L 1 KR 195/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 2437/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 195/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

 

Die Klägerin ist ein zur Behandlung Versicherter der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenes Krankenhaus.

Dort wurde die 2006 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte L L L (Versicherte, V) in der Zeit vom 22. Februar 2010 bis 12. März 2010 behandelt.

Diese befand sich bereits zuvor bei der Klägerin zur Behandlung der bei ihr bestehenden Leukämie und wurde vor der hier im Streit stehenden Behandlung mit einem (zweiten) Block einer Chemotherapie in -nach der Terminologie der Klägerin „teilstationären Behandlung“ versorgt, letztmals am 20. Februar 2010. Die V erhielt am 22. Februar 2010 vormittags eine letzte Gabe.

Am selben Tag wurde sie mit einer Mukositis (Mundschleimhautentzündung) sowie einer Agranulozytose (Mangel/Fehler einer bestimmten Gruppe weißer Blutkörperchen) stationär aufgenommen. Die Agranulozytose war eine Folge der Chemotherapie. Die Behandlung erfolgte hauptsächlich durch intravenöse Gaben von Metamizol (Fiebersenker), Morphin sowie eine parenterale Ernährung. Die V erhielt ferner täglich zur Behandlung der Leukämie ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Imatinib in Tablettenform. Ab dem 7. März 2010 wurde die Chemotherapie in einem dritten Block fortgesetzt.

 

Die Klägerin forderte von der Beklagten zunächst mit Rechnung vom 13. April 2010 auf der Grundlage der DRG T60 B (Sepsis mit komplizierter Konstellation oder bei Zustand nach Organtransplantation, ohne äußerst schwere CC, Alter <16 Jahre oder mit Para-/ Tetraplegie oder ohne komplizierte Konstellation, außer bei Zustand nach Organtransplantation, mit komplizierter Diagnose oder äußerst schwerer CC, Alter < 16 Jahre oder mit Para-/ Tetraplegie) insgesamt 7.443,88 €.

Die Beklagte beauftragte am 4. Mai 2010 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) mit einer Prüfung und beglich die Rechnung zunächst am 7. Mai 2010 vollständig. Der MDK kam in seinem Gutachten vom 20. September 2010 zu dem Ergebnis, dass die Abrechnungs-DRG T60 B medizinisch nicht sachgerecht sei, weil die kodierte Hauptdiagnose „A41.9 Sepsis, nicht näher bezeichnet“ nicht plausibel sei. Vielmehr sei die D70.10 („arzneimittelindizierte Agranulozytose und Neutropenie kritische Phase unter 4 Tage“) die Hauptdiagnose, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes verantwortlich gewesen sei. Im Ergebnis sei deshalb die DRG Q60 C zu codieren.

Die Beklagte forderte daraufhin von der Klägerin mit Schreiben vom 20. September 2010 eine Korrektur der Abrechnung und die Überweisung des Differenzbetrages in Höhe von 2.774,11 €.

Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 29. September 2010 mit dem Betreff Zwischennachricht, den Fall zur Klärung in Bearbeitung zu haben.

Mit Schreiben vom 10. November 2010 rechnete die Beklagte den Betrag von 2.774,11 € mit der einem unstreitigem anderweitigen Vergütungsanspruch der Klägerin (Versicherter S) auf (konkrete Umbuchung am 15. Dezember 2010).

 

Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 25. November 2014 dem MDK-Gutachten und übersandte Unterlagen. Sie stornierte am 10. Dezember 2014 die ursprüngliche Rechnung und berechnete am selben Tag unter Angabe nunmehr der DRG R63 B (andere akute Leukämie mit intensiver Chemotherapie, mit Dialyse oder Sepsis oder mit Agranulozytose oder Portimplantation, Alter < 6 Jahre oder mit äußerst schweren CC) Tag insgesamt 19.854,20 €. Als Hauptdiagnose kodierte die Klägerin dabei die ICD-10 C91.00 (akute lymphoblastische Leukämie ohne Angabe einer Remission).

Die Beklagte lehnte eine Nachvergütung ab, da die Nachforderung nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgende Kalenderjahres erfolgt sei.

 

Die Klägerin hat am 23. Dezember 2014 beim Sozialgericht Berlin (SG) eine Klage über 15.184,43 € erhoben.

 

Auf Veranlassung der Beklagten hat der MDK eine neue gutachterliche Stellungnahme (vom 25. Januar 2018) abgegeben. Er gelangt erneut zu dem Ergebnis, dass hier die DRG Q60C zu kodieren sei. In den Kodierrichtlinien heiße es zu der DKR 0201f nämlich ergänzend, sei der Aufnahmegrund weder die maligne Erkrankung noch die Chemo-/ Strahlentherapie, so sei die Hauptdiagnose gemäß der DKR D002 zu wählen. Danach sei die Hauptdiagnose die Diagnose, die „nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich war“. Hier sei eindeutiger Aufnahmegrund die Diagnose D70.10, also arzneimittelinduzierte Agranulozytose und Neutropenie als Folgen der Chemotherapie gewesen. Dieser Diagnose gemäß sei die V auch ab dem Aufnahmetag entsprechend behandelt worden. Erst 14 Tage nach der Aufnahme sei der nächste Chemotherapie-Block durchgeführt worden.

