L 1 KR 260/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KR 378/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 260/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 51/22 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine mit der ICD T81.4 kodierbare Wundinfektion setzt über die Keimbesiedelung der Wunde hinaus eine konkrete Wirtsreaktion voraus.

2. Eine Verdachtsdiagnose im Sinne der DKR D008b liegt nicht dann vor, wenn zwischen Krankenhaus und Krankenkasse über eine Diagnose Streit besteht, sondern nur dann, wenn sich die streitige Tatsache (Vorliegen der Diagnose) nicht aufklären lässt.

3. Der Sekundärkode B95.7! darf nur dann kodiert werden, wenn der Keim die Ursache einer infektiösen Erkrankung ist.

4. § 813 Abs. 2 BGB ist auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch entsprechend anwendbar.

Bemerkung

Kodierung einer Wundinfektion - keine Rückforderung bei vorzeitiger Erfüllung einer betagten Forderung

     
   
 

 

      1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. August 2016 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

 

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 223,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz hieraus seit dem 28. Januar 2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

      1. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
      2. Die Revision wird nicht zugelassen.
      3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.891,89 EUR festgesetzt.

 

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

 

Der bei der Beklagten versicherte Y.... (im Folgenden: Versicherter) wurde wegen einer Wundheilungsstörung vom 17.12.2010 bis 11.01.2011 im nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Klägerin vollstationär behandelt. Dem ging eine traumatische Achillessehnenruptur links voraus, die der Versicherte am 11.07.2010 erlitten hatte und die anschließend operativ versorgt worden war. Nach sekundärer Wunddehiszenz und Re-Ruptur der Sehne erfolgte während eines bis 26.11.2010 dauernden Aufenthalts in einem anderen Krankenhaus am 08.11.2010 ein weiterer operativer Eingriff. Wegen Wundheilungsstörungen musste der Versicherte am 17.12.2010 erneut stationär aufgenommen werden, diesmal in das Krankenhaus der Klägerin. Dort erfolgte am 20.12.2010 ein Wunddebridement mit Anlage eine VAC-Pumpe; am 23.12.2010 wurde das Wunddebridement mit Anlage einer VAC-Pumpe wiederholt; am 29.12.2010 wurde ein weiteres Wunddebridement und die Deckung eines Hautdefekts mittels einer Suralislappenplastik mit Spalthaut vom Oberschenkel durchgeführt. Nach dem mikrobiologischen Befund vom 17.12.2010 lag eine mäßige Besiedelung mit koagulasenegativen Staphylokokken vor; die klinische Relevanz wurde als fraglich beschrieben. Der mikrobiologische Befund vom 28.12.2010 wies Staphylococcus haemolyticus nach mit dem Vermerk fraglicher klinischer Relevanz. Vom 19.12.2010 bis 07.01.2011 erfolgte eine antibiotische Behandlung.

 

Die stationäre Krankenhausbehandlung vom 17.12.2010 bis 11.01.2011 stellte die Klägerin der Beklagten am 24.01.2011 mit 9.600,36 EUR in Rechnung, wobei sie die DRG-Fallpauschale X01A (Rekonstruktive Operation bei Verletzungen mit komplizierender Kon­stellation, Eingriff an mehreren Lokalisationen, freier Lappenplastik mit mikrovaskulärer Anastomosierung oder komplizierender Diagnose oder komplexer Prozedur, mit äußerst schweren CC) zugrunde legte. Bei der Kodierung nach ICD-10-GM Version 2010 brachte sie als Hauptdiagnose T81.3 (Aufreißen einer Operationswunde, anderenorts nicht klassifiziert) sowie als Nebendiagnosen u.a. T81.4 (Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert) und B95.7! (Sonstige Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln erwähnt sind) in Ansatz. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst. Der von ihr beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hielt im Gutachten vom 03.05.2011 nicht die T81.3, sondern die T81.4 für die zutreffende Hauptdiagnose; außerdem könne den Unterlagen nicht entnommen werden, warum die Entlassung nicht bereits am 10.01.2011 erfolgt sei. Dem Widerspruch der Klägerin folgte der MDK im Gutachten vom 15.08.2012 insoweit, als er nunmehr die Hauptdiagnose T81.3 für korrekt hielt; nach den Ausführungen des Krankenhauses hätte aber die T81.4 nicht als Nebendiagnose kodiert werden dürfen. Die Beklagte hielt daraufhin nur noch die DRG-Fallpauschale X01B (Rekonstruktive Operation bei Verletzungen ohne komplizierende Konstellation, ohne Eingriff an mehreren Lokalisationen, ohne freie Lappenplastik mit mikrovaskulärer Anastomosierung, mit komplizierender Diagnose, komplexer Prozedur oder äußerst schweren CC) für gerechtfertigt und verrechnete am 28.01.2013 den nach ihrer Ansicht zu viel gezahlten Differenzbetrag von 4.891,89 EUR mit einer anderen Vergütungsforderung der Klägerin.

