die richtigen Fragen zu stellen. Stattdessen verließen sich viele auf die Fragen, die das elektronische Notfallabfragesystem NOAS ihnen vorgibt. "Da wird nur abgehakt", sagt einer der Sanitäter verärgert. Es sei aber wichtig, genau hinzuhören und weitergehende Fragen zu stellen, um die echten Notfälle von den nicht ganz so dringlichen Fällen zu unterscheiden.

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Blick in die ILS Nürnberg beim Twittergewitter im Februar 2022.

Blaulichtfahrten: Gefahr für die Retter

Die Folge seien zu viele Blaulichtfahrten. Durch sie ist der Rettungsdienst zwar schnell beim Notfall, die Mitarbeiter an Bord des Krankenwagens sind aber stärker gefährdet als bei anderen Fahrten. Dann werden die Retter selbst zu Opfern, denn das Unfallrisiko bei Blaulichtfahrten ist hoch: Unfälle mit Todesfolge passieren vier Mal, Unfälle mit Schwerverletzten acht Mal häufiger, berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk im Rahmen eines TV-Beitrags in diesem Jahr.

Viele Notfalleinsätze enden mit Beratung

Dabei sei die riskante Fahrt über rote Ampeln und mit erhöhtem Tempo oft nicht notwendig, sagen die beiden Notfallsanitäter im BR24-Gespräch. "Von acht Notfall-Einsätzen an einem Tag sind nur zwei echte Notfälle", sagt einer der beiden. "Das hat mit Rettungsdienst oft nichts mehr zu tun." Viele Einsätze endeten lediglich mit Beratungsgesprächen. Dafür müssten die Retter nicht in der für Notfälle vorgegebenen Zwölf-Minuten-Frist vor Ort sein. Viele der Hilfesuchenden hätten auch selbständig zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen können – wenn die Dringlichkeit schon beim Anruf in der Leitstelle erkannt worden wäre. Seit Einführung des Notfallabfragesystems NOAS habe die Zahl der Einsätze, denen kein wirklicher Notfall zugrunde liegt, deutlich zugenommen.

Sanitäter beklagen fehlende Ortskenntnis in der Leitstelle

Was die Notfallsanitäter auch ärgert, ist die fehlende Ortskenntnis vieler Disponenten in der ILS. Das Computerprogramm, das Fahrzeuge und Sanitäter disponiert, ist GPS-gestützt und übermittelt Längen- und Breitengrade. Die Disponenten wissen dadurch immer, wo sich ein Rettungswagen gerade befindet. Allerdings erkenne dieses System keine zu engen Straßen oder ein zurückgesetztes Haus, das von einer anderen Straße aus eigentlich besser zu erreichen wäre. Manchmal wäre auch der etwas weiter entfernte Rettungswagen schneller beim Notfalleinsatz als das Auto, das laut System zwar näher dran ist, aber keine freie Fahrt hat. Ein Disponent mit Ortskenntnis hätte das vielleicht erkannt, einer, der nur auf das System vertraue, wisse das nicht. "So etwas kostet dann wertvolle Zeit."

ILS-Leiter kann Kritik nicht nachvollziehen

Der Leiter der ILS Nürnberg, Marc Gistrichovsky, kann die Kritik der beiden Notfallsanitäter am elektronisch gestützten Abfragesystem nicht nachvollziehen. Das System gewährleiste, dass die Disponenten am Telefon keine wichtige Frage vergäßen, egal wie erfahren oder unerfahren der jeweilige Mitarbeiter sei. Damit sei die ILS auch juristisch abgesichert. Der Vorschlag des Systems müsse aber auch geprüft werden. "Es ist immer wichtig, und da sind die Mitarbeiter auch angehalten, das Ergebnis auf Plausibilität zu prüfen und gegebenenfalls nochmal down- oder upzugraden", so Gistrichovsky.

Aus seiner Sicht hat sich das System bewährt – in Brandenburg etwa sei es schon flächendeckend eingeführt. Größere Probleme verursachten vielmehr die wachsende Anzahl an Notrufen. Nach Angaben des ILS-Leiters gehen in der Leitstelle am Nürnberger Hafen pro Tag im Durchschnitt 1.900 Notrufe ein. Nicht selten bräuchten die Anrufer aber lediglich einen Arzt und keinen Krankenwagen.

Schlechte Stimmung zwischen Leitstelle und Rettungsdienst

Auch die beiden Notfallsanitäter erleben Tag für Tag, dass Kliniken überlastet sind und sich von der Notfallversorgung abmelden. Doch es müsse eben auch bei der Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachgesteuert werden, meinen sie. Disponenten in den Leitstellen, die ausgebildete Feuerwehrleute sind, bekommen zwar eine 520 Stunden umfassende Weiterbildung im Rettungsdienst – weitere Fortbildungen sind aber nicht verpflichtend. Früher hingegen seien die Disponenten jedes Jahr zwei Tage mit dem Rettungsdienst mitgefahren. Die Folge sei eine extrem schlechte Stimmung zwischen der Nürnberger Leitstelle und den Sanitätern auf der Straße, zusätzlich zu allen anderen Problemen. "Das System steht kurz vor dem Kollaps", sind sich die Sanitäter sicher.

Krankenhausgesellschaft: Notfallversorgung reformieren

Dieser Meinung ist auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und hat einen Reformvorschlag vorgelegt, wie die ambulante Notfallversorgung in Deutschland künftig organisiert werden soll. Der Vorschlag sieht unter anderem vor, dass Notfälle grundsätzlich in Integrierten Notfallzentren behandelt werden sollen, die von Krankenhäusern und der Kassenärztlichen Vereinigung gemeinsam betrieben werden. Dort sollen die Patienten ein Standardverfahren zur Ersteinschätzung durchlaufen. Nach dieser Ersteinschätzung entscheidet sich, ob der Patient in der Notaufnahme des Krankenhauses oder einer Arztpraxis behandelt wird. Die Entscheidung über ein solches Ersteinschätzungsverfahren steht zwar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung – allerdings hat sie diese um ein Jahr verschoben.

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