L 16 KR 746/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 415/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 746/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2020 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 4.043,40 € vom 23.04.2014 bis zum 07.10.2014 verurteilt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.043,40 € festgesetzt.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Behandlung.

 

Die 1934 geborene und bei der Beklagten versicherte M (im Folgenden Versicherte) wurde in der Zeit vom 15.03.2014 bis zum 01.04.2014 in dem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus der Klägerin stationär behandelt. Im Entlassungsbericht vom 01.04.2014 wurden folgende Diagnosen genannt: Allgemeinzustandsverschlechterung bei protrahiertem Harnwegsinfekt, Nachweis von Enterokokken und Candida spezies im Urin, passageres Nierenversagen unter Diuretika, entgleister Diabetes mellitus Typ 2 (diabetische Nephropathie), arterielle Hypertonie, Rechtsherzinsuffizienz mit Beinödemen sowie chronisches Vorhofflimmern. Die Aufnahme erfolgte mit hausärztlicher Einweisung bei Verdacht auf Pneumonie, der sich nicht bestätigte. Während des Aufenthalts wurde ein Harnwegsinfekt festgestellt, der sich unter Einsatz von Antibiotika deutlich besserte. Hinsichtlich des entgleisten Blutzuckers wurde auf eine zweimalige Gabe eines Mischinsulins umgestellt. Aufgrund der zu Beginn hochdosiert gegebenen Diuretika war ein passageres Nierenversagen aufgetreten, das sich nach Absetzen sämtlicher nephrotoxischer Medikamente besserte.

 

Für die Behandlung forderte die Klägerin von der Beklagten mit Rechnung vom 07.04.2014 auf der Grundlage der DRG F62A (Herzinsuffizienz und Schock mit äußerst schweren CC, mit Dialyse oder Komplizierung der Diagnose) eine Vergütung i.H.v. 6.727,58 €. Die Klägerin kodierte hierbei die Hauptdiagnose I50.01 (sekundäre Rechtsherzinsuffizienz) und u.a. die Nebendiagnose R09.2 (Atemstillstand).

 

Mit Schreiben vom 11.04.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Prüfung der Rechnung habe ergeben, dass die übermittelten Daten eine zweifelsfreie Beurteilung der angegebenen Nebendiagnosen nicht zuließen. Daher habe sie die Zahlung eines gekürzten Betrages i.H.v. 2.684,18 € veranlasst. Dieser sei auf der Basis der DRG F62B (Herzinsuffizienz und Schock ohne äußerst schwere CC oder ohne Dialyse, ohne komplizierende Diagnose, ohne komplizierende Konstellation, mehr als ein Belegungstag) ermittelt worden. Zudem beauftragte sie den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit der Prüfung des Behandlungsfalles, was dieser der Klägerin mit Schreiben vom selben Tag anzeigte. Nach Übersendung des Entlassungsberichts kam der SMD zu dem Ergebnis, die Nebendiagnose R09.2 sei anhand der vorliegenden Unterlagen nicht belegt. Der Behandlungsfall werde korrekt durch die DRG F62B abgebildet. Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 01.10.2014 mit, dass ein weitergehender Vergütungsanspruch nicht bestehe. Dieses Schreiben ging am 07.10.2014 bei der Klägerin ein.

 

Nach einer Stellungnahme der Klägerin beauftragte die Beklagte den SMD erneut mit der Prüfung. Dieser kam in der Stellungnahme vom 20.03.2015 zu dem Ergebnis, es ergäben sich keine neuen Aspekte. Die Kodierung des Atemstillstandes werde mit einer Sauerstoffgabe von 2 l über die Nasensonde begründet. Eine respiratorische Insuffizienz sei mit J96 zu kodieren.

 

