„Berlins Senat lässt die Krankenhäuser am langen Arm verhungern“

Politische Lehren aus der Pandemie? Fehlanzeige, sagen die Kliniken und demonstrieren vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Verstärkung gesucht: Eine Pflegekraft geht über den Flut einer Intensivstation.
Verstärkung gesucht: Eine Pflegekraft geht über den Flut einer Intensivstation.dpa/Fabian Strauch

Berlins Kliniken demonstrieren am Montagvormittag ab 10 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus an der Niederkirchnerstraße gegen den Doppelhaushalt des Senats. Zu der Kundgebung hat die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) aufgerufen. Sie sieht die Sicherheit der stationären Versorgung wegen Unterfinanzierung gefährdet. BKG-Geschäftsführer Marc Schreiner erklärt, woran es den Kliniken vor allem mangelt – und wo die Politik dringend handeln muss.

Herr Schreiner, die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) hat für diesen Montagvormittag um 10 Uhr zu einer Demonstration vor dem Abgeordnetenhaus aufgerufen. Warum?

Am Montag diskutiert der Gesundheitsausschuss des Parlaments über den Doppelhaushalt für die Jahre 2022 und 2023. Bis Ende Juni soll darüber entschieden werden. Es handelt sich aus unserer Sicht um einen Sparhaushalt. Lediglich 150 Millionen Euro sind für die jährliche Förderung aller Krankenhäuser der Stadt vorgesehen. Das ist weniger als im Vorjahr, das ja auch schon unzureichend finanziert war. Damals gab es aber immerhin ein zusätzliches Kreditprogramm, sodass die Kliniken gefühlt mehr Geld zur Verfügung hatten.

Wie viel hätten die Krankenhäuser denn gern?

Wir veranstalten hier ja kein Wunschkonzert. Die Krankenhäuser haben einen Rechtsanspruch gegenüber dem Land Berlin. Wir haben mehrfach nachgewiesen, dass wir 350 Millionen Euro pro Jahr an Investitionen bis 2030 benötigen.

Warum nun die Demonstration? Warum reden Sie nicht miteinander?

Wir haben die Senatsverwaltung schon bei den Vorberatungen zum Haushalt angesprochen und unseren Bedarf deutlich gemacht. Nachdem der jetzige Haushaltsentwurf publik wurde, haben wir gemeinsam mit Krankenkassen, Gewerkschaften und Berufsverbänden einen offenen Brief an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses verfasst, in dem wir auf die Unterfinanzierung und die damit verbundenen Risiken hingewiesen haben. Es gab dann noch einen parlamentarischen Abend, Mitte März war das. Die gesundheitspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen waren da, die Oppositionschefs, Thomas Götz, der Staatssekretär in der Senatsgesundheitsverwaltung – alle haben gesagt, dass die geplanten Investitionen nicht ausreichen. Aus der Gesundheitsverwaltung hatte es zuvor bereits geheißen, sie habe mehr Geld gefordert. Am Entwurf hat sich bislang nichts geändert.

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imago/Ditsch
Zur Person
Marc Schreiner ist seit 2018 Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft. Der 47-jährige Jurist war zuvor Leiter des Bereichs „EU-Politik, internationale Angelegenheiten und Gesundheitswirtschaft“ bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Er vertrat über zehn Jahre in Brüssel und Berlin die Interessen der Krankenhäuser auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

Gesundheitssenatorin Ulrike Gote und Finanzsenator Daniel Wesener gehören zur selben Partei, den Grünen. Sprechen die beiden nicht miteinander über die Krankenhausfinanzierung?

Das dürfen Sie mich nicht fragen. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat jedenfalls in der Findungsphase der Koalition gesagt, dass Investitionen in die Krankenhäuser ein Flaggschiff der von ihrer SPD geführten Regierung seien. Jetzt kommt der Senat mit diesem Ruderboot an. Man lässt die Krankenhäuser am langen Arm verhungern. Und das nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie und angesichts des starken Zustroms von Geflüchteten aus der Ukraine in die Stadt.

Hat die Berliner Politik nichts aus der Pandemie gelernt?

Der Haushaltsentwurf des Senats könnte fast zu dieser Annahme verleiten. Wir haben aber die Hoffnung, dass die Mitglieder des Abgeordnetenhauses die Bedeutung der Krankenhäuser zu würdigen wissen. Die Entscheidung über die Finanzierung liegt in ihrer Hand.

Während der Pandemie führte vor allem ein Mangel an Pflegefachkräften zu Engpässen in der stationären Versorgung. Wie ist die Situation derzeit?

Auch wenn es sich inzwischen für manche Menschen anders anfühlen mag: Wir befinden uns noch immer in der Pandemie. Die personellen Ausfälle in den Kliniken durch Corona sind nach wie vor hoch, sie machen je nach Krankenhaus bis zu 20 Prozent aus. Die Häuser haben ohnehin Personal verloren und können nun zum Teil ihre Betten nicht belegen.

