Krankenkassen: Spitäler und Ärzte verrechnen ihren Patienten zu viel

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KrankenkassenSpitäler und Ärzte verrechnen ihren Patienten zu viel

Krankenkassen stellen jährlich Fehlbeträge von über drei Milliarden Franken fest. Das entspräche einer Prämienreduktion von zehn Prozent, sagt ein Verbandsvertreter.

Darum gehts

Spitäler sowie Ärztinnen und Ärzte stellen ihren Patientinnen und Patienten mitunter zu hohe Rechnungen. Das heisst: Sie verrechnen Leistungen, die entweder nicht bezogen wurden, oder verrechnen für eine Leistung mehr, als nötig wäre. Das sagen verschiedene Krankenversicherer sowie deren Verbände übereinstimmend mit Verweis auf ihre eigenen Rechnungskontrollen. Der Krankenkassenverband Santésuisse deckt laut Mediensprecher Matthias Müller jährlich Fehlbeträge im Wert von mehr als drei Milliarden auf. Auch der zweite grosse Krankenkassenverband, Curafutura, bestätigt diesen Befund auf Anfrage.

Bei der Krankenkasse Atupri zum Beispiel schlagen zu hohe Rechnungsbeträge jedes Jahr mit 60 Millionen Franken zu Buche, wie sie selbst sagt. Das sei der Betrag, der nicht ausbezahlt werde und den die Kasse dank interner Rechnungskontrollen einspare. Auch bei der Swica seien es mehrere Millionen, sagt Mediensprecherin Silvia Schnidrig.

Nachweis ist schwierig

Auch Matthias Müller von Santésuisse bestätigt, dass gewisse Spitäler und Ärzte zu hohe Rechnungen ausstellen würden. «Das Problem beobachten wir insbesondere im ambulanten Bereich, wo Ärztinnen und Ärzte aus zahlreichen Tarifpositionen auswählen können.» Dort würden die Kosten jährlich auch stark steigen, so Müller.

Überhöhte Rechnungen nachzuweisen, sei für Krankenkassen schwierig, sagt Gesundheitsexperte Felix Schneuwly. «Im Vergleich zu den Kunden der Handwerker unterschreiben Patienten keinen Arbeitsrapport der erbrachten Arztleistungen.» Somit könnten Krankenkassen nicht überprüfen, ob eine Leistung überhaupt erbracht wurde und ob sie nötig gewesen sei, so Schneuwly. Einzig, ob die Mengen und Kosten der auf den Rechnungen stehenden Leistungen gesetzes- und tarifvertragskonform seien, könne eine Krankenkasse überprüfen.

Auch SP-Nationalrätin und Patientenvertreterin Flavia Wasserfallen bestätigt, dass Arztrechnungen zu hoch ausfallen. Patienten hätten fast keine Chance, dies nachzuweisen (siehe Box).

Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) wehrt sich: «Die FMH kann die Richtigkeit dieser Vorwürfe nicht überprüfen», sagt Präsidentin Yvonne Gilli. Denn dafür fehlten ihnen die Daten. «In diesen über drei Milliarden ist eine Vielzahl verschiedener Sachverhalte zusammengefasst. Ein Grossteil davn sind fälschlich eingereichte Rechnungen.» Ausserdem betreffe die Summe überwiegend die Spitäler und nicht die Ärztinnen und Ärzte, so Gilli.

Ärztinnen und Ärzte würden «nicht oft» mehr verrechneten, als ihnen zustünde. Der Anteil der mutmasslich Fehlbaren bewege sich im Promillebereich, schreibt Yvonne Gilli. Dennoch fügt sie hinzu: «Jeder diesbezüglich verurteilte Arzt ist einer zu viel.» Aus dem Jahr 2019 seien dem Verband insgesamt 58 Fälle bekannt, in denen sich der Verdacht auf eine zu hohe Rechnungsstellung erhärtet habe und gegen die der Dachverband der Versicherer Klage eingereicht habe. In wie vielen Fällen es zu einem Schuldspruch kam, sei ihr nicht bekannt, sagt Gilli.

Spitalverband weist Kritik zurück

Auch der Spitalverband H+ weist die Vorwürfe von sich. Es sei dem Verband schleierhaft, wie Santésuisse auf die Fehlbeträge von über drei Milliarden Franken in überhöhten Rechnungen komme, sagt Verbandsdirektorin Anne Bütikofer. Spitäler und Kliniken stellten «gemäss den geltenden Tarifen» Rechnung. Zudem sei die Kodierung, die die Grundlage für die Rechnungsstellung ist, durch eine externe Firma kontrolliert und nicht bemängelt worden, sagt sie. «Nur mit einer falschen Kodierung könnten falsche Rechnungen gestellt werden, was nachweislich nicht passiert.»

Laut Pius Zängerle, Direktor von Curafutura, entsprechen die Milliarden unnötigen Ausgaben einer Prämienlast von zehn Prozent – um so viel könnten die Prämien reduziert werden, wenn korrekt verrechnet würde. Felix Schneuwly schlägt folgende Lösung für das Problem vor: Es sollten Behandlungsrapporte eingeführt werden, welche die Krankenkassen einsehen und mit den Rechnungen vergleichen dürften. «So können die Versicherungen genau nachvollziehen, welche Leistung aus welchem Grund erbracht wurde.»

Matthias Müller von Santésuisse schlägt zudem vor, dass es, wo möglich, Pauschalen für Behandlungen geben sollte. Denn heute koste eine Behandlung wie etwa eine Augenoperation wegen Grauen Stars bei einem Arzt 1000 Franken, bei einem anderen Arzt 3000 Franken. Ein solches System sei bei Santésuisee, Spitalverband H+ und Chirurgenverband FMCH zurzeit in Arbeit.

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