Die Klägerin hat am 16.04.2018 beim Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben und ihren restlichen Vergütungsanspruch weiterverfolgt. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Rechnungsbetrag direkt zu kürzen und nur den unbestrittenen Teil der Forderung als Vorschusszahlung zu leisten. Dieses Verbot ergebe sich aus § 15 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V (Landesvertrag NRW), wonach Rechnungen innerhalb von 15 Tagen nach Eingang zu begleichen seien. Auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien die Kostenträger nicht berechtigt, die Zahlung zu verweigern, wenn sie Zweifel an der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Krankenhausabrechnung hätten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R; Urteil vom 28.05.2003 – B 3 KR 10/02 R; Urteil vom 28.09.2006 – B 3 KR 23/05 R; Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 24/08 R). Der Vergütungsanspruch werde unabhängig davon fällig, ob ein Prüfverfahren zur Notwendigkeit und Dauer einer Krankenhausbehandlung eingeleitet werde. Zudem sei die Abrechnung unter medizinischen Aspekten korrekt erfolgt; insbesondere sei die Nebendiagnose R09.2 zutreffend kodiert worden. Bei der Versicherten habe eine respiratorische Insuffizienz kardialer Genese vorgelegen; bereits im Röntgenbefund vom 20.03.2014 sei eine pulmonale Ursache ausgeschlossen worden. Die kardiorespiratorische Insuffizienz werde in der ICD-10-GM Version 2014 im Rahmen der Diagnose J96 als Exklusivum angegeben und daher der Diagnose R09.2 zugeordnet. Nach der Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) D013c sei bei den Exklusiva in Klammern die Schlüsselnummer derjenigen Kategorie oder Subkategorie verzeichnet, der die Ausschlussbezeichnung zuzuordnen sei.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.043,40 € nebst 2 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.04.2014 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Dem Landesvertrag NRW könne ein Verbot der Rechnungskürzung nicht entnommen werden. In der Vereinbarung einer Zahlungsfrist sei nicht zugleich die Übernahme der Verpflichtung zu sehen, eine formal ordnungsgemäße Rechnung trotz Zweifeln an der Berechtigung eines Krankenhausaufenthalts begleichen zu müssen (Hinweis auf LSG NRW, Urteil vom 27.03.2003 – L 5 KR 141/01; Urteil vom 06.05.2004 – L 5 KR 197/03). Die Rechtsprechung des BSG zum Landesvertrag Rheinland-Pfalz könne nicht auf den Landesvertrag NRW übertragen werden, da die rheinland-pfälzische Regelung die Verrechnung von Differenzbeträgen bei nachträglichen Beanstandungen uneingeschränkt erlaube, während dies nach dem Landesvertrag NRW nur bei bestimmten Beanstandungen möglich sei (Hinweis auf LSG NRW, Urteil vom 27.03.2003 – L 5 KR 141/01 –, Rn. 20 f., juris). Das BSG habe zudem entschieden, dass die Krankenkassen nicht zur Zahlung zu verurteilen seien, wenn sie im Verlaufe eines gerichtlichen Verfahrens ihre Einwände spezifizierten. Dann sei über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung Beweis zu erheben (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 20/03 R –, Rn. 16, juris). Sie habe innerhalb der zweiwöchigen Zahlungsfrist substantiierte und der Höhe nach bezifferte Einwendungen gegen die Vergütungsforderung geltend gemacht. Die Kürzung der Rechnung sei zu Recht erfolgt. Zur Kodierbarkeit von Nebendiagnosen seien die DKR Version 2014 sowie die ICD-10-GM heranzuziehen. Es sei unstreitig, dass bei der Versicherten weder ein Atemstillstand noch ein Herz-Lungen-Versagen vorgelegen hätten, sondern eine kardiorespiratorische Insuffizienz. Unter diesem Begriff finde man im Alphabetischen Verzeichnis der ICD-10-GM zwar den Kode R09.2. Im Systematischen Verzeichnis sei jedoch unter diesem Kode eingetragen: „R09.2: Atemstillstand, Herz-Lungen-Versagen“. Für die Frage der Kodierbarkeit sei allein das Systematische Verzeichnis ausschlaggebend; das Alphabetische Verzeichnis unterstütze nur die Verschlüsselung nach dem Systematischen Verzeichnis. Dies ergebe sich aus den DKR D013c und D014d. Auch das DIMDI habe ausgeführt, dass Verschlüsselungen, die dem Alphabet entnommen worden seien, grundsätzlich anhand von Systematik und Regelwerk überprüft werden sollten. Sie hat eine weitere, nicht datierte Stellungnahme des SMD vorgelegt, wonach die Klägerin in zahlreichen Fällen die Diagnose R09.2 kodiert habe. Es erscheine befremdlich, dass die Versicherte nicht intensivmedizinisch überwacht und behandelt worden und dass kein entsprechendes Monitoring auf einen Atemstillstand erfolgt sei. In einer weiteren Stellungnahme vom 31.07.2018 hat der SMD ausgeführt, die Diagnosen aus Kapitel XVIII und damit auch die R09.2 dürften nur verwendet werden, wenn keine spezifische Diagnose vorliege. Es sei so spezifisch wie möglich zu verschlüsseln. Zweifelsfrei lasse sich die kardiorespiratorische Insuffizienz im Kapitel IX (Krankheiten des Kreislaufsystems) und im Kapitel X (Krankheiten des Atmungssystems) abbilden. Zudem hat die Beklagte auf das von denselben Beteiligten geführte Verfahren vor dem LSG NRW unter dem Aktenzeichen L 16 KR 248/17 Bezug genommen, in dem die Klägerin bei einer vergleichbaren Konstellation die Klage zurückgenommen habe, nachdem der Senat die Auffassung der Beklagten zur Nichtkodierbarkeit des Kodes R09.2 ausdrücklich bestätigt habe. Demnach könne diese Diagnose schon vom Wortlaut her nicht kodiert werden, wenn ein Atemstillstand nicht vorgelegen habe.

