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Jetzt spricht der Experte zur Zukunft der Kliniken Ostalb: "Optimales Krankenhaus hat 600 bis 900 Betten."

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Prof. Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen-Wirtschaftsinstitut ist Mitglied der neuen Regierungskommission zur Reformierung der Krankenhauslandschaft. Auch den Ostalbkreis berät er mit Blick auf die Bewertung der Klinklandschaft.
Prof. Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen-Wirtschaftsinstitut ist Mitglied der neuen Regierungskommission zur Reformierung der Krankenhauslandschaft. Auch den Ostalbkreis berät er mit Blick auf die Bewertung der Klinklandschaft. © Pinzke, Ricarda

Prof. Dr. Boris Augurzky berät die Regierung in Sachen Krankenhaus-Reformierung. Auch im Ostalbkreis ist er aktiv. Wieso es Fusionen geben muss und warum reagiert werden muss.

Aalen. Die Kliniklandschaft im Ostalbkreis wird sich verändern. Aus bislang drei Standorten sollen zwei werden. Die Politik diskutiert aktuell über die Zukunft der Kliniken Ostalb. Prof. Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen-Wirtschaftsinstitut ist Mitglied der neuen Regierungskommission zur Reformierung der Krankenhauslandschaft. Auch Die Geschäftsführung der Kliniken Ostalbkreis berät er seit Herbst 2021. Dabei geht es um die Bewertung verschiedener Varianten, unter anderem hinsichtlich der Erreichbarkeit von neuen Standorten. Im Interview sagt er, warum aus seiner Sicht weniger mehr ist und warum der Ostalbkreis jetzt zwingend reagieren sollte.

Frage: Lieber Herr Professor Augurzk y. Wir haben drei Kliniken im Ostalbkreis. Sind das zu viele oder zu wenige für Sie?

Prof.  Augurzky: Unter dem Gesichtspunkt der Besetzbarkeit der Kliniken mit Fachpersonal sind es zu viele. In jeder Klinik brauchen Sie nämlich eine Mindestbesetzung, die bei der heutigen Arbeitsmarktsituation kaum zu schaffen ist. So müssen täglich Betten abgemeldet werden und die Versorgung kann nicht immer auf gewohnt hohem Niveau erfolgen. Wenn Sie die vorhandenen Kapazitäten dagegen bündeln, können Sie die Mindestbesetzungen viel besser erreichen. Hinzu kommen Mindestvorhaltungen in der Infrastruktur. Auch hier gilt: Je kleiner die Einrichtung ist, desto stärker fallen diese ins Gewicht.

Wie viele Klinikstandorte haben Sie schon unter die Lupe genommen?

Bundesweit schon viele, besonders in Baden-Württemberg, zum Beispiel in den Kreisen Ludwigsburg, Heilbronn, Reutlingen, Göppingen; und den Neubau in Lörrach. In diesen Kreisen stand man vor einiger Zeit vor ganz ähnlichen Fragen wie jetzt im Ostalbkreis. Tatsächlich ist der Ostalbkreis nicht „allein“. Wir haben das Thema überall. Weitaus schwieriger ist es dabei übrigens in Mecklenburg-Vorpommern, weil dort die Siedlungsdichte deutlich geringer ist als hier und die Bevölkerung in manchen Gegenden stark schrumpfen wird.

Ostalb-Klinikum in Aalen, Stauferklinikum in Mutlangen und Virngrundklinik: Die Zukunft der Kliniken im Ostalbkreis beschäftigt die Politiker im Landkreis.
Ostalb-Klinikum in Aalen, Stauferklinikum in Mutlangen und Virngrundklinik: Die Zukunft der Kliniken im Ostalbkreis beschäftigt die Politiker im Landkreis. © opo, Tom, jku

Was ist für Sie ein guter Klinikstandort?

Ein guter Klinikstandort muss für die Bevölkerung in der Region eine solide medizinische Grundversorgung anbieten – mit hoher Qualität in der Medizin und Pflege. Er muss für leichte und schwere Notfälle gerüstet sein und sollte eng mit der ambulanten Versorgung und mit der Altenpflege und anderen Gesundheitsanbietern zusammenarbeiten. Und ganz wichtig: Er muss attraktiv für Fachkräfte sein.

