Kommentar Was ein Abschiedsinterview mit hohem Blutdruck und journalistischem Handwerk zu tun hat

Silke Wolf, Leiterin der Lokalredaktion Schmalkalden. Foto: /Foto:Sascha Willms

Was ist denn da am Samstag passiert?“, fragt der Geschäftsführer des Elisabeth Klinikums Schmalkalden (EKSM) am Montagvormittag in der Lokalredaktion nach. Ein Artikel, in dem der langjährige Chefarzt der Kardiologie und Ärztliche Direktor des Hauses erklärt, dass er das Klinikum verlässt, dass er gekündigt hat. Das ist passiert. Und das hatte Atilla Yilmaz bereits Mitte März selbst bei Facebook gepostet.

 
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Weder Geschäftsführung noch Aufsichtsrat hielten es für nötig, diese wichtige Personalie – wie sonst üblich beim Ausscheiden oder der Neueinstellung von Führungskräften – von sich aus öffentlich zu machen. Die Lokalredaktion sah das anders. Schließlich kennen viele Patienten den Kardiologen, einige verdanken seinen Fähigkeiten ihr Leben. Yilmaz gibt ein Interview, stellt dar, warum er vor acht Jahren nach Schmalkalden gekommen war, was er aufgebaut hat und warum er jetzt geht. Keine Vorwürfe oder Anschuldigungen gegen Personen oder Entscheidungsträger, keine Tatsachenbehauptungen, die journalistisch zwingend nachgefragt werden müssten. Atilla Yilmaz erzählt, dass er geht, weil er für sich und seinen Fachbereich keine Zukunft mehr sieht. Das darf er. Das ist seine Sicht. Die darf er in einem Land mit Meinungsfreiheit äußern, auch wenn er eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hat.

Dieser Artikel führt nun zu erhöhtem Blutdruck in der Ärzteschaft, Geschäftsführung, Belegschaft und im Aufsichtsrat. Der erst im Januar eingestellte Geschäftsführer will wissen, warum man nicht im Krankenhaus vor der Veröffentlichung nachgefragt habe. Ich erkläre ihm, dass das aus unserer Sicht nicht nötig war. Aber, dass er gerne auf den Artikel reagieren könne.

18.49 Uhr kommt die Pressemitteilung. Zur Kündigung des Ärztlichen Direktors steht da der Satz: „Prof. Dr. Atilla Yilmaz, der im Einvernehmen mit der Geschäftsleitung das Schmalkalder Klinikum zum Ende des Monats verlässt, gibt die Führung nun an Oberärztin Heike Tendera (ehemals Veitt) ab.“ Was verwundert, ist, dass der übliche Satz verwendet wird, dass die Trennung „im Einvernehmen“ passierte und kein Wort zu Yilmaz’ Aussagen fällt. Stattdessen wird die Neuausrichtung des Hauses erläutert.

Das ist schön, denn diese hätte die Redaktion gerne schon länger in einem Bericht vorgestellt. Ich hatte mehrfach gebeten, Neuigkeiten so schnell wie möglich an die Heimatzeitung zu geben, damit die Patienten immer auf dem neuesten Stand sind. Im Januar wurde ein Termin für den 18. Februar mit Geschäftsführer Fickel vereinbart. Dieser wurde eine Viertelstunde vorher abgesagt. Kein Vorwurf, es kann immer etwas dazwischenkommen, aber auch nach nochmaliger Bitte um einen neuen Termin ist bis zum Anruf am Montag, 4. April, keiner mehr von der Geschäftsführung angeboten worden. Man sah offenbar keinen Gesprächsbedarf und hatte bis Montag, 18.49 Uhr, nichts Neues zu berichten. Auch nicht, dass der bisherige Ärztliche Direktor geht und wer Nachfolger wird.

