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Gesundheitswesen

„Qualität erweist sich nicht durch Mindestmengen“

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Hans-Joachim Walter, Patientenvertreter und Landesbeauftragter des Mukoviszidose e. V., im Nordkurier-Interview über die Zukunft der Gesundheitsversorgung in MV.
Veröffentlicht:03.01.2023, 16:08

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Die „Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in MV“ ist das Ziel einer Expertenkommission, die durch das Schweriner Gesundheitsministerium berufen wurde. Ihr gehören Mitwirkende aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens an. Nach ihren Erwartungen und Zielen befragte der Nordkurier zwei Mitglieder der Expertenkommission, die unterschiedliche Perspektiven in die Arbeit einbringen: Prof. Dr. Marek Zygmunt ist Direktor der Frauenklinik an der Universitätsmedizin Greifswald (hier das Nordkurier-Interview mit ihm), Hans-Joachim Walter aus Neubrandenburg engagiert sich schon viele Jahre als Patientenvertreter auf verschiedenen Ebenen.

Die „Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ ist ein hehrer, weitgefasster Anspruch. Wo sehen Sie die drängendsten Aufgaben?

Letztlich geht es darum, die Versorgung überhaupt zu sichern. Dabei ist es nicht unsere Aufgabe, Geld zu verteilen, sondern Pläne zu erarbeiten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (Anm. d. Red.: das höchste Beschlussgremium im Gesundheitswesen) schneidet uns immer mehr von der Patientenversorgung ab durch die Festlegung von Mindestmengen, die hierzulande kaum mehr zu erreichen sind.

Das Thema Mindestmenge ist ja durch den Kampf des Bonhoeffer-Klinikums um die Versorgung von Extrem-Frühchen in aller Munde. Betroffen sind aber auch komplexe Eingriffe bei Speiseröhrenkrebs in Neubrandenburg oder Lungenkrebs in Waren. Wie weit erstreckt sich das Spektrum von Behandlungen, die durch Mindestmengenregelungen in Frage gestellt werden?

Auf jeden Fall auf seltene chronische Erkrankungen, wie auch Mukoviszidose – da haben wir uns bisher gegenüber den Krankenkassen behauptet. Mindestmengen haben für mich eine Alibifunktion. Patientenregister wie in der Mukoviszidose oder das Diabetesregister, das wir vor über 25 Jahren aufgebaut haben – damit können Sie Qualität erreichen. Die Gleichsetzung von Fallzahlen mit Behandlungsqualität ist ein Argument der großen Krankenhäuser. Qualität muss sich durch Datenbasis erweisen, nicht durch Mindestmengen.

Wie sehen Sie die Gesundheitsversorgung in MV mit großen Entfernungen und immer mehr unbesetzten Arztpraxen?

Wir haben eine Struktur, die wir erhalten müssen und nicht noch mehr zersiedeln sollten. Im niedergelassenen Bereich sind die größeren Städte im Hausarzt- und pädiatrischen Fach gut aufgestellt. Aber in der Fläche gibt es freie Hausarztstellen, allein neun rings um Neubrandenburg. Da will sich keiner niederlassen, obwohl viel geboten wird.

Mehr zum Thema: Versorgung von Patienten wegen Personalsituation in Gefahr?

Was will und kann hier die Expertenkommission bewirken, gerade im Hinblick auf das zentrale Thema Pädiatrie und Geburtshilfe?

Wir haben Kerngruppen gebildet zur Daten- und Strukturanalyse, Standortsicherung, Fachkräftesicherung und Telemedizin. Ich selbst arbeite in der Gruppe, in der es um aktuelle und künftige Versorgungsebenen geht, zusammen mit Kinderklinikchefs, einem niedergelassenen Arzt, Vertretern der Krankenkassen und des Gesundheitsministeriums. Dabei dürfen wir nicht nur MV im Blick haben. Auch der Nordosten Brandenburgs muss mitversorgt werden.

Dabei treffen unterschiedlichste Interessenlagen aufeinander. Wo sehen Sie Verbündete und Widerparts?

Ich habe den Vorteil, mit allen Akteuren seit 30 Jahren zusammenzuarbeiten. Ich sitze im Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, im Landesausschuss spezialfachärztliche Versorgung, in der Landesarbeitsgemeinschaft für medizinische Qualität. Alle wissen, dass ich über Fachwissen verfüge und dass ich nicht gegen sie arbeite. Mir geht‘s um die Patienten.

Dafür gelten Sie als hartnäckiger Streiter, der sich nicht scheut, auch Bundestagsabgeordnete und Minister zu „piesacken“. Müssen Sie sich manchmal auf die Zunge beißen, um diplomatischer zu sein?

Naja, vielleicht möchte ich mein Drängen manchmal etwas sachlicher rüberbringen. Aber wenn man mich hinhält, werde ich emotional. Und wenn in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren für chronisch Kranke etwas erreicht wurde, hat sich das gelohnt.

Welche Erwartungen setzen Sie nun in die Arbeit der Expertenkommission auf Landesebene?

Wir kämpfen um die Sicherung der pädiatrischen Versorgung, im ambulanten wie im stationären Bereich. Um gegenüber dem G-BA zu bestehen, müssen wir sektorübergreifend Lösungen finden, so dass niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser zusammenarbeiten können.