 

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 09.10.2020 zur Zahlung von 4.043,40 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.04.2014 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Rechnung der Klägerin um den Betrag in Höhe von 4.043,40 € zu kürzen. Einem solchen Vorgehen stehe § 15 Abs. 1 des Landesvertrages NRW entgegen, wonach Rechnungen innerhalb von 15 Kalendertragen nach Eingang zu begleichen seien. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass eine Direktkürzung nicht erfolgen dürfe. Die Krankenkasse sei selbst dann gehalten, die Rechnung des Krankenhauses zur Vermeidung des Verzugs innerhalb der Zahlungsfrist zu begleichen, wenn sie von einer sachlichen oder rechnerischen Unrichtigkeit der Abrechnung ausgehe. Der Zahlungsanspruch sei auch fällig gewesen. Zur Überzeugung der Kammer habe eine den Anforderungen des § 301 SGB V entsprechende Abrechnung vorgelegen.

 

Gegen den ihr am 20.10.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 04.11.2020 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Hinsichtlich der Frage der Kodierbarkeit der richtigen Nebendiagnose hat sie eine weitere Stellungnahme des SMD vom 12.07.2021, in der nochmals die medizinischen Voraussetzungen des Kodes R09.2 dargestellt werden, ferner eine Beurteilung dieser Frage durch den SMD aus dem Verfahren L 16 KR 248/17 sowie hierzu ein Sachverständigengutachten aus dem entsprechenden erstinstanzlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (S 11 KR 218/15) vorgelegt.

 

Die Beklagte beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2020 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die Rechnung zu kürzen. Insbesondere habe sie innerhalb der Zahlungsfrist keine substantiierten Einwendungen gegen die Abrechnung erhoben. Vielmehr habe sie die Rechnung hinsichtlich der angegebenen Nebendiagnosen zunächst durch ihren SMD prüfen lassen wollen. Hinsichtlich der Frage der zutreffenden Nebendiagnose wiederholt sie ihren erstinstanzlichen Vortrag.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte zu dem Verfahren mit dem Aktenzeichen L 16 KR 248/17, der Patientenakte der Klägerin und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

 

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte, fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen begründet.

 

Die zulässigerweise erhobene (echte) Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG (vgl. zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung etwa BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R –, Rn. 8 m.w.N., juris) ist lediglich hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vom 23.04.2014 bis zum 07.10.2014 begründet. Im Übrigen, also insbesondere hinsichtlich des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist sie unbegründet.

 

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 4.043,40 € für die streitige stationäre Behandlung, weil diese lediglich einen Vergütungsanspruch i.H.v. 2.684,18 € bedingte, den die Beklagte erfüllt hat.

 

a) Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist entstanden.

 

Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse wird – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherte kraft Gesetzes begründet, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus – wie hier im Krankenhaus der Klägerin – erfolgt und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (vgl. zur ständigen Rechtsprechung BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 7/15 R –, Rn. 9, juris).

 

 

Die Versicherte wurde vom 15.03.2014 bis zum 01.04.2014 in dem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus der Klägerin wegen eines Harnwegsinfekts, eines entgleisten Diabetes mellitus Typ 2 sowie eines passageren Nierenversagens behandelt. Es ist zwischen den Beteiligten unumstritten, dass die bei der Versicherten durchgeführte Behandlung nur unter stationären Bedingungen erfolgen konnte und damit i.S.d. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war. Ermittlungen von Amts wegen waren daher nicht erforderlich.

