Interview Expertin über Abfall-Trennung in Krankenhäusern: "Das wäre Werbung für die Kliniken"

13. März 2022, 17:30 Uhr

Gilian Gerke ist Professorin für Ressourcenwirtschaft, Recycling und Nachhaltigkeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Im Interview spricht sie über die gestiegenen Abfälle während der Corona-Pandemie, die Rolle der Krankenhäuser und erklärt, wann der Import von Abfällen moralisch verwerflich ist.

Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht Gilian Gerke über ...

... Haushalts-Abfälle während der Corona-Pandemie:

"Laut Statistischem Bundesamt gab es 2020 etwa 19 Kilogramm mehr Haushalts-Abfälle pro Kopf als im Vorjahr. Das bedeutet eine Steigerung von vier Prozent. Überdurchschnittlich war diese Steigerung bei den Wertstoffen und Bio-Abfällen. Gerade 2020 zu Beginn der Pandemie waren die Leute vermehrt zu Hause und haben gekocht, so lässt sich das erklären.

Was mich überrascht hat: die Steigerung bei Altkleidern um 79 Prozent. Das war schon deutlich. Aber die Bürgerinnen und Bürger waren wohl einfach mehr zu Hause und haben ausgemistet."

... die Bedeutung von immer mehr Abfällen für das Entsorgungssystem:

"Das bedeutet erst einmal nicht viel. Unser abfallwirtschaftliches System ist ja aufgebaut. Die Abfallmengen haben natürlich gerade in der energetischen Verwertung, also den Müllverbrennungsanlagen, zugenommen. Diese Anlagen sind aber auf Spitzen ausgelegt. Die kommen damit von der Kapazität her klar.

Ich habe nirgendwo gehört, dass es einen Engpass gab – auch nicht bei der Sortierung und Aufbereitung von Wertstoffen, auch nicht bei der Bio-Tonne. Die größere Frage ist: Wie verunreinigt sind bestimmte Ströme? Weil die Menschen sich, wenn sie mehr Abfall produzieren, vielleicht nicht mehr so um die Trennung kümmern."

... Herausforderungen für die Abfallwirtschaft:

"Wir müssen mit solchen Spitzen umgehen lernen. Aber, dass wir neue Kapazitäten brauchen, würde ich nicht sagen. Wir müssen jetzt nicht das ganze abfallwirtschaftliche System wegen der Pandemie auf den Kopf stellen. Zumal das ja etwas ist, was vorbei geht. Wir haben aber auch weiter Herausforderungen für die Zukunft.

Ohnehin ist es inzwischen eher leiser um das Thema Abfälle während der Corona-Pandemie geworden. Zu Beginn war das mehr in der Diskussion. Aber natürlich ist das Thema Abfälle noch immer und ständig ein generelles Thema vor dem Hintergrund des Klimaschutzes und des Ressourcenschutzes."

... die Entsorgung des Corona-Abfalls:

"Für Privatpersonen ist es relativ eindeutig: Alles, was infektiös sein kann, also zum Beispiel die Teststäbchen von den Test-Kits oder auch Masken gehören in den Restmüll und gehen dann den normalen Entsorgungsweg.

Interessant ist auch, wie das in Kliniken aussieht. Ich habe Kontakt zu vielen Krankenhäusern und Kliniken und alle entsorgen in eine Tonne – infektiöse Abfälle wie Schutzanzüge natürlich ausgenommen. Auch in Teststationen ist das meistens so: alles in eine Tonne. Der Aufwand, zu trennen, ist den Betreibern oft im täglichen Stress einfach zu groß. Im Prinzip könnte es verschiedene Entsorgungsströme geben: die Papiertonne, der gelbe Sack und Restmüll. In der Praxis ist das aber eine Seltenheit.

In Krankenhäusern geht alles, was infektiös ist, einen getrennten Entsorgungsweg. Je nach Grad der Infektion reicht eine Müllverbrennungsanlage oder es geht in eine Sondermüllverbrennungsanlage. Und allmählich beginnt auch der Prozess, dass Kliniken überlegen, auch die anderen Abfälle nach Möglichkeit zu trennen."