Verstehen Sie, dass viele Menschen kein Verständnis haben, wenn es um die Aufgabe von Klinikstandorten geht? Schließlich möchte man im Notfall schnell behandelt werden?

Das verstehe ich sehr gut. Im Landkreis Heilbronn war ich an einem solchen Veränderungsprozess beteiligt, ganz in der Nähe meiner Heimatstadt. Meine Familie war zunächst nicht begeistert, dass in Brackenheim das Krankenhaus in ein ambulantes Gesundheitszentrum umgewandelt werden sollte. Man verliert damit nicht nur das gewohnte Krankenhaus, sondern auch einen Teil seiner Heimat. Aber das Alternativkonzept hat am Ende überzeugt. Es bleibt ja keine Bauruine zurück. In Brackenheim steht inzwischen ein modernes Gesundheitszentrum mit vielen ambulanten Angeboten, einer geriatrischen Reha, einer Physiotherapie-Praxis, einem Unfall- und OP-Zentrum, einem Rettungsstützpunkt mit Notarzt, einem Pflegestützpunkt.

Und besagte Notfallsituation ...?

Was die Frage nach der Behandlung im Notfall angeht: Wenn Sie einen schweren Notfall wie einen Herzinfarkt haben, fahren Sie dorthin, wo ein Krankenhaus die dazu nötige Ausstattung hat, also unter anderem einen Linksherzkatheter-Messplatz. Das ist nicht automatisch das nächstgelegene. Tatsächlich ist dieses – eventuell weiter entfernt – liegende Krankenhaus auch dasjenige, in dem die Behandlung am schnellsten erfolgt. Denn es zählt nicht nur die Zeit vom Ort des Notfallgeschehens zum Krankenhaus, sondern – einmal angekommen – auch die Zeit, die dann noch vergeht, bis die richtige Behandlung beginnt. Im Zweifel muss man sogar weiterverlegt werden und verliert nochmals Zeit.

Spielt bei solchen Gutachten die Fläche eines Landkreises und die Einwohnerdichte in den einzelnen Regionen innerhalb eines Landkreises eine Rolle?

Ja. Jeden Fall muss man sich individuell anschauen. Wir haben genau untersucht, wie die Erreichbarkeit der heutigen Standorte im Ostalbkreis sind und wie sie von anderen, alternativen Standorten aus wären. Dabei berücksichtigen wir auch den Ausbau der B29, der zu einem Zeitgewinn führen wird. Würde man von der heutigen Drei-Häusigkeit auf eine Zwei-Häusigkeit gehen, würde dies durch geschickte Wahl des neuen Standortes für den gesamten Landkreis zu keiner Verschlechterung der Versorgung führen. Wenn man dann noch ergänzend Gesundheitszentren wie zum Beispiel in Brackenheim einrichtet, bieten diese neuen Angebote der medizinischen und pflegerischen Grundversorgung viele Chancen.

Der Ostalbkreis ist flächenmäßig einer der größten im Land. Der Gmünder Raum hat eine höhere Einwohnerdichte als der Raum Aalen. Was bedeutet das für Ihre Analyse?

Wir zählen bei unseren Analysen immer auf Postleitzahlenebene, wie viele Menschen von Veränderungen betroffen sind. Wenn also in einer Postleitzahl viele Menschen leben, hat sie ein höheres Gewicht in der Analyse, als wenn dort wenige leben. Die Einwohnerdichte ist aber nur eines von mehreren Kriterien der Analyse.

Wird berücksichtigt, was in jüngster Zeit an welchem Standort in puncto Modernisierung getan und investiert worden ist?