 

Zur Klagebegründung hat die Klägerin vorgetragen, ihr Nachvergütungsanspruch sei nicht verwirkt, da die Beklagte aufgrund der geführten Korrespondenz nicht auf die Richtigkeit der ersten Kodierung habe vertrauen dürfen. Die Hauptdiagnose C91.00 sei zutreffend, da nicht nur die Infektion bei Neutropenie behandelt worden sei, sondern vor allem auch die Grunderkrankung Leukämie mittels komplexer Chemotherapie ab dem 23. Februar 2010. Der größte Ressourcenverbrauch sei bei diesem stationären Aufenthalt an die C91.00 gebunden gewesen.

Soweit es im DKR ergänzend heiße, „war der Aufnahmegrund weder die maligne Erkrankung noch die Chemo-/ Strahlentherapie, so ist die Hauptdiagnose gemäß DKR D002 Hauptdiagnose (Seite 4) zu wählen“ ergäbe auch dies die C91.00 als Hauptdiagnose. Im aktuellen Fall hätten nämlich zum Zeitpunkt der Aufnahme sowohl die akute lymphoplastische Leukämie als auch die D70.10 vorgelegen. Für beide Diagnosen habe Ressourcenaufwand bestanden. In diesem Fall sei vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht habe. Dies sei hier eindeutig die C91.00.

 

Die Beklagte hat vorsorglich hilfsweise Verjährungseinrede erhoben.

Sie hat ergänzend ausgeführt, für die Frage einer Verwirkung komme es nicht darauf an, ob es sich um eine Wirtschaftlichkeitsprüfung oder um eine Prüfung der Richtigkeit der Kodierung handele. Mit Legung der Schlussrechnung im Kalenderjahr 2010 habe die Klägerin ein entsprechendes Umstandsmoment für das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes gesetzt. Da bis zum 31. Dezember 2011 keine Korrektur der Rechnung erfolgt sei, habe die Beklagte auch nicht mehr damit zu rechnen gehabt, dass die Klägerin nach vier Jahren mehr als den ursprünglichen Rechnungsbetrag abrechnen werde. Sie habe zwar mitgeteilt, den Fall überprüfen zu lassen, jedoch habe die Beklagte nicht damit rechnen müssen, dass sich diese Überprüfung nicht nur auf die bereits in Rechnung gestellte und kodierte Fallpauschale beziehe.

 

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 18. Mai 2018 verurteilt, an die Klägerin Behandlungskosten in Höhe von 15.184,43 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2015 zu zahlen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, der Zahlungsanspruch sei nicht durch eine wirksame Aufrechnung erloschen. Der Beklagten habe kein Erstattungsanspruch aus dem die V betreffenden Abrechnungsverhältnis zugestanden. Der klägerische Anspruch auf eine weitere Vergütung in Höhe von insgesamt 19.854,20 € abzüglich des bereits erstatteten Betrages in Höhe von 4.669,77 € sei nicht verwirkt. Denn die Beteiligten hätten über die Richtigkeit der Kodierung gestritten (Bezugnahme auf Bundessozialgericht – BSG-, Urteil vom 23. Mai 2017 – B 1 KR 27/16 R – Rdnr. 10 f).

Die Klägerin habe zutreffend als Hauptdiagnose die C91.00 angegeben. Unter Zugrundelegung der DKR sei die Leukämie als Hauptdiagnose zu verschlüsseln gewesen, denn der Krankenhausaufenthalt habe unter anderem der Behandlung der Leukämie gedient. Der V sei hierzu Imatinib gegeben worden. Zwar sei die Aufnahme nicht deswegen erfolgt, jedoch stelle sich die stationäre Aufnahme als Folgebehandlung und Weiterbehandlung der Grunderkrankung Leukämie dar. Aus dem komplexen Sachverhalt werde deutlich, dass die Behandlung insgesamt so eng mit der Leukämie verwoben gewesen sei, dass für eine alleinige oder ganz überwiegende Verantwortlichkeit der Agranulozytose nichts ersichtlich werde. Es sei zwar nachzuvollziehen, dass die Behandlung der Agranulozytose einen erheblichen Behandlungsumfang ausgemacht habe, diese sei jedoch nicht von der Behandlung der Leukämie zu trennen. Noch am Aufnahmetag sei die letzte Gabe des zweiten Blocks der Chemotherapie erfolgt und bereits während des stationären Aufenthaltes ab 7. März 2010 mit dem dritten Block begonnen worden.