Befremdlich ist das Agieren der Kommunikationsbeauftragten der Kreiswerke. Claudia Holland-Moritz schreibt nach Erscheinen des Artikels über Atilla Yilmaz keine Pressemitteilung, was ihr Job ist. Sie reagiert am Samstag online. Unter dem Artikel auf Facebook hatte die Userin „Brig Gitte“ gefragt: „Wie sieht das das Klinikum?“ Holland-Moritz antwortet: „Leider wurde das EKSM in Vorbereitung dieses Artikels weder informiert, noch um eine Stellungnahme gebeten. Guter Journalismus sieht anders aus! Sicherlich wird es zeitnah eine Darstellung seitens des Klinikverbundes geben und vor allem eine Information zu den zukünftig behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Für ein derartig wichtiges Detail hätte man sich aber als Verfasser mit dem Haus in Verbindung setzen müssen ... sehr enttäuschend!“ Der Eintrag wird von der Online-Redakteurin gelöscht, denn sie kennt den Namen nicht und weiß deshalb – wie auch andere User – nicht, dass er von der Pressesprecherin stammt. Ein Hinweis zum Inhalt: Wir informieren selbstverständlich nicht das EKSM „in Vorbereitung“ eines von uns initiierten Artikels.

So bleibt dem Kommunikationsmanagement eben nur zu reagieren, statt zu agieren. Dass es Aufgabe einer Pressestelle ist, möglichst nur gute Nachrichten über das eigene Unternehmen in die Welt zu tragen, versteht sich von selbst. Aber die Redaktion der Heimatzeitung ist nun mal nicht die Betriebszeitung des Elisabeth-Klinikums und nicht dafür da, nur abzudrucken, was dessen Pressestelle formuliert.

Offensichtlich ist für die Sprecherin der Kreiswerke „guter Journalismus“, wenn dieser die vom Haus herausgegebenen Meldungen 1:1 veröffentlicht. Da liegt ein großes Missverständnis und Unkenntnis über die Arbeit von Redaktionen vor. Das ist schade.

Uns liegt es allerdings fern, das Klinikum mit Beiträgen in Misskredit zu bringen. Es soll im Haus gar von „Rufschädigung“ aufgrund des Yilmaz-Artikels gesprochen worden sein. Seit vielen Jahren bemüht sich die Redaktion um einen guten Kontakt zu den Entscheidern im Klinikum, mahnt immer wieder an, etwa in Corona-Zeiten, mehr Transparenz zu zeigen, fragt nach, wenn es Gerüchte in der Stadt gibt über eine mögliche Schließung des Hauses.

Wir wissen, wie wichtig es ist, das kommunale Krankenhaus in der Stadt zu erhalten, wie wichtig es ist für die Gesundheitsversorgung auf dem Land, aber auch als Arbeitgeber und damit Wirtschaftsfaktor in der Region. Und dass es schwer ist, Mediziner für einen Job in der Provinz zu begeistern, dass Personalnot gerade hier zur Existenzfrage werden kann, dass das Gesundheitssystem mit seinen Fallpauschalen kleine Häuser in den Ruin treiben kann, ja vielleicht sogar, politisch gewollt, soll. Dass sich Ärztinnen und Ärzte, Pflege- und Servicekräfte jeden Tag neu motivieren, ihr Bestes geben, gerade in den letzten zwei Jahren. Dass alle unter Druck stehen, angesichts von Kündigungen von Assistenz- und Fachärzten, vielen offenen Stellen und noch mehr anderen Baustellen.

Wir wissen aber auch, dass Menschen Unternehmen verlassen, weil sie woanders mehr Geld bekommen, bessere Entwicklungschancen sehen oder einfach das Menschliche nicht passt. Und vielleicht stimmt ja auch, was User Olaf Tendera unter den Post von Claudia Holland-Moritz kommentierte, nämlich, dass das EKSM ohne ihn (Yilmaz) erfolgreicher sein werde. Die Zukunft wird es zeigen. Der Eintrag wurde von der Online-Redaktion allerdings auch gelöscht, da er, außer der Aussage oben, beleidigende Inhalte enthielt. Und deren Veröffentlichung gegen den Pressekodex verstößt. Das ist journalistisches Handwerk, gebietet aber allein schon der Anstand.

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