Bundesverwaltungsgericht
Kantonsspital Aarau verliert Leistungsauftrag in der hochspezialisierten Medizin

Ab Herbst darf das Kantonsspital Aarau (KSA) keine komplexen
Operationen an der Speiseröhre mehr durchführen. Das Spital bedauert den Entscheid und kritisiert, andere Aargauer Spitäler hätten ihre Patienten an ausserkantonale Spitäler überwiesen.

Noemi Lea Landolt
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Das Kantonsspital Aarau hat die geforderten Mindestfallzahlen nicht erreicht und verliert einen Leistungsauftrag.

Das Kantonsspital Aarau hat die geforderten Mindestfallzahlen nicht erreicht und verliert einen Leistungsauftrag.

Gaetan Bally / Keystone

Bei der hochspezialisierten Medizin (HSM) geht es auch um Prestige. Hat ein Spital einen oder mehrere Leistungsaufträge für komplexe, seltene Operationen, hebt es dies gerne hervor. Das Kantonsspital Aarau (KSA) muss den Text auf seiner Website bald anpassen.

Im Moment heisst es da noch, die Klinik für Chirurgie verfüge über einen Leistungsauftrag für fünf Bereiche der grossen seltenen viszeralchirurgischen Eingriffe. Ab Herbst sind es nur noch vier. Das KSA darf in Zukunft keine Oesophagusresektionen (Teilentfernung der Speiseröhre) mehr durchführen.

Dies hatte das HSM-Beschlussorgan entschieden – im Gremium, das die lukrativen Leistungsaufträge vergibt, sitzen die Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren von zehn Kantonen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde des KSA gegen den Entscheid des HSM-Beschlussorgans abgewiesen. Das Urteil von 8. März 2022 ist endgültig.

KSA befürchtet «massive Unterversorgung»

Das Argument, dass eine «massive Unterversorgung» drohe, wenn das KSA den Leistungsauftrag nicht erhalte, liess das Bundesverwaltungsgericht nicht gelten. Die Richterinnen und Richter sehen auch keine Hinweise auf eine willkürliche Behandlung des KSA in Bezug auf die Mindestfallzahlen. Alle Bewerber mit ungenügenden Fallzahlen in den Jahren 2014 bis 2016 seien nicht berücksichtigt worden.

Zudem, so das Bundesverwaltungsgericht, erreiche das KSA selbst bei der Berücksichtigung der Fallzahlen der Jahre 2017 und/oder 2018 im Durchschnitt über drei Jahre die Mindestfallzahl von 12 Eingriffen pro Jahr nicht. Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) führte das KSA im Schnitt 11 der jährlich 285 Eingriffe in der Schweiz durch und könne somit «als nicht versorgungsrelevant betrachtet werden», heisst es im Urteil.

«Aus kantonaler Sicht bedauerlich»

Das KSA bedauert den Entscheid. Aargauer Patientinnen und Patienten müssten nun ab Oktober ausserkantonal behandelt werden, schreibt KSA-Sprecherin Isabelle Wenzinger. Sie hält zudem fest, dass rund die Hälfte der Aargauer Patientinnen und Patienten von anderen Aargauer Spitälern zur Behandlung an ausserkantonale Spitäler überwiesen worden sei. Dies sei aus kantonaler Sicht «bedauerlich».

Barbara Hürlimann, Leiterin der Abteilung Gesundheit beim Kanton, sagt, die Versorgung sei durch den Entscheid nicht gefährdet. Mehrere Nachbarkantone verfügten über einen Leistungsauftrag. Dennoch sei es dem Gesundheitsdepartement ein «wichtiges Anliegen», dass im Aargau weiterhin hochspezialisierte Medizin angeboten wird, sagt Hürlimann. «Dabei ist es von Vorteil, wenn mengenkritische HSM-Leistungsbereiche in Zukunft an einem Standort im Kanton angeboten werden.»

Zwei weitere Leistungsaufträge stehen auf der Kippe

Das KSA könnte noch mehr Leistungsaufträge verlieren. Anfang Februar hat das HSM-Fachgremium empfohlen, dem KSA zwei weitere Leistungsaufträge in der hochspezialisierten Viszeralchirurgie nicht mehr zu erteilen. Auch in diesen Fällen erreicht das Spital unter anderem die erforderlichen Mindestfallzahlen nicht.

Der definitive Beschluss über die Zuteilung dieser Leistungsaufträge fällt im zweiten Halbjahr 2022. Hält das Fachgremium an seiner Empfehlung fest, könnte dies der Anfang eines weiteren langwierigen Rechtsstreits werden. Das KSA hat nämlich bereits angekündigt, es wolle um die Leistungsaufträge kämpfen.

Urteil C-1361/2019 des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. März 2022.