 

Am 29.07.2013 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Chemnitz Klage auf Zahlung des verrechneten Betrages erhoben. Die T81.4 (Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert) sei gegeben. Unter einer Infektion sei das aktive oder passive Eindringen, Verbleiben und anschließende Vermehren von pathogenen Lebewesen oder Molekülen in einem Organismus zu verstehen; durch Pathogene ausgelöste Krankheiten würden dagegen als Infektionskrankheiten bezeichnet. Die T81.4 verlange nur eine Infektion, nicht aber eine Infektionskrankheit. Für die Kodierung der T81.4 reiche die nachgewiesene Besiedelung der Wunde mit Bakterien aus. Diese Besiedelung habe auch eine klinische Relevanz und einen Ressourcenverbrauch nach sich gezogen, weil eine antibiotische Therapie erfolgt sei; durch diese hätten sich auch die Wundverhältnisse gebessert.

 

Die Beklagte hat erwidert, eine reine Besiedelung mit Erregern, auch wenn diese mit Antibiotika behandelt würde, erfülle nicht die Voraussetzungen der T81.4, insbesondere des Infektionsbegriffs. Darüber hinaus hätte der Versicherte früher entlassen werden können. Er sei nur wegen mangelnder Compliance weiter im Krankenhaus verblieben, was nicht genüge.

 

Das SG hat Dr. X...., Oberarzt an der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums W...., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 21.11.2014 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 04.03.2015, 27.05.2015, 12.04.2016 und 28.07.2016 ausgeführt: Die Nebendiagnose T81.4 habe nicht vorgelegen. Bei Wunden sei zwischen einer Kolonisation/Besiedelung mit Bakterien und einer Infektion zu unterscheiden, die nochmals in Lokalinfektion und systemische Infektion unterteilt werde. Anhand der Krankenakte ergäben sich keine Hinweise auf eine klinische lokale oder systemische Infektion. Das mäßige Vorhandensein von koagulasenegativen Staphylokokken reiche nicht aus, um die Kriterien einer manifesten Infektion zu erfüllen. Es sei lediglich von einer Kolonisation der Wunde auszugehen. Die Definition einer Infektion sei bewusst sehr allgemein gehalten und beinhalte ein extrem breites Spektrum an Krankheitsbildern. Für Wunden sei deshalb der internationale Konsensus von 2008 entscheidend, dessen Ziel eine Einteilung mit Relevanz zur klinischen Situation sei. Die klinische Diagnosestellung einer Wundinfektion allein basierend auf einem mikrobiologischen Abstrichergebnis sei nicht sinnvoll. Aus klinischer Sicht habe keine Wundinfektion vorgelegen. Vielmehr habe es sich um eine chronisch sekundär heilende Wunde gehandelt. Die dokumentierte Eintragung von starken Schmerzen, einer leichten Rötung sowie das Jucken, Brennen und die Schwellung könnten Anzeichen für eine Infektion sein, seien jedoch nicht zwingend mit dieser gleichzusetzen. Der Nachweis von Bakterien erfülle formal das Kriterium des Eindringens von Krankheitserregern; andererseits existiere dieser Zustand bei chronischen Wunden praktisch immer, da nahezu alle chronischen Wunden bakteriell besiedelt seien. Diese Besiedelung sei jedoch selten von klinischer Relevanz. Ließe man den alleinigen Nachweis von Bakterien in der Wunde ohne klinische Infektionszeichen ausreichen, erfüllten nahezu alle Patienten mit einer chronisch sekundär heilenden Wunde die Kriterien einer Infektion, ohne dass hieraus eine therapeutische Konsequenz resultiere. Nach den Kodierrichtlinien (DKR D012) sei die B95.7! zu verschlüsseln. Aufgrund der Nichteinhaltung ärztlicher Vorgaben wie Bettruhe und Schonung der operierten Extremitäten durch den Versicherten sei die stationäre Behandlung bis zum 11.01.2011 medizinisch erforderlich gewesen. Nach Erreichen stabiler Wundverhältnisse sei der Versicherte umgehend am Folgetag in die ambulante Weiterbehandlung entlassen worden.