 

Gegen diese am 31. Mai 2018 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten vom 25. Juni 2018. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend führt sie aus, hier könne auch nicht die Kodierrichtlinie D002F – zwei oder mehr Diagnosen, die gleichermaßen der Definition einer Hauptdiagnose entsprechen – herangezogen werden, da die Notwendigkeit der vollstationären Behandlung zur Behandlung mit Imatinib medizinisch nicht begründet gewesen sei.

 

 

Sie beantragt,

 

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2018 die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Es konnte entschieden werden, obgleich in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann.

 

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Beklagte zurecht und mit zutreffender Begründung zur Zahlung verurteilt.

 

Der Zahlungsanspruch ist noch nicht verjährt, obwohl zwischen seiner Entstehung im Jahr 2010 und der Klageerhebung mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Die Regel des § 109 Abs. 5 Satz 1 SGB V, wonach Ansprüche der Krankenkassen auf Vergütung erbrachte Leistungen und Ansprüche der Krankenkassen auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind, verjähren, ist zwar zum 1. Januar 2019 durch das Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (vom 11. Dezember 2018 BGBl I S. 2394 – PpSG) eingeführt worden. Bis zum 31. Dezember 2018 unterlagen aber sowohl der Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse als auch der Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen das Krankenhaus nach ständiger Rechtsprechung des BSG entsprechend dem in § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken einer vierjährigen Verjährung, ungeachtet des Verweises in § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). § 190 Abs. 5 Satz 3 SGB V aktuelle Fassung regelt, dass die zweijährige Verjährung gemäß Satz 1 nicht für Ansprüche der Krankenhäuser– wie hier – Anwendung findet, die vor dem 1. Januar 2019 entstanden sind.

 

Wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat, hat die Klägerin den Vergütungsanspruch auch nicht verwirkt. Zwar verpflichten die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen, in partnerschaftlicher Weise gegenseitig Rücksicht zu nehmen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Sie arbeiten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammen. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. Streitet jedoch ein Krankenhaus mit der Krankenkasse über die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Vergütung und legt dabei den vollständigen Behandlungsablauf offen, kann es nicht gehindert sein, im Laufe des Rechtsstreits zur Begründung seiner Forderung eine nach dem tatsächlichen Ablauf unzutreffende Kodierung gegen eine zutreffende Kodierung auszutauschen, soweit nicht gesetzeskonformes Vertragsrecht entgegensteht (BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 13/14 R – Rdnr. 21). Der für eine Verwirkung erforderliche Vertrauenstatbestand (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 –B 1 KR 40/15 R- Rdnr. 20) fehlt in einer solchen Konstellation.

So liegt der Fall hier. Die Beklagte selbst hat das Überprüfungsverfahren eingeleitet und eine Übersendung der Unterlagen an den MDK zur Prüfung veranlasst. Nachdem dann die Beklagte die erste Abrechnung aufgrund der MDK–Feststellungen moniert hatte, hat die Klägerin in ihrem Zwischenstandsmitteilungs-Schreiben vom 29. September 2010 klargestellt, dies nicht ohne weiteres akzeptieren zu wollen, sondern den Fall selbst noch einmal prüfen zu wollen.

Ein Vertrauen der Beklagten darauf, dass die Klägerin dabei keine andere als die in der ursprünglichen Schlussrechnung vom 13. April 2010 zunächst vorgenommenen Kodierung vornehmen würde, konnte sich nicht bilden, nachdem die Beklagte diese Kodierung selbst für unzutreffend angegriffen hatte.

Die Prüfverfahrensvereinbarung gemäß § 17c Abs. 2 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) gilt erst für Behandlungsfälle ab 2015 (§ 12 Abs. 1 Prüfverfahrensvereinbarung 2015).

 

Rechtsgrundlage des von der Klägerin für die Behandlung der V vom 22. Februar 2010 bis zum 12. März 2010 geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 S. 3 SGB V i. V. m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 16/19 R – Rdnr. 11 mit Nachweisen.).

Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs 1 S.  2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl. BSG a. a. O. Rdnr. 12).

Die Behandlung der V war hier, wie zwischen den Beteiligten außer Streit steht, erforderlich und wirtschaftlich.

 

Die Klägerin und die Beklagte stimmen ferner überein, dass die von der Klägerin in Rechnung gestellten 19.854,20 € nur unter der Voraussetzung berechtigt sind, dass die DRG R63 B (andere akute Leukämie mit intensiver Chemotherapie, mit Dialyse oder Sepsis oder mit Agranulozytose oder Portimplantation, Alter < 6 Jahre oder mit äußerst schweren CC) anzusetzen ist, hingegen ein Vergütungsanspruch von 4.669,77 €, wenn die DRG Q60 C („arzneimittelindizierte Agranulozytose und Neutropenie kritische Phase unter 4 Tage“) zu kodieren ist. Eine nähere Prüfung zur Höhe der streitigen Beträge erübrigt sich damit (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG., a. a. O. Rdnr. 13 m. w. N.).

