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Ob Intensiv- oder Normalstation, das öffentliche Gesundheitssystem braucht Veränderungen, meinen Axel Ekkernkamp und Daniel Dettling

© picture alliance/dpa

Jährlich sterben 200.000 Menschen wegen unangemessener Behandlung: Es braucht einen Neustart für die Gesundheitsversorgung

Die Gesundheitsversorgung der Zukunft muss öffentlich und regional sein. Ein Gastbeitrag

Axel Ekkernkamp ist Universitätsprofessor in Greifswald, Geschäftsführer Medizin der BG Kliniken, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin.

Daniel Dettling ist Gründer und Leiter des Instituts für Zukunftspolitik. Beide sind Mitglieder des Ayinger Gesprächskreises.

Wird der Mythos „Deutschland gehört zu den teuersten Gesundheitssystemen, weil es eines der besten der Welt ist“ die Corona-Pandemie überleben? Das Risiko, an den Mängeln unseres Gesundheitssystems zu versterben, ist deutlich größer als die Gefahr, durch Covid-19 zu versterben. Auf diesen Zusammenhang hat ein Bündnis aus Medizinern, Wissenschaftlern und Patientenvertretern bereits vor der Bundestagswahl im Sommer 2021 hingewiesen. Jährlich sterben 200 000 Menschen in unserem Land, weil sie weder die bestmögliche Behandlung bekommen noch nach dem Stand des verfügbaren Wissens behandelt werden.

Gesundheit ist mehr als Medizin. Gesundheitsrelevante Bedingungen sind auch das Klima, unsere Mobilität und die Lebensqualität unserer Städte. Jedes der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen hat Folgen für die Gesundheit von Mensch und Tier. Wir müssen Gesundheit stärker gesellschaftlich denken. Wir können bei etlichen Krankheiten die Sterblichkeit senken. So ist bei Herzinfarkten die Sterblichkeit hierzulande wesentlich höher als in anderen europäischen Ländern. Etwa 75 000 sterben jährlich an den Folgen einer Sepsis, 20 bis 25 Prozent davon sind vermeidbar. Meist ist bei Covid-19-Erkrankten eine virusbedingte Sepsis die Todesursache.

Die Pandemie hat wie ein Brennglas die ökonomische Fehlsteuerung des Gesundheitssystems offengelegt. Zu den beiden notwendigen Konsequenzen gehört eine Reform der Krankenhausversorgung weg von der Planung nach Bettenzahl hin zu regionalen Versorgungsverbünden sowie der massive Ausbau der öffentlichen Gesundheit (Public Health). Es geht um den Aufbau regionaler Versorgungsverbünde und den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) mit seinen rund 400 Gesundheitsämtern als dritte Säule der Gesundheitsversorgung neben der ambulanten und stationären Versorgung.

Digitalisierung allein reicht nicht

Allein mit Digitalisierung und mehr und besser bezahltem Personal wird der ÖGD nicht zu reformieren sein. Der Wissenschaftsrat von Bund und Ländern hat im Juli 2021 die Rolle von „regionalen Versorgungsnetzen, in denen verschiedene Professionen und Einrichtungen miteinander kooperieren“, betont. Laut Wissenschaftsrat soll dabei die Universitätsmedizin „mittelfristig zu einem zentralen Akteur“ werden, um „Versorgungsbrüche an den Übergängen zwischen ambulantem und stationärem Sektor bzw. innerhalb des stationären Sektors“ abzubauen.

Axel Ekkernkamp (links) ist Universitätsprofessor in Greifswald, Geschäftsführer Medizin der BG Kliniken, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin. Daniel Dettling (rechts) ist Gründer und Leiter des Instituts für Zukunftspolitik. Beide sind Mitglieder des Ayinger Gesprächskreises.
Axel Ekkernkamp (links) ist Universitätsprofessor in Greifswald, Geschäftsführer Medizin der BG Kliniken, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin. Daniel Dettling (rechts) ist Gründer und Leiter des Instituts für Zukunftspolitik. Beide sind Mitglieder des Ayinger Gesprächskreises.

© Martin Joppen Photographie GmbH/Dorothea Scheurlen DGPh

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens hat in drei Gutachten (2009, 2014 und 2018) eine Stärkung der Primärversorgung durch den Aufbau von Primärversorgungszentren gefordert. Studien zufolge weisen Länder mit guter primärmedizinischer Grundversorgung eine qualitativ hochwertige Versorgung bei geringeren Gesundheitskosten auf. Regionale Versorgungszentren können eine Primär- und Notfallversorgung garantieren, wenn sie die Umgebung außerhalb der Kliniken einbinden. Die Zentren sind eine zeitgemäße Antwort auf den demografischen Wandel, den Fachkräftemangel und den Anstieg chronisch kranker und älterer Menschen. In ländlichen und strukturschwachen Regionen können die Versorgungsnetze dazu beitragen, den Mangel an Haus- und Fachärzten zu reduzieren.

Deutschland leistet sich mit rund 2000 Kliniken ein ineffizientes und teures Gesundheitssystem. Zuletzt hat darauf der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), dem zentralen Selbstverwaltungsorgan, im Sommer letzten Jahres hingewiesen. 1200 seien ausreichend, so Josef Hecken damals in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Hinzu kommt in wenigen Jahren ein sich dramatisch verschärfender Fachkräftemangel.

Von der Charité die Hochleistungsmedizin, von den anderen die Massenversorgung

Vor drei Jahren hat eine Kommission unter Leitung des heutigen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) im Auftrag des Berliner Senats aufgezeigt, wie Berlin zur globalen Metropole für Medizinforschung werden kann. Die Berliner Universitätsklinik Charité soll sich, so Lauterbach damals, auf die Hochleistungsmedizin, die anderen Kliniken auf die Massenversorgung konzentrieren. Eine ähnliche Arbeitsteilung gilt es im Jahr drei der Corona-Pandemie für das ganze Land anzugehen. Ärzte und Pflegekräfte müssen in jenen Kliniken arbeiten, die auch wirklich an der Versorgung teilnehmen und die Hauptlast tragen: Unikliniken, Krankenhäuser der Maximalversorgung und Medizinischen Versorgungszentren auf der einen und Gesundheitsämter auf der anderen Seite. Ambulante, stationäre und Notfallmedizin muss übergreifend gedacht und umgesetzt werden.

Wie kann dies sinnvoll und schnell umgesetzt werden? Die Robert-Bosch-Stiftung hat in einer umfangreichen Studie im letzten Jahr errechnet, wie der flächendeckende Zugang zu einem regional ausgerichteten Versorgungsmodell sichergestellt werden kann. Insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Gegenden ist eine bedarfsgerechte Versorgung zunehmend schwierig. 2035 fehlen rund 11 000 Hausärztinnen und Hausärzte. Erforderlich sind der Studie zufolge gut 1000 Zentren und mehr als 2000 zusätzlich akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte. Das Zusammenspiel zwischen ÖGD, Krankenhäusern, Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren hat sich in der Pandemie mehr als bewährt. Jetzt gilt es, dieses Zusammenspiel zu verstetigen, neu auszurichten und durch Kooperationen nachhaltig neu aufzustellen.

Deutschlands Gesundheitsversorgung braucht einen Neustart. Der Mythos, Deutschland habe „eines der besten Gesundheitssysteme der Welt“ kann Wirklichkeit werden. Die Weichen müssen jetzt dafür gestellt werden. Herr Lauterbach, übernehmen Sie!

Axel Ekkernkamp, Daniel Dettling

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