 

Mit Urteil vom 02.08.2016 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.891,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jährlich seit 28.01.2013 zu zahlen. Die Klägerin habe zu Recht die DRG-Fallpauschale X01A abgerechnet. Die Kammer gehe in Übereinstimmung mit der Klägerseite davon aus, dass als Nebendiagnose die T81.4 zu kodieren sei. Damit erübrige sich angesichts einer oberen Grenzverweildauer von mehr als 25 Tagen die Frage, ob die mangelnde Compliance des Versicherten eine längere Krankenhausbehandlung gerechtfertigt habe. Maßstab für die abgerechnete DRG sei die Frage, wie der Begriff der Infektion bei der ICD T81.4 zu verstehen sei. Unter Zugrundelegung der Ausführungen der Klägerseite im Verfahren und in der mündlichen Verhandlung sowie der vorgelegten Farbausdrucke der Wunddokumentation könne offenbleiben, ob der Begriff Infektion bereits dadurch erfüllt werde, dass eine Besiedelung vorliege, weil die Kammer davon ausgehe, dass eine Lokalinfektion der Wunde bestanden habe. Die vorgelegten Fotos zeigten deutlich eine Rötung und Schwellung der Wundränder. Diese erfüllten den Begriff der Lokalinfektion. Für die Kammer sei auch deshalb von einer Lokalinfektion auszugehen, weil die Klägerin das angewendete Antibiotikum nach den Angaben des in der Verhandlung anwesenden Arztes Dr. V.... gezielt durch entsprechende Proben habe ermitteln lassen. Dieses Antibiotikum habe dann auch zum Rückgang der Rötung und Schwellung geführt, d.h. die vorhandenen Zeichen einer Lokalinfektion seien genau mit dem angewendeten Antibiotikum zum Abheilen gebracht worden.

 

Hiergegen richtet sich die Beklagte mit ihrer am 05.10.2016 eingelegten Berufung. Der Sachverständige sei in dem vom SG eingeholten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Infektion nicht vorgelegen habe und die Nebendiagnose T81.4 daher nicht habe kodiert werden dürfen. Über diese medizinische Einschätzung des Sachverständigen habe sich das SG hinweggesetzt. Begründet habe das SG dies mit einer nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerung aus Farbfotos, denen der vom Gericht bestellte Sachverständige eine Infektion gerade nicht habe entnehmen können. Das Urteil ignoriere das Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Gericht und sei daher aufzuheben. Selbst wenn die Nebendiagnose T81.4 vorläge, wäre die Klage gleichwohl abzuweisen gewesen, weil die Nebendiagnose B95.7! nicht vorgelegen habe. Es sei nämlich nicht erwiesen, dass die (unterstellte) Infektion durch sonstige Staphylokokken hervorgerufen worden sei. Die von der Klägerin angestrebte DRG könnte nur dann erreicht werden, wenn sowohl die Nebendiagnose T81.4 als auch die Nebendiagnose B95.7! erfüllt sei. Zur Nebendiagnose B95.7! nehme das SG aber gar keine Stellung.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. August 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Das SG habe nicht die medizinische Bewertung des Sachverständigen übergangen, sondern eine rechtliche Subsumtion des Sachverhalts vorgenommen. Soweit der Sachverständige in seinen Stellungnahmen Ausführungen zur Auslegung der in den Abrechnungsvorschriften enthaltenen Begriffe gemacht habe, habe er seine Zuständigkeit überschritten. Zutreffend habe sich das SG nach Inaugenscheinnahme der vorgelegten Lichtbilder davon überzeugt, dass bei der Wunde eine Rötung vorgelegen habe. Darüber hinaus liege eine Infektion bereits dann vor, wenn eine Keimbesiedelung ohne klinische Symptomatik gegeben sei. Dem Wortlaut der ICD T81.4 sei keinerlei qualitative Differenzierung im Sinne einer manifesten Infektion zu entnehmen, wie sie der Sachverständige verlange; vielmehr sei jegliche Infektion ausreichend. Es sei auch unerheblich, ob Beweis erbracht sei, dass die Infektion durch sonstige Staphylokokken hervorgerufen worden sei. Denn die Nebendiagnose B95.7! sei ausweislich der Kodierrichtlinien obligat zu kodieren, also dann in die Kodierung aufzunehmen, wenn die Keimbesiedelung vorgelegen habe, was mikrobiologisch nachgewiesen sei. Zudem wäre die B95.7! als Verdachtsdiagnose zu kodieren gewesen, nachdem mit der gezielten Antibiose auch deren Behandlung eingeleitet worden sei.