 

b) Der von der Klägerin mit der Rechnung vom 07.04.2014 geltend gemachte Vergütungsanspruch ist (zunächst) in der ausgewiesenen Höhe fällig geworden.

 

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 des gekündigten, aber weiterhin anwendbaren Landesvertrages NRW (vgl. dazu Urteil des Senats vom 24.02.2022 – L 16 KR 550/19 –, Rn. 27, juris) sind die Krankenkassen verpflichtet, Rechnungen eines Krankenhauses wegen einer stationären Behandlung innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang zu begleichen. Die Klägerin hat mit der Rechnung vom 07.04.2014 auf der Grundlage der DRG F62A eine Vergütung i.H.v. 6.727,58 € gefordert. Damit war die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, diesen Betrag innerhalb der genannten Zahlungsfrist zu zahlen. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nur i.H.v. 2.684,18 € nachgekommen. Ein Zurückbehaltungsrecht stand der Beklagten jedoch nicht zu.

 

Die Fälligkeit der Zahlung entsteht unabhängig davon, ob ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet werden soll oder ein solches noch nicht abgeschlossen ist. Außerdem bleiben trotz der Zahlung etwaige Einwendungen gegen Grund und Höhe der geltend gemachten Behandlungskosten erhalten (BSG, Urteil vom 28.05.2003 – B 3 KR 10/02 R –, Rn. 18, juris). Den Krankenkassen ist es nicht erlaubt, die Bezahlung von Krankenhausrechnungen mit der Begründung zu verzögern, dass zunächst die Richtigkeit der Abrechnung oder die wirtschaftliche Leistungserbringung geprüft werden müsse (BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R –, Rn. 15, juris; ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.06.2022 – L 16 KR 251/21 –, Rn. 47 m.w.N., juris).

 

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Rahmen der Abrechnung ihren Mitwirkungsobliegenheiten insbesondere nach § 301 SGB V nicht nachgekommen ist, so dass bereits mangels formal ordnungsgemäßer Abrechnung die Fälligkeit der Forderung nicht eingetreten wäre (vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 3/18 R –, Rn. 25 m.w.N., juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.06.2022 – L 16 KR 251/21 –, Rn. 41, juris), sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht geltend gemacht.

 

c) Dadurch, dass die Beklagte dem Vergütungsanspruch der Klägerin mit Schreiben vom 01.10.2014 unter Übersendung der Stellungnahme des SMD vom 22.09.2014 substantiierte und der Höhe nach bezifferte Einwendungen entgegenbrachte, entfiel aber ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens bei der Klägerin am 07.10.2014 die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs in der hier streitigen Höhe (anscheinend a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.06.2022 – L 16 KR 251/21 –, Rn. 48, juris). Aufgrund dieser Einwendungen war offensichtlich, dass die Rechnung der Klägerin fehlerhaft war, da die Nebendiagnose R09.2 (Atemstillstand) nicht kodiert werden durfte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 3/18 R –, Rn. 25 m.w.N., juris). Dies musste auch der Klägerin bewusst sein, da bei der Versicherten unstreitig weder ein Atemstillstand noch ein Herz-Lungen-Versagen vorgelegen hatten, so dass die Voraussetzungen für die Kodierung der Nebendiagnose R09.2 offenkundig nicht erfüllt waren (insoweit anders der dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.06.2022 – L 16 KR 251/21 – zugrunde liegende Sachverhalt). Eine kardiorespiratorische Insuffizienz, an der die Versicherte litt, wird durch diesen Kode nicht abgebildet (dazu noch unter d).

 

Krankenkassen sind – unabhängig von der Frage, ob sie hinsichtlich eines Teils der Vergütungsforderung ein Zurückbehaltungsrecht haben – nicht zur Zahlung zu verurteilen, wenn sie im Verlaufe eines gerichtlichen Verfahrens – oder sogar (wie hier) bereits vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens – ihre Einwände spezifizieren. Dann ist über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung Beweis zu erheben. Stellt sich die Entscheidung des Krankenhausarztes über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung auch aus seiner Sicht ex-ante als medizinisch nicht vertretbar heraus, ist die Klage in solchen Fällen abzuweisen; das Krankenhaus hätte dann allenfalls einen Anspruch auf Zahlung der vertraglichen Verzugszinsen für die Zeit vom Ablauf der Zahlungsfrist bis zur Spezifizierung der Einwendungen, da die Kasse bei vertragsgemäßem Verhalten die fälligen Rechnungen zunächst hätte begleichen müssen (BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 20/03 R –, Rn. 16, juris). Diese Ausführungen des BSG beziehen sich zwar auf eine Wirtschaftlichkeitsprüfung; für eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Abrechnung kann aber nichts anderes gelten.

