Volle Notaufnahmen, tiefe Ärztelöhne: Portugals Gesundheitssystem ist schwer angeschlagen

Eine Schwangere wird an der Spitalpforte abgewiesen und stirbt. Der tragische Fall führt zum Rücktritt der Gesundheitsministerin, die eigentlich versprochen hatte, das Gesundheitswesen zu reformieren. Die strukturellen Probleme liegen tief.

Ute Müller, Madrid
Drucken
Eine Ärztin in der Intensivstation des Santa-Maria-Spitals in Lissabon während der Corona-Pandemie, die in Portugal besonders schlimm wütete.

Eine Ärztin in der Intensivstation des Santa-Maria-Spitals in Lissabon während der Corona-Pandemie, die in Portugal besonders schlimm wütete.

Mario Cruz / EPA

Unter Tränen hat Portugals Gesundheitsministerin Marta Temido diese Woche ihren Rücktritt erklärt. Auslöser für diese Entscheidung war der Tod einer hochschwangeren Inderin, die wegen Bettenmangels in einem Lissabonner Krankenhaus abgewiesen wurde und beim Transport in ein anderes Spital einen Herzstillstand erlitt.

Dabei hatte die 48-jährige Sozialistin Temido während der Covid-Pandemie eine derart gute Figur gemacht, dass sie seit letztem Jahr gar als mögliche Nachfolgerin für Ministerpräsident António Costa gehandelt wurde. Doch das Chaos und die zum Teil katastrophalen Zustände im portugiesischen Gesundheitssystem haben ihrer Karriere nun vorzeitig ein Ende gesetzt.

Marta Temido

Marta Temido

PD

Seit Sommerbeginn häuften sich in Portugal die Beschwerden über den Personalmangel in den Krankenhäusern. Besonders betroffen waren die Notaufnahmen, die Geburtshilfe-Abteilungen und die innere Medizin. Laut Miguel Guimarães, dem Präsidenten des portugiesischen Ärzteverbands, hat Temido ihr Versprechen, das Gesundheitssystem des Landes zu reformieren, nicht einhalten können. Besonders in der Ärzteschaft sei das Unbehagen gross. Seit dreizehn Jahren gab es keine Lohnerhöhungen mehr, und für Überstunden in den staatlichen Krankenhäusern erhalten die Mediziner nur gerade zwischen 12 und 17 Euro die Stunde. Viele wandern daher in das private Gesundheitswesen ab, wo bessere Löhne winken.

Laut Guimarães hat sich seit Temidos Amtsantritt vor vier Jahren nichts gebessert. So sei der Ärztemangel kontinuierlich weiter gestiegen, mittlerweile würden bereits mehr als 2000 Fachkräfte fehlen. Für chirurgische Eingriffe müssen die Patienten oftmals Wartezeiten von einem Jahr und mehr hinnehmen. Laut den Zahlen des Ärzteverbands warten in Portugal mehr als 200 000 Menschen auf eine Operation. Wer das Glück hat, in der ländlichen Region Alentejo zu wohnen, kann wenigstens auf Spitäler im nahe gelegenen Spanien ausweichen, etwa in Badajoz.

Temido hat die Probleme des prekären Gesundheitswesens zu keinem Zeitpunkt geleugnet. Unvergessen ist, wie sie im Januar letzten Jahres das Ausland um Hilfe bat, als die Covid-Pandemie in Portugal eskalierte und jeden Tag Hunderte von Menschen starben. Damals sandte Deutschland zwei Dutzend Ärzte, Pfleger und Hygienefachleute.

Das Spardiktat der EU hat das System geschwächt

Das portugiesische Gesundheitssystem, das einst wegen seiner Effizienz viel gelobt wurde, leidet nicht erst seit der Covid-Pandemie an strukturellen Schwächen. Die staatlichen Zuwendungen sind nach den Krisenjahren zwischen 2007 und 2015 deutlich gesunken. Damals hatte die EU den Portugiesen einen harten Sparkurs verordnet, damit sie ihren Haushalt wieder in den Griff bekommen. Das hat bis heute Nachwirkungen, denn noch immer liegen die staatlichen Gesundheitsausgaben deutlich unter dem EU-Durchschnitt.

Zu Beginn des Sommers schlug der Ärzteverband Alarm, weil Portugal mit seinen 10,3 Millionen Einwohnern mittlerweile eine Übersterblichkeitsrate von rund 24 Prozent aufweist – viermal so viel wie der Rest der EU. Die Abwanderung der Ärzte in den Privatsektor oder ins Ausland, vor allem nach Grossbritannien, hat auch dazu geführt, das viele Portugiesen keinen Hausarzt mehr haben. So muss das verbleibende Personal im staatlichen Gesundheitssystem immer mehr Überstunden pro Jahr leisten.

Ministerpräsident Costa hat nach dem Rücktritt der Ministerin die Reform des Gesundheitssystems nun zur Chefsache erklärt und will sich mit der Wahl eines neuen Ressortministers Zeit lassen. Um einem weiteren Ärzteschwund entgegenzuwirken, will seine Regierung nun jede Überstunde mit 90 Euro vergüten.