Ja. Wir schauen, was in den vergangenen Jahren investiert wurde und was in den kommenden Jahren an Modernisierungsbedarfen anliegt. Wir sprechen bei den möglichen Veränderungen im Ostalbkreis jedoch über einen Zeitraum bis etwa 2030. Sollte ein neues Klinikum an einem neuen Standort gebaut werden, dauert allein das Planen und Bauen mehrere Jahre. Es kann daher sogar passieren, dass man zeitgleich an den alten Standorten noch gewisse Modernisierungen durchführen muss, um in der Übergangszeit eine gute Versorgung erbringen zu können. Das ist kein Widerspruch und auch keine Verschwendung. Aber natürlich spart man sich die ganz großen Investitionen an den alten Standorten. Diese würden dann komplett in das neue Klinikum fließen.

Machen Fusionen den Krankenhaus-Bereich tatsächlich billiger, und wenn ja um wie viel ?

Einmal im Jahr analysieren wir die Jahresabschlüsse von fast 1000 Krankenhäusern in Deutschland und veröffentlichen dazu einen Report, inzwischen seit 17 Jahren. Der nächste steht Ende Juni an. Auf Basis dieser umfangreichen Daten konnten wir eine optimale Krankenhausgröße hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit bei etwa 600 bis 900 Betten erkennen. Je kleiner eine Klinik ist, desto größere wirtschaftliche Schwierigkeiten hat sie. Das lässt sich erklären durch ihre höheren Vorhaltekosten. Vergleichen Sie es mit einem Mehrfamilienhaus: Dort sind die Heizkosten pro Fläche niedriger, je mehr Wohneinheiten es gibt. Natürlich ist eine Klinik weitaus komplexer. Aber ein großer Teil der Kosten einer Klinik sind nun mal Vorhaltekosten, die sich erst ab einer gewissen Größe refinanzieren. Es kommen aber weitere Effekte hinzu. In einem Neubau können Sie so bauen, dass Abläufe optimal gestaltet werden können, das heißt, dass das Personal Arbeitszeit spart. Außerdem ist ein größeres Klinikum mit breiterem Leistungsspektrum, mehreren Spezialdisziplinen und vielfältigen Weiterbildungsoptionen attraktiver für das Personal, was die bestehende Fachkräftelücke vermindert. Ein größeres neues Klinikum müsste dann keine Betten mehr abmelden und könnte mehr Erlöse erzielen. Zu guter Letzt: Wir erleben, dass ein neues großes Klinikum sogar eine überregionale Strahlkraft entfaltet, weshalb wir davon ausgehen, dass es zusätzliche Patienten anziehen kann.

Die Intensivstation in den Ostalb Kliniken.
Die Intensivstation in den Ostalb Kliniken. © Kliniken Ostalb

Was muss unbedingt beachtet werden, damit die Kosten sinken?

Kosten sinken nicht von allein. Der Neubau muss so geplant und gebaut werden, dass die Betriebsabläufe optimal funktionieren können. Denn dies spart Zeit und damit Personalbedarf. Das bedeutet, dass die bestehende Fachkräftelücke reduziert oder sogar ganz geschlossen werden kann, was das Krankenhaus wiederum attraktiver für Personal macht.

Erhöhen Fusionen die medizinische Qualität und wenn ja, weshalb?

Fusionen sind nicht nur wirtschaftlich vorteilhaft. Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass ein Krankenhaus, das eine Leistung häufig erbringt, eine im Durchschnitt bessere medizinische Qualität erreicht als ein Haus, das diese Leistung selten erbringt. Das bedeutet, dass die Sterbe- und Komplikationsraten bei höherer Leistungsmenge geringer sind. Das ist ja nicht nur in der Medizin so. Das kennt jeder aus seinem Alltag: „Übung macht den Meister“. Ich würde auch jedem Patienten empfehlen, erst einmal zu schauen, wie häufig ein Krankenhaus den Eingriff, der für ihn nötig ist, durchführt. Darüber hinaus gilt: Ein größeres Haus kann die personelle Mindestbesetzung besser erreichen, Krankheitsfälle beim Personal fallen weniger ins Gewicht, Urlaube können besser geplant werden und Arbeitspläne sind stabiler. Das kommt den Beschäftigten zugute und steigert die Arbeitsplatzattraktivität.