 

Erforderlich ist, dass die Krankenkasse substantiierte und der Höhe nach bezifferte Einwendungen gegen die Abrechnung geltend macht (BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 20/03 R –, Rn. 16, juris). Die vorgebrachten Einwendungen müssen für sich genommen geeignet sein, den geltend gemachten Einwand als in der Person des Krankenhauses entstanden erscheinen zu lassen. In jedem Fall müssen nähere Einzelheiten vorgetragen werden, die den Einwand rechtfertigen können (vgl. SG Duisburg, Urteil vom 25.09.2013 – S 50 KN 156/13 KR –, Rn. 31, juris). Diese inhaltlichen Anforderungen erfüllte die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 11.04.2014 nicht, da sie in diesem lediglich pauschal und ohne konkrete einzelfallbezogene Begründung vortrug, die Prüfung der Rechnung habe ergeben, dass die übermittelten Daten eine zweifelsfreie Beurteilung der angegebenen Nebendiagnosen nicht zuließen. Die erforderliche substantiierte Auseinandersetzung mit der Abrechnung der Behandlung der Versicherten erfolgte aber mit dem Schreiben der Beklagten vom 01.10.2014 unter Übersendung der Stellungnahme des SMD vom 22.09.2014.

 

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist hingegen in zeitlicher Hinsicht nicht Voraussetzung, dass die Krankenkasse die substantiierten und der Höhe nach bezifferten Einwendungen gegen die Abrechnung bereits innerhalb der zweiwöchigen Zahlungsfrist geltend gemacht hat (so aber wohl SG Duisburg, Urteil vom 25.09.2013 – S 50 KN 156/13 KR –, Rn. 28 ff., juris). Aus einem solchen (vertragsgemäßen) Verhalten der Krankenkasse resultierte nach der Rechtsprechung des BSG vielmehr ein vom vornherein bestehendes Zurückbehaltungsrecht (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 20/03 R –, Rn. 16, juris). Spezifiziert die Krankenkasse ihre Einwendungen hingegen erst nach Ablauf der vertraglichen Zahlungsfrist, ist aufgrund des vertragswidrigen Verhaltens im davor liegenden Zeitraum Verzug eingetreten. Die Befugnis bzw. die Verpflichtung, im gerichtlichen Verfahren den Vergütungsanspruch auch inhaltlich zu prüfen, besteht unabhängig davon.

 

d) Die Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie dem der Klägerin nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen [FPV]) konkretisiert. Die Vertragsparteien auf Bundesebene vereinbaren insoweit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog und nach Nr. 3 Abrechnungsbestimmungen in den FPV. Maßgeblich sind hier die für das Jahr 2014 geltende FPV einschließlich ihres Fallpauschalenkatalogs sowie die Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2014. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2014 sind zur Einstufung des Behandlungsfalls in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind (st.Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R –, Rn. 14 ff. m.w.N., juris).

 

Zu Recht sind sich die Beteiligten darüber einig, dass die Klägerin nur dann die DRG F62A mit einer daraus resultierenden Vergütung i.H.v. 6.727,58 € abrechnen durfte, wenn sie zulässig die Nebendiagnose R09.2 kodiert hat. Andernfalls richtet sich die Kodierung nach der – von der Beklagten bezahlten – DRG F62B. Dies wird durch die Beteiligten ebenso wenig wie der sich dann ergebende Vergütungsbetrag von 2.684,18 € in Zweifel gezogen und vom Senat daher ohne Weiteres zugrunde gelegt (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 1 KR 31/20 R –, Rn. 16 m.w.N., juris).

 

Die Klägerin war lediglich berechtigt, den Kode J96 „Respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert“ zu kodieren, nicht aber infolge der bei der Versicherten bestehenden kardial bedingten Rechtsherzinsuffizienz die Kodierung R09.2 vorzunehmen. Letzterer Kode erfordert einen Atemstillstand oder ein Herz-Lungen-Versagen, was beides unstreitig nicht vorgelegen hat.

 

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kode J96 u.a. als Exklusivum die „Kardiorespiratorische Insuffizienz (R09.2)“ nennt. Nach der DKR D013 handelt es sich bei Exklusiva um Bezeichnungen die – selbst wenn der Titel der Rubrik vermuten lässt, dass sie an dieser Stelle zu klassifizieren wären – tatsächlich an anderer Stelle klassifiziert sind. Bei den Exklusiva steht in Klammern die Schlüsselnummer derjenigen Kategorie oder Subkategorie, der die Ausschlussbezeichnung zuzuordnen ist. Letzteres scheint für die Annahme der Klägerin zu sprechen, dass das so bezeichnete Exklusivum selbst dann unter der genannten mit entsprechender Nummer versehenen Kategorie zu kodieren ist, wenn es wie hier offensichtlich nicht die dort genannten weiteren Voraussetzungen – hier der Atemstillstand oder das Herzlungenversagen – erfüllt. Eine solche Auslegung der DKR D013 ist jedoch auch unter dem Postulat der strengen Wortlautauslegung nicht angezeigt. Definitionsgemäß verlangt die DKR D013, dass der als exklusiv bezeichnete Krankheitszustand andernorts klassifiziert ist und deshalb der bei dem Exklusivum mit der entsprechenden Nummer ausgewiesenen Kategorie zuzuordnen ist. Ist aber wie hier die entsprechende Bezeichnung offensichtlich nicht unter letzterer Kategorie erfasst, bedürfte es eines Hinweises, dass eine Erweiterung dieser Kategorie dadurch erfolgen soll, dass ihre Nummer ausdrücklich bei den Exklusiva genannt ist. An einer solchen Regelung fehlt es aber, sodass auch nach dem Wortlaut der DKR D013 nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeglicher Krankheitszustand, der unter das Exklusivum subsummiert werden könnte, einer anderen Kategorie zuzuweisen ist, auch wenn er deren Anforderungen offensichtlich nicht erfüllt.

 

Vorliegend ergibt sich auch nichts anderes aus dem Umstand, dass das Alphabetische Verzeichnis der ICD-10-GM unter dem Begriff „kardiorespiratorische Insuffizienz“ auf den ICD-Kode R09.2 verweist. Nach DKR D014d unterstützt das Alphabetische Verzeichnis lediglich die Verschlüsselung nach dem Systematischen Verzeichnis und die im ersteren verwendeten formalen Vereinbarungen sind in letzterem beschrieben. Maßgeblich für die Kodierung ist daher stets das Systematische Verzeichnis. Fehlt es an einer Beschreibung im Systematischen Verzeichnis, kann diese daher auch nicht durch das Alphabetische Verzeichnis erweitert werden.

 

Diesen Überlegungen hat zwischenzeitlich auch die Änderung des entsprechenden Exklusivums in „Herz-Lungen-Versagen“ im Jahr 2016 Rechnung getragen, die lediglich zu einer entsprechenden Klarstellung erfolgt ist (s. Bartkowski, Änderungsvorschlag für die ICD-10-GM 2016).

 

2. Hinsichtlich des Zinsanspruchs ist die Klage für den Zeitraum vom 23.04.2014 bis zum 07.10.2014 begründet.

 

Die mit der Rechnung vom 07.04.2014 geforderte Vergütung war – wie oben unter 1. b) ausgeführt – nach § 15 Abs. 1 Satz 1 des Landesvertrages NRW innerhalb von 15 Kalendertagen zu zahlen, also mit Ablauf des 22.04.2014 fällig. Die Beklagte hat sich mit der Zurückbehaltung eines Betrags von 4.043,40 € vertragswidrig verhalten und ist daher nach § 15 Abs. 1 Satz 4 des Landesvertrages NRW verpflichtet, ab dem auf den Fälligkeitstag folgenden Tag, hier also ab dem 23.04.2014 bis zum 07.10.2014 Verzugszinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.

 

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen, weil sie wegen des Hauptanspruches in vollem Umfang unterliegt. In beiden Rechtszügen sind die Zinsen in vollem Umfang Nebenforderungen i.S.d. § 4 ZPO, die sich auf die Bemessung des Streitwertes und damit auf die Kostenverteilung nicht auswirken (vgl. BGH, Beschluss vom 17.05.1984 – X ZR 82/83 – Rn. 3, juris). Ein Fall, in dem Zinsen aus einem nicht oder nicht mehr im Streit stehenden Hauptanspruch Hauptforderungen i.S.d. § 4 ZPO darstellen, liegt nicht vor (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.03.2001 – 9 U 205/00 –, Rn. 21, juris).

 

Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 GKG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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