Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 5/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - nicht erforderliche vollstationäre Behandlung - fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten - teilstationäre Behandlung

Verhandlungstermin 26.04.2022 13:00 Uhr

Terminvorschau

A. GmbH ./. DAK-Gesundheit
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Klägerin (im Folgenden: das Krankenhaus) vom 20.2. bis 8.4.2015 wegen einer Suchterkrankung vollstationär behandelt. Die KK beglich die Rechnung des Krankenhauses iHv 11 262,45 Euro und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung des Behandlungsfalls. Dieser sah eine ambulante Behandlung als ausreichend und deshalb die stationäre Behandlung als nicht notwendig an (sog primäre Fehlbelegung). Die KK verrechnete daraufhin am 6.11.2015 den gesamten Rechnungsbetrag mit anderen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses. Im Klageverfahren erkannten der von der KK erneut beauftragte MDK und der vom SG beauftragte gerichtliche Sachverständige die Erforderlichkeit (lediglich) einer teilstationären Krankenhausbehandlung an. Das Behandlungsziel hätte auch durch eine tagesklinische Behandlung erreicht werden können. Der Versicherte sei hierfür ausreichend stabil gewesen. Das SG hat die KK daraufhin zur Zahlung von 6750,12 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dem Krankenhaus habe nach dem Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ein Vergütungsanspruch in der Höhe zugestanden, wie sie für die erforderliche teilstationäre Vergütung angefallen wäre. Auf die Berufung der KK hat das LSG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die vollstationäre Behandlung des Versicherten sei nicht erforderlich gewesen, weil teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte. Ein Anspruch auf Vergütung als teilstationäre Behandlung iS eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens bestehe nicht. Die teilstationäre Behandlung stelle kein Minus gegenüber einer vollstationären Behandlung dar, sondern folge einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept und finde in der Regel in gesonderten, räumlich getrennten Abteilungen des Krankenhauses statt. Es könne auch nicht beurteilt werden, wie sich eine fiktive teilstationäre Behandlung hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Dauer tatsächlich entwickelt hätte.          

Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus sinngemäß eine Verletzung von § 12 Abs 1, § 39 Abs 1, § 109 Abs 4 SGB V und § 103 SGG.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 9 KR 1014/16, 31.07.2019
Landessozialgericht Hamburg - L 1 KR 106/19, 21.01.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/22.

Terminbericht

Die Revision des klagenden Krankenhauses hatte im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg. Der Senat konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch gegen die beklagte Krankenkasse (KK) zusteht.

Die durchgeführte vollstationäre Behandlung des Versicherten war medizinisch nicht erforderlich, weil von Beginn an eine teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte. In Betracht kommt allerdings ein Vergütungsanspruch für die erforderlich gewesene teilstationäre Krankenhausbehandlung nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens. Das BSG hat einen solchen Vergütungsanspruch in unterschiedlichen Fallkonstellationen für den Fall bejaht, dass das Krankenhaus von zwei gleichermaßen zweckmäßigen und notwendigen Behandlungsalternativen die unwirtschaftliche gewählt hat. Gleiches gilt, wenn das Krankenhaus anstelle einer erforderlichen und auch ausreichenden teilstationären Behandlung eine ebenfalls zweckmäßige, aber nicht erforderliche vollstationäre Behandlung wählt. Denn der in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V zum Ausdruck kommende Nachrang der vollstationären gegenüber der teilstationären Behandlung stellt lediglich eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar. In dem Stufenverhältnis der unterschiedlichen Formen der Krankenhausbehandlung (vollstationär oder stationsäquivalent, teilstationär, ambulant) kommt deshalb ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens immer dann in Betracht, wenn eine zweckmäßige, medizinisch jedoch in einer höheren Stufe der Krankenhausbehandlung nicht erforderliche Behandlung durchgeführt wurde, eine Behandlung in einer niedrigeren Stufe aber gleichermaßen zweckmäßig und medizinisch erforderlich gewesen wäre. Das gilt sowohl für das Verhältnis von vollstationärer oder stationsäquivalenter zu teilstationärer Krankenhausbehandlung als auch für das Verhältnis von stationärer zu ambulanter Krankenhausbehandlung. Weitere Voraussetzung für eine Abrechnung auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ist, dass das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die (fiktive) wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der KK abzurechnen. Der Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens darf nicht dazu führen, dass das Krankenhaus außerhalb seines Versorgungsauftrages tätig wird oder dass zwingende Vorgaben des Leistungserbringerrechts unterlaufen werden. Von diesen Grundsätzen geht auch die zum 1.1.2020 neu gefasste Regelung des § 8 Abs 3 KHEntgG aus.

Das LSG hat nicht festgestellt, ob die vollstationäre und die teilstationäre Krankenhausbehandlung in dem vorliegenden Fall des Versicherten gleichermaßen zweckmäßig waren, um das Behandlungsziel zu erreichen. Die fehlenden Feststellungen sind vom LSG nachzuholen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/22.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK