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Medizinisches Profil Kliniken wagen ein Experiment

Die Bremer Kliniken stehen zum Teil in Konkurrenz zueinander, bei den Versorgungsaufträgen gab es früher oft Verteilungskämpfe. Nun bemüht man sich bei der Landeskrankenhausplanung um eine Lösung im Konsens.
29.04.2022, 16:26 Uhr
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Kliniken wagen ein Experiment
Von Jürgen Theiner

Wie soll künftig das Behandlungsangebot an den einzelnen Bremer Krankenhausstandorten aussehen? Um diese Frage zu klären, hat die Gesundheitsbehörde einen bundesweit einzigartigen Prozess angestoßen.  Unter wissenschaftlicher Begleitung loten die Betreiber aller Kliniken aus, wo sie besser kooperieren können und wie das medizinische Profil der Häuser so umgestaltet werden kann, dass Patienten, Kliniken und Kostenträger einen konkreten Nutzen davon haben.

Die Krankenhausplanung ist eine gesetzliche Aufgabe der Bundesländer. Dabei geht es darum, Bettenkapazitäten und Leistungsumfang der Kliniken an die sich wandelnden Anforderungen der stationären Gesundheitsversorgung anzupassen. In Bremen wird die Planung normalerweise alle zwei Jahre fortgeschrieben. Bei dem mehrstufigen Verfahren, an dessen Ende alle Häuser einen detaillierten Versorgungsauftrag bekommen, hat die Gesundheitsbehörde das letzte Wort.

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Das wird auch in Zukunft so sein. Doch parallel suchen die Krankenhausbetreiber jetzt nach einem Konsens in der Frage, was künftig wo angeboten wird. Der Zeithorizont reicht dabei bis ins Jahr 2030. Aus dem Gegeneinander soll ein Miteinander werden. Denn üblich war bisher, dass sich die vier Häuser der städtischen Gesundheit Nord (Geno) auf der einen Seite und die freigemeinnützigen Kliniken Diako, St.-Joseph-Stift, Rotes-Kreuz-Krankenhaus und Roland-Klinik sowie die private Paracelsus-Klinik auf der anderen Seite um ein möglichst großes Stück vom Kuchen balgten. "Das war oft ein Hauen und Stechen", sagt ein Akteur, der langjährige Erfahrungen mit Landeskrankenhausplanung hat.

Vollständige Transparenz

Der Anstoß für den Versuch, es erstmals schiedlich-friedlich zu versuchen, ging Ende vergangenen Jahres von Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) aus. In Einzelgesprächen mit sämtlichen Klinikchefs leistete sie Überzeugungsarbeit. Ein Etappenziel konnte sie zwischenzeitlich erreichen: Alle Häuser stimmten zu, ihre wirtschaftlichen Leistungsdaten untereinander auszutauschen, sodass bei den bevorstehenden Gesprächen über den Neuzuschnitt der Versorgungsaufträge vollständige Transparenz besteht. Das war alles andere als selbstverständlich, denn Krankenhäuser sind auch Unternehmen. Und Unternehmer lassen sich – was ihre Kalkulationsgrundlagen angeht – ungern in die Karten schauen. Schon gar nicht von der direkten Konkurrenz.

Wissenschaftlich begleitet wird der jetzt anstehende Prozess vom Essener Institute for Health Care Business (HCB), einem spezialisierten Beratungsunternehmen für den Kliniksektor. Dessen Geschäftsführer Boris Augurzky lieferte als Grundlage für die bevorstehenden Gespräche ein Gutachten. Es beschreibt aktuelle Trends in der Gesundheitswirtschaft und ihre Wirkungen auf die regionale Krankenhauslandschaft. Laut Bernhard stecken in dem Gutachten auch schon einige konkrete Vorschläge zum Neuzuschnitt des medizinischen Leistungsspektrums der Bremer Kliniken.

Spezialisierung ist Trumpf

Ziel wird es dabei vor allem sein, bestimmte Behandlungsangebote an ausgewählten Häusern zusammenzufassen. Im Grundsatz will man also weg vom Krankenhaus als medizinischem Gemischtwarenladen, der von der Notfallambulanz bis zur Organtransplantation fast alles im Angebot hat. Denn es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass die Qualität von Therapien parallel zur Fallzahl steigt. Anders gesagt: Ein spezialisiertes OP-Team, das Tag für Tag eine bestimmte Gelenkoperation durchführt, liefert bessere Ergebnisse ab als ein Chirurg, der diesen Eingriff nur fünfmal im Jahr vornimmt. Fachverbände fordern deshalb schon seit Jahren, dass insbesondere komplexere Therapien in entsprechend profilierten Behandlungszentren gebündelt werden.

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Im Mai treten die Konsensgespräche in eine entscheidende Phase. Bei einem zweitägigen Workshop werden sich die Krankenhausmanager die Karten legen: Wer bekommt was hinzu und gibt im Gegenzug etwas an andere Häuser ab? Wie sieht zum Beispiel die Zukunft der Gefäßmedizin in Bremen aus, die gegenwärtig vor allem vom Rotes-Kreuz-Krankenhaus und der Geno angeboten wird?

Mehr ambulante Behandlungen

Senatorin Bernhard wagt noch keine Prognose, wie groß die Einigungsbereitschaft der diversen Akteure sein wird, wenn es ans Eingemachte geht. Sie sei aber bereit, bestimmte Tauschgeschäfte durch Investitionshilfen des Landes zu flankieren. Bernhard glaubt zudem an die disziplinierende Wirkung, die von den veränderten Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens ausgeht.

Die wichtigsten Stichworte lauten dabei Ambulantisierung und Personalmangel. Ersteres bedeutet, dass immer mehr Behandlungen, die früher einen längeren Krankenhausaufenthalt erforderten, ambulant oder kurzstationär erbracht werden. Wenn die Kliniken also verhindern wollen, dass ihnen Erträge wegbrechen, müssen sie strukturell reagieren und sich beispielsweise auch im ambulanten Bereich betätigen. Der Personalmangel wiederum zwingt dazu, die vorhandenen Fachkräfte möglichst effizient einzusetzen. "Wenn wir uns koordiniert auf diese Entwicklungen einstellen, ist das auch eine Chance für unsere Krankenhauslandschaft", ist die Senatorin überzeugt.

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