 

Dem Senat haben die Patientenakte der Klägerin, die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in der Gerichtsakte enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung der Beklagten ist größtenteils begründet. Zu Unrecht hat das SG der Klage in vollem Umfang stattgegeben (1.). Für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten kann die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Vergütung nicht auf der Grundlage der DRG X01A, sondern nur auf der Grundlage der DRG X01B beanspruchen (2.). Anspruch auf diese Vergütung hat die Klägerin allerdings – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht nur für die Zeit vom 17.12.2010 bis zum 10.01.2011, sondern bis zum 11.01.2011 (3.).

 

1. Der von der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (dazu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 9; Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn. 7) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter erlosch dadurch in Höhe von 4.668,74 EUR, dass die Beklagte insoweit wirksam mit einem Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten in der Zeit vom 17.12.2010 bis 11.01.2011 aufrechnete.

 

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Krankenhausbehandlung anderer Versicherter der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 4.891,89 EUR hatte; eine nähere Prüfung erübrigt sich insoweit (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens: BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 29; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 32; Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 16/11 R – juris Rn. 10). Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob dieser Zahlungsanspruch entsprechend § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Zahlung der Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten erloschen ist (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 8; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 33; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 8). Dies ist hier teilweise der Fall. Denn die Beklagte hatte der Klägerin einen Betrag von 4.668,74 EUR ohne Rechtsgrund gezahlt, weil die Klägerin für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten vom 17.12.2010 bis 11.01.2011 nicht einen Vergütungsanspruch in Höhe von – wie von ihr abgerechnet – 9.600,36 EUR, sondern nur in Höhe von 4.931,62 EUR hat.

 

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 17.12.2010 bis 11.01.2011 ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Fallpauschalenvereinbarung 2010 (FPV 2010) sowie Anlage 1 der FPV 2010 (Fallpauschalenkatalog 2010). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R – juris Rn. 11; vgl. auch Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 25.09.2019 – L 1 KR 142/14 – juris Rn. 17).

 

Der Vergütungsanspruch der Klägerin für die streitige Krankenhausbehandlung ist dem Grunde nach entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entstehen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 10; Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 18/15 R – juris Rn. 9; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 13; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn.11). Dies war hier der Fall.

 

2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte für die streitige Krankenhausbehandlung ein Vergütungsanspruch nicht in Höhe von 9.600,36 EUR, sondern nur in Höhe von 4.931,62 EUR zu. Denn die Klägerin durfte ihrer Abrechnung nicht die DRG-Fallpauschale X01A zugrunde legen, sondern nur die geringer zu vergütende DRG-Fallpauschale X01B.

 

 

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2010 rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten – insbesondere von Diagnosen und Prozeduren – in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (näher dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 19 ff.). Dabei greift das Programm auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die FPV selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM – hier in der Version 2010) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS – hier in der Version 2010). Ebenso gehört zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2010. Die Verbindlichkeit der in der FPV und den DKR angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in das vertraglich vereinbarte Fallpauschalensystem und insbesondere in dessen Kern, den Grouper, einbezogen sind (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 31; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 13; Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R – juris Rn. 12; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 24).

 

Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich ICD und OPS ist nicht automatisiert und unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 18/17 R – juris Rn. 14; Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R – juris Rn. 12; Urteil vom 17.06.2010 – B 3 KR 4/09 R – juris Rn. 14; Urteil vom 21.02.2002 – B 3 KR 30/01 R – juris Rn. 27). Soweit in solchen Vergütungsregelungen spezifisch medizinische Begriffe verwandt werden – und keine abweichenden Vorgaben bestehen –, kommt ihnen der Sinngehalt zu, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B – juris Rn. 18; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 18; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn.16). Dies gilt sowohl für ICD und OPS als auch für die DKR.

 

Die Abrechnung der DRG-Fallpauschale X01A setzt voraus, dass die Klägerin sowohl die ICD T81.4 (Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert) als Nebendiagnose als auch hierzu als Sekundärkode die ICD B95.7! (Sonstige Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln erwähnt sind) kodieren durfte. Weder das eine noch das andere ist der Fall.