... Herausforderungen für Krankenhäuser bei der Entsorgung:

"Die Herausforderung ist, dass die Kliniken es organisiert bekommen müssen. Oft fehlt auch die Zeit oder die Sensibilisierung der Mitarbeiter für das Thema. Das ist unter all dem Druck der Pandemie natürlich noch schwerer geworden. Und nicht selten scheitert es auch an ganz banalen Dingen wie dem fehlenden Platz für zusätzliche Container.

Sinnvoll wäre es aber allemal, wenn sich mehr Kliniken für die Abfalltrennung entscheiden würden. Immer mehr Patienten schauen bei ihrer Auswahl einer Klinik auch auf solche Faktoren. Es ist Werbung für die Klinik. Dadurch zeigt sie: 'Ja, wir nehmen das Thema ernst. Auch wir kümmern uns um Klima- und Umweltschutz. Uns ist es wichtig, dass wir Ressourcen schonen.' Und im zweiten Schritt könnten die Kliniken damit vielleicht auch etwas Geld sparen.

Eine weggeworfene medizinische Maske liegt an einem Kieselstrand. mit Audio
Bildrechte: IMAGO / Michael Weber

Wenn ich alles in eine Tonne schmeiße, also infektiös oder nicht infektiös zum Beispiel, dann habe ich einen ganz anderen Preis, als wenn ich das aufsplitte und eine andere Qualität des Abfalls und damit auch anderen Preise habe.

Außerdem könnten die Kliniken ab einer bestimmten Größe bald in die Situation kommen, dass sie eine Nachhaltigkeits-Berichterstattung machen müssen. Vielleicht schon ab 2024. Dazu gibt es aktuell einen Gesetzesentwurf."

... die Profiteure des erhöhten Abfall-Aufkommens:

"Klar: Wer eine Müllverbrennungsanlage betreibt, möchte natürlich, dass die Kapazität voll ist. Die Rechnung muss am Ende aufgehen. Die Betreiber, die die Verbrennungskapazitäten anbieten, profitieren davon. Aber das gilt auch für Maskenhersteller oder Testhersteller und jeden, der etwas herstellt oder anbietet."

... den Import von Abfällen:

"Das ist erstmal nichts verwerfliches, sondern ein Geschäftsmodell. Für Bürgerinnen und Bürger gilt ja die Andienungspflicht. Das heißt: Wer in Magdeburg wohnt, der muss sie auch dort entsorgen lassen. Für einen ganz großen weiteren Bereich, gewerbliche oder andere Abfälle, gelten aber normale Marktprinzipien.

Wenn es in Großbritannien oder Italien zum Beispiel keine Verbrennungskapazitäten gibt, dann sucht man einen anderen Weg. Und da kann für Italien beispielsweise der preislich attraktivere Weg sein, die Abfälle nach Sachsen-Anhalt zu transportieren.

Das bewegt sich alles im gesetzlichen Rahmen. Dafür haben wir die europäischen Gesetze. Das muss ja alles auch genehmigt werden, da sind alle Behörden im Boot, dafür gibt es die Abfallverbringungsverordnung.

Verwerflich wird es, wenn ich den Abfall verbringe, zum Beispiel aus Deutschland in ein Land, das eine ungeordnete Deponie hat. Dann gehe ich vom Behandlungsgrat nach unten. Zum Beispiel, wenn defekte Elektrogeräte nach Ghana gebracht werden und der Transport aber funktionierende Geräte listet. Natürlich lässt sich noch über das Thema CO2 beim Transport sprechen, aber das ist in Bilanzen aus meiner Sicht meist überbewertet bei einer Gesamtbetrachtung."

Die Fragen stellte Daniel George.

Mehr zum Thema: Müll in Sachsen-Anhalt

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. März 2022 | 19:00 Uhr

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