Infografik

Warum Pflegekräfte in Jordanien auf einen Job in Bremerhaven hoffen

Der Mangel an Pflegekräften ist groß. Bremer Kliniken suchen inzwischen im Ausland. Doch welche Erwartungen haben die Kandidaten? Eine Reportage aus Jordanien.

Hannah M. Ataya schaut auf ihr Handy, im Konferenzraum der jordanischen Pflegekammer in Amman herrscht noch Stille. Die rot gepolsterten Stühle rund um den Besprechungstisch sind zum größten Teil noch leer, der Flachbildschirm an der Wand schwarz. Sieben Menschen, fünf Männer und zwei Frauen, sitzen entlang der weißen Wände, wartend. "Salam aleikum", ruft ein junger Mann mit schwarzen Locken in Hemd und Jacke, als er durch die Glastür tritt. Und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Ich bin zu spät… Sonntagsstau".    

Jordanische Bewerber hören bei einer Veranstaltung zu.
Jordanische Pflegekräfte interessieren sich für einen Job in Deutschland. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Es hallen nicht oft deutsche Worte durch die Räume der jordanischen Pflegekammer. Doch an diesem Sonntag, der in muslimischen Ländern ein Werktag ist, dreht sich für einige Stunden alles um Deutschland. Genauer gesagt, um Bremerhaven. In dem Gebäude aus weißen Ziegeln, die vom rosaroten Staub der Wüste bedeckt sind, erläutern Mitarbeiter der deutschen Firma Medical Work Solution, was ausländische Krankenpfleger für eine Bewerbung in Deutschland benötigen. Diesmal geht es um das Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide.  

Hoffnung auf ein neues Leben in Deutschland

Acht Menschen schauen sich Bilder des Krankenhauses an, der Pfleger und Pflegerinnen, die schon in Deutschland sind und auf dem Bildschirm lächeln. Ataya, Brille, grünes Kopftuch und ein langes, beiges Kleid mit arabischen Verzierungen, sitzt mit verschränkten Armen und hört still zu. Wie die anderen hat sie sich an die Firma gewandt, in der Hoffnung, auswandern zu können. Ein neues Leben, eine neue Kultur, neue Menschen, eine Veränderung suche sie, erzählt sie nach der Veranstaltung. 

Ich will nach Deutschland gehen, um meinen Lebensstil zu ändern. Ich will neue Menschen sehen, eine neue Kultur, neue Orte, die Routine meines Lebens verändern.

Hannah M. Ataya lächelt in der jordanischen Pflegekammer.
Hannah Ataya, Krankenpflegerin 
Hannah M. Ataya steht in der jordanischen Pflegekammer.
Seit Jahren arbeitet Hannah M. Ataya als Pflegekraft. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Erwartungen habe sie nicht, nur Hoffnungen. Vor allem eine: Dass sie für ihren Job wertgeschätzt wird. Das Geld sei nicht wichtig, "aber bitte dankt mir", sagt sie. "Man arbeitet hart, investiert darin seine gesamten Energien." Die Anerkennung fehle ihr hier manchmal. Seit fast 14 Jahren ist Ataya im Krankenhaus tätig, inzwischen als Oberschwester. Für sie ist die Arbeit, wie oft in dieser Branche, auch eine Berufung. "Ich liebe es, Menschen zu helfen. Sogar Straßenkatzen – inzwischen habe ich drei davon zu Hause", sagt sie und lacht laut. 

Flüsse, Chancen, gute Verkehrsanbindungen

Hoffnungen hat auch Ibrahim Mohammad Abuhani, 33 Jahre alt, Krankenpfleger seit zwölf Jahren. Bessere Jobangebote, spezialisierte Aufgaben bei der Arbeit, gute Gehälter. Und die Natur in Deutschland, davor schwärmt Abuhani. Die Flüsse vor allem. Und dann noch die Städte, die funktionierenden Dienstleistungen, die guten Verkehrsanbindungen.  

Ich habe mich aus mehreren Gründen dafür entschieden, nach Deutschland zu gehen: die Gehälter, die Häuser, die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen.

Ibrahim Mohammad Abuhani sitzt in der jordanischen Pflegekammer.
Ibrahim Mohammad Abuhani, Krankenpfleger 

Seine Frau selbst habe zwei Jahre in Österreich gearbeitet, spreche Deutsch und sei von der Idee begeistert, nach Deutschland zu ziehen, erzählt er mit einem Lächeln. Abuhani, weißes T-Shirt, robuster Körperbau, doch sanfte Art, gibt zu, noch wisse er nicht so viel über Bremerhaven.  