 

a) Die Klägerin durfte die ICD T81.4 nicht als Nebendiagnose kodieren. Zu dem Kode T81.4 bestimmt die ICD-10-GM 2010:

T81.-    Komplikationen bei Eingriffen, anderenorts nicht klassifiziert

T81.4    Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert

Inkl.:

Abszess:

  • intraabdominal
  • Naht-
  • subphrenisch
  • Wund-

Sepsis

nach medizinischen Maßnahmen

Exkl.:   Infektion (durch):

      • Infusion, Transfusion oder Injektion zu therapeutischen Zwecken (T80.2)
      • Prothesen, Implantate und Transplantate (T82.6-T82.7, T83.5-T83.6, T84.5-T84.7, T85.7-)

Infektion der Wunde nach operativem geburtshilflichem Eingriff (O86.0)

 

 

Eine Wundinfektion kann mit der ICD T81.4 nicht bereits dann kodiert werden, wenn die Wunde mit Keimen besiedelt ist, sondern nur dann, wenn Infektionszeichen vorliegen (ebenso LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 05.08.2021 – L 6 KR 116/16 – juris Rn. 51 ff.). Bei Nachweis von Bakterien auf Wunden ist zwischen Kontamination, Kolonisation und Infektion zu unterscheiden. Dabei ist unter Kontamination die bloße Anwesenheit von Bakterien, die sich nicht vermehren, auf der Wunde zu verstehen. Eine Kolonisation (Besiedelung) liegt vor, wenn sich die Bakterien auf der Wunde vermehren, ohne zu einer Wirtsreaktion zu führen. Eine Infektion setzt eine Vermehrung von Mikroorganismen im Gewebe mit entsprechender Wirtsreaktion voraus. Wie der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. X.... unter Verweis auf den internationalen Konsensus der World Union of Wound Healing Societies (abrufbar unter https://www.akademie-zwm.ch/uploads/media/konsensusdokumente/Wundinfektionen_WUWHS_2008.pdf) dargelegt hat, ist in der Fachwelt geklärt, dass allein der Nachweis von Erregern auf einer Wunde nicht schon das Vorliegen einer Infektion bestätigt. Vielmehr ist darüber hinaus eine Wirtsreaktion erforderlich. Zwar ist die allgemeine Definition einer Infektion sehr weit gefasst und umfasst ein extrem breites Spektrum an Krankheitsbildern. Für Wunden hat sich aber mit dem internationalen Konsensus ein engerer Begriff durchgesetzt. Ziel des Konsensus war eine Einteilung mit Relevanz zur klinischen Situation. Die Diagnostizierung einer Wundinfektion allein basierend auf dem Ergebnis eines mikro­biologischen Abstrichs wird nicht für sinnvoll gehalten. Ausgehend von der Annahme, dass eine Wunde steril sein soll, belegt zwar der Nachweis von Bakterien formal das Eindringen von Krankheitserregern. Ein steriler Zustand besteht bei chronischen Wunden aber praktisch nicht, weil nahezu alle chronischen Wunden bakteriell besiedelt sind. Die Besiedelung ist indessen für sich allein von keiner klinischen Relevanz. Genügte der alleinige Nachweis von Bakterien ohne klinische Infektionszeichen, erfüllten nahezu alle Patienten mit chronisch sekundär heilender Wunde die Kriterien einer Infektion, ohne dass hieraus eine therapeutische Konsequenz resultierte. Aus diesem Grund wurde speziell für Wunden mit dem internationalen Konsensus ein engerer Infektionsbegriff geprägt. Die Infektion einer Wunde setzt danach über die Besiedelung mit Bakterien hinaus eine Wirtsreaktion voraus, die lokal begrenzt sein, sich ausbreiten oder systemischen Charakter haben kann. Klinische Zeichen einer lokalen Infektion sind Eiterung, Rötung, Schmerz, Überwärmung oder Verhärtung. Zeichen einer systemischen Infektion sind Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie, Hypertonie, Verwirrtheit, Leukozytose oder Stoffwechselentgleisungen. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X.... und legt bei Auslegung der ICD T81.4 den Begriff der Infektion mit dem Sinngehalt zugrunde, der ihm danach bei Wunden im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird.

 

