Leserbrief Fallpauschalen und zu viel Bürokratie: Der Fehler liegt im System

Personalmangel an Kliniken

Zu den Artikeln „Personal-Not: OPs müssen verschoben werden“ und „Pflegekammer fordert: Weil Personal fehlt, nicht mehr alle Patienten aufnehmen“ (TV vom 21. Juli):

 

Zweifellos leidet das Gesundheitswesen – ähnlich wie Handwerk, Industrie und Landwirtschaft – unter massivem Personalmangel. Leider greift die Analyse im TV vom 21. Juli zu kurz: Das deutsche Gesundheitswesen ist keineswegs unterfinanziert, sondern mit einem Anteil von 11,7 Prozent (2019) am Bruttoinlandprodukt das teuerste der Europäischen Union, nach den USA und der Schweiz das drittteuerste weltweit. Es gibt auch genügend Ärzt*innen und qualifiziert Pflegende und zweifellos mehr als genug Krankenhausbetten.

Der Fehler liegt im System. 1993 meinten die Gesundheitspolitiker von CDU/CSU und SPD, Effizienzreserven durch Einführung von Marktmechanismen im Klinikbetrieb heben zu sollen. Sparsame Krankenhäuser sollten Gewinne erzielen dürfen. Und damit alles ordentlich und transparent kalkulierbar wird, wurde 2003 die Krankenhausfinanzierung durch die „Diagnosis Related Groups“ (DRG) eingeführt. Seitdem wird jeder einzelne Krankenhausaufenthalt („Fall“) per Pauschale abgerechnet. Ergo: Je mehr Fälle und je weniger Aufwand, desto mehr Knete für den Klinikeigner.

Wundert sich da jemand, warum privatwirtschaftlich arbeitende Gesundheitskonzerne so herrlich expandieren und Gewinne ausweisen? Warum in diesem Hamsterrad qualifiziertes Personal seit 20 Jahren kaputtgespart wird, Stationen immer knapper besetzt und zunehmend weniger aufwendig ausgebildete Hilfskräfte eingestellt werden? Gleichzeitig mussten, vor dem realen Risiko von Klinikinsolvenzen, die Zahlen abrechenbarer Leistungen, Operationen und Eingriffe aller Art gesteigert werden, sodass Deutschland weltweit Spitzenreiter bei Herzkatheter-Untersuchungen, Gelenkersatz und Wirbelsäulenoperationen wurde.

Der daraus resultierende Stress hat viele Pflegende aus dem Beruf oder in Teilzeitbeschäftigung getrieben. Gegenwehr, wie beim eben beendeten Streik der Kolleg*innen in den NRW-Universitätskliniken, führt immerhin zu Teilerfolgen. Leider ist es in Rheinland-Pfalz nicht einfach, Kolleg*innen aus der Pflege für die Gewerkschaft zu gewinnen, was unter anderem auch an der Zwangsmitgliedschaft in der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz liegt. 

Das Schimpfen auf „die Politik“, die sich um alles kümmern möge, hat in Deutschland Tradition. Auch in besser aufgestellten Gesundheitsstrukturen wie Australien, Schweden, Norwegen, Dänemark und den Niederlanden ist nicht alles perfekt. Aber ein bisschen mehr politische Planung und, endlich, die Abkehr vom Murks des DRG-Systems mit seiner überbordenden Bürokratie in Klinken und Krankenkassen, das wäre wirklich mal etwas. 

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort