Zürcher Parlament spricht von «unhaltbaren Zuständen» bei IT-Projekt im Gesundheitswesen

Das elektronische Patientendossier hätte Ende 2019 bereit sein sollen. Doch Anfang 2022 harzt es damit immer noch gewaltig. Die zuständige Firma von alt Regierungsrat Thomas Heiniger sei ein Sanierungsfall, sagt die Geschäftsprüfungskommission des Kantonsrats.

Jan Hudec
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Mit dem elektronischen Patientendossier sollte der dringend notwendigen Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Schub verliehen werden.

Mit dem elektronischen Patientendossier sollte der dringend notwendigen Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Schub verliehen werden.

Anthony Anex / Keystone

Morbide Metaphern machten am Montag im Zürcher Kantonsrat die Runde. Die Rede war von einem sterbenden Projekt, einem Friedhof, einer Totgeburt. Es war ein Abgesang auf das elektronische Patientendossier (EPD), das die Politik nun schon seit Jahren beschäftigt.

Mit dem EPD sollte der dringend notwendigen Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Schub verliehen werden: Mehr Effizienz, weniger Doppelspurigkeiten, mehr Qualität versprach man sich davon, wenn jeder Patient eine digitale Krankenakte anlegen lassen kann. 2015 wurde ein entsprechendes Gesetz auf Bundesebene verabschiedet. Ende 2019 sollten alle Einwohnerinnen und Einwohner ein EPD eröffnen können. Doch Anfang 2022 harzt es immer noch gewaltig.

Schweizweit gibt es verschiedene Betreibergesellschaften, der sich jeweils eine Gruppe von Kantonen und Gesundheitseinrichtungen angeschlossen haben. 2016 wurde in Zürich die Axsana AG gegründet auf Anregung des damaligen Gesundheitsdirektors Thomas Heiniger (FDP). Sie sollte dazu dienen, das Patientendossier einzuführen.

Die Zürcher Regierung gewährte der Axsana AG eine Anschubfinanzierung von 3,75 Millionen Franken – nachdem der Kantonsrat es abgelehnt hatte, dafür Gelder aus dem Lotteriefonds zu sprechen. Die Firma gehört heute zur Hälfte einem Trägerverein aus Spitalverbänden und Ärztegesellschaften. Die übrigen 50 Prozent besitzen mehrere Kantone, darunter Zürich, Bern, Basel-Stadt, Luzern und Zug. Thomas Heiniger blieb auch nach seinem Ausscheiden aus dem Regierungsrat Verwaltungsratspräsident der Firma.

In den letzten Jahren hatte die Axsana mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Gleichzeitig musste der Einführungstermin des Patientendossiers immer weiter nach hinten verschoben werden, auch weil die Axsana Mühe hatte, die nötige Zertifizierung zu erhalten.

Geld muss wohl abgeschrieben werden

Die Probleme haben längst auch die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Zürcher Kantonsrats auf den Plan gerufen. Schon in ihrem letzten Bericht hatte sie Kritik am Projekt geübt und diese in ihrem neusten Bericht nun noch akzentuiert. Die Firma sei «ein Sanierungsfall und die Gewährung von weiteren kantonalen Mitteln mit erheblichen finanziellen Risiken für den Kanton behaftet». Tatsächlich soll der Kanton mehr Geld bereitstellen. Es geht um ein Darlehen von 1,7 Millionen Franken, wobei Zürich 350 000 Franken beisteuern würde.

Dieses ist zwar rückzahlbar, doch die Zürcher Finanzdirektion geht davon aus, dass das Geld «zulasten des Staatshaushaltes abgeschrieben werden muss». Es sei zudem absehbar, dass der Axsana in naher Zukunft weitere finanzielle Mittel zugeführt werden müssten, wie es im Bericht der GPK heisst. Aus rein wirtschaftlicher Sicht sei die Auszahlung des kantonalen Darlehens abzulehnen. «Einer Auszahlung des Darlehens kann aus Sicht der Finanzdirektion nur dann zugestimmt werden, wenn damit eine politische Entscheidung zur Fortsetzung der Einführung des EPD verbunden ist.»

Andere Kantone scheinen gewillt zu sein, weiterzumachen. So haben die Kantone Bern, Luzern, Basel-Stadt, Schwyz, Solothurn, Obwalden und Nidwalden ihre Darlehensanteile an die Axsana ausbezahlt. Auch der Bund ist gemäss GPK-Bericht entschlossen, das Projekt trotz bestehenden Schwierigkeiten weiterzuführen.

Von der Axsana wurde aber unter anderem verlangt, einen detaillierten Zeit- und Businessplan vorzulegen. Doch auch in diesem Bereich klemmte es. So teilte die Gesundheitsdirektion der GPK im letzten September mit, dass ihr die Axsana erst unter erhöhtem Druck und nach mehrmaligem Nachfragen die Unterlagen zu ihren Finanzen in angemessenem Detaillierungsgrad zukommen liess.

Start erst für diesen Herbst geplant

Die Kommission kritisiert das Informationsverhalten der Firma als «unhaltbar», zumal die Axsana eine öffentliche Aufgabe erfülle und massgeblich von der öffentlichen Hand finanziert werde. Die GPK verlangt zudem vom Regierungsrat, er solle von der Firma einen Sanierungsplan einfordern.

Am Montag bekräftigten die Parlamentarier ihre Kritik im Kantonsrat.

So befand Corinne Hoss-Blatter (FDP, Zollikon), dass ohne Sanierungsplan kein weiteres Geld nachgeschoben werden dürfe. Manuel Sahli (AL, Winterthur) sprach von einem verknorzten Public-Private-Partnership, «das so aufgegleist wurde, dass ein wirksames Controlling nicht möglich ist». Noch grundsätzlicher wurde Josef Widler (Mitte, Zürich): Das elektronischen Patientendossier halte in seiner jetzigen Form nicht das, was es verspreche. Im Moment handle es sich um nicht mehr als um einen Friedhof von PDF-Dateien, der nicht in die Praxissysteme der Hausärzte integriert werden könne. «Und so bringt die Sache überhaupt nichts.» Deshalb solle man besser die Übung abblasen und nochmals neu starten.

Wie es weitergeht, ist offen. Den Tamedia-Zeitungen war kürzlich zu entnehmen, dass die Axsana derzeit die Lancierung des Patientendossiers für den Herbst plant.