Die dagegen von Klägerseite erhobenen Einwände greifen nicht durch. Es trifft zwar zu, dass die Auslegung von Rechtsbegriffen einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist und dass dies auch für Begriffe gilt, die die Klassifikationssysteme verwenden, auf die das DRG-Fallpauschalensystem zurückgreift. Mit seinen Ausführungen zum Begriff der Infektion einer Wunde hat der Sachverständige dennoch nicht seine Kompetenzen überschritten. Denn es in der Rechtsprechung geklärt, dass der den Regelungsgehalt medizinischer Begriffe in ICD oder OPS determinierende medizinisch-wissenschaftliche Sprachgebrauch wie eine Tatsache als Vorfrage für die Auslegung im gerichtlichen Verfahren durch Beweiserhebung ermittelt werden kann (BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R – juris Rn.11). Nur im Übrigen ist die Auslegung von Formulierungen der Vergütungsbestimmungen dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich (BSG, Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn. 16). Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. X.... betreffen aber allein den medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch. Auch die inhaltlichen Einwände der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen. Selbst das Definitionshandbuch des Robert­-Koch-Instituts (RKI), auf das sich die Klägerseite beruft (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Service/Publikationen/Fachwoerterbuch_Infektionsschutz.
pdf?__blob=publicationFile), unterscheidet zwischen Kontamination, Kolonisation sowie Infektion und lässt erkennen, dass gerade bei der Haut – wie auch bei Schleimhaut, Körperhöhlen und Hohlorganen – die mikrobielle Besiedelung für sich allein nicht die Annahme einer Infektion rechtfertigt (vgl. Stichwort "Kolonisation, mikrobielle"). Scharfe begriffliche Trennungen lassen sich dem Handbuch ohnehin kaum entnehmen. Vor allem lässt sich aus ihm nicht ableiten, dass – wie die Klägerseite unterstellt – die alles entscheidende Grenze zwischen Infektion und Infektionskrankheit verläuft – was auch schon deswegen nicht sein kann, weil die Infektionskrankheit nur eine bestimmte Ausprägung der Infektion ist. Für die Infektion von Wunden folgt der Senat vielmehr dem engen Begriff, wie er durch den internationalen Konsensus der World Union of Wound Healing Societies geprägt wurde und vom Sachverständigen Dr. X.... in seinem Gutachten dargelegt wurde.

 

Die demnach für die Kodierung der ICD T81.4 erforderlichen Infektionszeichen lagen nicht vor. Wie der Sachverständige Dr. X.... ausgeführt hat, genügt allein das mikrobiologisch nachgewiesene mäßige Vorhandensein von koagulasenegativen Staphylokokken – zu denen auch der Staphylococcus haemolyticus gehört – auf der Wunde nicht. Selbst in den mikrobiologischen Befunden des Krankenhauses der Klägerin wird die klinische Relevanz der mäßigen Besiedelung als fraglich bezeichnet. Infektionszeichen, insbesondere eine Rötung oder Entzündung, vermochte der Sachverständige nicht festzustellen. Nicht mit einer Infektion gleichzusetzen ist die in einem histologischen Befund beschriebene nekrotisierende Entzündung und die im Operationsbericht dokumentierte Teilnekrose. Die im Pflegebericht dokumentierte Eintragung von starken Schmerzen, einer leichten Rötung sowie das Jucken, Brennen und die Schwellung könnten Anzeichen für eine Infektion sein, sind jedoch nicht zwingend mit dieser gleichzusetzen und scheiden letztlich aufgrund ihrer Lokalisation aus. Denn die Schmerzen sind im Außenknöchelbereich angegeben und nicht im Wundbereich, weshalb eine Infektion als Ursache der Schmerzen ausgeschlossen ist. Auch der während des Krankenhausaufenthalts angefertigten Fotodokumentation vermochte der Sachverständige keine Infektionszeichen, insbesondere keine Rötung oder Entzündung, zu entnehmen. Den gegenteiligen Feststellungen des SG, die dieses auf medizinischem Fachgebiet getroffen hat, vermag der Senat nicht zu folgen. Dem Sachverständigen lagen dieselben Fotos vor wie dem SG, das nach deren Inaugenscheinnahme eine Entzündung zu erkennen vermeinte, die der Sachverständige aber gerade ausgeschlossen hat.

 

b) Die Klägerin durfte die ICD T81.4 auch nicht als Verdachtsdiagnose kodieren. Verdachtsdiagnosen sind nach DKR D008b Diagnosen, die am Ende eines stationären Aufenthaltes weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen sind. Verdachtsdiagnosen werden unterschiedlich kodiert in Abhängigkeit davon, ob der Patient nach Hause entlassen oder in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde. Bei Entlassung nach Hause – wie hier – ist die Verdachtsdiagnose zu kodieren, wenn eine Behandlung eingeleitet wurde und die Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig waren. Die DKR D008b ermöglicht zwar die Kodierung von Diagnosen, die nicht bewiesen werden können, nicht aber von Diagnosen, die ausgeschlossen werden können. Als Verdachtsdiagnose kann vom Krankenhaus nicht jede vermutete oder befürchtete Erkrankung eines Patienten kodiert werden. Vielmehr verlangt die DKR D008b mit den "nicht eindeutigen Untersuchungsergebnissen", dass das Krankenhaus zumutbare Untersuchungen zur Erhärtung oder Verwerfung des Verdachts durchgeführt hat. Dabei ist keine erschöpfende Untersuchung erforderlich. Untersuchungen, die medizinisch nicht vertretbar sind, ein zu hohes Gesundheitsrisiko für den Patienten bergen oder in keinem sinnvollen Verhältnis zu den therapeutischen Konsequenzen stehen, können nicht verlangt werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2019 – L 11 KR 4112/18 – juris Rn. 42 f.; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 05.08.2021 – L 6 KR 116/16 – juris Rn. 56). Verzichtet das Krankenhaus auf eine zumutbare Diagnostik, so schließt dies die Kodierung als Verdachtsdiagnose aus. Hat das Krankenhaus dagegen
– wie hier – Untersuchungen durchgeführt, so ist eine Verdachtsdiagnose nur dann gerechtfertigt, wenn auch im Ergebnis dieser Untersuchungen hinsichtlich der Diagnose ein non liquet besteht. Denn die DKR D0008b verlangt nach ihrem klaren Wortlaut, dass die betreffende Diagnose am Ende des stationären Aufenthaltes "weder sicher bestätigt noch sicher ausgeschlossen" werden kann. Daher liegt eine Verdachtsdiagnose nicht dann vor, wenn zwischen Krankenhaus und Krankenkasse über eine Diagnose Streit besteht, sondern nur dann, wenn sich die streitige Tatsache (Vorliegen der Diagnose) nicht aufklären lässt. Ein solcher Fall ist hier indessen nicht gegeben. Vielmehr steht – wie bereits ausgeführt – nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X...., denen der Senat folgt, fest, dass bei dem Versicherten keine der ICD T81.4 entsprechende Wundinfektion vorgelegen hat.

 

c) Wäre die ICD T81.4 in dem Sinne der Klägerin auszulegen und genügte für die Infektion im Sinne dieser ICD die nachgewiesene Besiedlung einer Wunde mit Bakterien, dann scheiterte die Abrechnung der DRG-Fallpauschale X01A daran, dass die Klägerin den Sekundärkode B95.7! nicht hätte kodieren dürfen.

 

Zur B95.7! bestimmt die ICD-10-GM 2010:

Bakterien, Viren und sonstige Infektionserreger als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind (B95-B98)

Hinw.: Diese Kategorien sollten niemals zur primären Verschlüsselung benutzt werden. Sie dienen als ergänzende oder zusätzliche Schlüsselnummern zur Angabe des Infektionserregers bei anderenorts klassifizierten Krankheiten.

B95.-!   Streptokokken und Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind

B95.6!  Staphylococcus aureus als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind

B95.7!  Sonstige Staphylokokken als Ursache von Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind

 

Zu dem vergleichbaren Sekundärkode B95.6! hat der Senat bereits entschieden, dass dieser nur kodiert werden darf, wenn der Keim die Ursache einer infektiösen Erkrankung ist (Urteil vom 30.10.2019 – L 1 KR 197/15 – juris Rn. 31 f.). Der Nachweis einer Besiedlung mit dem Keim allein reicht dagegen nicht aus. Denn nach dem Wortlaut der B95.6! muss der Keim Ursache einer Krankheit sein. Bei dieser Krankheit muss es sich zudem um eine infektiöse Erkrankung handeln, wie unter Beachtung der einschlägigen Überschriften die systematische Auslegung ergibt. So lautet die Überschrift zu Kapitel I des ICD-10-GM Version 2010: "Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)". Die Überschrift zur einschlägigen Untergruppe lautet: "Bakterien, Viren und sonstige Infektionserreger als Ursache für Krankheiten, die in anderen Kapiteln klassifiziert sind (B95-B98)". Ferner heißt es in dem Hinweis zu der Untergruppe B95-B98, dass "die Kategorien als ergänzende oder zusätzliche Schlüsselnummern zur Angabe des Infektionserregers bei anderenorts klassifizierten Krankheiten dienen". Eine Kodierung eines Kodes aus der Untergruppe B95-B98 erfordert daher das Vorliegen einer infektiösen Erkrankung, die durch die in der Untergruppe jeweils aufgeführten Keime verursacht worden sein muss.

 

Dies gilt nicht nur für den Sekundärkode B95.6!, sondern auch für den vorliegend maßgeblichen Sekundärkode B95.7!. Eine infektiöse Erkrankung infolge der Besiedelung der Wunde mit koagulasenegativen Staphylokokken ist im vorliegenden Fall indessen nicht nachgewiesen, weil – wie bereits ausgeführt – beim Versicherten keine Infektionszeichen vorlagen.