Welche Rolle spielt die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die seit Mitte März gilt?

In den Krankenhäusern haben wir zwar eine hohe Impfquote, aber jeder noch so geringe Verlust von Mitarbeitenden durch mögliche Beschäftigungsverbote täte uns weh. Mit dem Aus für die allgemeine Impfpflicht wird es wahrscheinlich auch Diskussion um die Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht geben. Das Personal ist nach zwei Jahren sehr müde und völlig ausgelaugt, und es ist weiterhin sehr stark belastet.

Gibt es gesicherte Zahlen, wie viele Pflegekräfte in Berlin seit Beginn der Pandemie ihren Beruf aufgegeben oder zumindest die Arbeitszeit reduziert haben?

Noch liegt uns keine solche Statistik vor, aber es wird eine wichtige Aufgabe sein, die entsprechenden Daten sehr genau zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Schon jetzt ist klar: Es wird höchste Zeit, die Pflege personell zu stärken.

Berlin hat Kliniken nicht ausreichend finanziert.

BKG-Chef Marc Schreiner

Während des Streiks an Berlins Landeskliniken, mitten im Wahlkampf, haben die Parteispitzen Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) lautstark bessere Arbeitsbedingungen an Krankenhäusern gefordert. Haben die drei das vergessen?

Das müssen Sie die betreffenden Personen fragen – der Senatsbeschluss zum Haushaltsentwurf mit den dürftigen Krankenhausinvestitionen legt diese Annahme allerdings nahe. Das Land Berlin hat jedenfalls die Krankenhäuser über viele Jahre nicht ausreichend finanziert. Die Kliniken mussten Geld, das eigentlich für die Finanzierung der Pflege und des dazu erforderlichen Personals gedacht war, für die nötigen Investitionen aufwenden. Die Politik ist also mit dafür verantwortlich, dass die Kliniken unter einem Personalnotstand leiden.

Einer Prognose zufolge benötigt Berlin in der Alten- und Krankenpflege bis 2030 rund 10.000 zusätzliche Beschäftigte. Die BKG hat eine Initiative namens PflegeJetztBerlin gestartet. Wie stark ist das Engagement der Politik?

Unter der neuen Landesregierung haben wir da noch nichts gesehen. Es ist nachvollziehbar, dass das Hauptaugenmerk auf der Bekämpfung der Pandemie lag, doch gerade die Pandemie hat gezeigt, was es bedeutet, wenn Pflegepersonal fehlt. Der Koalitionsvertrag enthält auch zu diesem Thema viel Sinnvolles. Doch dass mit der Umsetzung begonnen worden wäre, können wir nicht erkennen. Immerhin haben wir Herrn Götz für ein Gespräch mit PflegeJetztBerlin gewinnen können.

Inwiefern?

In einem Podcast mit dem Staatssekretär stellen wir die Pläne des Senats für den Bereich Pflege vor. Das ist ein Anfang. Ich bin noch nicht entmutigt. Doch nach einem halben Jahr im Amt sollte die Landesregierung langsam loslegen.

Wo sollte sich das Land vor allem finanziell engagieren?

Berlin kann dafür sorgen, dass mehr Lehrer in der Pflegeausbildung eingestellt werden. Diese würde damit attraktiver. Und natürlich muss in gute Arbeitsbedingungen investiert werden, um vorhandenes Personal zu entlasten, neues Personal zu gewinnen und abgewandertes Personal zurückzuholen. Wir brauchen moderne Medizintechnik und zeitgemäße Klinikbauten, die dem Personal die Arbeit erleichtern. Mittlerweile aber steigen die Baukosten, deswegen besteht auch hier dringender Handlungsbedarf.

Krankenhäuser fordern Sofortprogramm wegen hoher Energiekosten

Wie sehr lasten die hohen Energiekosten auf den Kliniken?

Hinsichtlich der Energie fordern wir ein Sofortprogramm. Die Krankenhäuser sind weit vom Normalbetrieb entfernt, und das wird noch länger so bleiben. Weniger Angebot an Leistungen bedeutet weniger Einnahmen. Die laufenden Kosten aber steigen enorm. Krankenhäuser können keine Energie einsparen. Deshalb müssen wir dringend über dieses Thema reden.

Am Montag ergibt sich vielleicht die Gelegenheit dazu. Wie viele Demonstranten werden kommen?

Wir erwarten mehrere Hundert Teilnehmer. Mit einer riesigen Menschenmenge können wir nicht aufwarten. Im Moment brauchen die Krankenhäuser jede und jeden für die Versorgung der Patienten. Es wird eine Bühne auf dem Vorplatz des Abgeordnetenhauses geben. Mehrere Redner werden sprechen. Vielleicht stellen sich auch Mitglieder des Gesundheitsausschusses der Diskussion. Das wäre ein willkommenes Zeichen.