Im Gesundheitswesen passiert aktuell so viel. Kann man da überhaupt Pläne machen, die erst in einigen Jahren greifen?

Es ist richtig, dass die Zeiten inzwischen sehr unsicher geworden sind. Das erschwert die Planbarkeit in allen Branchen, auch im Gesundheitswesen. Es gibt im Gesundheitswesen aber Trends, die bereits in der Vergangenheit wirkten, ohne dass die Branche sich schon darauf eingestellt hat. So steigt die Spezialisierung in der Medizin seit langem. Es gibt nicht mehr den Chirurgen, der „alles“ kann. Stattdessen gibt es viele Unterdisziplinen. Wenn Sie diese alle vorhalten wollen, geht das nur in größeren Einheiten. Ein anderer Trend ist die Ambulantisierung der Medizin. Wir könnten heute schon rund 20 Prozent der stationären Fälle auch ambulant erbringen. Dies bedeutet, dass bei anderen Klinikneustrukturierungen mit 20 Prozent weniger Betten geplant wird. Es fehlt uns dazu jedoch noch das passende Vergütungssystem. Denn es handelt sich um komplexe ambulante Fälle, die in einer Arztpraxis oft nicht erbracht werden können. Ein solches Vergütungssystem könnte schon bald kommen.

Bleibt noch der Fachkräftemangel ...

Das Problem des Fachkräftemangels, das sich in größeren Einrichtungen einfacher bewältigen lässt, hatte ich bereits erwähnt. Und die Demografie ist hier unbarmherzig. Sie fragt nicht, was wir wollen. Wenn wir als Gesellschaft älter werden, fehlen uns immer mehr Nachwuchskräfte. In wenigen Jahren beschleunigt sich die Alterung in einem Ausmaß, das wir bisher nicht kannten. Uns werden in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts in Deutschland jedes Jahr 500.000 Menschen zusätzlich fehlen, wenn die ersten „Babyboomer“ in Rente gehen. Zuwanderung allein wird diese Lücke nicht füllen können. Und mehr Geburten würden sich erst in 20 Jahren bemerkbar machen.

Verstehen Sie, dass diese Szenarien Menschen Angst machen?

Wir Menschen neigen dazu, vor Dingen, die wir bisher nicht kannten, die Augen zu verschließen. Keiner hat mit Krieg gerechnet. Plötzlich ist er da. Niemand hatte eine Pandemie ernsthaft auf dem Schirm. Plötzlich war sie da. Ich sage Ihnen, die Babyboomer werden in Rente gehen. Das ist unvermeidlich. Plötzlich werden sie weg sein und alle wundern sich, wer denn nun deren Arbeit machen soll. Kurz: Ja, alles wird unsicherer und damit auch Pläne über die Zukunft. Aber wir dürfen auch nicht den Fehler machen, uns nicht auf mögliche Krisen vorzubereiten. Diesen Fehler haben wir in den vergangenen Jahren zu oft schon gemacht.

Aus Ihrer Erfahrung. Wie wird die Krankenhauslandschaft auf der Ostalb im Jahre 2032 sein?

Die medizinische Versorgung im Ostalbkreis wird 2032 besser sein als heute. Weil die Medizin Fortschritte macht. Weil sie patientenorientierter wird, indem die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung zusammenwächst. Weil moderne Technologie genutzt wird, um das Personal zu entlasten und den Patienten zu unterstützen – Stichwort Digitalisierung. Und weil die Kapazitäten der Krankenhäuser im Kreis optimal genutzt werden. Im Moment entsteht ein Druck, der zum Handeln zwingt und uns Veränderungen aufbürdet. Einfach nur mehr Geld bereitstellen, wird diesen Druck nicht nehmen. Fachkräfte können wir uns nicht backen. Er ist aber auch ein heilsamer Druck. Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Menschen im Ostalbkreis im Jahr 2032 im Rückblick sagen werden: Gut, dass wir die Veränderungen gerade noch rechtzeitig aktiv gestaltet und eine moderne und nachhaltige Gesundheitsversorgung geschaffen haben.

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