 

Die Abrechnung unter Ansatz der DRG R63 B als Hauptdiagnose erfolgte hier mit Recht. Der Klägerin steht deshalb ein Restvergütungsanspruch in Höhe von 15.184,43 € = 19.854,20 € abzüglich (7.443,88 € ursprüngliche Rechnung minus 2.774,11 € Verrechnung).

 

Die Vergütung für Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage, konkret § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V i. V. m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen <FPV>) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 3 KHEntgG.

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl. § 1 Abs. 6 S. 1 FPV 2010). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm (Grouper) greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mitvereinbart sind (z. B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM, Version 2010), die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) sowie die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (<DKR> Version 2010 für das G-DRG-System‎ gemäß § 17b KHG; ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urt. vom 16. Juli 2020 – B 1 KR 16/19 R –, Rdnr. 11ff)

 

Ausgangspunkt ist dabei die Ermittlung der Hauptdiagnose.

Die Hauptdiagnose wird nach DKR D002f definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.

Der Begriff „nach Analyse” bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war.

Speziell für Krebserkrankungen ist allerdings nach DKR 0201f der Malignom-Kode als Hauptdiagnose für jeden Krankenhausaufenthalt zur Behandlung einer bösartigen Neubildung und für die notwendigen Folgebehandlungen (zum Beispiel Operationen, Chemo-/ Strahlentherapie, sonstige Therapie) anzugeben, bis die Behandlung abgeschlossen ist.

Hier litt die V dauerhaft an der Grunderkrankung einer Leukämie.

Sowohl am Aufnahmetag sowie an den folgenden Tagen des Krankenhausaufenthaltes wurden nicht nur die Folgeerkrankungen der Mukositis und der Agranulozytose behandelt, sondern auch die Leukämie selbst: Am Aufnahmetag sowie ab dem achten Tag des stationären Aufenthaltes fand jeweils eine Chemotherapie statt. An allen Tagen erhielt die V Imatinib in Tablettenform.

Dass isoliert betrachtet für diese Tabletteneinnahme kein stationärer Krankenhausaufenthalt erforderlich gewesen wäre – so die Argumentation des MDK – ändert nichts daran, dass auch die Grunderkrankung Krebs behandelt wurde und nicht nur die Folgeerkrankungen.

Dieses Ergebnis wird durch den Beschluss des Schlichtungsausschusses Bund nach § 17c Abs. 3 KHG vom 4. Juli 2016 unterstützt, der folgende Auslegungsregel zur DKR 0201 formuliert hat:

 

„wird bei einem Patienten – mit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekanntem Malignom und bevor die Malignom-Behandlung endgültig abgeschlossen ist – während des stationären Aufenthaltes ausschließlich eine einzelne Erkrankung (oder Komplikation) als Folge einer Tumortherapie oder eines Tumors behandelt, wird in diesem Fall die behandelnde Erkrankung als Hauptdiagnose angegeben und der Tumor als Nebendiagnose.

 

Hiervon ausgenommen sind solche Fälle, bei denen weitere diagnostische oder therapeutische Maßnahmen in direktem Zusammenhang mit der Tumorerkrankung durchgeführt werden.“

 

Die Beschränkung der Folgeerkrankung beziehungsweise Komplikation auf eine einzelne ist dabei bewusst erfolgt. In der Begründung des Beschlusses heißt es hierzu, dies diene dem Zweck, die fortgesetzte Behandlung des Tumors unter der Hauptdiagnose des Malignoms nicht zu verändern.

 

Bei der V wurde nicht nur die Folge der Leukämieerkrankung der Neutropenie/Agranulozytose als Bluterkrankung behandelt, sondern primär die für die damals erst vierjährige V unerträgliche Mundschleimhautentzündung.

 

Im Ergebnis ist hier also die allgemeine Definition der Hauptdiagnose der DKR D002f durch die speziellere verdrängt. Auf den primären Aufnahmegrund kommt es deshalb nicht an. Auch die weitere Regel, dass vom behandelnden Arzt entschieden werde, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspreche, wenn zwei oder gar noch mehr Diagnosen gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllten und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, ist hier nicht von Relevanz.

 

Der Zinsanspruch beruht aus § 12 Abs. 5 des Berliner Vertrag über allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) vom 1. November 1994 in der Fassung vom 22. Dezember 1997.

 

Auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil wird im Übrigen ergänzend nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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