Mohammad al-Bustanji sitzt in der jordanischen Pflegekammer.
Mohammad al-Bustanji hofft auf bessere Chancen für seine Kinder. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Ihm pflichtet der 36-jährige Mohammad al-Bustanji bei. Deutschland habe jedenfalls einen guten Ruf in Jordanien. Vor allem suche er im neuen Land eine bessere Lebensqualität, eine bessere Zukunft für sich und seine drei Kinder. Die Arbeitslosigkeit in Jordanien ist hoch: Sie liegt bei 23,3 Prozent, fast die Hälfte der jungen Erwachsenen hat keine Beschäftigung. Gleichzeitig liegt der Mindestlohn bei etwa 348 Euro. 

Zehntausende Pflegekräfte fehlen in Deutschland

In Jordanien, einem arabischen Land zwischen Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Israel und Palästina, sind derzeit 40.000 Pflegekräfte bei der Pflegekammer registriert, 12.000 Helfer und Helferinnen kommen hinzu für zehn bis elf Millionen Einwohner mit einem geschätzten mittleren Alter von knapp 24 Jahren. Pflegekammerpräsident Khaled Rababa sagt, es gebe keine Fachkräfteknappheit.  

Ganz anders als in Deutschland: Hier herrscht seit Jahren Pflegekräftemangel. Knapp 37.000 offene Stellen für Pflegeberufe waren im April bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet, 4.100 davon in Krankenhäusern. Nicht jedes Jobangebot wird jedoch der Agentur mitgeteilt. Die deutsche Krankenhausgesellschaft geht von mindestens 25.000 Stellen aus, die die Kliniken in der stationären Pflege nicht besetzen können. Ein Bedarf, der mit der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft nur zunehmen kann. 

Offene, gemeldete Stellen in der Pflege bei der Bundesagentur für Arbeit

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Einige Untersuchungen gehen von mehreren zehntausend zusätzlichen Pflegekräften aus, die notwendig sein könnten. Auch in Bremen und Bremerhaven ist der Fachkräftemangel spürbar. Mehr als 200 Stellen sind laut Agentur für Arbeit derzeit ausgeschrieben, etwas mehr als im April 2021. Und so rekrutieren die Kliniken auch außerhalb der Grenzen. Circa 300 Pflegende aus über 70 Ländern meldet die Bremer Krankenhausgesellschaft.

Wir haben derzeit etwa 25 offene Stellen für Pflegekräfte. Wir suchen auch in Deutschland, aber es sind nicht genügend da. Deswegen gehen wir jetzt ins Ausland.

Ein Mann mit Brille, Anzug und Krawatte steht auf einem Klinik-Flur und lacht in die Kamera.
Witiko Nickel, pflegerischer Geschäftsführer Klinikum Bremerhaven 
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Noch ist unklar, ob Ataya, Abuhani und Al-Bustanji nach Bremerhaven dürfen, die Vorstellungsgespräche stehen noch bevor. Sie alle haben Träume – aber auch Ängste. "Die Menschen, vielleicht, werden mich als Fremde betrachten", sagt die 31-jährige Ataya und lächelt scheu. "Das ist etwas, wovor ich Angst habe."

Sprache als größte Herausforderung

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Studien über die Diskriminierung von ausländischen Pflegekräften in Deutschland. Doch wie verbreitet ist das Problem? Laut einer Antwort des Bremer Senats auf eine Anfrage der Grünen sei aus den Krankenhäusern berichtet worden, dass "in einzelnen Fällen Vorbehalte gegenüber ausländischen Pflegekräften durch die Patient:innen und deren Angehörigen geäußert werden" sowie "despektierliche Äußerungen". Dies seien jedoch Ausnahmen, bestätigt die Bremer Krankenhausgesellschaft.  

Wenn es zu solch einem Fehlverhalten kommt, stehen in der Regel sprachliche Probleme und keine grundsätzliche Fremdenfeindlichkeit im Vordergrund.

Corinna Jahn, Referentin der Bremer Krankenhausgesellschaft 

Dass die Sprache eine große Herausforderung ist, weiß auch Abdullah Al-Otaibi aus eigener Erfahrung. Der 36-jährige Jordanier arbeitet seit anderthalb Jahren in einem Bremer Krankenhaus. Die ersten sechs Monate, sagt er, waren am schwierigsten. So wie die Sprache, die er inzwischen noch nicht perfekt, dennoch gut beherrscht.

