Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 14/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - stationäre Behandlungen - fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten - Beurlaubung

Verhandlungstermin 26.04.2022 13:45 Uhr

Terminvorschau

A. gGmbH ./. AOK Rheinland/Hamburg - Die Gesundheitskasse
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde im Krankenhaus der Klägerin (im Folgenden: das Krankenhaus) zunächst vom 5. - 11.5.2011 stationär wegen der Abklärung von Blutabgängen zur Diagnostik und Therapie aufgenommen. Die Versicherte wurde mit der Diagnose Analkarzinom am Tag vor der interdisziplinären Tumorkonferenz des Krankenhauses entlassen und in Umsetzung des Ergebnisses der Tumorkonferenz am 19.5.2011 zur laparoskopischen Sigmoideostoma-Anlage (künstlicher Darmausgang) und Adhäsiolyse (operatives Lösen von bindegeweblichen Verwachsungen, hier im Bauchraum) sowie zur Implantation eines Ports für eine anschließende Radiochemotherapie erneut stationär aufgenommen und am 31.5.2011 aus der stationären Behandlung entlassen. Das Krankenhaus berechnete zwei Fallpauschalen; für den ersten stationären Aufenthalt 1219,98 Euro (DRG G60B) und für den zweiten stationären Aufenthalt 7412,46 Euro (DRG G18B). Die KK beglich die Rechnungen zunächst, rechnete jedoch nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Höhe von 1219,98 Euro mit unstreitigen Forderungen des Krankenhauses auf: Im Zeitpunkt der Entlassung am 11.5.2011 sei die Behandlung noch nicht abgeschlossen, sondern deren Fortsetzung bereits geplant gewesen. Es sei von einem einheitlichen Behandlungsfall auszugehen, der allein nach DRG G18B abzurechnen sei. Das SG hat die KK zur Zahlung von 1219,98 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Zwar lägen die Voraussetzungen der Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 Satz 1 der 2011 geltenden Fallpauschalenvereinbarung (FPV 2011) vor, die Fallzusammenführung sei jedoch nach § 2 Abs 2 Satz 2 FPV 2011 iVm dem Fallpauschalenkatalog, DRG G60B, Spalte 13, ausgeschlossen. Diese Ausnahmeregelung sei abschließend. In den Regelungen über die Fallzusammenführung sei in Einklang mit höherrangigem Recht in pauschalierender Weise das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs 1 SGB V berücksichtigt. Eine Einzelfallbetrachtung anhand des Wirtschaftlichkeitsgebots sei ausgeschlossen. Dies werde auch durch § 8 Abs 5 Satz 3 KHEntgG klargestellt. Zudem hätte das Krankenhaus die Versicherte nicht beurlauben können. Der Landesvertrag nach § 112 SGB V sehe dies nicht vor. Die Versicherte sei in der Zeit vom 12. bis 18.5.2011 auch nicht stationär behandlungsbedürftig gewesen.

Mit ihrer Revision rügt die KK die Verletzung von § 8 Abs 5 Satz 3 KHEntgG, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V sowie von § 1 Abs 7 Satz 5 FPV 2011.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 8 KR 1059/16 WA, 10.09.2019
Landessozialgericht Hamburg - L 1 KR 114/19, 25.02.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/22.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse (KK) hatte Erfolg. Die Vorinstanzen haben die KK zu Unrecht zur Zahlung weiterer 1219,98 Euro verurteilt. Dem klagenden Krankenhaus steht kein weiterer Vergütungsanspruch für die stationäre Behandlung der Versicherten zu.

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass jedenfalls für die Zeit vor 2019 die Berechnung zweier Behandlungsfälle als ein Behandlungsfall nach den aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot abgeleiteten Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass die Vertragsparteien der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) Regelungen über die Fallzusammenführung vereinbart haben. Unerheblich ist es deshalb, wenn eine nach Satz 1 des § 2 Abs 2 FPV angeordnete Fallzusammenführung nach dessen Satz 2 im Sinne einer Rückausnahme wieder entfällt und damit die Abrechnung von zwei Behandlungsfällen nicht schon preisrechtlich ausgeschlossen ist. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gebietet es, dass Versicherte nicht entlassen werden dürfen, wenn erstens in einem überschaubaren Zeitraum Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob eine Fortsetzung der stationären Behandlung medizinisch geboten ist, und zweitens ggf die Fortsetzung der Behandlung aus medizinischen Gründen auch tatsächlich erfolgen kann. Maßgeblich dafür ist der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entlassung verfügbare Wissens- und Kenntnisstand der Krankenhausärzte. In der Regel ist ein Zeitraum von zehn Tagen ab der Entscheidung über die Entlassung bis zur Fortsetzung der Behandlung noch als überschaubar anzusehen ist.

Das Krankenhaus hätte nach diesen Grundsätzen lediglich einen einzigen, beide Behandlungsepisoden erfassenden Behandlungsfall abrechnen dürfen. Denn das Krankenhaus hätte angesichts der bevorstehenden Tumorkonferenz die Versicherte nicht entlassen dürfen. Es war auch absehbar, dass die Fortsetzung der stationären Behandlung binnen zehn Tagen in Betracht kam. So ist es auch geschehen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/22.

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