 

Dass Sekundärkodes nach der DKR "obligat" bzw. "obligatorisch" (DKR D012) zu kodieren sind, ändert daran nichts. Denn dies bedeutet nicht, dass der Sekundärkode B95.7! – entgegen seinem Wortlaut – bereits bei nachgewiesener Keimbesiedelung kodiert werden darf, sondern nur, dass es für seine Kodierung nicht auf einen Ressourcenverbrauch ankommt.

 

3. Zu Unrecht geht die Beklagte allerdings davon aus, dass der Klägerin die DRG-Fallpauschale X01B nur bis zum 10.01.2011 zustand. Vielmehr war – wie der Sachverständige Dr. X.... dargelegt hat – der Krankenhausaufenthalt bis zum 11.01.2011 gerechtfertigt. Dr. X.... hat seine diesbezügliche Einschätzung nicht nur auf die mangelnde Compliance des Versicherten (eigenständiges Aufbringen von Salbe, selbständiges Entfernen der operativ eingebrachten Vakuumpumpe, Belastung des Beines ohne Gehilfen trotz angeordneter Bettruhe) gestützt, sondern auch darauf, dass seine Entlassung aus dem Krankenhaus umgehend nach Erreichen stabiler Wundverhältnisse erfolgt ist. Hierzu ist von einem Arzt des klägerischen Krankenhauses ausgeführt worden, dass sich bis zum 07.01.2011 ein Druckverband auf der Wunde befand, damit der transplantierte Hautlappen besser anwächst. Bis zum 10.01.2011 wurde das Operationsgebiet beobachtet. An diesem Tag war es möglich, einen Teil der Fäden zu ziehen. Dabei war von vornherein geplant, die Restfäden erst am 11.01.2011 zu ziehen, um zu prüfen, wie weit die Wunde bereits verheilt war, wie weit noch Absonderungen eintraten und der Heilprozess fortschritt. Auch bei besserer Compliance wäre das gleiche Prozedere durchgeführt worden. Vor diesem Hintergrund besteht für den Senat kein Zweifel daran, dass der Krankenhausaufenthalt bis zum 11.01.2011 medizinisch gerechtfertigt war.

 

Da der Klägerin die DRG-Fallpauschale X01B folglich bis zum 11.01.2011 zusteht, kann sie für die streitige Krankenhausbehandlung eine Vergütung von 4.931,62 EUR und nicht nur die ihr von der Beklagten zugestandene, um 223,15 EUR niedrigere Vergütung für die Zeit bis 10.01.2011 beanspruchen.

 

Die Erstattung dieses Betrages kann die Beklagte nicht deshalb verlangen, weil er mangels Abrechnung der DRG-Fallpauschale X01B durch die Klägerin noch nicht fällig geworden ist. Der Vergütungsanspruch eines Krankenhauses wird mit seiner formal ordnungsgemäßen Abrechnung zur Zahlung fällig (BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 3/18 R – juris Rn. 25; Urteil vom 23.05.2017 – B 1 KR 24/16 R – juris Rn. 27; Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 22/16 R – juris Rn. 27). Dabei stellt das BSG an die Ordnungsmäßigkeit der Abrechnung sehr hohe Anforderungen und verlangt letztlich, dass diese die Vergütungsforderung auch materiell stützen kann (vgl. BSG, Urteil vom 28.03.2017 – B 1 KR 3/16 R – juris Rn. 19), weshalb sie – sobald sich ihre sachliche Unrichtigkeit herausstellt – durch eine neue, sachlich korrekte Abrechnung ersetzt werden muss. Dies ist hier nicht erfolgt. Vielmehr hat die Klägerin lediglich eine Proberechnung zur DRG-Fallpauschale X01B im gerichtlichen Verfahren vorgelegt.

 

Dies führt indessen nicht dazu, dass die Beklagte im hier vorliegenden Erstattungsstreit den Betrag wegen fehlender Fälligkeit der Vergütungsförderung zurückverlangen könnte. Denn nach § 813 Abs. 2 BGB ist bei vorzeitiger Erfüllung einer betagten Verbindlichkeit die Rückforderung ausgeschlossen. Da es Zweck dieser Vorschrift ist, ein sinnloses Hin- und Herbewegen der Leistung zu vermeiden (Lorenz in: Staudinger, BGB, § 813 Rn. 16), ist sie auch auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsansanspruch entsprechend anwendbar (offengelassen von BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 43).

 

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Klägerin waren die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen, weil die Beklagte nur mit einem geringen Teil – nämlich zu 4,6 % – unterlegen ist.

 

5. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 47 Abs. 1 und 2, § 43 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

 

 

Rechtskraft
Aus
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