Für mich waren es die ersten sechs Monate. Die ersten sechs Monate, ich bin in einem anderen Land um zu arbeiten, eine neue Kultur, und die Sprache, es gab wenig Kommunikation mit den Leuten wegen der Sprache.

Abdullah al-Otaibi sitzt in einem Hotel in Amman.
Abdullah al-Otaibi, Krankenpfleger 

Krankenpfleger: Integration sei an sich nicht so schwer

Gerade sitzt al-Otaibi in Hemd und Lederjacke im Café eines Luxushotels, das Amman überblickt, und schaut nachdenklich durch das Fenster im achten Stock auf seine Heimatstadt. Die Silhouette der König-Abdullah-Moschee mit ihrer hellblauen Kuppel sticht aus dem Weiß der Gebäude hervor, das sich wie ein glänzendes Meer zu seinen Füßen erstreckt.  

Die Integration an sich sei in Deutschland eigentlich nicht schwer, sagt er. Die Kultur, vor allem die Kommunikation mit den Frauen, sei anders als im muslimischen Land. Aber das sei kein Problem. Gegen das Heimweh könne man hingegen schlechter ankämpfen. Dieses Gefühl, die Sehnsucht nach geliebten Gesichtern, nach Vertrautheit, Familie, es sei immer da, erzählt der 36-Jährige. "Besonders wegen meines kleinen Neffen; er ist drei Jahre alt, normalerweise sehe ich ihn hier jeden Tag, aber in Deutschland habe ich ihn jeden Tag vermisst", sagt er und seine braunen Augen leuchten auf.

Abdullah al-Otaibi sitzt in einem Hotel in Amman.
Abdullah al-Otaibi kennt inzwischen die Unterschiede zwischen der deutschen und jordanischen Arbeitswelt. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Al-Otaibi kennt derweil auch die Unterschiede zwischen der deutschen und jordanischen Pflegewelt. Stressig sei der Job überall. Die sich häufig abwechselnden Früh-, Spät- und Nachtschichten machten es ihm jedoch in Deutschland schwer, einen guten Schlafrhythmus zu finden. "In Jordanien muss man zwei Wochen im Frühdienst arbeiten, dann zwei Wochen Spätdienst, danach zwei Wochen Nachtdienst", erläutert er. 

Mehr Geld, aber auch höhere Kosten

Deutliche Unterschiede gebe es beim Gehalt. Ein Krankenpfleger in Jordanien bekommt laut Pflegekammer im Schnitt zwischen 700 und 1.000 US-Dollar im Monat, etwa 660 bis 950 Euro. Der mittlere Bruttolohn für Fachkrankenpflegende in Vollzeit liegt in Deutschland bei 3.711 Euro. Allerdings seien auch die Lebenskosten höher, sagt al-Otaibi. In Jordanien habe er eine eigene Wohnung, ein Auto. Das müsse man mitberechnen. 

Gehälter in der Pflege

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Pflegekammer-Präsident Rababa kennt ebenfalls solche Schwierigkeiten aus den Berichten der Krankenpflegenden, die nach Deutschland ausgewandert sind. Das Gehalt reiche zum Leben, Geld zu sparen sei schwer. Und in Deutschland müssten sie die Sprache lernen, das dauert lange. So wie die Anerkennung der Abschlüsse, die Monate in Anspruch nehmen kann. 

Den Lohn, den sie in Deutschland bekommen, können sie in vielen Ländern bekommen. Wenn sie in den Golfstaaten arbeiten wollen, zum Beispiel.

Khaled Rababa sitzt in seinem Büro in der jordanischen Pflegekammer.
Khaled Rababa, jordanischer Pflegekammerpräsident 

Al-Otaibi wünscht sich mehr Sprachkurse, nicht nur in Jordanien, sondern auch, wenn die Fachkräfte in Deutschland ankommen. "Die Kommunikation ist sehr wichtig. Das Vertrauen der Anderen hängt auch von der Sprache ab." Ataya will jedenfalls in diesem Monat anfangen, Deutsch zu lernen, unabhängig vom Bewerbungsergebnis. Sie sagt: "Ich weiß nicht, ob ich nach Deutschland kann. Aber ich werde es versuchen, inschallah (so Gott will, die Redaktion)." 

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Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 12. Mai 2022, 13:40